Konzept

Classroom Management

Classroom Management wurde als Forschungsgebiet durch die bekannten Arbeiten der Wissenschaftler/-innen Kounin (1979), Brophy (1988; 1999), Doyle (1986) und Watson und Ecken (2003) maßgeblich beeinflusst wie Everston und Weinstein in ihrem 2006 herausgegebenen Handbuch zusammenfassend darstellen. Die Autorinnen definieren Classroom Management ausgehend von dieser Tradition folgendermaßen:

 

“We define classroom management as the actions teachers take to create an environment that supports and facilitates both academic and social-emotional learning. In other words, classroom management has two distinct purposes: It not only seeks to establish and sustain an orderly environment so students can engage in meaningful academic learning, it also aims to enhance students’ social and moral growth. From this perspective, how a teacher achieves order is as important as whether a teacher achieves order.” (Evertson & Weinstein, 2006, S. 4).

 

Diese Definition zeigt, dass nicht nur die Lernenden, sondern auch die Lehrenden als Teil des Systems betrachtet werden und ein interaktiver Blick auf das Schulgeschehen notwendig ist, um es positiv beeinflussen zu können.

 

Classroom Management Kompetenzen

Evertson und Weinstein brechen die Aufgaben der Lehrer/-innen auf verschiedene Kompetenzen herunter, die zur Erreichung der definierten Ziele notwendig sind (Evertson & Weinstein, 2006, S. 5). Lehrer/-innen

 

  • entwickeln eine Beziehung mit den Schülern/innen, die diese als unterstützend und kümmernd (caring) empfinden (siehe auch Steins, 2011).
  • organisieren und implementieren Instruktionen so, dass die Schüler/-innen einen optimalen Zugang zum Lernen finden.
  • ermuntern die Schüler/-innen dazu sich für schulische Aufgaben zu engagieren.
  • unterstützen und fördern die Entwicklung der sozialen Kompetenzen und Selbstregulationskompetenzen der Schüler/-innen.
  • wenden angemessene Interventionen an, um Schülern/-innen mit Verhaltensproblemen beizustehen.

 

Diese Kompetenzen zeigen deutlich, dass Classroom Management ein breites Kompetenzspektrum umfasst. Sehr häufig jedoch, nicht nur im deutschsprachigen Raum, wird Classroom Management auf die Etablierung von Disziplin und das Arbeiten mit negativen und positiven Sanktionen reduziert (Evertson & Weinstein, 2006, S. 5). Auch wird häufig die Relevanz des Lehrer/innenverhaltens ausgeblendet oder lediglich mit der Forderung, dass dieses respektvoll sein solle, die Wichtigkeit der interaktiven Dimension nur oberflächlich behandelt, ohne dass deutlich wird, was Respekt auf der konkreten interaktiven Ebene bedeutet (Steins, 2005; Steins & Welling, 2010; Steins, 2011; Haep & Steins, 2011; Haep, Steins & Wilde, 2012).

Ohne Zweifel ist aber die Beherrschung interaktiver Kompetenzen eine Grundlage aller Classroom Management Kompetenzen:

 

 „Classroom management is both routine and nonroutine; it is profoundly interactive and the subject of planning and reflection. It is about maintaining order and about what to do when that order has been achieved…” (Ben-Peretz, Eilam und Yankelevitch, 2006, S. 1121-1122).

 

Das Zitat der Autoren/-innen enthält einen wesentlichen Punkt für das Verständnis von Classroom Management. Es weist darauf hin, dass es nicht nur darum geht, eine positive Lernumgebung zu etablieren, sondern auch darum sie aufrechtzuerhalten. In einem Ausbildungskonzept zum Classroom Management sollte diese zeitliche Dimension eine explizite Rolle spielen.

Forschungsstand zum Classroom Management

Viele Moden in der Lehrer/-innenausbildung beruhen nicht immer auf empirischer Evidenz. Das Forschungsgebiet Classroom Management gehört nicht (mehr) dazu. Es ist ein Forschungsgebiet, das sich über Jahrzehnte hinweg auf der Basis empirischer Forschung entwickelt hat und nun aufgrund seiner empirischen Evidenz beachtet wird.

 

„All in all, the work on classroom management can be counted among the major success stories of educational research in the 20th century.“ (Brophy, 2006, S. 39).

 

Die empirische Evidenz für die Wirksamkeit der oben aufgeführten Classroom Management Kompetenzen soll nun im folgenden aufgeführt werden. Hierbei wird den beiden Zielen des Lernens innerhalb der Classroom Management Forschung Rechnung getragen: die kognitive, aber auch die sozial-emotionale Entwicklung der Schüler/-innen.

Hattie (2009) gibt auf der Basis zahlreicher Metaanalysen einen detaillierten Überblick über die Wirkfaktoren schulischer Leistung und bricht diese Befunde auf die Verhaltensebene der Lehrer/-innen herunter (Hattie, 2012). Dabei zeigt sich, dass neben der Lehrqualität die Lehrer-Schüler-Beziehung ein entscheidender Beeinflussungsfaktor ist, der von der Lehrperson ausgeht.

Mit Effekten zwischen delta = 0.7 und 0.8 übt die Lehrer-Schüler-Interaktion einen sichtbaren Einfluss auf die schulische Leistung der Schüler/-innen aus. Besonders wichtig sind die Faktoren Nondirektivität, Empathie, Wärme und die Ermutigung zu höheren Denkprozessen und Lernen. Auch das differenzierte Eingehen auf Schülerunterschiede ist wichtig, ebenfalls, wenn auch sehr viel schwächere Effekte haben die Echtheit bzw. Natürlichkeit des Verhaltens und schülerorientierte Glaubensvorstellungen. Die von Hattie (2009) zu diesem Faktor aufgeführten Metaanalysen zeigen deutlich, dass das Verhalten der Lehrperson relevant ist und fachliches Können alleine sogar eine kleinere Rolle für den Lernerfolg der Schüler/-innen spielt. Lehrpersonen, die ihr Fachwissen in einem ungenügenden Interaktionssetting vermitteln, werfen ihre Schüler/-innen bis zu einem Schuljahr zurück in Bezug auf deren kognitiven Stand in dem unterrichteten Fach (Hattie, 2009).

Die Lehrqualität ist eine entscheide Größe für eine gute Lernumgebung und übt einen starken Effekt auf die schulische Leistung der Schüler/innen aus. Für das Fach Mathematik fasst Hattie (2009) folgende förderliche Faktoren für eine gute Lehrqualität zusammen:

Die Lehrperson sollte die Schüler/-innen ermuntern Probleme selber durchzudenken und alleine oder in Gruppen Lösungen zu finden. Sie sollte hohe Erwartungen haben, wie überhaupt die Erwartungshaltung der Lehrperson einen starken Einfluss auf das Schüler/-innenverhalten ausübt; sie sollte den Schülern beibringen, dass diese sich selber kontrollieren, überwachen und versuchen, eigenständig Prinzipien zu entdecken und sie sollte Wert auf das Unterrichten der Fachsprache und der Details ihres Faches legen. Vermutlich gelten diese Faktoren auch für die Lehrqualität in anderen Fächern.

Eine weitere Variable, die von Hattie nicht unter Lehrqualität geordnet wird, sondern unter Merkmale der Lehrperson, die wir unter die Kompetenz fassen, betrifft die Klarheit des Unterrichts: Die Absicht der Stunde und was es für das Erlernen der Inhalte für diese Absicht bedeutet, muss klar sein (siehe auch Meyer, 2004).

Bei Hattie (2009) wird dieser Faktor bei der Lehrqualität und den Erwartungen der Lehrkräfte aufgeführt. Die Lehrqualität sollte hoch sein und ebenfalls die Erwartungen. Schon Lewins Forschung zum Anspruchsniveau konnte zeigen (Lewin, Dembo, Festinger & Sears, 1944), dass eigene Erwartungen meistens unter den gestellten Erwartungen bleiben. Wenn diese bereits zu niedrig sind, dann entsteht keine Anstrengungsmotivation.

Programme zur Übung sozialer Kompetenzen haben nach Hatties Befunden (2009) einen wesentlich schwächeren, wenn auch sichtbaren positiven Effekt auf die schulischen Leistungen der Schüler/-innen als die Lehrer-Schüler-Interaktion selbst. Classroom Management sollte so gelebt werden, dass die Lehrperson bereits in der alltäglichen schulischen Situation in der konkreten Interaktion als ein soziales Modell fungiert und so die Schüler/-innen durch modellhaftes Verhalten anleitet (Haep & Steins, 2011; Steins, 2011).

Die Art und Weise wie unterrichtet wird, übt einen positiven Einfluss auf die sozial-emotionale Entwicklung aus. Zusammenfassend kann der optimale Interaktionsstil mit dem Modell der rational-emotiven Erziehung beschrieben werden: Konsequentes (klar, transparent, vorhersehbar) und liebevolles (zugewandt, kümmernd, einbeziehend) Verhalten schafft eine optimale Grundlage für das Erlernen auch sozial-emotionaler Kompetenzen. Hierbei zeigt sich, dass die Verhaltensaspekte auch eine positive Wirkung auf die sozial-emotionale Entwicklung der Schüler /-innen haben (zusammenfassend Steins, 2011; Haep, Wilde & Steins, 2012).

Classroom Management und Sozialpsychologie

Zweifellos ist die Sozialpsychologie als die Wissenschaft von den Interaktionen zwischen den Individuen, deren Ursachen und Auswirkungen eine relevante Quelle der Erkenntnis für die Weiterentwicklung und Fundierung von Classroom Management als Forschungsgebiet insofern die Forschung deutlich zeigt, dass die Interaktionsqualität für beide Entwicklungsziele der Schüler/-innen eine tragende Rolle spielt. Sozialpsychologie ist eine Grundlagenwissenschaft: Ihre Forschungserkenntnisse helfen zu verstehen, warum sich Interaktionen zwischen Individuen und Gruppen in Abhängigkeit von situativen Faktoren und Verhalten der Individuen auf bestimmte Art und Weise entwickeln und welche Konsequenzen damit verbunden sind. Sie liefert also kein Rezeptwissen für Lehramtsstudierende in Bezug auf Classroom Management, so wie sie generell kein Rezeptwissen liefert, sondern an einem Verständnis grundlegender interaktiver Prozesse interessiert ist. So liefert sie die Grundlagen, welche ein Verständnis der  Basiskompetenzen des Classroom Management erst ermöglichen. In einem Ausbildungskonzept zum Classroom Management müssen also Theorien eine Rolle spielen, die ein grundlegendes Verständnis von Interaktionsprozessen ermöglichen. Wir erachten die Erkenntnisse aus folgenden Forschungsbereichen als unabdingbar für die tiefe Entwicklung von Classroom Management Kompetenzen: Gruppendynamik, Macht, Konformität, Reaktanz, Attribution, Selbstaufmerksamkeit in Hinblick auf die Lehrer/-innen-Schüler/-innen Interaktion. Dazu kommen Erkenntnisse aus den Schnittstellen der Sozialpsychologie mit anderen psychologischen Disziplinen, der sozialpsychologischen Lernforschung und Emotionsforschung sowie der Umweltpsychologie. Bei der Entwicklung eines Ausbildungskonzeptes für Classroom Management werden diese sozialpsychologischen Grundlagen eine wesentliche Rolle spielen.