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John
Dowland und die Musik im elisabethanischen Zeitalter
Einleitung
Die
bekanntesten englischen Musiker dürften heute im allgemeinen
Bewusstsein die Beatles sein. Im Bereich der sogenannten ernsten
Musik hat sich England nie durch Klassiker wie "unsere"
Beethoven, Haydn oder Mozart hervorgetan. Der Interessierte kennt
vielleicht die Namen Britten, Purcell oder gar Vaughan-Williams.
Kaum bekannt ist aber eine Zeit, in der die Musik der Insel
zumindest in einigen Teilgebieten eine Blüte, wenn nicht gar
eine führende Stellung in Europa erlebte. Gemeint ist das so
genannte elisabethanische Zeitalter, dem hier nicht nur die
Regierungszeit der Königin Elisabeth I. (1558-1603)
zugerechnet werden soll, sondern auch die Jahrzehnte davor und
danach.
Der
Aufschwung der englischen Musik im 16. Jahrhundert
Will
man die Grundlagen für den Aufschwung der englischen Musik
zu jener Zeit erklären, muss man auf einige politische und
geistesgeschichtliche Veränderungen hinweisen. Um 1500 lässt
man traditionellerweise die Zeit des Mittelalters enden. Äußere
Daten sind die Entdeckung Amerikas durch Christobal Colombo 1492,
die Reformation des Martin Luther 1517 und der Einfluss des
Humanismus (Erasmus von Rotterdam). Diese Ereignisse gaben dem
gesamten kulturell-geistigen Leben des damaligen Europas neue
Richtungen und Impulse. Die weltliche Seite sämtlicher Kunst
stärkte sich gegenüber der geistlichen. Günstige
Faktoren, die England eine stärkere Teilnahme an der
Entwicklung des Kontinents ermöglichten, sind: 1485 endeten
die langen Bürgerkriege, mit den Tudors kam eine Dynastie
auf den Thron, die dem Land eine relative innere Stabilität
ermöglichte und es langsam zu außenpolitischer
Bedeutung führte. Der zweite Tudorkönig, Heinrich VIII.
(1509-1547) hatte eine besondere Vorliebe für Musik und
andere Formen der Kunst, ermöglichte durch seine großzügigen
Ausgaben dafür das Entstehen eines besonderen
Kulturbetriebes am englischen Hof. Dann führte sein in den
1530er Jahren vollzogener Bruch mit dem Papst zur Gründung
der anglikanischen Staatskirche, größerer nationaler
Eigenständigkeit und Orientierung am reformierten Lager.
Schließlich ist mit dem Jahr 1588 der englische Sieg über
die spanische Armada zu erwähnen, der England auf den Weg
zur Weltmacht brachte. Zieht man hier die kurz angedeuteten
Ereignisse und Entwicklungen in Betracht, wird vielleicht
verständlich, dass für die Entwicklung der englischen
Musik Ende des 16. Jahrhunderts weitaus günstigere
Bedingungen bestanden als etwa 100 Jahre zuvor.
Die
Musik zu Ende des 16. Jahrhunderts
Die weltliche Musik
jener Zeit florierte in drei Bereichen: Virginalmusik,
Lautenmusik und mehrstimmiger Gesang. Während die
Virginalmusik bereits in der etwas älteren Tradition der
Tasteninstrumente (Orgel...) steht und in England keine
charakteristische Entwicklung zeigte, machen die beiden anderen
Arten doch den besonderen Reichtum der elisabethanischen Zeit
aus. Das Madrigal ist die damals am weitesten entwickelte Form
der Vokalmusik. Es entstand wohl in Italien, wo u. a. Petrarca
einen Einfluss auf seine frühe Entwicklung hatte. Gegen 1550
stieg in England das Interesse an der Herausgabe italienischer
Madrigale und in der Folge wuchs dort eine Generation
eigenständiger Madrigalkomponisten heran, von der
beispielsweise William Byrd erwähnt werden sollte
(Publikationen seit 1588). Das Madrigal ist mehr-, meist
vierstimmig gesetzter Gesang ohne Instrumentalbegleitung, der
Text ist oft eine literarische Vorlage (Sonett, Psalm...). Die
Lautenmusik teilte sich auf in Tänze und lautenbegleitete
Sololieder. In ihrer Frühform waren diese Sololieder erst
einmal umgesetzte Madrigale, die Vierstimmigkeit wurde meist
durch Gesang, zweistimmige Lautenbegleitung und zusätzliche
Viole erzielt. Die ersten Publikationen von Liedern zur Laute
beweisen ihre Abstammung vom Madrigal dadurch, dass alternativ
der vierstimmige Vokalsatz und der Satz für eine Singstimme,
Laute und Viole angeboten wurde. Bald entwickelten sich diese
Lautenlieder zu einer Eigenständigkeit, der Lautenpart wurde
mehr der Eigenart des Instrumentes gerecht. Für diese Art
von Lied kam der Name "Ayre" (Air) auf, die englische
"Ayre" stellt nun den Höhepunkt jener Entwicklung
der englischen Musik am Ende des 16. Jahrhunderts dar. Diese
Phase wurde durch zwei Veröffentlichungen markant
eingeleitet, William Barleys "New Booke of Tabliture"
(1596) und John Dowlands "First Booke of Songes or Ayres"
(1597).
Die
Entwicklung der Lautenmusik
Der Beginn der
Ayre-Veröffentlichungen 1596/97 erscheint sehr plötzlich.
Um zu erklären, warum die Lautenmusik in England gerade zu
jenem Zeitpunkt einen so bedeutenden Schritt nach vorn machte,
kann man einerseits auf die bereits dargestellten Entwicklungen
des 16. Jahrhunderts verweisen, die die Basis für eine
Entwicklung der Musik an sich legten. Zum andern muss der Weg
betrachtet werden, den die Entwicklung der Lautenmusik nahm. Die
Laute war zunächst nach 1300 von den Arabern nach Italien
und Spanien gebracht worden, etwa um 1500 war die Laute in Europa
voll entwickelt. Die Lautenmusik nahm ihren Ausgang von Italien,
verbreitete sich dann nach Spanien und Frankreich, nach
Deutschland und den Niederlanden und erst dann nach England, das
als Insel eben doch etwas abgelegen war. Dazu kam, dass für
die schriftliche Verbreitung von Lautenmusik eine besondere
Notationsweise erforderlich war, die sich erst im Verlauf des 16.
Jahrhunderts verbreitete. Die in England dann übliche
Lautentabulatur sah etwa so aus: den sechs Saiten des Instruments
( G-C-F-A-D-C ) entsprachen sechs Linien. In diese Linien wurden
dann Buchstaben geschrieben, die angaben, welcher Bund gegriffen
wurde. Ein a bezeichnete die freie Saite, b den Griff im
ersten Bund usw.. Besondere Zeichen unter dem Liniensystem gaben
die Länge des Tones oder Akkordes an. Das gleichzeitige
Erfülltsein aller dieser Voraussetzungen ermöglichte
also den Beginn der englischen "Ayre". Nicht zu
vergessen ist aber der Einfluss von John Dowland auf diese
Entwicklung. Er gilt als größter der englischen
"lutenist songwriters" und trug durch seine auf den
Kontinentalreisen gewonnenen Erfahrungen entscheidend zu dem
Beginn der englischen Eigenentwicklung bei.
Leben
und Wirken von John Dowland
John Dowland wurde Ende
1562 in Dalkey, County of Dublin, also Irland, geboren. Er stammt
aus einer Familie, die wohl um 1500 von England nach Irland
übergesiedelt war. Von daher betrachtete sich Dowland
zumindest als halber Engländer. Über seine Jugend
und seine Familie machte er praktisch keine Angaben. Man meint,
dass nach seinem sozialen Aufstieg seine Herkunft aus einer
Handwerkerfamilie nicht mehr der Erwähnung würdig war.
Nach dem Tode des Vaters 1577 kam John bald nach England. 1580
ging er als Diener des Sir Henry Cobham - Botschafter? - nach
Paris. Dort erst soll er zum katholischen Glauben übergetreten
sein. 1583/84 kam er nach England zurück und wandte sich nun
offenbar stärker der Musik zu. Im Jahre 1588 wurde er,
gemeinsam mit Thomas Morley, Bachelor of Music in Oxford.
1590
soll erstmals ein Lied von Dowland bei einer Hofzeremonie
vorgetragen worden sein und 1592 hat er erstmals selbst vor der
Königin gespielt. Im selben Jahr steuerte er einige
Kompositionen zu Thomas Easts "Whole Booke of Psalmes"
bei. 1594 bewarb sich John Dowland um eine frei gewordene
Stelle als Hoflautenist bei der Königin. Er wurde jedoch
abgelehnt. Mehrere Gründe erscheinen dafür möglich:
sein katholischer Glaube, seine Persönlichkeit an sich (dazu
später etwas mehr) oder eine gewisse Sparsamkeit der
Königin, die bei weitem nicht so großzügig war
wie der schon erwähnte Heinrich VIII. Als Reaktion auf diese
Ablehnung ist Dowlands Europareise zu verstehen, die er 1595
machte. Er machte zunächst Station beim Herzog von
Braunschweig, dann beim Landgrafen von Hessen. In beiden fand er
großzügige und künstlerisch aufgeschlossene
Gastgeber. Da er Italien kennen lernen wollte, reiste er über
die Alpen weiter. Seine Stationen waren: Venedig, Padua, Genua,
Ferrara, schließlich Florenz mit dem Hof der Medici.
Dowland konnte bei berühmten italienischen Musikern lernen
z. B. Marenzio. Er brach jedoch seinen Italienaufenthalt ab, als
er in Berührung mit Kreisen englischer Exil-Katholiken kam,
die obskure Verschwörungspläne hegten. Um nicht in die
Sache mit hineingezogen zu werden, reiste er über Nürnberg
wieder zurück. Noch in Deutschland erreichte ihn ein Brief
seines Freundes H. Noel aus England. Dieser riet ihm,
zurückzukehren, da es mittlerweile Leute gebe, die ihm
wohlgesinnt seien und ihm eine Anstellung am Hofe vermitteln
könnten. Dowland ging darauf ein, doch kurz vor seiner
Rückkehr starb Noel - ohne Fürsprecher konnte er auch
diesmal keine Anstellung bei Elizabeth erreichen. Aus dieser
Situation kam dann wohl sein Entschluss, das "First Booke"
zu veröffentlichen. Er hatte mittlerweile daheim und im
Ausland einen gewissen Ruhm erreicht, sein Name wurde in allerlei
Publikationen erwähnt, und er wollte nach dem erneuten
Fehlschlag seine Popularität nicht verlieren. Im "First
Booke of Ayres" herrschen neben einigen Galliards (einer Art
Tanz) bereits melancholische Stücke vor, die Schlaf und Tod
zur zentralen Thematik machen, was einem Zug von Dowlands Wesen
an sich entsprach. 1598 machte ihn König Christian IV.
von Dänemark zu einem seiner Hofmusiker. Das Jahresgehalt
betrug 500 Taler, was der Bezahlung eines Admirals gleichkam. Er
blieb bis 1606 in Dänemark mit einer längeren
Unterbrechung 1603/04. Dowland ging nach England um unter anderem
sein "Third and Last Booke of Songs or Ayres"
herauszugeben; das "Second" war bereits 1600
erschienen. 1606 kehrte er dann endgültig nach England
zurück, nachdem seine anscheinend recht leichtsinnige
Finanzpolitik zum Bruch mit dem dänischen König geführt
hatte. Dowland fand in England längere Zeit Anstellung
bei Lord Walden. Sein finanzieller Standard wird nicht mehr so
hoch gewesen sein wie im Dienste des Dänenkönigs, aber
man weiß, dass Familie Dowland zu jener Zeit ein Haus
besaß. Eine eigenartige Stellung scheint übrigens Frau
Dowland gehabt zu haben, die nur ab und zu in Briefen erwähnt
wurde und ihren Mann auch bei längeren Auslandsaufenthalten
wie in Dänemark nicht begleitete.
Zu jener Zeit
begann Dowland, sich heftig über seine Mitwelt zu beklagen.
Einmal wandte er sich scharf gegen Tobias Hume, der seit seinem
"First Part of Ayres" 1605 die "lyra viol"
für die Liedbegleitung der Laute glaubte vorzuziehen zu
können. Ferner kritisierte er Sänger, die durch zu
gekünstelte Vortragsweise den Liedern schadeten, einen
"exhibitionism on the part of the performer" begingen.
Außerdem missfiel ihm die junge Generation der "professors
of the lute", die ihn bereits als altmodisch bezeichneten,
denen er jedoch vorwarf, sich zuviel theoretisch und zu wenig
praktisch mit der Lautenmusik zu beschäftigen. Man meint,
dass seine ganzen Querelen in der Zeit um 1610 vielleicht immer
noch eine Reaktion auf seine Ablehnung am englischen Hof und die
Bevorzugung anderer, oft ausländischer, Musiker war. Neben
seiner offenbar ohnehin melancholischen Natur wird auch darauf
verwiesen, dass Dowland mit zunehmendem Alter die Abnahme der
eigenen Entwicklungsfähigkeit wahrgenommen haben muss.
Dennoch genoss er auch zu jener Zeit noch einen bedeutenden
Ruf, seine Bücher erlebten dritte und vierte Auflagen und
einige Künstler-Kollegen fühlten mit ihm, wie unter
anderem ein Gedicht von Henry Peacham aus dem Jahre 1612
beweist:
Seitdem, alter Freund, deine Jahre dich
weiß gemacht haben und du deinen Frühling für
andere verbraucht hast: Wie wenige beachten dich von denen,
die du erfreutest und von nah und fern einst kamen, um dich
singen zu hören. Undankbar unsere Zeit und ohne Sinn
für Wert, dass sie uns hungern lässt, wenn sie
unsere Blumen geerntet hat.
Am 28.10.1612 wurde John
Dowland dann doch noch Hoflautenist unter James I. (1603 -
1625). Mit dem Erreichen dieses Zieles verlor Dowland
wahrscheinlich den Impuls für weiteres großes
Schaffen, 1612 erschien sein letztes Buch "A Pilgrimes
Solace". Die nächsten Jahre scheinen für ihn
friedvolle gewesen zu sein, kein besonderes Ereignis ist mehr zu
verzeichnen. Er spielte noch bei den Begräbnisfeierlichkeiten
für James I. im Mai 1625. Im Januar 1626 starb John Dowland,
der bei seinen Zeitgenossen als der vollendetste Lautenist seines
Landes galt und auch von den heutigen Kritikern gemeinsam mit
Henry Purcell (1659 - 1695) als der bedeutendste englische
"songwriter" überhaupt bezeichnet wird.
An
die Stelle seines Vaters trat Robert Dowland (1588 - 1641) der
bereits 1610 "A Musicall Banquet" veröffentlicht
hatte, das auch italienische, französische und spanische
Lieder enthielt und auf den von da an stärker werdenden
italienischen Einfluss auf die "Ayre" hinwies. Über
weitere Nachfahren der Familie Dowland ist recht wenig zu
erfahren, zumindest gab es unter ihnen keine bedeutenden Musiker
mehr.
Die
soziale Stellung des Musikers jener Zeit
Ganz
allgemein lässt sich sagen: aus dem umherziehenden
"minstrel" des Mittelalters wurde im Lauf der Zeit ein
professioneller Musiker, der eine feste Anstellung hatte, bei
Höfen, Adligen und in zunehmendem Maße auch bei
Städten. Von diesen Musikern wurde erwartet, dass sie bei
bestimmten Gelegenheiten spielten. Das Verhältnis der
"Herrscher" zu den Musikern mag ein Auszug aus John
Dowlands Nürnberger Brief vom 10.11.1595 illustrieren:
"Als
ich zum Herzog von Braunschweig kam, behandelte er mich
freundlich und gab mir eine reiche Goldkette mit einem Geldwert
von 23 Pfund ... um mich ihm geneigt zu machen und versprach mir,
wenn ich ihm dienen würde, würde er mir soviel geben
wie jedem beliebigen Prinzen dieser Welt. Von dort ging ich zum
Landgrafen von Hessen, der mir das großartigste Willkommen
entbot, das es für jemand von meiner Art geben könnte.
Er schickte einen Ring an meine Frau nach England, 70 Pfund wert,
und gab mir einen großen Stehpokal ... voller Taler mit
vielen großen Angeboten für meinen Dienst. Von dort
hatte ich den großen Wunsch Italien zu sehen und kam nach
Venedig, von dort nach Florenz, wo ich vor dem Herzog spielte und
mir große Gunst erwiesen wurde."
Die
Landesherren des 16. Jahrhunderts scheinen künstlerisches
Leben als Bereicherung ihres Hofes betrachtet zu haben und bereit
gewesen zu sein, für diese Künstler mehr Geld
aufzuwenden als die Fürsten der Jahrhunderte zuvor! Ob das
mit einem allgemein gestiegenen Wohlstand zusammenhängt,
kann hier nicht festgestellt werden, sicher hat auch die
Renaissance als Kulturströmung dazu beigetragen. Nicht nur
für Musik, auch beispielsweise für Theater nahm das
Interesse zu.
Musik
am englischen Hof
Der englische Hof besaß zu
Dowlands Zeit zwei musikalische Institutionen. Da war zum
einen die "Chapel Royal", die sich bis ins 12.
Jahrhundert zurück verfolgen lässt. Es handelte sich
hierbei um Sänger geistlicher Lieder, die der König bei
festem Gehalt angestellt hatte. Ihre Aufgabe war es, zu
kirchlichen Festen und Gottesdiensten zu singen. Zur Zeit von
Elizabeth I. bestand die "Chapel Royal" aus 32
Mitgliedern unter Aufsicht eines "subdean". Als
weltliches Gegenstück zu der geistlichen "Chapel Royal"
richtete Heinrich VIII. die "King's Musick" ein. Zwar
hatten in den Jahrhunderten zuvor auch einzelne "minstrels"
den Königen gedient, aber Heinrich wollte eine größeren
festen Kreis von Musikern und Sängern um sich versammeln. Es
gelang ihm, bis 1540 etwa 37 Musikern an seinem Hof eine
Anstellung zu geben, die auch aus dem Ausland, besonders Italien,
kamen. Elisabeth, die etwas sparsamer war, beschäftigte im
Durchschnitt 30 Musiker, James etwa 40, unter Charles I. (1625 -
1649) stieg die Zahl auf etwa 65. Die Hauptaufgabe der Musiker
bestand zunächst im Geben von Konzerten aller Art. Dabei
scheint eine kleinere Gruppe noch eine besondere Rolle gespielt
zu haben, die man "the consort", später auch "the
lutes and voices" nannte. Eine besondere Aufgabe war, Musik
zur königlichen Tafel zu spielen, wobei den Blasinstrumenten
ein spezieller Part zukam. Dazu hatten die Musiker zum Tanz
aufzuspielen. Besonders begabten Künstlern wurde die
musikalische Unterweisung von Prinzen und Prinzessinnen
anvertraut. Wiederum unterstützten einige der Musiker die
"Chapel Royal" bei besonderen Anlässen, wie es bei
der Taufe der Prinzessin Mary 1605 bezeugt ist. Die Musiker
machten die Zeremonien des Hofes noch feierlicher, die Höhepunkte
des höfischen Lebens waren damals die "tilts and
masques", Bälle, die mit viel Aufwand inszeniert und
arrangiert wurden. Ein großer Teil dieser Musiker war
Ausländer oder Einwanderer. Die feste Bezahlung vermittelte
ein Gefühl der Sicherheit. Dazu war die Ausstattung optimal,
da der Hof auch ausgezeichnete Instrumentenmacher beschäftigte
und beste Instrumente Importieren ließ, z.B. Virginale aus
Antwerpen, Violinen aus Cremona. Die gegenseitige Inspiration und
Stimulation der großen Musiker förderte noch die
Gemeinschaft. "King's Musick" und "Chapel
Royal" lassen sich mit einer großen Akademie
vergleichen, wo in materieller Sicherheit die besten englischen
Sänger, Musiker und Komponisten mit den führenden
ausländischen Musikern und Künstlern anderer Branchen
kommunizieren konnten. Diese Einrichtungen hatten seitens der
Könige sicher den Zweck, die Großartigkeit ihrer Höfe
zu symbolisieren. Sie gingen unter mit der englischen Revolution
1649 und dem Regiment des Puritaners Cromwell in den darauf
folgenden Jahren.
Zusammensetzung
der "King's Musick" in ausgewählten
Jahren:
1540: 8 Violen, 7 Posaunen, 4
Flöten, 3 Lauten, 1 Virginal, 2 Harfen, 2 Rebecs (
Vorläufer der Geige ), 6 minstrels, 3 Orgel- und
Instrumentenbauer.
1590: 6 Violen und Violinen,
4 Posaunen, 5 Flöten, 4 Blockflöten, 6 Lauten, 3
"Musiker", 2 Instrumentenmacher.
1625: 20
Violen und Violinen, 11 Oboen und Posaunen, 10 Flöten, 8
Blockflöten, 22 "lutes and voices", 2
Virginale, 1 Harfe, 8 "Musiker", 2
Instrumentenmacher, 2 Komponisten, (6 Cornetts).
Verhältnis
der Mittelschicht zur Musik
Diese Mittelschicht kann
natürlich nicht so weit gefasst werden wie heute. Es
gehörten dazu in erster Linie der niedere Landadel,
Großgrundbesitzer und reiche Bürgerfamilien, also etwa
der Kreis, der sich am Leben des Hofes und des Adels orientierte.
Die Bedeutung der Musik wurde für diese Schicht gesteigert
zum einen durch das Vorbild des Königshofes, zum anderen
durch eine bestimmte Art von Literatur, die im 16. Jahrhundert
sich zu verbreiten begann: Lehrbücher die beschrieben, was
denn nun den richtigen "gentleman" und die rechte
"lady" ausmachte, wie zum Beispiel Peachams "Compleat
Gentleman" von 1622. Diese Bücher betonten nun
insbesondere die Bedeutung der Musik für die feine
Gesellschaft. So begann sich im Mittelstand ein breiteres
Interesse für Musik zu entwickeln, das aber auch nicht
überschätzt werden darf. Der Besitz von
Musikinstrumenten gehörte nun zwar zur "fashion",
brauchte aber noch nicht ein Spielen können zu bedeuten. Oft
begannen Kinder solcher Familien zwar, ein Musikinstrument zu
lernen (besonders Virginal und Laute) gaben es später doch
wieder auf. Die Auflage einer Ausgabe von Dowlands "Second
Booke" betrug nachweislich 1.025 Ex. und kann wahrscheinlich
als repräsentative Stärke angesehen werden. Gemessen
an der damaligen Bevölkerungszahl und Sozialstruktur mag das
viel gewesen sein - jedoch kann man nicht annehmen, dass nun
1.000 Leute Dowland-Musik daheim vom Blatt spielten - bedenke man
doch, dass Dowland spieltechnisch und kompositorisch die Spitze
der Möglichkeiten seiner Zeit darstellte. Man wird vielfach
nicht über biedere Hausmusik hinausgekommen sein, trug aber
durch sein theoretisches Interesse, seinen Besuch von Konzerten
und die Einladung von Musikern zu besonderen Anlässen
(Feiertage, Hochzeiten, hoher Besuch) dazu bei, dass eine
breitere Öffentlichkeit für die Musik zustande kam, die
durch Interesse und kritische Rückmeldung zur Entwicklung
beitrug.
Literatur
M.C.
Boyd: Elizabethan Music and Musical Criticism. Philadelphia
1962 E.H. Fellowes: The English Madrigal Composers. Oxford
1921 H. Höpfl: Kleine Geschichte Englands. Frankfurt/Main
1953 J. Kermann: The Elizabethan Madrigal. New York 1962 W.W.
Newcomb: Studien zur englischen Lautenpraxis im elisabethanischen
Zeitalter. Kassel 1967 New Oxford History of Music, Vol. IV:
The Age of Humanism (1540 - 1630) U. Olshausen, Das
lautenbegleitete Sololied in England um 1600. Frankfurt/Main
1963 D. Poulton: John Dowland. London 1972 J. Spink:
English Song - Dowland to Purcell. London 1974 E. Thiel:
Sachwörterbuch der Musik. Stuttgart 1973 W.L. Woodfill:
Musicians in English Society from Elizabeth to Charles I.
Princeton 1953
©
Burkhard Gutleben 1976 / 2007
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