Forschungsspiegel

Polleschs Theaterinszenierungen und auch seine Theatertexte haben in den Wissenschaften eine rege Rezeption hervorgerufen. Besonders seine Behandlung und der Einbezug theoretischer Texte ist Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung. Die Mehrzahl der Forschungsliteratur ist sich einig, dass Polleschs Theater aufgrund dieser Abarbeitung an Theorie als Diskurstheater, Theorietheater oder politisches Theater zu bezeichnen ist (vgl. u.a.: Bergmann, 2009, 193-208; Bloch, 2004, 57-70; Brandli-Risi, 2001, 117-120; Diederichsen, 2002, 56-63; Diederichsen, 2008, 101-110; Dreysse, 2011, 357-370; Eke, 2009, 175-191; Ernst, 2007, 237-254; Pollesch, 2003a, 113-127; Primavesi, 2004, 366-376; Raddatz, 2007, 195-2003; Schößler, 2005, 141-150.), so dass mit Diederichsen postuliert werden kann: „Der Diskus muss auf die Bühne, in aller Pracht und in allen Lumpen.“ (Diederichsen, 2002, 56-63, hier: 62.) Eine Gegenposition vertritt hingegen Patrick Primavesi in seinem Aufsatz Beute-Stadt, nach Brecht. Heterotopien des Theaters bei René Pollesch. Er lehnt den Begriff des Diskurstheaters für das Theater von Pollesch aus folgenden Gründen ab: „Dennoch greift die Rede vom “Diskurstheater“ als Schema für Polleschs Produktion zu kurz, weil die Grundhaltung der soziologischen Analysen auf der Szene selbst ironisiert wird, weil die Möglichkeit eines individuellen, kritisch beurteilenden Standpunktes in der Hypertrophie seiner abstrakten Sprachformeln radikal aufs Spiel gesetzt wird.“ (Primavesi, 2004, 366-376, hier: 374.)
Neben allgemeinen Analysen zum Diskurstheater Polleschs gibt es auch eine Vielzahl von Texten, die sich mit spezifischen Thematiken bei Pollesch auseinandersetzen, wobei der Geschlechterdiskurs besonders hervorzuheben ist. Der Geschlechterdiskurs mit seiner binären Konstruktion in Frau und Mann, die damit einhergehende Zwangsheterosexualität und die Problematik von Sexismus ist einer der Diskurse, die Pollesch, in stetiger Wiederholung, in seinen Texten behandelt und welcher in der Forschungsliteratur seine Beachtung gefunden hat. Exemplarisch können dafür Miriam Dreysses Beitrag Heterosexualität und Repräsentation. Markierungen der Geschlechterverhältnisse bei René Pollesch und Franziska Bergmanns Text Die Dialektik der Postmoderne in Theatertexten von René Pollesch. Zur Verschränkung von Neoliberalismus und Gender herangezogen werden. Dreysse macht u.a. anhand der Polleschstücke Sex und Insourcing des Zuhause auf die von Pollesch in seinen Stücken markierte Verflechtung von „Heterosexualität, Arbeit und Zuhause“ (Dreysse, 2011, 357-370, hier: 360.) aufmerksam: „Arbeit ist […] in der postfordistischen Ökonomie immer sexuelle Arbeit, da immer eine eindeutige Darstellung von Heterosexualität und Geschlechtsidentität verlangt und Heterosexualität in der Dienstleistungsgesellschaft als Produkt mit vermarktet wird.“ (Dreysse, 2011, 357-370, hier: 360.) Und weiter, unter Einbezug des Zuhauses, heißt es: „Wie die Arbeitsplätze der neoliberalen Dienstleistungsgesellschaft ist auch das Zuhause von geschlechtsspezifischen Machtverhältnissen durchzogen und heterosexuell normiert.“ (Dreysse, 2011, 357-370, hier: 360.)
Auch Bergmann geht in ihrer Analyse der Polleschstücke Sex und Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehr auf die Verschränkung von „Geschlecht, Begehren und neoliberalen Arbeitsverhältnissen“ (Bergmann, 2009, 193-208, hier: 199.) ein. Ging Dreysse noch sehr optimistisch davon aus, dass Polleschs Stücke „die Möglichkeit [bieten], das binäre Geschlechtermodell zu denaturalisieren“ (Dreysse, 2011, 357-370, hier: 362.), postuliert Bergmann, ganz im Sinne von Natalie Bloch in ihrem Text »ICH WILL NICHTS ÜBER MICH ERZÄHLEN!« Subversive Techniken und ökonomische Strategien in der Theaterpraxis von René Pollesch, etwas vorsichtiger, dass eine Subversion nur noch in den Inszenierungen, nicht auf textueller Ebene stattfindet. Bloch definiert diese Subversion weiterhin als „Widerstand des Restsubjekts“ (Bloch, 2008, 165-182, hier: 175.), da sie in Pollesch keinen Subversiven, sondern eher „ein[en] Regelbrecher und ein[en] Rebell“ (Bloch, 2008, 165-182, hier: 180.) sieht.
Um eine weitere Thematik von Pollesch, die der Technologie, aufzunehmen, sei noch auf Paul A. Youngman Text Civilization and Ist Technological Discontents in René Pollesch’s world wide web-slums verwiesen, in welchem er sich mit Polleschs Blick auf die zeitgenössische Technologie beschäftigt und Pollesch schlussendlich als Medienkritiker bzw. Medienpessimisten charakterisiert.
Ein weiterer Diskussionspunkt in der wissenschaftlichen Polleschforschung bezieht sich auf die spezifische Form der Ästhetik bei Pollesch. Diedrich Diederichsen verweist in seinem Text Denn sie wissen, was sie nicht leben wollen. Das kulturtheoretische Theater des René Pollesch darauf, dass Polleschs Medienästhetik – wie u.a. Loop und Permutation – der zeitgenössischen Pop-Musik entlehnt ist (Diederichsen, 2002, 56-63, hier: 61.) und  Bloch bringt die Debatte in ihrem Text Popästhetische Verfahren in Theatertexten von René Pollesch und Martin Heckmanns auf den Punkt, indem sie Polleschs Texte als Popästhetik charakterisiert und analysiert.
Das Verhältnis von Schauspieler*in/Figur und die Rolle der Stimme ist ein weiterer Themenkomplex der wissenschaftlichen Forschung, welcher immer wieder behandelt wird und exemplarisch an Jenny Schrödls Text Schreiarien und Flüsterorgien. Stimmen als Oberflächenphänomene im Theater René Polleschs summiert werden kann: Schrödl postuliert, dass bei Pollesch, im Gegensatz zum Repräsentationstheater, die Stimme der Schauspieler*innen kein „Ausdruck der Innerlichkeit und Psyche einer Rollenfigur“ ist, sondern es findet eine „De-Personalisierung und mithin eine Veräußerlichung der Stimme“ (Schrödl, 2007, 117-129, hier 120.) statt.
Abschließend kann festgehalten werden, dass sich die Forschungsliteratur zu Pollesch eher durch homogene statt durch kontroversgeführte Debatten auszeichnet. Es gibt wenig Unstimmigkeiten in der Einschätzung von Polleschs Theaterstücken, sondern eher eine Behandlung derselben Themen, mit ähnlichen Thesen, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen.

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