Forschungsspiegel

Die Forschung hat sich bislang vor allem mit Karen Duves frühen Veröffentlichungen Regenroman und Dies ist kein Liebeslied beschäftigt. Dies gilt auch für die Auslandsgermanistik, die mindestens ein Drittel der Forschungsliteratur ausmacht. Dabei lassen sich als Forschungsschwerpunkte die Aspekte Feminismus, Körperlichkeit, zwischenmenschliche Beziehungen, Zeit, ethischer Diskurs und moderne Märchen nennen.

Feminismus
Der sicherlich größte Forschungsschwerpunkt liegt auf der Untersuchung des Feminismus in Duves Werken. Marie Büsch behandelt dieses Thema in ihrer Masterarbeit Von den (Irr)Wegen der Frauen in Karen Duves Regenroman, Dies ist kein Liebeslied und Taxi sowie in der Kurzgeschichtensammlung Keine Ahnung ausführlich. (Büsch 2008) Da ausnahmslos alle Protagonistinnen von ihren Mitmenschen unterdrückt werden und keine Anstalten machen, diesen Zustand zu verändern, können sie laut Büsch als Negativbeispiele für den Feminismus angesehen werden. Da jedoch alle Frauen nichts von ihrer Benachteiligung mitbekommen, „scheint Duve den feministischen Beitrag auf anderer Ebene zu leisten. […] Duve als erklärte Feministin arbeitet mit kaputten weiblichen Figuren und erreicht dennoch eine positive Aussage für Frauen in ihren Werken durch die Parodie, Ironie und Persiflage sämtlicher gängigen Vorurteile und angeblich geschlechterspezifischen Verhaltens“ (Büsch 2008, S. 1). In diesem Zusammenhang weist Büsch etwa auf die im konventionellen Verständnis eher ausgefallenen Berufe der Frauen hin, zu denen diese meist nach einer abgebrochenen Ausbildung gelangen. Dadurch würden „Alex, Anne und die Ich-Erzählerin in [der Erzählung] ‚89/90‘ […] mit ihren Berufen gegen die rigiden Regeln der Gesellschaft für ihr Geschlecht“ (Büsch 2008, S. 72) rebellieren. Die Problematik weiblicher Unterdrückung wird auch in Heike Bartels Artikel Karen Duve, Taxi: Of Alpha Males, Apes, Altenberg, and Driving in the City hervorgehoben. Dort heißt es, Alexandra Herwig (die Hauptfigur) habe keine eigene Entscheidungsmacht und lebe nur nach den Wünschen ihrer Mitmenschen. Zudem wird betont, dass jeweils die Männer in Alex´ Leben versuchen würden, sie zu formen. „On one level, Taxi can be read as the tragic portrayal of an aimless woman who is shaped by male expectations on fantasies” (Bartel 2011, S. 188). Dennoch scheinen sich alle Protagonistinnen in einer gewissen Abhängigkeit vom männlichen Geschlecht zu befinden. Büsch begründet diese Beobachtung mit der ungefestigten Identität der jungen Frauen, welche dafür verantwortlich sei, dass die Männer in den Romanen versuchen würden, die Frauen nach ihren Wünschen zu formen (vgl. Büsch 2008, S. 47). Auch Lucy Macnab thematisiert in ihrem Aufsatz Becoming bodies. Corporeal potential in short stories by Julia Franck, Karen Duve and Malin Schwerdtfeger die Unterdrückung der Frau, welche nicht selten durch Stereotype hervorgerufen werde. Macnab betont, dass die Protagonistinnen aus der Erzählsammlung Keine Ahnung ihr Leben lang darauf trainiert werden, sich auf eine bestimmte – von den Mitmenschen verlangte – Weise zu verhalten. Besonders die Nichteinhaltung dieser Erwartungen stelle eine große Last für die jungen Frauen dar. Durch die Schilderungen des oft schmerzvollen und grotesken Lebens werde deutlich, in welchem losgelösten Verhältnis die Hauptfiguren zu ihren Körpern stehen. Zusammengefasst sieht Macnab Keine Ahnung folgendermaßen: „The texts offer the possibility that gender can be redone in a different way, reconstructed to subvert our expectations” (Macnab 2006, S. 111).

Körperlichkeit
Alle Frauen aus Duves Romanen führen ähnliche Leben und ihre unglücklichen Existenzen werden nicht selten durch ein geringes Selbstbewusstsein herbeigeführt. Daher stellt die Beziehung zu bzw. die Entfremdung von dem eigenen Körper einen eigenen Forschungsschwerpunkt dar. Mit Ausnahme von Taxi sehen alle Protagonistinnen ihren Körper als Feind an und leiden unter ihrem Aussehen (vgl. Büsch 2008, S. 30). So führe das Unwohlsein im eigenen Körper häufig zu Essstörungen oder Süchten. Durch intensionslose Prostitution wie in Keine Ahnung würden sie versuchen, aus ihrem Koma aufzuwachen und ihren Körper wieder richtig wahrzunehmen. Auch wenn Alexandra im Taxiroman einen Sonderfall verkörpere, müsse sie dennoch mit den Vorurteilen ihrer Mitmenschen umgehen, welche durch ihr Aussehen geschürt werden und dazu führen, dass ihr der Beruf nicht zugetraut werde (vgl. Büsch 2008, S. 22 ff.).

Zwischenmenschliche Beziehungen
Sowohl die Beziehungen zur Familie als auch erotische Beziehungen werden in allen Romanen problematisiert. Marie Büsch verweist auf eine offensichtliche Bringschuld der Töchter gegenüber ihren Vätern (vgl. Büsch 2008, S. 35). So erwerbe Alexandra unter anderem die Taxilizenz, um nicht weiter von ihren Eltern abhängig zu sein und werde dennoch immer wieder von diesen auf ihr Scheitern aufmerksam gemacht. Besonders die Mütter, welche in Duves Textwelten eine traditionelle Hausfrauenrolle übernehmen, zeigen den Frauen ihre angeblichen Unzulänglichkeiten auf. Laut Büsch werden diese von den Töchtern als Vorbilder abgewiesen (vgl. Ebd.). Zusätzlich zu den familiären Problemen führen die Protagonistinnen der Werke allesamt unglückliche Beziehungen, was jedoch nur in den seltensten Fällen dazu führt, sich aus diesen rechtzeitig zu befreien. Büsch fasst dies für den Erzählband Keine Ahnung folgendermaßen zusammen: „Die Ich-Erzählerin in ‚Keine Ahnung‘ zeichnet sich […] dadurch aus, dass sie keine tiefergehenden zwischenmenschlichen Beziehungen zu anderen Menschen oder Männern hat, oder in den Begegnungen nur eine potentielle Flucht aus ihrem Leben sieht“ (Büsch 2008, S. 61). Bartel begründet die Unfähigkeit für zufriedenstellende Beziehungen in Taxi unter anderem mit Alexandras Beruf. Dadurch, dass sie jeden Tag Fahrgäste durch Hamburg fahre, deren Nähe sie durch die Enge des Taxis nicht immer vermeiden könne, entwickele sie eine Art Trauma: „Alex´s inability to establish relationships […] is magnified and intensified by her job that enforces spatial closeness with others. However, this inability is also mirrored in her numerous affairs with men, in which sex plays an important role yet intimacy hardly ever occurs” (Bartel 2001, S. 186).

Zeit
Auch die Zeit, in der die Protagonistinnen leben, stellt einen Untersuchungsaspekt in der Forschung dar. So macht Büsch darauf aufmerksam, dass die Romane in einer Zeit spielen, in welcher der Feminismus „in aller Munde“ (Büsch 2008, S. 19) war, jedoch mit Ausnahme der Erzählung Im tiefen Schnee ein stilles Heim alle erst einige Jahre später veröffentlicht wurden und „dementsprechend von Frauen (und Männern) gelesen [werden], für die der ‚Geschlechterkampf’ der 80er und frühen 90er Jahre (teilweise gelebte) Geschichte ist“ (Büsch 2008, S. 19). Bartel erwähnt zudem die Tatsache, dass trotz der vielzähligen bedeutenden geschichtlichen Ereignisse (Mauerfall, Wiedervereinigung, Tschernobyl) die Frauen kaum Anteil an ihrer Gegenwart nehmen und somit Beispiele für postmoderne Individuen seien. Hierbei bezieht Bartel sich auf Richard Sennet: „[Alex´s] lack of reaction supports Sennett´s theory of ’freedom from resistance’, which describes the disengaged, passive, and desensitized postmodern individual regarding his or her lack of interaction with the surrounding world” (Bartel 2011, S. 183).

Ethischer Diskurs
Nach Hans-Walter Schmidt-Hannisa lässt sich Karen Duves autobiographisches Werk Anständig essen als Element eines komplexen ethischen Diskurses über korrekte Ernährung begreifen. In der langen Historie dieses Diskurses kann das literarische Genre des Selbstversuchs als Prototyp eines neuen Diskursmodells verstanden werden. Kennzeichnend hierfür ist das direkte und unmittelbare Erleben des Handelnden, welches vor eine abstrakte und schwer zugängliche Theorie gestellt werde (vgl. Schmidt-Hannisa 2011, S. 93 ff.). Das Ziel dieser Selbstversuche sei meist die „kritische Mimikry an eine verpönte Lebensweise“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 94). Der Wunsch danach, ein besserer Mensch zu werden, gilt als Folge der Erkenntnis des eigenen Fehlverhaltens, welches durch mangelnde „Reflexion und [...] Entschlossenheit“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 93) gekennzeichnet sei. Es erfolgt kein Infragestellen der eigenen hedonistischen Ernährungsweise und somit der moralischen Normen, die diese begründen (vgl. Schmidt-Hannisa 2011, S. 93). Der Selbstversuch könne als Prozess der „Selbstaufklärung der manipulierten Konsumentin“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 93) verstanden werden, die sich aus ihrer „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 93) befreien möchte. In diesem Zusammenhang spiele auch die Erkenntnis, dass der Staat als „normgebende Instanz“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 94) scheitert, eine zentrale Rolle. Da hierdurch die Orientierung an dem Verhalten der Gesellschaft nicht möglich erscheint, muss die handelnde Person ihre eigene Moralvorstellung begründen. Im Verlauf des Selbstversuchs kann sowohl die emotionale als auch die rationale Reflexion der Autorin nachempfunden werden. Diese Reflexionen bilden im weiteren Verlauf die Basis für Duves eigene Verhaltensnorm (Vgl. Schmidt-Hannisa 2011, S. 94 f.). Auf rationaler Ebene verhandle sie „politische, ökonomische, ökologische und anthropologische“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 95) Zusammenhänge der Thematik in einer komplexen Argumentation. Die Grundlage ihrer Argumente bilden stets die wichtigsten Informationen zu den jeweiligen Bereichen. Auf emotionaler Ebene begründe Duve ihr Verhalten auch durch ihre Empfindungen (vgl. Schmidt-Hannisa 2011, S. 95). So könne abschließend konstatiert werden, dass sich hinter Duves Vorgehen sowohl eine globale Sicht auf die Ernährungsproblematik als auch die „Methodik einer Machbarkeitsstudie“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 95) auf individueller Ebene verbirgt. Duves Vorgehensweise enttarne den Widerspruch zwischen einem „normativ-moralischen“ und einem „pragmatischen“ Diskurs (Schmidt-Hannisa 2011, S. 95), der zu Ungunsten des normativen Diskurses gelöst werde. Denn letztlich entwickle Duve eine „lebbare Moral“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 97), die sich von abstrakten Moraltheorien abhebe.

Moderne Märchen
Weiteres Forschungsinteresse gilt Duves Märchen. Ein kennzeichnendes Merkmal sind die intertextuellen Bezüge. So stammt der zentrale Kern der Geschichte, welche von einer Prinzessin handelt, die das Werben des Prinzen ablehnt und daraufhin entführt wird, aus dem Kudrunlied. Darüber hinaus lassen sich Bezüge zu Beowulf, dem Nibelungenlied, der griechischen Mythologie, den Geschichten aus Tausend und eine Nacht und Cinderella finden. Die meisten dieser Motive werden im Laufe der Geschichte unerwartet abgewandelt. Diese Abwandlungen sind zumeist Anspielungen auf die Moderne. Graves konstatiert eine Asynchronität der Geschichte, die durch die moderne und komplexe Gestaltung der Figuren entstehe. Diese Modernität verleihe der Geschichte erst ihre Tiefe. So müssen auch die Märchenhelden letztlich erfahren, dass Beziehungen und Liebe schmerzhaft sein können. Trotz dieser modernen Elemente würden sich die Figuren auch ihrem Stereotyp entsprechend verhalten. So habe es Duve geschafft, einerseits die Gattung zu ironisieren, anderseits aber auch das Märchenhafte in die entführte Prinzessin zur Geltung kommen zu lassen (Graves 2006, S. 34 ff.).

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