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Hochschulpolitik

Falsche Rücksichtnahme?

  • von Ulrich Radtke
  • 20.07.2016

Eine Universität muss kontroverse Debatten aushalten, meint Rektor Ulrich Radtke

„We feel offended“ - der neue Schlachtruf der politisch korrekt Beseelten war „In the land of the free“ zuerst zu hören. Mittlerweile ist er auch auf unserer Seite des Atlantiks unüberhörbar geworden – und droht, den an Hochschulen notwendigen Meinungspluralismus zu gefährden. Was kommt hier auf uns zu, und wie gehen wir damit um? Diese Fragen stellen sich immer drängender: Ursprünglich als Instrument der Sensibilisierung und als Minderheitenschutz gedacht, hat sich Political Correctness im angloamerikanischen Raum immer mehr zu einem politischen Kampfbegriff entwickelt.

Aber auch am Beispiel der Migration lässt sich die Problematik des „I feel offended“ illustrieren. Die Ankommenden können z.B. Konflikte ihrer Heimat mitbringen. Manche Kontrahenten versuchen sogar, die Hochschule als seriöse, wissenschaftliche Bühne für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Eine ehrliche, an wissenschaftlichen Kriterien orientierte Behandlung dieser Themen ist aber sinnvoll. Sie führt i.d.R. zu Erkenntnisgewinn, sie hilft, Konflikte aufzuarbeiten und trägt schlussendlich so zur Integration bei, denn Integration ist eben mehr als nur eine Sonntags-Willkommenskultur.

In den USA ist es mittlerweile sehr schwierig geworden, provokante Themen an der Universität zu erörtern. Referentinnen und Referenten werden ausgeladen, sobald erkennbar wird, dass sich jemand „beleidigt“ oder „angegriffen“ fühlen könnte, oder, noch schlimmer, die „Schere im Kopf“ verhindert bereits die Einladung. Diese freiwillige „Verzwergung“ bedroht aber massiv die wissenschaftliche Freiheit, die die Universität zu verteidigen hat; sie muss auch künftig ein Ort der kontroversen öffentlichen Diskussion bleiben. Hochschulleitungen müssen sich allerdings im Klaren darüber sein, dass sie sich dann zunehmend in der Mitte des „Gefechtsfeldes“ befinden und in der öffentlichen Wahrnehmung meist nur verlieren können. Denn egal, ob sie eine Veranstaltung zulassen oder nicht: Eine Partei fühlt sich immer falsch verstanden.

Folgt man aber dem „offended“ Postulat, muss ex cathedra zwischen „guten“ und „schlechten“ Veranstaltungen entschieden werden – und man setzt sich so dem Vorwurf der Zensur aus. Aber wo ist hier die Grenze? Was ist pointiert, was ist Comedy? Was ist theologisch provokant, wann ist es eine Hasspredigt? Was ist nur krude – und was volksverhetzend? Es gibt eindeutige Umstände, aber nicht immer ist im Vorfeld klar erkennbar, was justiziabel ist oder werden wird. Dem Ruf des „I/We feel offended“ aber vorschnell nachzugeben und „Schwieriges“ zu verbieten, möchte ich gleichwohl nicht folgen.

Fazit: Conditio sine qua non ist, dass die Hochschule ein Ort offener Diskussion bleiben muss. Sucht oder stellt man sich nicht dem Diskurs, wird der Status quo zementiert. Auch elitäre Gleichgültigkeit steht am Anfang jeden Erfolgs von Extremisten. Aber Mut tut not: Meinungsfreiheit ist kein Schönwetterprogramm und kann erst recht nicht beliebig nach ideologischer Prädisposition oder tagespolitischer Opportunität verhandelt werden. Und sollte es jemals dazu kommen, kann ich für mich nur sagen: „I feel offended.“

Der Meinungsbeitrag erschien erstmals in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift Forschung & Lehre(http://www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?page_id=298)

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