Editorial

Die Beiträge der dritten Ausgabe der mauerschau bewegen sich im thematischen Spannungsfeld von Konstruktion und Dekonstruktion und gehen zum Einen der Frage nach, wie sich unsere Welt sprachlich, textlich, konzeptionell oder medial strukturiert. Der Manifestation spezifischer Sinnkonstruktionen oder Welt- und Lebensentwürfe durch den Verweis der Form auf eine klare Sinnhaftigkeit gehen einzelne unserer Autoren dergestalt nach, indem sie u.a. die Transformationsarbeit von Text-Bild-Konstrukten im Film untersuchen oder den Zusammenhang von Kriegserinnerungen und Genderfragen beleuchten. Dabei zeigen diese Untersuchen sowohl das Scheitern beabsichtigter Sinnhaftigkeit wie auch deren Erfolg.

Zum Anderen wird gerade die Uneindeutigkeit und die Unmöglichkeit einer klaren Sinngebung zum Thema weiterer Aufsätze. Widersprüche und Reibungspunkte werden zum Ausgangspunkt dekonstruktivistischer Fragestellungen. Und so beschäftigen sich diese Beiträge z.B. mit der sich textlich niederschlagenden Pluralität von Wirklichkeit oder der Fragwürdigkeit geschlechtlicher Definitionen.
Wir freuen uns, dass die mauerschau ein weiteres Mal den Kreis der Autoren ausweiten konnte und so sind dieses Mal neben Autoren aus der Universität Duisburg-Essen auch Studenten und Doktoranden der Universität Köln, der Ruhruniversität Bochum und der University of North Carolina, Chapel Hill vertreten. Für unser Interview konnten wir den Redakteur und Autoren Klaus N. Frick gewinnen, der sich mit uns über die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Weltkonstruktionen in der Science-Ficion-Literatur unterhielt. Des weiteren haben wir zum ersten Mal mit Nachwuchsdesignern und -künstlern zusammenarbeiten
können, die unserer Zeitschrift ein neues Logo und ein neues Titelbild verpasst haben. Dafür herzlichen Dank.

An dieser Stelle sei auch allen Autoren und Redakteuren der mauerschau gedankt, die wie immer aus dem germanistischen Nachwuchs stammen und die neben ihrer regulären Studienzeit noch die Möglichkeit fanden, sich an dieser Ausgabe zu beteiligen. Ebenso gilt unser Dank PD Dr. Hermann Cölfen und dem Universitätsverlag Rhein-Ruhr, sowie dem Wissenschaftlichen Beirat der mauerschau für ihre große Hilfe. Ganz besonders sei hier Dr. Andreas Erb für seine Unterstützung des mauerschau-Projekts gedankt und Dagmar Jäger für ihre Hilfe bei der Interview-Vorbereitung.

Ralf Wohlgemuth und Sylvia Nürnberg im März 2009

Inhalt und Einzelaufsätze

Erkan Gürsoy: Der Verfall des `ganzen Hauses´- Buddenbrook-Haus-Konstruktionen in Roman und Film
Der Aufsatz sucht nach der Ursache des Scheiterns der aktuellen Literaturverfilmung Die Buddenbrooks (BRD 2008) von Heinrich Breloer. Nach einer kurzen kultur- und literaturwissenschaftlichen Analyse des Romans Buddenbrooks von Thomas Mann wird unter Berücksichtigung der zentralen Thematik und Symbolik des ‚ganzen Hauses’ geschaut, wie der Regisseur ein geistiges Kontinuum in ein physisches Kontinuum umwandelt. Dieser Transformationsprozess verlangt vom Regisseur, dass er den Roman nicht re-konstruiert, stattdessen die Buddenbrook-Haus-Konstruktion reorganisiert. Hinter der Transformationsarbeit verbirgt sich auch die Umsetzung der Denotation und Konnotation ‚Haus’ in den Film, die das Buddenbrookhaus konstruieren. 

Andre Gasch: Jenseits von Sein und Subjekt. Dekonstruktiver Feminismus im Text und auf der Bühne
In zwei Teilen geht dieser Aufsatz den Dichotomien von „Mann“ und „Frau“ nach, indem zunächst die Frage nach „Sein“ und „Subjekt“ aus dem Blickwinkel des dekonstruktiven Feminismus’ verfolgt wird, um dann im zweiten Teil diese Fragen anhand der Texte von Lady Bitch Ray und Charlotte Roche zu konkretisieren. Statt patriarchal und festgelegt zu sein, fokussieren diese Texte die Erforschung der Differenzen der Texte zu sich selbst und die durch sie geleisteten Verschiebungen von Bedeutung im Diskurs. 

Daniela Doutch: Literatur vs. Wissenschaft: Land und Wasser oder vielleicht doch Sumpf?! - Die Wiener Moderne im Austausch mit der Wissenschaft
Der Aufsatz verfolgt die Verschmelzung von Literatur und Wissenschaft zur Jahrhundertwende zum 20 Jahrhundert. Dabei fordern die Ansprüche wissenschaftlichen Arbeitens die Erneuerung literarischen Schreibens. In den Romanen von Musil, Schnitzler und Joyce lassen sich durch die Hinzufügung wissenschaftlicher Theorien inhaltliche und strukturelle Neuerungen finden, die zur Neukonstruktion des literarischen Schreibens führen.
 

Ralf Wohlgemuth “Ich muss mich echauffieren!”- Humorkonstruktionen in der Perry Rhodan-Serie und ihre Auswirkungen auf die Erzählwelt
Für die Science-Fiction-Literatur ist ein geschlossenes erzählerisches Universum Grundlage ihrer Gattung. Am Beispiel der Science-Fiction-Serie PERRY RHODAN untersucht dieser Aufsatz die Auswirkungen von Humorkonstruktionen auf diese narratologische Grundlage. Dabei wird zwischen binnen- und transreferenziellen Humorkonstruktionen unterschieden, die den diegetischen Raum der Science Fiction sowohl konstruieren als auch dekonstruieren können.

Anja Wieden: Frau - verrecke! Die Trockenlegung der roten Flut im häuslichen Konzentrationslager
Rolf Dieter Brinkmanns Roman „Keiner weiß mehr“ wird zum Ausgangspunkt der Betrachtung des weiblichen Körpers durch den Mann. Dabei wird der weibliche Körper durch eine faschistische Körperästhetik des männlichen Körpers zum Idealbild der Frau stilisiert und die Verarbeitung des Faschismus von der öffentlichen in die private Ebene verlagert.

Tino Minas: Jugend ohne Charakter? Dekonstruktivismus oder die Unmöglichkeit der Revolte
Der Essay problematisiert die Nicht-Revolte der heutigen Jugend.
Im Anschluss an eine Artikelserie in der Wochenzeitung DIE ZEIT ("Jugend ohne Charakter"), versucht der Autor die Diskussion auf die Frage nach Authentizität zuzuspitzen. Die These ist dabei, dass das Authentitzitätskonzept vor dem Hintergrund des Dekonstruktivismus mehr als problematisch geworden ist. Anhand eines literarischen Beispiels (Horst Bieneks "Bakunin, eine Invention") wird die Handlungsunfähigkeit, die aus einer Störung durch zu mächtig gewordene Sprachgesetze entstehen kann, auf inhaltlicher wie formaler Ebene des Romans erläutert. Am Ende steht die Frage, was zu tun wäre, wenn die vermeintliche Charakterlosigkeit der Jugend tatsächlich mit der dekonstruktivistischen Praxis in ein analoges Verhältnis zu bringen wäre. Die Antwort lautet: Kritische Begriffsarbeit ist unabdingbar, müsse aber in einen höheren (Lebens-)kontext gestellt werden. 

Sylvia Kokot: Erinnerung und Perspektive in Variation in Günter Grass’ Beim Häuten der Zwiebel
Grass’ Autobiographie „Beim Häuten der Zwiebel“ wird zumeist als historisches Zeugnis rezipiert. Dieser Aufsatz geht der Theorie nach,  Autobiographie als Kunstwerk zu lesen und die Identität von Hauptfigur und Erzähler zurückzuweisen. Die Inszenierung von Autobiographie durch die bewusste Fortsetzung fiktionaler Erzählstrategien dekonstruiert die Einheit von Erzähler, Hauptperson, historischem Zeugnis und Autobiographie.

Daniel Wiegand: Bildformen der Einsamkeit. Figuren-, Raum- und Blickkonstruktion im dänischen Stummfilm Klovnen (1926)
Der Aufsatz verfolgt die Bildformen des Einsamen in dem dänischen Stummfilm „Klovnen“. Dabei zentriert sich der Aufsatz auf die filmische Konstruktion von Einsamkeit und Großstadt, die ihr Ende erst außerhalb der Leinwand findet. 
 
Oliver Clemens & Linda Leskau: Parasitärer Befall. Zur Dekonstruktion der Sprechakttheorie
Jacques Derrida gilt als der Begründer des Programms der Dekonstruktion. Die Dekonstruktion kann als kritisches Verfahren gelesen werden, welches die hierarchisch organisierten metaphysischen Dichotomien innerhalb eines Textes aufzeigt, umkehrt und verschiebt.
Anhand Derridas Text „Signatur Ereignis Kontext“ soll ein methodischer Einblick in das Verfahren der Dekonstruktion und einige ihrer Termini gegeben werden. Unser Text versteht sich als eine intertextuelle Interpretation der Auseinandersetzung Derridas mit John L. Austins Sprechakttheorie und bietet darüber hinaus vielerlei Anschlussmöglichkeiten für eine weitere Beschäftigung mit Derridas Denken.
 
Sebastian Schmitz: Das Geschlechterverhältnis in Stanley Kubricks Shining
Dieser Aufsatz untersucht die Darstellung von patriarchalischer Macht und männlicher Gewalt in Stanley Kubricks Film „Shining“. Zentrum der Untersuchung nimmt dabei die filmische Umsetzung von geschlechtlicher Macht und Gewalt durch Kamera und Bildkomposition ein.
 

mauerschau ::: 1/2009

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