Gender-Vorlesungsverzeichnis der Universität Duisburg-Essen

Titel:
Zur Soziologie der "gefährlichen Klassen"

Fakultät:
Bildungswissenschaften

Semester:
Winter 2017

VeranstalterIn:
Dr. Moritz Rinn

Termin:
Do., 14:00-16.00 Uhr

Ort:
S06 S01 B35

Studiengang:
Soziale Arbeit

Zielgruppe:
SA B.A.; 3. FS.

Kommentar:
Thema des Vertiefungsseminars ist eine besondere Sozialfigur der bürgerlichen Gesellschaft: Die „gefährlichen Klassen“, heute besser bekannt als „Unterschicht“. Die Unterschicht wird durch das Scripted-Reality-TV gejagt, bevölkert Boulevardblätter und seriöse Tageszeitungen, und geistert regelmäßig durch sozialwissenschaftliche Debatten. Sie wird als ökonomisch verarmt und moralisch verwahrlost dargestellt, als ungebildet, faul, gewalttätig und kriminell, und meist als selbst schuld an ihrem Elend. Dem Unterschichtsdiskurs folgend lebt sie im „Problemquartier“, hat entweder „Migrationshintergrund“ oder gehört zum „white trash“. Sie gerät nicht selten mit staatlichen Ordnungshüter_innen in Konflikt: sie ist stetig umsorgt von Polizist_innen, Lehrer_innen, Gerichtsvollzieher_innen, Anwält_innen oder auch Sozialarbeiter_innen. Angst und Schrecken verbreitet sie heute in sogenannten polizeilichen „no go-areas“ oder – und dies eher im internationalen Maßstab – durch Revolten und riots in französischen, englischen oder US-amerikanischen Großstädten. Die Rede von der Unterschicht wirkt als Stigmatisierung derjenigen, die mit Armut, Diskriminierung und sozialer Ausschließung zu kämpfen haben, und die als von legitimen gesellschaftlichen Verhaltensnormen und Lebensweisen abweichend klassifiziert werden. Der Unterschichtsdiskurs ist so selbst Teil gesellschaftlicher Ausgrenzung. Die (diskursive) Existenz der Unterschicht fordert und rechtfertigt zugleich die staatlich institutionalisierte Arbeit am Sozialen – eine Arbeit, die sich im bürgerlichen Wohlfahrtsstaat zwischen Sozial- und Kriminalpolitik verortet. Genau hier liegt auch der gesellschaftspolitische Einsatzpunkt Sozialer Arbeit. Im Seminar untersuchen wir den Diskurs und die wohlfahrtsstaatlichen Politiken mit der „Unterschicht“. Ausgehend von gegenwärtigen medialen Darstellungen dieser Sozialfigur fragen wir nach deren Entstehungsbedingungen: Wir widmen uns der Entstehung der „gefährlichen Klassen“ im 19. Jahrhundert und fragen nach den (ökonomischen, politischen, moralischen, kulturellen) Gefahren für die Gesellschaft, die mit ihnen in Verbindung gebracht wurden. Anschließend untersuchen wir, wie Armut und soziale Ungleichheit gegenwärtig mit Abweichung und Kriminalität verkoppelt und wohlfahrtsstaatlich bearbeitet werden. Thematisiert wird dabei auch, welche Bedeutung Rassismus und Geschlechterverhältnisse für die heutige Konstruktion und Bearbeitung der gefährlichen Klassen haben.