Charakteristika des Werks

DU MICH AUCH

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu DU MICH AUCH
Sein Debüt DU MICH AUCH erzählt einen moderne, ironisch auf William Shakespeare verweisende Liebesgeschichte, in der Romeo (Dani Levy) und Julia (Anja Franke), ein Liebespaar und Musikerduo, ihre Liebe im gemeinsamen Alltag verloren haben. Sie geraten während eines Musikauftritts in einen Krimi, der den Film zu einer selbstironischen Großstadtromanze macht. Levys und Frankes Film wird auf verschiedenen Festivals gezeigt und im Berliner Moviemento-Filmtheater zum Kultfilm, der dort über zwei Jahre im Kinoprogramm läuft.

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ROBBYKALLEPAUL

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu ROBBYKALLEPAUL
Es folgt die Männer-WG-Komödie ROBBYKALLEPAUL, die Levy übrigens in seiner eigenen WG gedreht hat, in der der Weltenbummler Robby (Dani Levy) von seiner Selbsterfahrungstour zurückgekehrt erkennen muss, dass seine Freundin Henny (Anja Franke) ihn mit seinem WG-Genossen Kalle (Frank Beilicke) betrogen hat. Als Reaktion auf den Betrug schwört er allen Frauen ab und überredet seine beiden Mitbewohner Kalle und Paul (Josef Hofmann) künftig in einer Art Zölibat zu leben. Am Ende stehen aber, ganz im Sinne des Genres, für alle drei Männer Frauen bereit, die sie in die sinnliche Welt zurückholen. Für den von Levy verkörperten Robby geschieht dies in der Figur der Malu, gespielt von Levys neuer Lebenspartnerin Maria Schrader.

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I WAS ON MARS

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu I WAS ON MARS
Mit ihr erarbeitete Levy 1992 auch die Übersee-Odyssee I WAS ON MARS, ein Film, der ohne Drehbuch entstand. Die Polin Silva (Maria Schrader) versucht, ohne Sprachkenntnisse und mit wenig Geld aus ihrem Familienleben mit Mann und Kindern nach New York auszubrechen und sich ihren Traum von Freiheit zu erfüllen. Dort wird sie allerdings von dem italo-amerikanischen Charmeur Alio (Dani Levy) bestohlen, sodass sie die Kehrseite des amerikanischen Traums entdeckt. Sie nimmt den Diebstahl jedoch nicht kampflos hin. Es entwickelt sich eine skurrile ménage à trois, die damit endet, dass beide Männer sich in Silva verlieben, die jedoch nur Ferien von ihrem Ich als Mutter und Ehefrau gemacht hat. Bepackt mit Souvenirs aus dem Flughafenshop verlässt die junge Frau den Mars (New York), um zu ihrem Heimatplaneten (Polen) zurückzukehren.

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STILLE NACHT

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu STILLE NACHT
Nach der 1994 erfolgten Gründung der Filmproduktionsfirma X-Filme entsteht mit Schrader als erster gemeinsamer X-Film STILLE NACHT, der auch im Wettbewerb der Berlinale lief. Der Film gestaltet das Kammerspiel wiederum einer Dreiecksbeziehung am Heiligabend, der die Kontrastfolie zu der existentiellen Verwerfung der drei Akteure bildet. Innerhalb einer Nacht verhandeln die Kunststudentin Julia (Maria Schrader), die seit mehreren Jahren mit dem Kriminalbeamten Christian (Mark Schlichter) zusammenlebt und der junge Gelegenheitsjobber Frank (Jürgen Vogel) ihre jeweiligen Beziehungen aus. Frank liebt Julia und erfüllt ihre sexuellen Sehnsüchte, die sie in ihrem Verhältnis zu Christian nicht ausgelebt sieht. Dieser bricht in das einstige Liebesnest nach Paris auf und bedrängt Julia, die zunächst glaubt, dass Christian bei seiner Familie ist, die ganze Nacht über am Telefon. Er, der von der Affäre mit Frank weiß, setzt ihr ein Ultimatum. Wir beobachten die schwangere Julia – die Vaterschaft ist allerdings unklar – zwischen beiden Männern, deren Drängen und ihrem eigenen Verlangen hin- und herpendelnd: Während Christian immer wieder anruft und die Sehnsüchte an die gemeinsame Liebe in Julia weckt, ist auch Frank nicht untätig. Mit seiner körperlichen Präsenz und seiner erotischen Phantasie überwältigt er Julia, die sich immer wieder bereitwillig von ihm verführen lässt. STILLE NACHT stellt so die Psychologie der drei Begehrenden ins Zentrum, indem Eifersucht, Lust sowie die wilde Verzweiflung aller Beteiligten intensiv vor Augen geführt werden. So zeigt der Film eine alles andere als stille Nacht, die die emotionale Pattsituation der drei diagnostiziert und folglich – auch gegen den möglichen Zuschauerwunsch – offen endet.

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MESCHUGGE

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu MESCHUGGE
Das Drehbuch von MESCHUGGE wurde von Schrader und Levy schon 1990 geschrieben. Für den englisch- und französischsprachigen Markt wurde der Titel THE GIRAFFE / LA GIRAFFE gewählt, weil das jiddische Wort Meschugge nur im deutschsprachigen Raum verständlich ist. Der Film hebt im Kontext der Shoah auf eine Generationenfrage ab: Sind Kinder für die Täter- und die Opferschaft ihrer Eltern verantwortlich? Vererben sich Schuld und Vergeltungswunsch? Kann diese Kette unterbrochen werden? Levy und Schrader gestalten diese Fragen in einem Thriller: Zwei Figuren, ein junger jüdischer Mann und eine junge (vermeintlich) jüdische Frau, treffen im hochsommerlich schwülen New York in einem Krankenhaus aufeinander, weil Lena Katz (Maria Schrader) – so der Name der Frau – die Mutter von David Fish (Dani Levy) – so der Name des Mannes – tödlich verletzt in einem Hotelflur gefunden und ins Krankenhaus begleitet hat. Was die beiden nicht wissen, ist, dass ihre Mütter sich kennen und aufgrund von Familiengeheimnissen und alter Schuld in einen Streit geraten sind, bei der die eine durch ein Handgemenge tödlich stürzt, während die andere flieht. Diesem Geheimnis kommen Lena und David jeder für sich auf die Spur. Dabei wird das Familiengeheimnis der Katz’ offenbar, dass sie nämlich gar keine Juden sind. Lena muss erkennen, dass sie das Enkelkind eines KZ-Verbrechers, des so genannten Gasmeisters von Treblinka, ist, der nach dem Krieg eine jüdische Identität als Eliah Goldberg (Lukas Ammann) angenommen und sich und seine Familie vorsorglich sogar mit KZ-Tätowierungen versehen hat. Seine Tochter, Lenas Mutter (Nicole Heesters), ist die Hüterin seines Geheimnisses und geht schließlich an diesem wie auch an dem Aufklärungswillen ihrer Tochter zu Grunde. Davids Mutter wiederum, Ruth Goldberg (Lynn Cohen), war die einstige Schulfreundin von Lenas Mutter, die ohne das Wissen ihres Vaters der Freundin zunächst ein Versteck im häuslichen Keller und dann mit dem eigenen Pass die Überfahrt in die USA ermöglichte. Die für einen Thriller entscheidende Figur ist der undurchsichtige Rechtsanwalt und jüdische Aktivist Charles Kaminski (David Strathairn). Er kontaktiert im Auftrag von Davids Mutter die Familie Goldberg in Deutschland, doch Lenas Mutter, ganz in der Rolle der gehorsamen Tochter gefangen, will alles vertuschen und trifft sich in New York mit der einstigen Freundin, deren Schweigen sie vergeblich erkaufen will. Schließlich entscheiden sich Lena und David für einander und das heißt gegen die vererbten Vorstellungen und Rollen von Opfer- und Täterschaft. David löst sich davon, indem er eine Liebesbeziehung zu Lena eingeht, die – ihrerseits von Kaminski über ihren Großvater aufgeklärt – bereit ist gegen diesen vorzugehen. Am Ende lädt David sie mit einer paradox-ironischen Parabel zu einer gemeinsamen Zukunft ein:

„David: ‚Ein Hund steht auf der einen Seite eines Teiches und will rüber auf die andere Seite. Aber er darf nicht schwimmen, und er darf auch nicht um den See herumlaufen. Also, wie kommt der Hund auf die andere Seite?’

Lena: ‚Ich weiß es nicht.’

David: ‚Ganz einfach. Er schwimmt.’

Lena: ‚Aber er darf doch nicht schwimmen.’

David: ‚Ich weiß. Er schwimmt trotzdem.’“

David und Lena muss man als VertreterInnen der Post-Shoah-Generation begreifen, die sich gegen die tradierten Modelle Verdrängen (Opfer) und Verschweigen (Täter) entscheiden. Sie zeigen ein Weiterleben mit der Verbundenheit zum Holocaust, aber mit einer für ihre Generation neuen Perspektive, sie schwimmen über den Teich.

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Adriano (letzte Warnung)

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Adriano (letzte Warnung)
Seine gesellschaftspolitischen und moralischen Überzeugungen zeigen sich auch in Levys erster Video-Clip-Arbeit, die er 2001 für den Song Adriano (letzte Warnung) von den Brothers Keepers aus dem Album Lightkultur realisierte. Dem Mosambikaner Alberto Adriano, der am 11. Juni 2000 in Dessau Opfer eines Skinhead-Angriffs wurde, ist die Single gewidmet, mit der verschiedene afrodeutsche Hiphop-, Soul- und Reggaekünstler vereint gegen Rassismus und (neo)nationalistische Gewalt Stellung beziehen, was der Refrain unmissverständlich formuliert: „Dies ist so was wie eine letzte Warnung. / Denn unser Rückschlag ist längst in Planung. / Wir fall´n dort ein, wo ihr auffallt, / gebieten eurer braunen Scheiße endlich Aufhalt. / Denn was ihr sucht, ist das Ende. / Und was wir reichen, sind geballte Fäuste und keine Hände. / Euer Niedergang für immer. Und was wir hören werden, ist euer Weinen und euer Gewimmer.“ Levy findet für den Clip dunkle, überwiegend in schwarz-weiß gehaltene, aber dynamisch-rhythmische und scharf-konturierte Bilder, die die rappenden und singenden Musiker (wie Sammy Deluxe, Sékou oder Xavier Naidoo) in selbstbewusster und zielstrebiger Haltung meist wechselnd zwischen Nah- und Halbnah-Einstellungen zeigen, während ihre Angriffsaussagen (wie die des zitierten Refrains) und ihr Gesang von erfahrenem Rassismus oder falschen politischen Signalen entsprechend bebildert werden, d.h. wir sehen Bilder des Tatorts und Tatgeschehens in Dessau, Naziaufmärsche usw., sodass die behaupteten Erfahrungen der Singenden durch die Bilder belegt werden. Feindbilder, Opfer und abwesende Justiz lassen so die Eigeninitiative der Betroffenen notwendig erscheinen. Die Brothers Keepers erheben nachts über einem hell leuchtenden Vollmond zunächst jeweils einzeln und zwar an öffentlichen Orten, wie Wohnsilos und U-Bahn-Stationen, ihre Stimme gegen Rechts. Torch macht den Anfang und beklagt dem sehnsüchtigen Heine-Wort folgend seine eigenen Ausgrenzungserfahrungen, indem er mit der Farbsymbolik der Nationalfarben Deutschlands und dem Blau der deutschen Romantiker spielt und sie in Zusammenhang mit (seiner und Adrianos) Hautfarbe und damit verbundener Stigmatisierung bringt:

„Jetzt ist die Zeit, hier ist der Ort. / Heute ist die Nacht, Torchmann hat das Wort. / Denk’ ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um meinen / Schlaf gebracht – mein Bruder Adriano wurde umgebracht. / Hautfarbe: schwarz. Blut: rot. Schweigen ist gold. / Gedanken sind tiefblau. Ein Bürger hat Angst vor seinem Volk. / Ein Wintermärchen aus Deutschland. Blauer Samt. / Als Kind schon erkannt: ich bin hier fremd im eigenen Land.“

Unerschrocken blicken und singen die Brothers Keepers rasch gehend in die Kamera, um sich für die Konfrontation mit den Neonazis zu formieren, an denen sie furchtlos vorbei gehen, bis Levy sie schließlich als immer größer werdende Menge kreisförmig auf einem öffentlichen Platz versammelt, an dem Xavier Naidoo den Refrain unter dem rhythmischen Wippen und Nicken der Versammelten in die Nacht und in die Kamera als „letzte Warnung“ wie ein Wolf hinaus ruft – das Bild des leuchtenden Vollmonds beschließt den Clip, durch ihn strahlt die kalte Kraft der Singenden dem Zuschauer und -hörer entgegen.

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VÄTER

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu VÄTER
Das Familiendrama VÄTER von 2002 hat ebenfalls eine gesellschaftspolitische Dimension, doch konnte es nicht an den Erfolg der vorherigen Filme Levys anknüpfen, sondern floppte an den Kinokassen. Levy entwirft hier die Geschichte von Marco (Sebastian Blomberg) und dessen verzweifeltem Kampf um seinen sechsjährigen Sohn Benny, für dessen Erziehung nach der elterlichen Trennung, die einem Vorfall ehelicher Gewalt (Marco hat seine Frau geschlagen) gefolgt ist, seine Noch-Ehefrau Melanie (Maria Schrader) den richterlichen Zuspruch erhält. Levy greift hier ein bislang eher marginalisiertes Problem auf, nämlich die Frage nach den Rechten und dem Leid von Vätern, die nach einer Trennung ihre Kinder verlieren, wobei Levy hier nicht die Schuld an dem männlichen Leid der Mutter und Ex-Ehefrau zuspricht. Im Gegenteil, Levy zeigt eine durchweg nachvollziehbare, weil rational agierende Mutter und einen kindlich-egoistischen Mann, der um seiner Karriere Willen Partnerschaft und Kind vernachlässigt und durchaus selbstverschuldet und uneinsichtig in sein Lebenschaos schlittert. Moralische Entlastung erfährt die männliche Hauptfigur durch seine Vorgeschichte, die ihn – selbst Opfer mütterlichen Verlusts und väterlicher Vernachlässigung – ein Muster nachleben lässt. Hier zeigt sich Levys grundsätzlicher Sinn für die Psychologie seiner Figuren: VÄTER erklärt elterliches Verhalten als Folge erlernter bzw. erfahrener Strukturen. Marco kann nur so handeln, wie er es selbst erlebt hat. Dennoch macht Levys Darstellung ihn verantwortlich für sein Handeln und so schickt er seine Figur am Ende in sein Familiendrama zurück (Marco sucht seine Mutter auf), damit er sich für seinen Sohn mit seinen Strukturen auseinandersetzt. Auch in STILLE NACHT ist es die Psychologie, genauer, die mangelnde Balance zwischen Es und Ich (um in Freud’schen Kategorien zu sprechen), welche die Figuren ins Chaos stürzen. Ihr jeweiliges maßloses Wollen dominiert die drei Protagonisten, und da keiner in der Lage ist, sich seinen Lüsten zu entziehen, gaukelt der Film auch keine Lösung vor, sondern beschreibt bis zum Schlussbild das unauflösbare Dilemma, in dem sich die drei Begehrenden befinden. Auch in seinem Film über Adolf Hitler fokussiert Levy die Psychologie seiner Figur, indem er den Thesen Alice Millers folgt und das Psychogramm Hitlers entwirft.

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ALLES AUF ZUCKER!

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu ALLES AUF ZUCKER!
2005 landete Levy mit ALLES AUF ZUCKER! einen Erfolg, der sich sowohl an den Zuschauerzahlen als auch an dem Lob der Kritik messen lässt. ALLES AUF ZUCKER! – ursprünglich für das Fernsehen gedreht – ist eine Farce, in der ein Bruderzwist die in Deutschland bestehenden Ost-West-Konflikte aufdeckt. Levy lässt diese beiden Welten (DDR-Sozialisation und orthodox-jüdisches Leben in der BRD) aufeinanderprallen, indem er gerade nicht den Holocaust ins Zentrum jüdischen Selbstverständnisses setzt. Im Gegenteil, er will mit seinem Film „das Judentum aus der Versenkung holen und aus der Opferrolle befreien.“ (S. 9)
Der Film steigt mit dem Off-Kommentar der männlichen in Berlin lebenden Hauptfigur Jaeckie Zucker (Henry Hübchen) ein, der wegen eines „traumatischen Komas“ im Krankenhaus liegt und über sein Leben sinniert. Dazu führt uns der Erzähler mit einer Rückblende, die den größten Teil des Films (ca. 1¼ Stunden) ausmacht, jene Ereignisse vor Augen, welche zu dem jetzigen Zustand geführt haben. Er definiert sich selbst in erster Linie als Spieler: „Dat ganze Leben is’n Match, anders kann ick det nich sehn“ und bei der Nennung seines Geburtsnamens, Jakob Zuckermann, will er keineswegs als Jude eingeordnet werden: „Wenn Ihnen dat jetzt irgendwie jüdisch vorkommt, denn hamse sich gerirrt. Mit dem Club hab ich nischt zu tun jehabt. […] In meinem Leben heiße ich Jaeckie Zucker.“ Während Jaeckie den Zuschauer auf diese Weise unterweist, beobachten wir ihn beim Abzocken eines anderen Spielers, der ihn aber entlarvt und nach einer kurzen Verfolgung verprügelt. Aus dem Off kommentiert Jaeckie dies selbstironisch: „Ich steh bis zum Hals in der Scheiße, aber der Ausblick is jut. […] Neues Spiel, neues Glück, dat is meine Philosophie.“ Der Film erzählt nun das Ausmaß von Jackies Lebenskrise, in die die Nachricht vom Tod seiner Mutter und der damit verbundenen Anreise seines Bruders Samuel (Udo Samel) mit seiner Familie platzt. Jackies enorme Geldprobleme hofft er zum einen mit einem Billard-Tournier zu lösen, zum anderen lockt die Erbschaft seiner Mutter, an die jedoch als Bedingung die Versöhnung mit seinem Bruder geknüpft ist. Dazu muss er sich mit seiner Ehefrau Marlene (Hannelore Elsner) zusammenraufen, obgleich ihre Ehe aufgrund seiner Eskapaden und Unzuverlässigkeit am Ende ist. Am Ende findet zwischen Jaeckie und Samuel eine Aussprache statt, bei der Jaeckie beklagt, dass er sich von seiner Mutter in der DDR im Stich gelassen fühlte. Seine Mutter sei kurz vor dem Mauerbau mit dem damals kranken Samuel, ihrem „Lieblingssohn“ – wie Jaeckie bemerkt – nach Frankfurt in den Westen gereist und habe Jaeckie „eingemauert“ sich selbst überlassen. Samuel dagegen wirft Jaeckie mangelnden Familiensinn vor: „Der Sozialismus war dir wichtiger als deine Familie.“ Schließlich erwarten die versöhnten Familien im engen Büro des Rabbi, in dem sich die Familie Zuckermann versammelt hat, die Verkündung der Erbschaftssumme. Unter anschwellender Klezmer-Musik löst sich die Spannung wie ein jüdischer Witz, denn das Erbe beläuft sich auf Null, also „zum Glück“ werden „keine Schulden“ vererbt – die Familie, allen voran Jaeckie, bricht in ironisches Gelächter aus. Was bleibt, ist der eigentliche Gewinn, nämlich die Familienharmonie. Doch auch diese wird ironisch gebrochen, wenn Jaeckie aus dem Off von den regelmäßigen Treffen und Telefonaten mit seiner Familie sowie den wöchentlichen Synagogenbesuchen berichtet, er sich also als treuer Familienmensch und Jude beschreibt, während die Filmbilder aber den Spieler Jaeckie vom Anfang des Films am Billardtisch zeigen. Er ist gerade dabei, den Regisseur Dani Levy mit einem Augenzwinkern in Richtung Zuschauer zu schlagen. Die Figur triumphiert somit mit einem „nichts für ungut“ über ihren Schöpfer – die neue, glückliche, familiale, jüdische Identität findet sich also in erster Linie in der Fiktion. Für den Zuschauer bedeutet dies, den Film als Vorschlag zu begreifen: „Was Levy hier vorschlägt, ist nicht weniger als ein allgemeingültiges Toleranzmodell für weltliche und religiöse Juden, für Juden und Nichtjuden, für Menschen in Ost und West.“ (S. 10).

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MEIN FÜHRER – DIE WIRKLICH WAHRSTE WAHRHEIT ÜBER ADOLF HITLER

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu MEIN FÜHRER – DIE WIRKLICH WAHRSTE WAHRHEIT ÜBER ADOLF HITLER
2007 sorgte Dani Levy mit seiner Hitler-Komödie MEIN FÜHRER – DIE WIRKLICH WAHRSTE WAHRHEIT ÜBER ADOLF HITLER für großen medialen Wirbel. Wie stets bei diesem Thema zeigt sich die öffentliche Meinung gespalten, und die Empörung über den humoristischen Ansatz und zudem über die Besetzung der Hitler-Rolle mit Helge Schneider, den Musiker und Komödianten, der sich selbst als Singende Herrentorte bezeichnet, war groß. Levys Hitlerfilm lässt sich in drei Hinsichten betrachten. Zum einen kann er mit den Filmprojekten verglichen werden, die überhaupt versucht haben, die historische Figur Adolf Hitler auftreten zu lassen. Des Weiteren ist MEIN FÜHRER im Kontext anderer Komödien, Grotesken und Satiren über Hitler und den Holocaust zu sehen. Und drittens handelt es sich bei Levys Film um eine Form der kontrafaktischen Geschichtsschreibung, die in direktem Widerspruch zu einer Auseinandersetzung mit dem Holocaust steht, welche sich allein dem Dokument, den Fakten verpflichtet sieht. Doch was zeigt und arrangiert Levy eigentlich in seinem Hitler-Film? Zunächst setzt er – zumindest in der Version, die in die Kinos gekommen ist – einen erzählerischen Rahmen, in dem er mit der Figur des jüdischen Schauspielers Professor Adolf Grünbaum (Ulrich Mühe) einen Ich-Erzähler etabliert. Aus der Sicht Grünbaums („meine Geschichte“) und vor allem durch dessen Erzählmotivation wird der vorliegende Film erzählt. In einer Montage aus Originalaufnahmen Adolf Hitlers und dem unter dem Rednerpodium versteckten Grünbaum, der durch einen Vorhang hervorlugt, beteuert dieser die Wahrheit der geschilderten Ereignisse und gibt zugleich zu bedenken, dass sich diese jenseits des Films nicht verbreitet haben – kein Geschichtsbuch erzähle davon. Der Film, genauer die Kunst, tritt also von Beginn an als ergänzendes Medium und als Speicher historischer Geschehnisse auf. Gleichzeitig etabliert Levy das tödliche Ende seiner Hauptfigur. Während die Schwarz-Weiß-Aufnahmen in Farbe wechseln, wir also aus dem Vergangenheitsmodus in die erzählerische Gegenwart geholt werden, erklärt der Erzähler, dass es ihm nicht gut gehe und wie zur Bestätigung fließen unter seiner Mütze zwei Blutrinnsale über sein Gesicht. Hier erzählt also ein Sterbender, damit folgt der Film – mit einem jüdischen Opfer – der historischen Wirklichkeit. Am Ende werden wir in dasselbe Setting geführt, diesmal ist aber nicht der historische Hitler, sondern Levys Film-Hitler in der historischen Kulisse zu sehen, auch hier wechseln schwarz-weiß mit Farbaufnahmen, womit das Dokument, d.h. der Wahrheitsanspruch der Bilder zitiert wird. Grünbaum nimmt schließlich den selbstreferenziellen Gedanken vom Anfang wieder auf, wenn er erklärt: „In hundert Jahren werden noch Autoren über ihn [Hitler, C.S.] schreiben, werden Schauspieler und Schmierenkomödianten ihn darstellen. Warum? Weil wir verstehen wollen, was wir nie verstehen werden.“ Levys Film ist also im Sinne Ruth Klügers als Annäherung an den Nationalsozialismus, die immer eine Interpretation der Ereignisse bedeutet, zu verstehen. Bereits im Titel durch das Possessivpronomen „mein“ sowie die Beteuerung der „wirklich wahrsten Wahrheit“ werden die gezeigten Ereignisse als subjektive festgemacht, zugleich aber auch als authentische, weil sie von einem Zeitzeugen stammen, der hier Zeugnis ablegt. Der Film erweist sich als die Rekonstruktion der Erfahrungen Grünbaums vom 25. Dezember 1944 bis zum 1. Januar 1945. Zugleich findet sich über die Figur des Joseph Goebbels (Sylvester Groth) die mehrfach zitierte Ebene der „inszenierten Realität“, die Goebbels mit seinem Propagandafilm zur Meisterschaft gebracht hat. Der Film im Film entlarvt sowohl Hitler als auch den zu Hilfe gerufenen Schauspieler Grünbaum als Komparsen des inszenierungsgierigen Goebbels. Hitler wird von Levy im Sinne Alice Millers als Opfer einer schwarzen Pädagogik gedeutet, er wird also als gedemütigtes Kind verstanden, das seinerseits nur quälen und erniedrigen kann. Ihn umgeben Judenhasser wie Heinrich Himmler (Ulrich Noethen) , unterwürfige Verehrer wie Albert Speer (Stefan Kurt) und machthungrige Akteure wie Joseph Goebbels, der in Levys Lesart der eigentliche Drahtzieher und Lenker des Reiches ist. Dabei erweist Goebbels sich als jemand, dem die Förmlichkeiten (Heil-Hitler-Grüße etc.) eher lästig sind, der sich vor allem hedonistisch an den schönen Sekretärinnen um sich herum erfreut und der sich an seinen eigenen Inszenierungen ergötzt. Er plant ein Attentat auf den viel zu schwach gewordenen Hitler, das er Grünbaum als jüdischem Sündenbock unter den Augen der Zuschauer und dokumentiert von den postierten Kameras als inszenierte Realität in die Schuhe schieben will. Nur Himmler wird von ihm eingeweiht. Den Höhepunkt erreicht Levys Film mit dem Auftritt Hitlers zum Neujahr 1945. Der Führer wird hier gleich als mehrfache Marionette entlarvt. War er schon nur mehr der Hauptakteur in Goebbels Gesamtinszenierung eines vermeintlich unzerstörten Berlins, so planen Goebbels und Himmler nun, ihn als Attentatsopfer zu nutzen, um die Macht an sich zu reißen. Da Hitler aber seine Stimme verliert, muss nun Grünbaum unter dem Podium postiert werden, um Hitler seine Stimme zu leihen. Dani Levy lässt auf diese Weise in diesem historischen Moment der Neujahrsansprache Adolf Hitlers (mit deren Dokumentaraufnahmen der Film ja begonnen hat), die Stimme erklingen, die tatsächlich zum Schweigen verurteilt war – es ist dies also als Würdigung, die nur in der Fiktion nachgeholt werden kann, zu verstehen und nicht als Geschichtsverdrehung. Die auf Faktizitäten ausgerichtete Geschichte kann in dieser Situation von den Juden nur als Fehlstelle berichten, die Fiktion kann dem stummen Opfer aber zur Geltung verhelfen. So kommt bei Levy der Jude Grünbaum zu Wort. Wir sehen zunächst einen in Playback agierenden Hitler und hören und sehen den jüdischen Schauspieler Adolf Grünbaum, der für seinen Namensvetter spricht. Doch als die Rede auf den erfolgreichen Kampf gegen die Juden kommt, unterbricht sich Grünbaum und ergreift die Chance. Er lässt Hitler ein Bekenntnis vortragen, welches ihn als Bettnässer, Impotenten und Gequälten zeigt. Zwar wird Grünbaum von den heraneilenden Schergen Hitlers erschossen, und die dumpfe Masse jubelt auch einem sich selbst demontierenden Hitler zu, doch steht Grünbaums Analyse Hitlers, seine freie Rede, im Zentrum. Der Film kommt hier mit dem am Kopf blutenden Grünbaum zu seinem Anfangsbild zurück – die Rahmung zeigt also den Tod Grünbaums, der in seinem Sterbemoment seine Geschichte erzählt. Der Film lässt sich so als einzige, große Erzählblase des sterbenden Mannes erkennen, dessen Wissen einzig im Film konserviert werden kann. Nur im Medium, nur in der Fiktion kann Adolf Grünbaums Geschichte überleben. Dass Levy mit seinem Führer-Film letztlich die Perspektive des Juden Grünbaum ins Zentrum seines Hitlerpsychogramms setzt und mit melancholischem Humor die Frage nach dem Warum des Nationalsozialismus mit Alice Miller beantwortet, sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass er zunächst eine andere Rahmung für den Film vorgesehen hatte, die den mit einer jüdischen Identität irgendwo im Norden Deutschlands lebenden Hitler zeigt, der am Ende dem Zuschauer zuruft: „Ich stehe jederzeit als Reichskanzler zur Verfügung.“ – ein zynisches Ende, das – so Levy im Bonus-Teil der DVD – er so nicht stehen lassen wollte. Im Kontext des Kontrafaktischen bedeutet dieser Schluss dennoch eine nachdenkenswerte Alternative, die unsere Gegenwart neu akzentuiert, indem sie unser Verhältnis zu Politik und zur Sehnsucht nach dem starken Mann anspricht.

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JOSHUA

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu JOSHUA
Schließlich knüpft Levy 2009 mit seinem Kurzfilm JOSHUA an sein Nachdenken über Deutschland gerade auch im Zusammenhang mit nationalsozialistischen Tendenzen an. Der Film ist Teil des Episodenfilms DEUTSCHLAND 09, bei dem u.a. auch Tom Tykwer (zum Autorenartikel hier) und Fatih Akin mitgewirkt haben. Levy spielt in diesem satirischen Kurzfilm mit autobiographischen Elementen, indem er zum einen sich selbst als depressiven, jüdischen Filmemacher inszeniert und zum anderen seine eigenen Kinder für die Titelrolle und eine weitere Figur besetzt. Für Authentizität sorgen aber auch räumliche und thematische Zeitbezüge wie Terrorangst (immer wieder werden Al-Kaida-Rekruten in Berlin gezeigt, die vor den Augen der Polizei nächste Anschläge planen) und Bilder vom Reichstag und dem Bundeskanzleramt sowie – selten genug im deutschen Film – die derzeitige Bundeskanzlerin Angela Merkel als Filmfigur. In grotesker Überzeichnung erlebt Dani Levy mittels Drogen, die er gegen die schlechte Deutschland-Stimmung von seinem Therapeuten (der ironischerweise auch die Kanzlerin behandelt) erhält, wie sein Sohn von Neonazis als neuer Messias gepriesen wird. Empört konfrontiert der Vater Levy den Therapeuten mit den Vorkommnissen, doch dieser – der gerade dabei ist der weinenden Kanzlerin Deutschland als „Idee“ zu predigen – winkt nur ab, er habe Levy lediglich ein „rezeptfreies deutsches Heilmittel“ verordnet. Der Wortwitz des deutschen Heil-Mittels, der angesichts des gezeigten „ersten nationalsozialistischen Dorfes in Deutschland“ und der Sehnsucht der dort versammelten überwiegend jungen Menschen nach einer neuen Führerfigur zielt in den zynisch satirischen Kern dieses Kurzfilms. Mit dem Lied, das die rechten Revolutionäre gemeinsam zum Fackelschein anstimmen, stellt Levy die Akteure dieser politischen Bewegung als pessimistische Kämpfer des Untergangs bloß, denn sie können lediglich von Endzeitstimmung singen: „Wir werden alle sterben, / haltet Euch bereit. / Die Zeichen sind eindeutig. / Bald ist es soweit. / Die Türen sind verschlossen. / Die Ampel steht auf rot. / Der Zug ist abgefahren. / Bald sind alle tot.“ – so das zunächst von Levys Tochter angestimmte, im bizarren Gegensatz von harmloser Mädchenstimme und düsterem Text stehende Lied, das dann in variierender Wiederholung von einem dunklen Männerchor, der nach Rammstein-Leadsänger Til Lindemann klingt, als dunkle Todesgewissheit intoniert wird. Die pessimistische deutsche Verfasstheit, die – wie das Schlussbild behauptet – auch die Kanzlerin erfasst hat, erweist sich in Levys Kurzfilm als Nährboden rechter Gesinnung, die im Umkehrschluss ihrerseits nur Tod und Untergang hervorbringen kann.

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DAS LEBEN IST ZU LANG

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu DAS LEBEN IST ZU LANG
Levys bislang jüngster Film DAS LEBEN IST ZU LANG schließt an die auch in anderen Levy-Filmen erkennbare Nähe zu dem New Yorker Filmemacher Woody Allen an. Besonders ANNIE HALL von 1977, in der deutschen Fassung als DER STADTNEUROTIKER bekannt geworden, in dem Woody Allen die männliche Hauptrolle spielt, mag als erste Folie für die Nähe Levys zu Allen dienen. Bei Levy heißt der verkrachte Drehbuchschreiber und Regisseur Alfi Seliger (Markus Hering), bei Allen steht der Komiker und Gagschreiber Alvy Singer im Zentrum – die klangliche Nähe der Namen ist offensichtlich. In ANNIE HALL begibt sich Alvy Singer nach der Trennung von Annie (Diane Keaton), der wie Levys Hauptfigur in einer umfassenden Lebenskrise steckt, auf eine – im therapeutischen Sinne – Seelenerkundungsreise, so dass der Film Alvys Vergangenheit, seine Gegenwart, seine Phantasien und die Wirklichkeit gestaltet. Auch Seligers Odyssee lässt sich als Reise ins Ich begreifen. Als weitere Referenz zu Levys jüngstem Film sei noch auf Woody Allens Film DECONSTRUCTING HARRY (deutsch HARRY AUßER SICH) von 1997 hingewiesen. Wie der Originaltitel es andeutet, geht es hier tatsächlich um die Dekonstruktion der männlichen Titelfigur. Der berühmte Schriftsteller Harry Block (wiederum dargestellt von Woody Allen) steckt in einer privaten wie künstlerischen Krise: mit Tabletten und Alkohol abgefüllt lebt er seine Neurosen aus. Dabei bedrängen ihn verschiedene Menschen aus seinem Leben, weil sie sich in Harrys jüngstem Roman wiederzuerkennen glauben. Dass es sich in der Tat um einen Schlüsselroman handelt, legt der Film nahe, indem Romanszenen sowie Ereignisse aus Harrys Leben als eingeschobene Filmsequenzen nebeneinander gestellt werden. Offenbar erzielt die künstlerische Verarbeitung seines Lebens aber keinen therapeutischen Erfolg, denn im Laufe des Films, der sich (wie Levys Film auch) zu einer Art Roadmovie entwickelt, begegnet Harry seinen eigenen Romanfiguren, die ihn – ihren Schöpfer – mit seinem eigenen Tun kritisch konfrontieren, genauer, sie dekonstruieren ihn. Auch Levy arbeitet mit solchen Metalepsen, wenn seine Figur Alfi Seliger, im Allen'schen Sinne ein Hypochonder und Zyniker, bei dem Versuch auf Anraten seines Therapeuten (Udo Kier) seinem Leben, also seinen beruflichen wie privaten Misserfolgen, ein Ende zu setzen sich selbst als Filmfigur erkennt und mit seinem Schöpfer Dani Levy hadert. Das Leben erscheint als schlechtes Drehbuch, wenn die Topoi vom Leben als Traum oder von der Welt als Bühne sich hier umkehren und die geschaffene Kreatur wie im Frankenstein-Mythos aufbegehrt. Sie erhebt Anspruch auf Subjektivität und Freiheit und muss doch erkennen, dass sie den Bedingungen ihrer Existenz (hier gesetzt durch den Regisseur und Drehbuchschreiber Levy) nicht entkommen kann; es sei denn, der Schöpfer gewährt dem Geschöpf ein Happy End, wie Levy es seinem Alter Ego zugesteht. Doch wenn er es tut, weiß der Zuschauer, dass dies nicht im Leben, sondern nur im Film so geschieht.

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