Exkursion nach Berlin 22.-24. März 2013 „Unter den Augen der Löwen der Ischtar“

Angeregt durch die Israel-Exkursion im September 2012 entstand die Idee, sich in den „näheren“ Orient zu begeben und die Zeugnisse der Hochkulturen Ägyptens und des Zwei-Strom-Landes, aus den sumerischen Stadtstaaten, aus Assyrien und Babylonien und aus dem heutigen Syrien und der Türkei in den Staatlichen Museen Berlins zu uns sprechen zu lassen. Durch sie wird deutlich, in welchem politischen und religiösen Horizont die alttestamentlichen Texte entstanden sind.

Gemeinsam werden wir die Sonderausstellung „Im Lichte von Amarna – 100 Jahre Fund der Nofretete“ im Ägyptischen Museum besichtigen und in der Vorderasiatische Ausstellung im Pergamonmuseum unter den Augen der Löwen der Ischtar die Prozessionsstraße in Babylon entlang wandeln. Auch ein Besuch im Jüdischen Museum und die Begegnung mit einer Jüdischen Gemeinde in Berlin werden auf dem Programm stehen.

 

Bericht nach der Exkursion Berlin – mit offenen Augen die Welt verstehen

Wie jede Reise bietet eine Exkursion Entdeckungspotential und lockt die Besucher mit Unbekannten. So präsentiert sich auch Berlin in voller Pracht, die es zu entdecken gilt: angefangen am vom Brandenburger Tor über die Museumsinsel bis hin zu den Bauarbeiten an der unterirdischen U-Bahnstrecke U5. Die Staatlichen Museen auf der Museumsinsel wurden für uns zum Ausgangspunkt einer Entdeckungsreise durch Zeit und Raum.

Als Meisterwerk der Baukunst des 6. Jh. v.Chr. gewährt das Ischtar-Tor am Ende der Prozessionsstraße Einlass in die Welt des Alten Orients, der Assyrer, Babylonier und Perser. Die Kulturen der antiken Welt wecken unser Interesse nicht nur, weil wir uns als Theologen für alte Texte leicht begeistern lassen und uns an toten Steinen nicht sattsehen können, sondern weil sie uns auch in der Welt der Bibel begegnen und diese lebendig werden lassen.

Bei dem Versuch, die Geheimnisse der biblischen Texte zu entziffern, werden wir in ihre Welt hineingezogen, die uns aus heutiger Sicht oft als fremd oder unverständlich erscheint. Darin begegnen uns der Leviatan, der in dem Urozean herumschwimmt, Götter, die sich über andere Götter emporheben, Könige und Königreiche, die in die Geschichte der Welt eingehen oder in Vergessenheit geraten. Mitten in dieser Geschichte und diesen Geschichten entsteht das Volk Israel; es etabliert sich auf der Suche nach der eigenen Identität vor dem Hintergrund der lebensbedrohlichen Fremdherrschaften. Die biblischen Geschichten sind das Resultat literarischer Bearbeitung der von den Autoren erlebten Wirklichkeit, die nicht von ihrer Umwelt losgelöst, sondern nur in dem Kontext der Welt, in der sie entstehen, zu verstehen sind. Die Autoren beschreiben die Welt, nicht wie sie ist, sondern wie sie sie sehen. Die Auseinandersetzung mit den Weltvorstellungen und Mythen und der Geschichte der Nachbarvölker eröffnet neue Betrachtungsperspektiven auf die biblischen Texte, zeigt die Lebenswelt der damaligen Welt und hilft, die Geschichte zu rekonstruieren. Die Wahrnehmung der biblischen Aussagen als Teil eines größeren Ganzen erlaubt, die Welt der Texte mit anderen Augen zu sehen, sie zu deuten, und eröffnet Möglichkeiten, den eigenen Platz darin zu finden.

Berlin bietet durch die Vielfalt an Museen ein mannigfaltiges Angebot an Sehenswerten. Doch das Besondere dieser Exkursion war nicht die quantitative Teilnahme an Museumsgängen, sondern mehr die gemeinsam geteilten Erlebnisse und die individuellen Beiträge, wodurch jeder Einzelne zum Teil der Exkursion wurde.

(Magdalena Gadomski)

Der Blick wandte sich auf der Exkursion jedoch nicht nur auf die Geschichte, wie sie in den Ausstellungen der Museumsinsel zu finden ist. Gerade mit Blick auf das Alte Testament sind der Kontakt und der Dialog mit dem Judentum von großer Bedeutung.

In Berlin bietet sich dafür vor allem das Jüdische Museum an. In dem architektonisch aussagekräftigen Bau sind auf verschiedenen Etagen Ausstellungsstücke zur jüdischen Geschichte in Deutschland untergebracht. Wir näherten uns dem Judentum während der Führung jedoch auf eine ganz andere Weise. Unter dem Blickwinkel auf alle drei abrahamitische Religion, Judentum, Christentum und Islam, verglichen wir unterschiedliche Merkmale in den Schöpfungserzählungen, im Umgang mit den Heiligen Schriften und Ritualen. So erschloss sich uns nicht nur das Judentum in einer neuen Perspektive, sondern auch die anderen beiden Religionen konnten auf neue Weise zugänglich werden. Besonders die Sonderausstellung „DIE GANZE WAHRHEIT ... was Sie schon immer über Juden wissen wollten“ konnte mit interessanten und verblüffenden Antworten auf typische Fragen und Vorurteile gegenüber dem Judentum aufwarten.

Noch besser als im Museum kann man sich einer Religion dann zuwenden, wenn man an der gelebten und ausgeübten Liturgie teilnimmt. Daher besuchten wir die Kabbalat Shabbat, den Eröffnungsgottesdienst des Shabbat, in der Synagoge in der Pestalozzistraße. Auch wenn man schon verschiedene Synagogengottesdienste besucht hat, ist es doch jedes Mal spannend zu sehen, was die Gemeinde anders macht. In der Berliner Gemeinde überraschten vor allem das Orgelspiel und die gute Chorschola, auch wenn es dadurch schwieriger wurde, mitzusingen. Der Rabbiner, der über die Verantwortung und die Aufgaben der Frau in der Familie, der Gemeinde, in der Gesellschaft und besonders am bevorstehenden Pessach-Fest redete, verblüffte gerade die männlichen Teilnehmer durch seine progressiven Aussagen zur Stellung der Frau. Sowas in einer katholischen Kirche zu sagen, wäre mal etwas Neues!

So konnten wir das Judentum wieder einmal von seiner vielfältigen Seite kennenlernen, wodurch erneut der Spruch traf: Frage zwei Juden und du erhältst drei verschiedene Antworten!

(Stefan Nieber)