Informationen zum Forschungsprojekt

Erwerbsverläufe in Gelsenkirchen

Eine Befragung von IG Metall Senioren im Ruhestand

Fragestellung

Ausgehend von der Diskussion um die "Erosion des Normalarbeitsverhältnisses" hat sich während der vergangenen 20 Jahre in weiten Teilen von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit die Überzeugung durchgesetzt, Erwerbsverläufe von Arbeitnehmern seien im Zuge des Übergangs von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft generell brüchiger und instabiler geworden. Kennzeichnend für diese Debatte ist bspw. die Diagnose, dass es den "Job fürs Leben" nicht mehr gebe. Unterstellt wird hierbei, dass er früher prägend für das Beschäftigungssystem gewesen sei.

Sind die empirischen Befunde zur Arbeitsmarktmobilität in den vergangenen drei Jahrzehnten schon relativ rar, so liegt für die Zeit vor den 1970er Jahren noch weniger Material vor, so dass eine Aussage wie "den Job fürs Leben gibt es heute nicht mehr - aber früher war er verbreitet" allenfalls durch anekdotische Evidenz zu stützen ist. Tatsächlich weiß die Arbeitsmarktforschung bis heute relativ wenig darüber, wie es "früher" gewesen ist. Dieses Wissensdefizit war der Anlass, mittlerweile im Ruhestand befindliche Arbeitnehmer nach ihrem Erwerbsverlauf zu fragen. Von besonderem Interesse war dabei, Informationen über zurückliegende Arbeitgeber- und/oder Berufswechsel zu erhalten und diese Befunde mit der "Lebensstellungs-These" zu konfrontieren

Vorgehen

Anlass zu diesem Eigenprojekt war die Einladung der IG Metall, vor der Seniorengruppe über die "Zukunft der Erwerbsarbeit" zu referieren. Diese Einladung wurde vom IAT mit der Bitte beantwortet, die Seniorengruppe möge Auskunft geben über die Vergangenheit ihrer Erwerbsarbeit. Zwischen August und September 2002 hat das IAT eine Befragung von Mitgliedern der "IG Metall Seniorengruppe" Gelsenkirchen vorgenommen. Zu diesem Zweck wurde an 148 Mitglieder der IG Metall Seniorengruppe Gelsenkirchen ein Fragebogen mit ausführlichem Begleitschreiben und frankiertem Rückumschlag verschickt. Die angeschriebenen Personen wurden gebeten, den Fragebogen innerhalb der folgenden 14 Tage ausgefüllt an das IAT zurückzusenden. Für Rückfragen war eine Telefonnummer angegeben. Der Fragebogen enthielt 14 Fragen zur Person und zum zurückliegenden Erwerbsverlauf. Insgesamt sind von den 148 verschickten Fragebögen 109 innerhalb der Beantwortungsfrist zurückgesendet worden, was einer erfreulich hohen Rücklaufquote von rund 74 Prozent entspricht.

Ergebnisse

Die leitende Frage der Untersuchung lautete: Lässt sich mit der "Lebensstellungs-These" tatsächlich die zurückliegende Lebensrealität der Befragten charakterisieren? Zwar lassen sich keine gesicherten generalisierbaren Aussagen aus den nicht-repräsentativen Ergebnissen ableiten, gleichwohl müsste sich der Erwerbsverlauf nahezu aller hier befragten ehemaligen Beschäftigten der Metallbranche mit dem "Lebensstellungsmuster" adäquat beschreiben lassen - zumal deren Berufsleben sich insbesondere im Zeitraum zwischen den 40ern und den beginnenden 80er Jahren abgespielt hat, als das Beschäftigungsmuster der Industriegesellschaft (noch) weitgehend ihre Gültigkeit besessen haben müsste.Die Ergebnisse der nicht-repräsentativen Befragung der IG-Metall Senioren aus Gelsenkirchen werfen ein neues, interessantes Licht auf die These einer früher angeblich allgemein üblichen "Lebensstellung" in einem einzigen Betrieb und im immer gleichen Beruf. Der selektive Ausschnitt zeigt, dass auch zurückliegende Erwerbsverläufe durch ein nicht unbeträchtliches Maß an Mobilität und Veränderung gekennzeichnet gewesen sind. So hat etwa jeder Dritte Befragte während seines Berufslebens mindestens vier Mal den Arbeitgeber gewechselt und jeder Fünfte berichtet von mehreren beruflichen Veränderungen.

Bislang ist insbesondere die These bezüglich des (im Vergleich zu ‚früher') angeblich beschleunigten Arbeitsmarktgeschehen unter Druck geraten, indem nachgewiesen werden konnte, dass im Verlauf der 1970er, 80er und 90er Jahren bspw. die Arbeitsmarktmobilität in Westdeutschland nicht zugenommen hat. Aber vielleicht stimmt noch nicht einmal die Folie, auf der eine Vielzahl öffentlichkeitswirksamer Gegenwartsdiagnosen und Zukunftsprognosen in den letzten Jahrzehnten entwickelt worden sind? Vielleicht ist der Ausgangspunkt vieler auf den ersten Blick einleuchtend erscheinender Szenarien zur "Zukunft der Arbeit" falsch, da wir falsche Vorstellungen über die "Vergangenheit der Arbeit" haben? Vielleicht gibt es nicht nur keine Beschleunigung des Arbeitsmarktgeschehens, sondern vielleicht hat es auch die "Lebensstellung" als beherrschendes Erwerbsverlaufsmuster in Wahrheit nie gegeben? Die vorgelegten Ergebnisse können hierauf keine Antwort geben, machen jedoch die Notwendigkeit einer möglichst umfassenden und repräsentativen erwerbsverlaufsgeschichtlichen Forschung deutlich.

Publikationen zum Projekt

Erlinghagen, Marcel / Siemes, Sabine, 2003: Der "Job fürs Leben" - Mythos oder reales Kennzeichen vergangener Erwerbsverläufe? Ergebnisse einer nichtrepräsentativen Befragung von Gewerkschaftsmitgliedern im Ruhestand. In: Arbeit : Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik 12 (2), S. 165-172

Erlinghagen, Marcel / Siemes, Sabine, 2002: Der "Job fürs Leben" - mehr als ein Mythos? Ergebnisse einer nicht-repräsentativen Befragung von Gewerkschaftsmitgliedern im Ruhestand. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. IAT-Report Nr. 2002-10 | Lesen

Vorträge zum Projekt

Prof. Dr. Martin Brussig: Erwerbsverläufe von Frauen und Männern mit niedrigen Altersrenten. Grundsatzfragen der Alterssicherung, Erkner, Deutsche Rentenversicherung, 16.05.2019

Projektdaten

Laufzeit des Projektes
01.07.2002 - 30.11.2002

Forschungsabteilung

Leitung:
Prof. Dr. Matthias Knuth

Bearbeitung:
Prof. Dr. Marcel Erlinghagen, Sabine Siemes