Mitarbeiter Prof. Dr. Jörg Wesche Lehrveranstaltungen Julia Amslinger, geb. Wagner

LEHRVERANSTALTUNGEN SoSe 2013

Exemplarische Textanalyse: Klopstock und Kleist – Hermannsschlachten, Montag 12.00-14.00

Das ist der Teutoburger Wald,
Den Tacitus beschrieben,
Das ist der klassische Morast,
Wo Varus stecken geblieben.

Hier schlug ihn der Cheruskerfürst,
Der Hermann, der edle Recke;
Die deutsche Nationalität,
Die siegte in diesem Drecke.


Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann,

Mit seinen blonden Horden,
So gäb’ es deutsche Freiheit nicht mehr,
Wir wären römisch geworden!

Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, 1844

 In einem öden, nicht mehr aufzuspürenden Waldgebiet Germaniens verschwanden im Jahre 9 n. Chr. drei Legionen, drei Alen und sechs Kohorten von der imperialen Bildfläche: Die römische Besatzungsmacht unter ihrem Feldherren Publius Quinctilius Varus hatte eine desaströse Niederlage gegen den Cheruskerfürsten Arminius mit seiner Koalition germanischer Stämme erlitten und Varus nahm sich noch auf dem Schlachtfeld das Leben.

O! Quintili, armer Feldherr /
Dachtest Du, daß so die Welt wär?
(Victor von Scheffel)

Geschichte wird, so der Historiker Reinhart Koselleck entgegen dem geläufigen Diktum, nicht von den Siegern, sondern von den Besiegten geschrieben. Die Schlacht im Wald bestätigt fast prototypisch diese These, denn es wissen allein römische Quellen um die Gestalt des germanischen Anführers. Doch an historischer Akkuratesse scheint den wenigsten Berichten gelegen: In der ersten ausführlichen, von Tacitus verfassten Darstellung ist bereits ein Rezeptionsmechanismus angelegt, der auch für den weiteren Umgang mit der Figur des Arminius kennzeichnend sein wird. Denn der römische Geschichtsschreiber fand in Arminius eine Projektionsfläche seiner ganz eigenen Zeitdiagnostik und mithin Zeitkritik, indem er  römisch-republikanische Tugenden wie libertas, virtus, gloria, die seine dekadenten Mitbürger für ihn verloren hatten, nun dem Anführer der Germanen zuschrieb. Die Gestaltung des Arminius-Stoffs scheint also schon seit der ersten Verschriftlichung von Über- und Umbesetzungen im Zeichen politischer Wirkungsabsicht determiniert zu sein. Nach der Wiederentdeckung der Tacitus-Schriften im Humanismus beginnt ab dem 17. Jahrhundert im deutschen Sprachraum eine fast inflationäre Textproduktion über den germanischen Anführer, der nun – nach einer Periode der Latenz im Mittelalter – eingedeutscht als Hermann erneut die Bühne betritt.

Wenn ich ein poet wer, so wolt ich den celebriren. Ich hab ihn von hertzen lib. Hat Hertzog Herman geheißen, ist her vber den Hartz gewesen, so Martin Luther in einer seiner Tischreden. Der nach-lutherischen Leidenschaft, mit derer sich im 18. und 19. Jahrhundert deutsche Poeten dieser Legende im Zeichen nationaler Symbolsuche verschrieben, möchte das Seminar entlang Klopstocks „Bardit“ Hermanns Schlacht (1769) und Kleists politischem Drama Hermannsschlacht (1807) ebenso nachspüren, wie der Frage, warum gerade das so mehrdeutige und unsichere Schlachtgeschehen aus dem nicht mehr lokalisierbaren Unterholz der Geschichte zum deutschen Nationalmythos par excellence aufsteigen konnte.

Beispiel HERMANNSSCHLACHT: ein relativ folgenloser Grenzzwischenfall im römischen Imperium als nationaler Mythos, bei Kleist Guerilla. (Heiner Müller)

Allzu einfach – so zeigt es nicht zuletzt die Rezeptionsgeschichte Klopstocks und Kleists – sollte man sich diese Lektüreaufgaben nicht vorstellen – produzieren doch nicht die hintersinnigen Texte, sondern allein deren oberflächliche Deutungen gefährliche Lesarten als böse Banalitäten.

Entlang  der beiden ausgewählten Dramen sowie literaturtheoretischer und kulturwissenschaftlicher Forschungsbeiträge wird sich das Seminar einen Weg durch dieses ideologische Dickicht bahnen. Mit obligatorischer Exkursion zum Hermannsdenkmal in Detmold.

Lektüre bis zum Semesterbeginn:

Friedrich Gottfried Klopstock, Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne. (1769)

Heinrich von Kleist, Die Hermannsschlacht. (1821)

Die Textkenntnis wird durch einem kurzen Test geprüft. Alle weiteren Texte werden zu Beginn des Semesters in einem elektronischen Apparat zur Verfügung gestellt.

 

 "Auch was mit Medien“ – eine Literatur- und Mediengeschichte der Frühen Neuzeit, Mittwoch 12.00-14.00

„Es war mein besonderes Glück, in einem Jahrhundert zu leben, das die ganze Welt entdeckte – Amerika, Brasilien, Patagonien, Peru, Quito, Florida, Neu-Frankreich, Neu-Spanien, Länder im Norden, Osten und Süden. Und was ist wunderbarer als der menschliche Blitz, der an Kraft den himmlischen weit übertrifft? Und auch dich will ich nicht verschweigen, großartiger Magnet, der du uns durch die weiten Meere führst und durch Nacht und Stürme in Länder, die wir nie gekannt haben. Und dann gibt es unsere Druckerpresse, vom Genius des Menschen erdacht, von seinen Händen geschaffen, und doch ein Wunder gleich dem göttlichen.“

 Spätestens seit dem Eintritt in die Gutenberg-Galaxis, so eine der berühmten Buchdruck-Erzählungen,  verwandelt sich das Universum des Ohrs in eine kleinere Welt des Auges. Für den Medientheoretiker Marshall McLuhan und seine spekulative historische Anthropologie wird es der französische Dichter François Rabelais sein, der diese Zwei-Weltenlehre als im doppelten Wortsinn „Fallgeschichte“ verschriftlicht hat: Der Erzähler Rabelais stürzt von der mittelalterlichen Manuskriptkultur der Oralität in das Zeitalter der Typoskripte und das damit in ein Zeitalter der visuellen Distanzerfahrung, in der Wissen als Diagramm, Tabelle und Liste gedruckt zirkulieren kann.

Entlang so disparater Gegenstände wie gelehrten Kästen, Palmblättern, Fernrohren, Weinpressen, Sternen, hohlen Zähnen, Pflanzen und Inseln möchte das Seminar versuchen, jenseits dieser schon oft wiederholten Fortschrittserzählung, die sich der Entwicklung von oral zu literal organisierten Gesellschaften widmet, eine etwas andere Mediengeschichte der Literatur der Frühen Neuzeit zu erzählen. Durch bewegliche Bleiletter sind die Texte von Rist, Grimmelshausen, Rabelais, Defoe, Cervantes auf die wohl berühmteste Mittler- und Vermittlungssubstanz, dem prominentesten „Dazwischen“ der Welterkenntnis gebannt ­­– Papier. Dort thematisieren sie ihre Existenz an einer medialen Schnittstelle von gescheiterter oder gelungener Übertragung jenseits der einfachen Dichotomie Mündlichkeit / Schriftlichkeit:

"Papiers Natur ist Rauschen,

Und rauschen kann es viel,

Leicht kann man es belauschen,

Denn es stets rauschen will.

Vor dem Semesterstart zu lesen:

Michael Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. 4. Aufl. Frankfurt a. Main 2006. S. 44 – 63.

 

LEHRVERANSTALTUNGEN WS 2012/13

Proseminar: Wilhelm Meisters Lehrjahre, Mittwoch 12.00-14.00

Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre hat Gattungsgeschichte geschrieben. Von Novalis als „Wallfahrt zum Adelsdiplom“ verspottet, wurde das Buch von der Forschung lange Zeit als Idealtyp des deutschen Bildungsromans angesehen. Was aber genau „Bildung“ in Bezug auf die Lehrjahre heißen könnte ist eine vieldiskutierte Frage. Wilhelms Eingliederung in die bürgerliche Gesellschaft begleiten eine Reihe schrecklicher Verluste. Ob sich durch den Gang der Erzählung ein autonomes Subjekt konstituiert bleibt fraglich, denn eine mysteriöse Gesellschaft – die Männer vom Turm – planen Wilhelms Lebensweg minutiös.

Bildung, Autonomie und Vorsehung werden die zentralen Kategorien sein, entlang derer das Seminar den rätselhaften Bildungsweg Wilhelms interpretieren möchte. Dabei sollen Seitenblicke auf die beiden anderen großen Bildungsromane des 18. Jahrhunderts (Wielands Geschichte des Agathon und Karl Philip Moritz’ Anton Reiser) Aufschluss über den Bildungsdiskurs liefern. Das Nachleben der Lehrjahre in der deutschen Literaturgeschichte (Novalis, Thomas Mann) verweist auf die Wirkmächtigkeit des Gattungsbegriffs, vor dessen Gewalt schon Friedrich Schlegel, selbst Zeitgenosse Goethes, warnte: „Denn dieses schlechthin neue und einzige Buch, welches man nur aus sich selbst verstehen lernen kann, nach einem aus Gewohnheit und Glauben, aus zufälligen Erfahrungen und willkürlichen Forderungen zusammengesetzten und entstandenen Gattungsbegriff beurtheilen; das ist, als wenn ein Kind Mond und Gestirne mit der Hand greifen und in ein Schächtelchen packen will.“

 

Hauptseminar: Sprachverwirrung, Dienstag 10.00-12.00

„Wohlan, lasset uns hinabsteigen, und dort verwirren ihre Sprache, daß sie nicht verstehen Einer die Sprache des Andern.“ [Gen 11,7]

In Babylon, so erzählt es der biblische Mythos, betrieben die Menschen ein gewaltiges Projekt: Sie wollten einen Turm bauen, der bis an den Himmel heran reicht und zogen damit Gottes Zorn auf sich. Die Strafe folgte umgehend und konnte drastischer kaum ausfallen. Gott „verwirrte“ die Sprache der Menschen. Von nun an war Kommunikation ein prekäres Unterfangen und nur unter erheblichen Anstrengungen möglich.

Das Hauptseminar möchte den Mythos vom gescheiterten Turmbau zu Babel zum Ausgangspunkt nehmen, um dem heiklen Geschäft der Verständigung nachzugehen. Dabei treten theoretische Entwürfe über eine gemeinsame Ursprache des Menschen (Jean-Jacques Rousseau, Walter Benjamin) genauso in den Blick wie rigorose Versuche den Wuchs einer deutschen Volkssprache zu kontrollieren und Sprachpolitik (Philip von Zesen) zu betreiben. Von den Menschenversuchen des Staufers Friedrich II., über Gullivers Gelehrtensprache der Dinge, dem Bestreben die Kunstsprache Esperanto zu installieren bis zu literarischen Übersetzungsversuchen (Hölderlin, Johann Heinrich Voß, Rudolf Borchardt) und imaginären Bibliotheken (Jorge Luis Borges) wird es in diesem Seminar darum gehen, mit welchem großen Aufwand Ordnung in das Sprachenchaos gebracht und immer wieder über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Verständigung nachgedacht wird.

Quelle: Deutsche Fotothek, Dresden
Anschrift
 
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Sprechstunde: Mittwoch 16:00–18:00
 
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