Sexuelle Übergriffe durch Geistliche in der katholischen Kirche Deutschlands

Prof. Dr. med. Norbert Leygraf, Dipl.-Psych. Andrej König

Zusammenfassung:

Im Jahr 2002 wurden durch die Deutsche Bischofskonferenz für alle Diözesen verbindliche Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche erlassen. Im Folgejahr wurde im Vatikan auf einem Kongress internationaler Experten zum Thema „Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche – wissenschaftliche und juristische Perspektiven“ unter anderem festgehalten, dass für die individuelle Risikobeurteilung der beschuldigten Geistlichen forensisch-psychiatrische Methoden unabdingbar sind. Im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz wurden daher seit 2004 vermehrt forensisch-psychiatrische Gutachten in entsprechenden Fällen in Auftrag gegeben. Gemäß den aktuellen Leitlinien vom 23.08.2010 für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz werden auch in strafrechtlich nicht aufgeklärten Fällen (z.B. aufgrund von Verjährung), und wenn Anlass zur Sorge besteht, dass bei einer Person Tendenzen zu sexuellem Fehlverhalten vorliegen, eine forensisch-psychiatrische Begutachtung angeordnet.


Im Rahmen einer bundesweiten Vollerhebung sollen die Fälle erfasst werden, in denen katholische Geistliche verdächtigt wurden, sexuelle Missbrauchshandlungen begangen oder sexuell grenzverletzendes Verhalten gegenüber Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen gezeigt zu haben. Als Datenbasis der Untersuchung dienen daher alle forensisch-psychiatrischen Gutachten, die im Zusammenhang mit entsprechenden Vorwürfen zwischen dem 01.01.2000 und 31.12.2010 durch die Diözesen oder Staatsanwaltschaften in Auftrag gegeben wurden. Der Untersuchungszeitraum umfasst somit zwei Jahrgänge vor Beginn der Leitlinien aus dem Jahr 2002, etwa drei Jahrgänge vor der derzeit gängigen forensisch-psychiatrischen Begutachtungspraxis sowie einen Jahrgang nach Beginn der aktuellen öffentlichen und innerkirchlichen Diskussion. Eine systematische Analyse forensisch-psychiatrischer Gutachten bietet den Vorteil, dass Informationen durch externe professionelle Sachverständige erhoben wurden, denen neben einer Exploration des betroffenen Geistlichen auch Personal- und ggf. Strafakten vorlagen.


Ziel der Studie ist es, ein umfassendes Bild über Persönlichkeiten (z.B. psychische Erkrankungen/Störungen, Auffälligkeiten in der sexuellen Entwicklung oder sexuelle Devianzen), biografische Zusammenhänge (z.B. Bindung an Altersstufen oder Lebenskrisen), Situationen und Abläufe der vorgeworfenen sexuellen Handlungen zu erhalten und anhand dieser Daten eventuelle Frühwarnzeichen oder Unterschiede zwischen Subgruppen zu identifizieren. Um einen ersten Überblick über relevante Merkmale, die in Zusammenhang mit vorgeworfenen sexuellen Missbrauchshandlungen und sexuell grenzverletzendem Verhalten durch katholische Geistliche stehen, zu erhalten, erfolgt die Analyse sämtlicher forensisch-psychiatrischer Gutachten zunächst qualitativ und erst in einem zweiten Schritt werden die gewonnen Informationen statistisch ausgewertet. In der forensisch-kriminologischen Forschung ist es aufgrund genereller Selektionseffekte (z.B. verstorbene Betroffene, unzureichende Dokumentation, Schwankungen der Anzeigebereitschaft) nicht möglich, das „absolute Dunkelfeld“ aufzuhellen. Im Kontext der aktuellen Missbrauchsdebatte soll die Untersuchung dennoch einen ersten Beitrag zur Erhellung des „relativen Dunkelfeldes“ leisten.

Kooperation:

  • Prof. Dr. med. Friedemann Pfäfflin, Universitätsklinikum Ulm
  • Prof. Dr. med. Hans-Ludwig Kröber, Charité - Universitätsmedizin Berlin

Auftraggeber:

Deutsche Bischofskonferenz.
Der Auftraggeber erhielt einen vertraulichen Projektbericht.
 

Leitung

Prof. Dr. med. Norbert Leygraf

Kontakt

Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Andrej König

LVR-Klinikum Essen
Kliniken/Institut der Universität Duisburg-Essen
Institut für Forensische Psychiatrie
Postfach 103043
45030 Essen

andrej.koenig@uni-due.de

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