Institut für Philosophie - Nachruf

Zum Tode von Professor Scherer

Am 13. Mai 2012 starb der emeritierte Universitätsprofessor der Philosophie Dr. Georg Scherer im Alter von 84 Jahren. Scherer studierte Philosophie in Bonn und Tübingen. In seiner Bonner Zeit lernte Scherer mit später berühmt gewordenen Philosophieprofessoren wie Jürgen Habermas, Karl-Otto Apel und Otto Pöggeler in den Seminaren von E. Rothacker, O. Becker und S. Behn. 1951 wurde er mit einer Dissertation über die Philosophie Max Schelers bei S. Behn promoviert. Anschließend war Scherer in verschiedenen Einrichtungen der Erwachsenenbildung tätig, bis er 1960 Direktor der Kath. Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim / Ruhr wurde. Diese Funktion übte er neben seiner späteren Tätigkeit als Philosophieprofessor bis Ende der 80er Jahre aus. Scherer war ein durchaus kritischer Katholik. Sein Auftritt auf dem Essener Kirchentag 1968 als Kritiker der gerade erschienenen Enzyklika „Humanae Vitae“ hatte wesentlichen Einfluß auf die Königsteiner Erklärung der Deutschen Bischöfe. 1964 wurde Scherer als Nachfolger von Josef Pieper Professor für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Ruhr / Essen. Über die institutionellen Wandlungen der Essener Hochschulszene hinweg (1972 Gründung der Universität-Gesamthochschule Essen; 2003 Gründung der Universität Duisburg-Essen) blieb Scherer Essen treu. Auch nach seiner Emeritierung 1993 hat Scherer fast in jedem Semester ein volles Vorlesungsprogramm angeboten. In der Öffentlichkeit besonders bekannt wurde er durch das zusammen mit dem Mediziner M. Blank gegründete „Medizinisch-Philosophische Seminar“, einem interdisziplinären Gesprächsforum für die Grundfragen des menschlichen Lebens. Das Seminar führte in 35 Jahren 980 Veranstaltungen durch und hatte mehr als 100.000 Zuhörer. Für diese Arbeit wurde er im laufenden Sommersemester vom Dekan der Medizinischen Fakultät besonders geehrt.

Daneben ist Scherer einem breiten Publikum durch eine große Zahl von Vorträgen bekannt geworden; er verstand es in einzigartiger Weise, die großen Fragen der Philosophie in allgemeinverständlicher, alltagnaher Weise zu vermitteln. Viele Studenten blieben mit ihm auch über den von ihm gegründeten Verein „Texelgespräche“ in Verbindung, deren Vorsitzender er über Jahrzehnte war, und der sich neben der Beschäftigung mit Fragen von Philosophie und Kunst die Pflege der deutsch-niederländischen Freundschaft zum Ziel gesetzt hatte.

1998 wurde Scherer mit der Ehrennadel der Stadt Oberhausen für seine Tätigkeit als Vorsitzender (seit 1952) des Katholischen Bildungswerkes Oberhausen ausgezeichnet. Papst Johannes Paul II. verlieh ihm 1999 die Auszeichnung „Ritter des Ordens des heiligen Gregor des Großen“. Vor allem für seine Verdienste in der Erwachsenenbildung erhielt Scherer 2008 das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Scherer hat über 20 Bücher veröffentlicht sowie eine große Zahl von Aufsätzen u.a. zu Fragen der Philosophischen Anthropologie, der Religionsphilosophie und der Philosophiegeschichte des Mittelalters. Auch zu Alltagsfragen wie der Philosophie des Sports (bis hin zu Überlegungen, die Macht der Fußballschiedsrichter ähnlich wie beim Tennis einzuschränken), der Medizinethik und der menschlichen Sexualität hat er Stellung bezogen. Ferner publizierte er einige Gedichtbände. Scherers philosophisches Programm ist durch den Titel der von Carl Friedrich Gethmann und Peter L. Oesterreich herausgegebenen Festschrift zu seinem 65. Geburtstag Person und Sinnerfahrung (Darmstadt1993) gut zusammengefaßt. Es geht ihm um eine metaphysische Anthropologie, die den besonderen Status des Menschen gegenüber anderen Lebenswesen im Phänomen der Sinnfrage und der (ausbleibenden) Sinnerfahrung sieht. Von daher erschließt Scherer Fragen der Anthropologie wie die Leiberfahrung, die Erfahrung der Sexualität oder die Erfahrung des Todes. Durch seine universitären Lehrveranstaltungen hat Scherer viele Menschen geprägt, die heute in der akademischen Philosophie, im schulischen Lehramt oder in anderen Lebensbereichen tätig sind, von denen der Kabarettist Dieter Nuhr wohl der bekannteste ist.

Zur Persönlichkeit Scherers gehört seine Liebe zum Fußball. In seiner Jugend bis zu einer schweren Knieverletzung aktiver Fußballer (Mittelfeld) beim Wuppertaler Spielverein, galt sein sportlicher Enthusiasmus später dem Verein seines Wohnortes Oberhausen „RWO“. Lange Jahre war Scherer Vorstandsmitglied und Spielerbetreuer; bis zu seinem Tode war er Vorsitzender des Ehrenrates von Rot-Weiß Oberhausen. Bei besonderen Anlässen trat er zum Vergnügen der Studenten am Katheder in der Universität im Mannschaftstrikot von RWO auf; in dieser Montur würdigte ihn „Die Zeit“ einmal als Original des Ruhrgebiets.

1954 heiratete Scherer die Malerin Hannelore geb. Woller (seitdem Hannelore Scherer), mit der er vier Kinder hatte.

Mit Georg Scherer verliert die Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen einen herausragenden Wissenschaftler; die Menschen in der Region verlieren einen populären Philosophen, der vor allem durch sein Engagement in der Erwachsenenbildung viele Menschen erreichte und prägte; das Ruhrgebiet verliert ein Original, das die Bodenhaftung trotz oder gerade wegen seiner Orientierung an den großen Fragen der Philosophie nie verloren hat.

CFG