Die Validität von Prognosekriterien bei psychisch kranken Straftätern (§ 63 StGB)

PD Dr. med. Dieter Seifert, Dipl.Psych. Stefanie Bolten, Dipl.Psych. Simone Möller-Mussavi

Zusammenfassung:

Die valide Gefährlichkeitseinschätzung psychisch kranker Rechtsbrecher ist seit Jahrzehnten eines der wichtigsten und zugleich äußerst komplexen Themen der Forensischen Psychiatrie. Insbesondere mangelt es unverändert an empirisch gesicherten klinischen Prognosemerkmalen. Diese empirische Untersuchung hat die Relevanz während der Unterbringung beschriebener klinisch-psychopathologischer Merkmale analysiert und zudem historische und biologische Prognosekriterien zur Gefährlichkeitseinschätzung mit einbezogen.
In der prospektiven Multicenter-Studie (23 forensische Kliniken/Abteilungen aus 7 Bundesländern) konnten insgesamt Daten von 333 aus dem Maßregelvollzug entlassenen Patienten rekrutiert werden. Die von den Therapeuten ausgefüllten klinischen Prognosebögen und die eigens erhobenen anamnestischen sowie biologischen Daten wurden mittels deskriptiver und multivariater Analysen untersucht.
Es fand sich eine Vielzahl aussagekräftiger klinischer Prognosekriterien, während vergleichsweise wenige historische sowie biologische Merkmale dazu beitrugen, den „gefährlichen" vom „ungefährlichen" Patienten zu unterscheiden. Mittels den in diesem Forschungsbereich üblichen statistischen Verfahren (ROC-Analysen) wurde allein mit den klinischen Prognosekriterien eine zumindest gleich hohe bzw. z.T. höhere Trefferquote erzielt als mit den derzeit gebräuchlichen Prognose-Checklisten (z.B. HCR-20 oder PCL-R).
Schlussfolgernd ergeben sich einige Unterschiede zu derzeit bekannten Prognosescores und der Literatur. So haben demnach bestimmte, in den forensischen Lehrbüchern aufgeführte Kriterien (u.a. Reue über die Tat, Krankheitseinsicht, Deliktbearbeitung, Gefühlsarmut) - zumindest für diese Stichprobe - keine prognostische Relevanz. Nicht zu vernachlässigen sind des Weiteren relevante Nachsorgeaspekte sowie ein fortlaufender Prognoseprozess auch nach der Entlassung aus einer forensischen Klinik. Dies lässt den Schluss zu, dass die zum Ende der stationären Unterbringung eingeschätzte Legalprognose von der Qualität der ambulanten Nachsorge forensischer Patienten hinsichtlich ihrer Treffsicherheit limitiert wird.

Publikationen:

  • Seifert, D., Jahn, K., & Bolten, S. (2001). Zur momentanen Entlassungssituation forensischer Patienten (§ 63 StGB). Fortschr. Neuro. Psych. 06 (69), 245-255
  • Seifert, D. & Möller-Mussavi, S. (2005a) Aktuelle Rückfalldaten der Essener prospektiven Prognosestudie. Werden Deliktrückfälle forensischer Patienten (§ 63 StGB) seltener? Fortschr Neuro Psychiat, 73: 16-22.
  • Seifert, D., Möller-Mussavi, S., Wirtz, M. (2005b) Risk assessment of sexual offenders in German forensic institutions In: International Journal of Law and Psychiatry, 28 (2005) 650-660
  • Seifert, D., Möller-Mussavi, S (2006): Führungsaufsicht und Bewährungshilfe – Erfüllung gesetzlicher Auflagen oder elementarer Bestandteil forensischer Nachsorge? NStZ, 3: 131-136.

Förderung:

Der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Se 865/1-1 bis 1-3)

Kontakt

PD Dr.med. Dieter Seifert

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