Forschungsspiegel

Beim Sichten der Forschungsliteratur zu Cornelia Funke ist aufgefallen, dass die Forschung zwei Anlass besonders interessieren, die Intertextualität und das Motiv des Buches (des Lesens) in der Tinten-Trilogie sowie die Thematisierung geschlechtsspezifischer Rollenattribute und die Aufhebung der traditionellen Rollenzuschreibungen durch Überschreitung abgesteckter Grenzen.

 

Buchmotiv und Intertextualität
Anne Siebeck beschäftigt sich in ihrer Magisterarbeit Das Buch im Buch mit dem Buchmotiv als solches. Sie beschreibt, wie ein bestimmtes Buch der Auslöser für ein fantastisches Geschehen, eine übernatürliche Handlung sein kann. Dazu analysiert sie mehrere Werke, u.a. Cornelia Funkes Tinten-Trilogie, in der das Buch „Tintenherz“ des real-fiktiven Autors Fenoglio im Zentrum der Handlung steht. Es handelt sich hierbei um ein Buch im Buch, denn Fenoglios „Tintenherz“ löst das fantastische Geschehen in Funkes Tintenherz, Tintenblut und Tintentod aus. Siebeck stellt fest: „Im Fall des ersten Romans Tintenherz tragen das fiktive und das tatsächliche Buch wie bei der Unendlichen Geschichte denselben Titel, doch es gibt keine Entsprechung auf inhaltlicher Ebene“ (Siebeck, S. 46). Funkes Figur Mo, die den Beinamen „Zauberzunge“ trägt, liest aus Fenoglios „Tintenherz“ versehentlich Figuren heraus. Im Gegenzug verschwindet seine Frau Resa in dem Buch. Siebeck diagnostiziert: „Das Buch im Buch fungiert nicht eindeutig als phantastische Schwelle. Es ist zwar für einen Übergang nötig, doch braucht es einen magischen Vorleser, eine sogenannte Zauberzunge, die den Text laut vorliest, um den Transfer zu ermöglichen“ (Siebeck, S. 48). Das Buchmotiv werde weiterhin dadurch verstärkt, dass alle real-fiktiven Figuren dazu in Verbindung gesetzt würden, sagt Angelika Bury in ihrem Aufsatz „Tintenherz“ von Cornelia Funke und „Das Buch“ von Alfons Schweiggert – Ein Vergleich zweier phantastischer Romane. Der Leser wird durch Mo, der nicht nur Vorleser, sondern auch Buchbinder ist, in dieses Handwerk eingeführt. Seine Tochter Meggie ist ebenso wie Tante Elinor eine leidenschaftliche Büchersammlerin und -liebhaberin. Des Weiteren erhält der Leser durch Fenoglio einen Einblick in die Arbeit und Gedankenwelt eines Schriftstellers. Doch nicht nur das Buchmotiv spielt eine wichtige Rolle in Funkes Werk, sondern auch die Intertextualität ist erwähnenswert: „Das Lesen hat für den Buchrestaurator und seine Tochter einen ungewöhnlich hohen Stellenwert […]. Kombiniert mit zahlreichen intertextuellen Bezügen und den Zitaten zu Anfang jedes Kapitels legt Funke dem Buch ein Arsenal an Verweisen auf Bücher zu Grunde“, so Siebeck (Siebeck, S. 57). Zusätzlich zu den Büchern, auf die in der Tinten-Trilogie verwiesen wird wie z.B. Meggies Lieblingsbuch Peter Pan, wird die Intertextualität auch in Person von Farid verdeutlicht. Mo hat den Jungen aus der arabischen Welt des Märchens 1001 Nacht von Gustave Boulanger herausgelesen.
Hinter den Zitaten, die nicht nur zu Anfang eines Kapitels zu finden sind, sondern auch im eigentlichen Text, aus Werken des Kinder-und Jugendliteraturkanons, verbirgt sich ein „Bildungsauftrag der Autorin“ (ebd.). Sie appelliert an ihre LeserInnen, dieser Lektüre Aufmerksamkeit zu schenken und legt sie ihnen ans Herz. Neben Tintenherz lassen sich auch intertextuelle Bezüge in anderen Werken Funkes finden, wie z.B. in Reckless und Die Wilden Hühner und das Glück der Erde. Reckless.Steinernes Fleisch und Reckless.Lebendige Schatten sind die ersten beiden Bände eines mehrteiligen Werkes. Die Fantasy-Reihe lehnt sich an die Märchen der Gebrüder Grimm an und spielt sowohl in einer industrialisierten, modernen Märchen-, als auch in der realen Welt. Außerdem stellt Funke in Die wilden Hühner und das Glück der Erde einen Bezug zu William Shakespeares Romeo und Julia her, indem sie ihre Figuren dieses Drama als Theaterstück aufführen lässt.

Gender roles
Starke, weibliche Figuren, Mädchen, die selbstbewusst auf Augenhöhe mit den männlichen Figuren sind – auch das ist ein Thema, das Anlass zur Forschung gibt. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema hat ihren Ursprung vermutlich darin, dass die Autorin ein katholisches Mädchengymnasium besucht hat, geleitet von Nonnen. „Den Nonnen verdankt sie […] das Bewusstsein, dass Mädchen alles erreichen können, was sie wollen, oder, […], dass es keine Grenzen für Frauen gibt“ (Latsch, S. 20f.), erzählt Cornelia Funkes Patentante Hildegunde Latsch in Cornelia Funke – Spionin der Kinder. Dies erklärt, warum Funke die typischen Rollenklischees in ihren Werken umdreht. Von Rollenmustern und Verhaltensnormen abweichende Mädchen werden zum starken Geschlecht, während Jungen oft als ängstlich, klein und schwach beschrieben werden. Ein solcher Rollentausch lässt sich in Potilla und der Mützendieb finden, denn Arthur, der auch „Hasenherz“ genannt wird, kann den Feenhügel nur mit Hilfe der mutigen Esther retten, die voller Tatendrang steckt und somit eine männliche Stereotype verkörpert. (Vgl. Vogt, S. 94) Auch in Die wilden Hühner – Fuchsalarm sind die Mädchen den Jungen an Courage überlegen. Das wilde Huhn Sprotte, das abenteuerlustig, mutig und willensstark ist, verteidigt den Pygmäen Willi vor seinem gewalttätigen Vater, während Willis Freund Torte sich hinter Sprotte versteckt (vgl. ebd., S. 93). Cornelia Funke legt großen Wert darauf, dass es bei ihren Figuren sowohl die männliche als auch die weibliche Form gibt. Demzufolge treten in ihren Werken Ritterinnen, Piratinnen, eine Drachin, Koboldmänner- und frauen sowie Feen und Feenmänner auf. „Mit ihren Neologismen stülpt Funke den weiblichen Figuren nicht einfach eine männliche Rolle über, sondern verschafft ihnen durch eigene feminine Form einen gleichberechtigten Status“ (ebd.), stellt Christiane Brox in ihrem Aufsatz „Von braven Mädchen zu selbstbewussten Heldinnen“ klar. Weitere Heldinnen sind die kleine Prinzessin Isabella, die Ritterinnen Igraine Ohnefurcht und Violetta, Emma, die den blauen Dschinn rettet sowie Meggie aus der Tintenwelt und Molli, die Käpten Knitterbart und seine Bande austrickst.

Persönliche Einflüsse in Cornelia Funkes Werken – „Kleine Anekdoten“
In ihren Texten verarbeitet und beschreibt Cornelia Funke auch persönliche Erfahrungen bzw. Ereignisse. Für sie sind die Orte, an denen ihre Erzählungen stattfinden, sehr wichtig. In vielen ihrer Werke sind „Orte des Aufbruchs“ und „Orte der Heimkehr“ zu finden, die dann gleichzeitig wieder ein Ort für ein neues Abenteuer sind. In vielen ihrer Werke existieren Parallelwelten wie z.B. die Spiegel- und die Tintenwelt. In Drachenreiter und Herr der Diebe wird die reale Welt jedoch durch Fabelwesen bzw. durch ein magisches Karussell bereichert. Cornelia Funke, die selbst als Kind in Venedig war und dort den Wunsch verspürte erwachsen zu sein, war es wichtig in Herr der Diebe einen „verzauberten Ort“ zu schaffen, den die Kinder besuchen können. Eine weitere Reise, nach Salisbury, eine Stadt im Süden Englands, gefiel Cornelia so gut, dass sie Geisterritter dort spielen lässt. Auch bei der Erschaffung von Capricorns Dorf wurde sie von ihren Reisen nach Ligurien in Norditalien inspiriert. Ganz besonders ist Cornelia ihr Buch Der verlorene Engel ans Herz gewachsen, welches sie ihrer Wahlheimat L.A gewidmet hat, denn „für Cornelia [ist] Los Angeles ein Ort, der sie das Paradies erahnen lässt“ (Latsch, S. 83). Weitere persönliche Bezüge lassen sich zu den Namen von Cornelia Funkes Figuren herstellen, denn die Namen ihrer Kinder, Ben und Anna, kommen in ihren Werken häufig vor, wie z.B. in Anna- Geschichten und Drachenreiter, wo der Waisenjunge Ben auftritt. In Die wilden Hühner bedient sie sich des Nachnamens der Oma ihres Mannes Rolf, die Slättberg hieß, sowie den Eigenschaften ihrer eigenen beiden Omas Anna und Heti, die immer einen Kittel trug, bei der Erschaffung von Annas Oma Kittel in Vorlesegeschichten für Anna. (Vgl. Latsch, S. 18) Auch bei der Erschaffung von Professor Barnabas Wiesengrund in Drachenreiter wurde sie inspiriert von Theodor Wiesengrund Adorno, einen im Dritten Reich emigrierten Soziologieprofessor, über den sie ihre Examensarbeit schrieb (vgl. Latsch, S. 25). Auch bei den Eigenschaften und Beziehungen ihrer Figuren wird Funke von persönlichen Erfahrungen beeinflusst. Ihre Zeit auf dem Bauspielplatz prägte sie sehr, wo sie mit Kindern in Kontakt kam, die ganz auf sich selbst gestellt waren oder häuslicher Gewalt zum Opfer fielen (vgl. Latsch, S. 28). Diese Themen lassen sich z.B. in Herr der Diebe finden, denn die Brüder Prosper und Bo sind ganz auf sich gestellt sowie in Die wilden Hühner, denn Willis gewalttätiger Vater macht seinem Sohn das Leben oft schwer. Des Weiteren ist es wichtig zu erwähnen, dass Cornelia ihre Bücher selbst illustriert. Die gelernte Illustratorin verspürte den Wunsch eigene Texte zu ihren Zeichnungen zu schreiben und so verdrängte das Schreiben das Zeichnen nach und nach (vgl. Latsch, S. 30), doch ihre eigenen Bücher illustriert sie meist noch selbst. Dies sind nur einige kleine Anekdoten der Kinder- und Jugendbuchautorin. Weitere Details aus dem Leben Cornelias beschreibt Hildegard Latsch in Cornelia Funke – Spionin der Kinder.

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