Kurzbiographie

Sich ein Bild von der Dramatikerin und Prosa-Autorin Dea Loher zu machen, ist schwierig, denn sie „ist auffällig zurückhaltend, was öffentliche Auftritte angeht, sie verrät nur wenig über ihre Biographie, ist sparsam mit Interviews und meidet den Kulturbetrieb lieber, als dass sie ihn sucht“ (Wittstock 2009, 145).

Bekannt ist aber, dass Dea Loher (ursprünglicher Vorname: Andrea Beate) 1964 als Tochter eines Försters bzw. Jägers und einer Justizangestellten in Traunstein (einem Luftkurort in Oberbayern) geboren wurde. Sie wächst nach eigenen Angaben als Einzelkind relativ isoliert im Haus ihrer Großeltern auf (vgl. Kuhn im Gespräch mit Loher 1998, 18-22, hier: 18). Insbesondere der Beruf des Vaters habe ihr dortiges Leben geprägt. In einem Interview beschreibt sie, dass sich statt eines Bücherregals ein Gewehrschrank im Wohnzimmer befunden und es im Haus bestialisch gestunken habe, wenn Rehgeweihe ausgekocht worden seien und in der Badewanne Tierkadaver gelegen haben. Außerdem berichtet sie von einem Gewehr, welches sie mit sieben Jahren geschenkt bekommen, sich aber geweigert habe, mit diesem zu schießen (vgl. Wille im Gespräch mit Loher 1998, 212-223, hier: 212 f.). Zugang zu Literatur verschafft sie sich durch die Stadtbibliothek und schreibt, wie sie selbst sagt: „[e]igentlich schon immer, das war meine Überlebenstaktik“ (Wille im Gespräch mit Loher 1998, 212-223, hier: 215). Sie verfasst Geschichten in Form von Erzählungen und Romanen, um ihrer Umgebung, die sie immer als „brutal und gewalttätig“ (Wille im Gespräch mit Loher 1998, 212-223, hier: 213) empfindet, und ihrer Einsamkeit zu entfliehen.
Gegen den Willen ihrer Eltern studiert Loher Germanistik und Philosophie in München. Doch laut Ulrich Khuon empfindet Dea Loher die Stadt als „lackierte Hölle“ (Khuon 1998, 9-16, hier: 12). Von ihrem Studium zeigt sie sich enttäuscht: „Ich weiß nicht, wie es in anderen Fächern ist, aber Germanistik ist unbedingt das Grauen. Ein Fach, das zu einer traurigen Kopfwissenschaft verkommen ist. Fürs Schreiben ist es natürlich überflüssig, sogar hinderlich, womöglich tödlich“ (Kuhn im Gespräch mit Loher 1998, 18-22, hier: 18). Dennoch schließt Loher ihr Studium nach zehn Semestern ab. Danach geht sie für ein Jahr nach Brasilien.
Im Jahr 1990 erfährt sie zufällig von einer Ausschreibung für den ersten Jahrgang des Studiengangs Szenisches Schreiben der vom Dramatiker Heiner Müller an der Berliner Hochschule der Künste (HdK) geleitet werden soll. In der Hoffnung, durch diese Ausbildung zukünftig allein vom Schreiben leben zu können, probiert sie sich erstmals im Verfassen von Szenen aus und wird für den Studiengang angenommen. Loher selbst glaubt nach eigenen Aussagen nicht daran, dass man literarisches Schreiben lehren oder lernen kann, empfindet es aber als große Bereicherung, sich mit qualifizierten Dozenten über ihre Arbeiten austauschen zu können und konstruktive Kritik zu erhalten. Neben Heiner Müller sind hierbei insbesondere der Schauspieler und Schriftsteller Yaak Karsunke an der HdK eine große Unterstützung für Dea Loher (Vgl. Wille im Gespräch mit Loher 1998, 212-223, hier: 216-218.)
Lohers erstes Stück Olgas Raum wird im August 1992 am Ernst-Deutsch Theater in Hamburg uraufgeführt. Es erhält mehrere Preise und wird in London am Royal Court Theatre gezeigt. Darüber hinaus wird sie mit dem zwei Monate später beim Ensemble Theater am Südstern in Berlin uraufgeführten Stück Tätowierung bekannt. Dies gilt heute als ihr erfolgreichstes und meistgespieltes Werk, das in viele Sprachen übersetzt worden ist. Im Jahr darauf kommt sie mit der Auftragsarbeit Leviathan ans Staatstheater Hannover. Dort wird auch ihr viertes Stück, Fremdes Haus, 1995 von Andreas Kriegenburg uraufgeführt. Seitdem hat sich eine enge Zusammenarbeit zwischen Kriegenburg und Loher entwickelt. Kriegenburg wird gewissermaßen zum ‚Regisseur ihres Vertrauens‘, sodass er bei den meisten Uraufführungen Regie führt.
Heute gehört die in Berlin lebende Schriftstellerin zu den erfolgreichsten deutschen Dramatikerinnen der gegenwärtigen Theaterwelt; in Deutschland zählt sie zu den meistgespielten Bühnenautorinnen der Gegenwart. Zahlreiche Stücke wie z.B. Unschuld (2003) oder Das letzte Feuer (2008) werden am Thalia Theater in Hamburg uraufgeführt. Des Weiteren sind u.a. das Burgtheater Wien mit Klaras Verhältnisse (2000) oder das Deutsche Theater Berlin mit Diebe (2010) und Am Schwarzen See (2012) als Spielstätten für Dea Lohers Dramen zu nennen. Darüber hinaus gilt die Theaterautorin spätestens seit Mitte der 1990er Jahre auch international als anerkannte Dramatikerin. Ihre Stücke liegen in 31 Ländern als Übersetzungen vor und werden auf der ganzen Welt gespielt. In Frankreich wird bspw. Blaubart - Hoffnung der Frauen im Jahr 2000 in Straßburg und drei Jahre später in Paris gezeigt. Hier gelangt auch Klaras Verhältnisse im Januar 2004 zur Aufführung. Dieses Stück sowie Unschuld sind in der Spielzeit 2004/05 u.a. auch in Krakau, Warschau und Breslau zu sehen. Da die Stücke Olgas Raum und Das Leben auf der Praça Roosevelt in Brasilien spielen, werden diese im Rahmen des Festivals Terrotorio livre auch in São Paulo mit großem Anklang aufgeführt (Vgl. Haas 2006, 10 f.).
Dea Loher wird als Dramatikerin mit zahlreichen Preisen wie dem Goethe-Preis der Mülheimer Theatertage (1993) oder dem Berliner Literaturpreis (2009) ausgezeichnet. Darüber hinaus ist sie seit November 2013 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Sie verfasst jedoch nicht ausschließlich Theaterstücke. Im Jahr 2005 gibt sie ihr Prosadebüt mit ihrem Erzählband Hundskopf, der das breite Interesse der Literaturkritiker auf sich zieht. 2012 folgt ihr erster Roman Bugatti taucht auf, der für den Deutschen Buchpreis 2012 nominiert wird.
Im Hinblick auf ihr literarisches Schaffen lässt sich Dea Loher nicht nur aufgrund des Bedienens unterschiedlicher Genres in keine Schublade stecken oder auf „handliche Begriffe“ (Wittstock 2009, 145) bringen. Der Literaturkritiker Uwe Wittstock fasst dies in seiner Laudatio auf Dea Loher zur Verleihung des Bertolt-Brecht-Preises 2006 folgendermaßen zusammen: „Sie ist unübersehbar eine politische Schriftstellerin – doch predigt sie ihrem Publikum kein politisches Programm. Sie setzt die große Tradition der deutschen Geschichts-Dramatik fort – doch auf den ersten Blick scheint in ihren Stücken Geschichte gar nicht vorzukommen. Sie ist eine Moralistin, die fragt, wie man das richtige Leben lebt oder zumindest das falsche Leben vermeidet – doch liegt ihr jeder Ehrgeiz fern, sich zur Sittenrichterin aufzuwerfen, die meint, mit märchenhafter Klarheit unterscheiden zu können zwischen den Guten, die ins Töpfchen, und den Bösen, die ins Kröpfchen gehören. Schließlich gilt Dea Lohers Leidenschaft der Tragödie, auf die Schultern ihrer Figuren häuft sie Leid und Schmerz, als seien sie alle moderne Hiobs – zugleich sind ihre Stücke zutiefst komisch, voller Pointen, Witz und ironischer Kontraste, die Erschütterung durchs Lachen gehört zu ihnen wie die Erschütterung durch Furcht oder Mitleid“ (Wittstock 2009, 146). Dea Loher gilt somit als Autorin, bei der die gängigen Markenzeichen nicht passen (Vgl. Wittstock 2009, 146).

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