Charakteristika des Werks

Das Rätsel des Schafes (2006)

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Das Rätsel des Schafes [ ↑ ]
Im Jahre 2006 erscheint Naomi Schencks erstes Hörspiel. Es handelt sich um ein Kurzhörspiel mit dem Titel Das Rätsel des Schafes, welches im Rahmen der ARD Hörspieltage in der Kategorie ‚Premiere im Netz‘ mit dem Newcomer-Preis ausgezeichnet worden ist. Thematisch behandelt wird hier das Glück im Kontrast zwischen Mensch und Tier.
In dem knapp fünfzehnminütigen Hörspiel erhalten die Hörer*innen einen Einblick in ein Telefongespräch der Protagonistin, welche nur Sternchen genannt wird, mit ihrem Liebhaber Gusto. Sternchen lauscht den Ausführungen des Intellektuellen Zeda über Friedrich Nietzsches „glückliches Schaf“ sowie weiteren philosophischen Überlegungen zur Ambivalenz und dem Sein und Schein in der Kunst. Thematisch behandelt das Hörspiel die Frage nach dem Glück, in welchem sich der Mensch – laut Nietzsche – vom Tier unterscheidet. Wie mehrfach in dem Hörspiel erwähnt, sei das grasende Schaf ein glückliches, da es an den Pflock des Augenblicks gebunden ist, wohingegen der Mensch ein sehr viel kompliziertes Wesen sei.
Der Mensch – ganz im Gegensatz zum Tier – ist in einem seinem Wesen und Denken komplexer und findet daher sein Glück nicht so rasch, wie das Schaf, welches es schafft, das vollkommene Glück in einer einfachen Tätigkeit wie dem Grasen zu finden. Nach Nietzsche folgen Tiere lediglich einem ihnen bestimmten Weg, was sie vom Menschen unterscheidet, da dieser mehr als nur ein Tier ist und dadurch, dass er im Gegensatz zum Tier weitaus mehr Möglichkeiten hat, ihn dies in die Lage einer gewissen Ordnungslosigkeit bringt. Dies legt die Vermutung nahe, dass Sternchen das Schaf aufgrund dessen beneidet, da sein Leben vorherbestimmter ist als das des Menschen. Das Nichtverstehen von Zedas Ausführungen wird von der jungen Frau als stimulierend empfunden und löst ein sexuelles Verlangen nach Zeda und zugleich große Traurigkeit in ihr aus, was sie auch ihren Liebhaber Gusto wissen lässt, der auf die Empfindungen Sternchens eher amüsiert reagiert, statt sie und ihren Wunsch, Zeda kennenzulernen, ernst zu nehmen. 

Thematische Aspekte zu Das Rätsel des Schafes [ ↑ ]

Ungeklärte Beziehungen und Sapiosexualität
Ein stets wiederkehrendes Motiv in Naomi Schencks Hörspielen ist die Porträtierung von Beziehungen. All diesen Beziehungen, sei es nun romantische Liebe oder eine Beziehung, die rein auf den sexuellen Akt beschränkt zu sein scheint, ist eine Suchbewegung gemein. Diese Suchbewegungen zeigen sich durch Dialoge zwischen den Figuren, die miteinander aber auch in eigenen Reflexionen die Art der Beziehung zu definieren suchen. Auffällig ist, dass in den Hörspielen von Naomi Schenck keine glücklichen Beziehungen dargestellt werden, sondern jene, die vielmehr aus pragmatischen Gründen entstanden oder die ungeklärt sind. Teil der Hörspielhandlungen sind die nicht immer erfolgreichen Klärungsversuche dieser Beziehungen. Allen ProtagonistInnen sind sapiosexuelle Tendenzen gemein. In Das Rätsel des Schafes können Hörer*innen auf eine rein körperliche Beziehung schließen, da Sternchen unverblümt Gusto gegenüber den Wunsch äußert, mit Zeda intim sein zu wollen. Diese Anziehung weist sapiosexuelle Züge auf, da Sternchen explizit zum Ausdruck bringt, wie sehr sie Zedas intellektuelle Ausführungen, die sie zu verstehen versucht, stimulieren. Nicht nur die wissenschaftlichen oder literarischen Ausführungen selbst, sondern vor allem die intellektuellen Menschen ziehen Sternchen an.

Erotik
Ein weiteres zentrales Thema in Naomi Schencks Werken ist die Erotik. Dies wird besonders in ihren Hörspielen deutlich. In Das Rätsel des Schafes wirken Zedas Ausführungen erregend auf Sternchen und rufen sexuelle Sehnsüchte in ihr hervor: „Mich stimuliert das eben, wenn ich Dinge höre, die ich nicht verstehe“ (Minute 02:41). Auch ist sie sich der Tatsache bewusst, dass sie nicht so sehr die intellektuellen Gegenstände, als vielmehr intellektuelle Menschen selbst anziehend findet: „Vielleicht geht es mir gar nicht um die Philosophie, sondern es geht mir darum, von einem Philosophen geliebt zu werden“ (Minute 06:55).

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Hummelflug (2007)

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Hummelflug [ ↑ ]
In dem Hörspiel Hummelflug wird rückblickend die Ehe zwischen Geschen(c)k und ihrem Mann Kuci, dessen tatsächlicher Name während des Hörspiels nicht genannt wird, erzählt. Schauplatz der Handlung ist die Stadt Düsseldorf zur Zeit der 1990er bis in die frühen 2000er Jahre; die zeitliche Markierung erfolgt durch Erwähnung der Währungen von der D-Mark bzw. dem Euro. Beide Figuren lernen sich in einem Café kennen, in dem Geschen(c)k als Kellnerin arbeitet. Während eines Stromausfalles setzt Kuci sich an ein Klavier und spielt dort den ‚Bumble Boogie‘. Als der Stromausfall vorüber ist, erfährt sie, dass Kuci ein in Deutschland lebender Serbe ist, welcher aus seiner Heimat geflohen ist, um nicht in der Armee dienen zu müssen. Sie ist schnell hingerissen von dem jungen Mann, der sich als Künstler vorstellt. Kurze Zeit nach ihrer ersten Begegnung treffen sich beide in einem griechischen Restaurant wieder. Fasziniert von seinen Ausführungen über die Schlafgewohnheiten des Physikers Nikola Tesla beschließt sie für sich, Kuci irgendwann zu heiraten, was sie aufgrund seiner drohenden Abschiebung auch bald tun, obwohl es erste Anzeichen von Differenzen gibt. Während sie gerne nach der standesamtlichen Hochzeit in einer Kirche heiraten möchte, präferiert er das Theater. Am Ende findet die Hochzeit in einer Kirche ihrer Wahl statt.
Das junge Ehepaar versucht sich ein gemeinsames Leben aufzubauen, doch will sich das Glück nicht einstellen. Kuci schafft es während der gesamten Ehe nicht in Deutschland Fuß zu fassen. Während Geschen(c)k arbeiten geht, bleibt Kuci Zuhause. Als Hörer*in gewinnt man nicht den Eindruck von einer glücklichen Ehe, denn zwischen dem Ehepaar existieren keine Momente der Freude oder Unbeschwertheit, stattdessen zieht sich durch das gesamte Hörspiel eine Melancholie, die die Gespräche der Ehepartner beherrscht. Vor allem Kuci leidet, lediglich bei Gesprächen über seine Heimat wirkt der junge Mann gelöster. Wöchentlich ruft er seine Familie in Serbien an, um zu erfragen, ob es für ihn als Deserteur sicher sei, seine alte Heimat wieder zu besuchen. Laut Kuci gebe es zwei Typen von Menschen; jene, die BMW und jene die Mercedes mögen. Seine intensive Suche nach einem BMW kann symbolisch als sein Versuch gesehen werden, sich in seinem neuen Leben in Deutschland zurechtzufinden, sich einer von ihm aufgestellten Kategorie anzupassen. Als er sein vermeintliches Traumauto findet, geht dieses nach nur einem halben Jahr kaputt. Doch wie auch in seiner Ehe und seinem Leben in Deutschland zeigt er nur wenig Interesse daran, es zu reparieren. Im Verlauf der Ehe verdeutlichen sich zunehmend ihre unterschiedlichen Vorstellungen vom Leben. Während es Geschen(c)k in die USA zieht, möchte Kuci lieber in seiner neuen Heimat Deutschland bleiben. Als sie ihn mit einer anderen Frau sieht und er in derselben Nacht nicht in die gemeinsame Wohnung zurückkehrt, reagiert sie nicht eifersüchtig, sondern gleichgültig. Dieselbe Gleichgültigkeit empfindet auch Kuci, wenn es darum geht, ob Geschen(c)k ihn zu einem Besuch nach Serbien begleiten soll. Kurz nach Silvester trennen sich beide. Geschen(c)k zieht in die USA, Kuci zieht in eine neue Wohnung in Deutschland. Nach einem Jahr in den USA kehrt Geschen(c)k Sehnsucht nach Deutschland verspürend zurück und trifft sich mit Kuci in einem Café. Dort erfährt sie von seiner neuen Freundin, die sie einige Zeit später zusammen mit Kuci und dem gemeinsamen Kind trifft. Ein kurzes Gespräch findet statt, nach der Verabschiedung geht man in unterschiedliche Richtungen auseinander.
Welchem der beiden Protagonisten das Scheitern der Beziehung nun zuzuschreiben ist, gestaltet sich als schwierig. Kuci scheint von Beginn an nicht glücklich über die Tatsache, dass sie ihn liebt, da er auf ihre Liebeserklärung mit den Worten „Das Problem ist, ich dich auch“ reagiert, was einige Fragen aufwirft. Tatsache ist, dass er nicht in seine Heimat zurückkehren kann, in welcher er als Deserteur gesucht wird. Da er allein in Deutschland ist, könnte man vermuten, dass er sich über etwas Positives wie eine Liebesbeziehung freut. Über den gesamten Zeitraum ihrer Ehe ist stets sie es, die sich um die Beziehung der beiden bemüht, indem sie ihn beispielsweise versucht zu animieren, dass sie etwas gemeinsam unternehmen, was stets von ihm abgeblockt wird. Irgendwann erreicht Geschen(c)k den Punkt, an dem auch sie ihm gegenüber gleichgültig wird.
In den 1930er Jahren gab es unter Physikern den Scherz über die Hummel, welche nach den Regeln der Aerophysik eigentlich gar nicht fliegen können sollte, es jedoch dennoch tut, da sie dies nicht wisse. Bringt man den Hummelflug nun in Verbindung mit den Protagonisten, kann man sagen, dass die Beziehung von Kuci und Geschen(c)k von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, sie dies jedoch einfach nicht wussten und diese dennoch eingegangen sind. Die Theorie zur Hummel besagt, dass ihre Flügel im Vergleich zu dem recht massigen Körper zu klein seien, um diesen durch die Lüfte zu bewegen. Wendet man das Bild der Hummel nun auf beide an, ergibt sich das Bild von Geschen(c)k – welche die Flügel darstellt – und die Beziehung immer wieder versucht wieder in die Lüfte zu heben, indem sie auf ihren Mann zugeht. Doch ist Kuci zu sehr mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt, als dass er sich auf die Bemühungen seiner Frau einlassen könnte. Zahlreiche Szenen in dem Hörspiel weisen auf eine depressive Verstimmung des jungen Mannes hin, die zu schwerwiegend für Geschen(c)k ist, als dass sie ihren Mann daraus befreien könnte. Ab einem gewissen Punkt in dem Hörspiel gewinnt man als Hörer*in auch den Eindruck, dass ihr selbst dazu die Kraft fehlt. 

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Thematische Aspekte zu Hummelflug [ ↑ ]

Ungeklärte Beziehungen und Sapiosexualität
In Hummelflug lassen sich sapiosexuelle Tendenzen finden, als die Protagonistin Geschen(c)k gebannt den faszinierten Ausführungen Kucis über den Physiker Nikola Tesla zuhört und beschließt, dass sie „für den Rest ihres Lebens in diese dunklen Augen schauen wird“ (Minute 07:25). Vor allem das stete Aneinanderreiben auf intellektueller Ebene der Figuren bestimmt die Anziehung. Bei jedem Gespräch der beiden Figuren gibt es ein Thema, über das Kuci besser Bescheid weiß oder Geschen(c)k widerspricht. Er führt oft weit über Themen aus über die er erzählt. Umso weniger Kuci spricht, umso mehr fordert Geschen(c)k Austausch. Dieses ständige Aneinanderreiben der beiden Figuren bestimmt deren Beziehung und birgt eine besondere Form der Anziehung zueinander hervor.

Erotik
Hummelflug beschreibt ein stetes hin und her in der Beziehung der beiden Hauptfiguren. Auch wenn gestritten oder nicht miteinander gesprochen wird, wird eine große Anziehung der beiden Figuren zueinander deutlich. Hier findet Erotik hauptsächlich auf der geistigen Ebene statt. das ‚aneinander Abarbeiten‘, das sich durch ein Wechselspiel von Diskussion, häufigem Widersprechen, fast schon Dozieren über Themen oder dem Entzug von Austausch zeigt, ist der Grundzustand,  den das Paar bis zur Trennung hält.

Autobiographische Züge
Schauplatz des Hörspiels Hummelflug ist Düsseldorf, wo Naomi Schenck selbst lebte. Außerdem gibt es zahlreiche Parallelen zwischen Protagonistin und Autorin; angefangen mit dem Kosenamen der Protagonistin Geschen(c)k, der sich vom Nachnamen der Autorin ableitet, die auch im selben Monat Geburtstag hat, wie auch der Wunsch in die USA zu ziehen. Denselben Wunsch haben Protagonistin und Autorin gemein, da Schenck dort auch einige Zeit nach dem Abitur verbrachte.

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Formale Aspekte in Hummelflug [ ↑ ]

Bildhafter Schreibstil
Alle Werke Naomi Schencks haben gemein, dass sie ein bildhaft-beschreibender Schreibstil kennzeichnet. Diese Bildhaftigkeit zeichnet sich durch eine genaue Etablierung von Vorstellungen des Raumes, in dem die Handlung stattfindet, wie auch das Erzeugen von Atmosphäre und mögliche Spannungen zwischen den Figuren aus. Die Texte evozieren auf diese Weise ein genaues Bild von Situationen und Orten.
Schon die Titel sind besonders sprechend wie zum Beispiel beim Hörspiel Hummelflug.

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Hawaii – Szenen aus einer hellen Nacht (2009)

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Hawaii – Szenen aus einer hellen Nacht [ ↑ ]
Das durch den SWR produzierte Hörspiel Hawaii handelt von der Schriftstellerin Onda, welche sich an den promovierten Philologen Belm wendet, damit dieser ihr bei ihrem neuesten Projekt hilft – dem Schreiben ihres Buches ‚Hawaii‘. Inhaltlich behandelt das Hörspiel die gezielte Manipulation durch Erotik, sowie den Versuch einer künstlich geschaffenen Liebe. Onda verlangt von Belm, die Beantwortung ihrer Briefe, ihr von Zeit zu Zeit zu sagen, was sie tun soll und fordert von ihm mit ihr zu schlafen. Für seine Zusammenarbeit soll er die Hälfte des Erlöses der verkauften Bücher erhalten. Schon kurz nach Beginn ihrer Zusammenarbeit entwickelt sich ein sexuelles Verhältnis. Onda fährt Belm gegen dessen Willen in ihre Wohnung, um ihm seinen Kimono, den sie ihm gekauft hat, zu zeigen. Sie verführt ihn. Obwohl Belm zu Beginn keine intime Beziehung wünscht, kann er sich Ondas Annäherungen nicht verweigern. Im Laufe der Handlung initiiert er diese auch selbst, indem er Onda abgelegene Orte vorschlägt, zu denen sie mit dem Auto fahren.
Fast das gesamte Hörspiel hindurch erhalten die Hörer*innen den Eindruck, Belm sei der bestimmende Part der Beziehung, da Onda dies in einer gemeinsamen Abmachung festlegt hat. Dieser Eindruck schwindet, nachdem Onda Belm eröffnet hat, sie habe ihrem Verlobten CL ihren Verlobungsring zurückgegeben. Belm ist erschrocken über diese Handlung, da sie aus seiner Sicht nur Forschungspartner in einem Versuch seien und keine emotionale Beziehung zueinander hätten. Er selbst habe nicht vor, seine Partnerin Françoise zu verlassen. Nachdem Belm von einer Reise nach Istanbul zurückgekehrt ist, teilt Onda ihm mit, dass das Buch ‚Hawaii‘ fast fertig sei. Bei einem gemeinsamen Treffen nötigt sie ihn einen Vertrag zu unterzeichnen, in welchem Belm auf seine Rechte an dem Buch verzichten soll. Sie lässt ihn außerdem wissen, dass sie von ihm schwanger sei, aber keine Ansprüche aus seiner Vaterschaft ableiten wolle. Daraufhin erfahren die Hörer*innen, dass Belm sich in Istanbul von seiner Partnerin Françoise getrennt hat und das Onda die Schwangerschaft nur vorgetäuscht hat. Dies eröffnet sie ihm in einem gemeinsamen Gespräch.
Zum Ende des Hörspiels erst erscheint die Beziehung beider in einem ganz anderen Licht. Es wird deutlich, dass Onda keineswegs emotional von Belm abhängig war, sondern sich absichtlich in diese – augenscheinlich submissive – Position gebracht hat, um Belm später emotional manipulieren zu können. Belms Rolle war demnach nicht die des Versuchsleiters, sondern vielmehr die des Versuchsobjektes, wobei Onda ihn als Quelle der Inspiration benutzt hat. Belm hingegen schreibt seine Forschungsergebnisse auf, um diese zu veröffentlichen. Das Hörspiel fokussiert demnach Formen der Manipulation auf dem Feld von Erotik, da Onda ganz klar von Anfang an eine Manipulation des Philologen im Sinn hatte. Von Beginn an ist es ihre Intention, Liebe künstlich zu erzeugen und dies in einem Buch zu dokumentieren. Indem die tatsächlichen Absichten Ondas ans Licht kommen, lösen sich erst zum Ende des Hörspiels die zuvor aufgeworfenen Fragen und Rätsel der Rezipient*Innen auf. Beispielsweise sagt Onda gleich zu Beginn, dass sie gerne so wäre, wie Belm sie gerne hätte. Er fragt daraufhin, ob dies auch zu ihrem Experiment gehöre, woraufhin sie sagt, dass gerade dies der Kern des Ganzen sei.
Weiterhin untermauert wird die These zu Ondas gezielter Manipulation, als Belm sie fragt, was es denn für ein Buch sei, dass sie da schreiben wolle und sie antwortet ihm, dass er dies entscheiden könne, was wiederrum verdeutlicht, dass Onda keineswegs in Abhängigkeit zu Belm stand, wie sie es ihm selbst hatte weismachen wollen. Sie lässt ihn gezielt von Anfang an glauben, er habe die Oberhand beim gemeinsamen Versuch, was sich retrospektiv jedoch als Trugschluss herausstellt.  Es liegt die Vermutung nahe, dass auch das Vortäuschen einer Schwangerschaft von Anfang an geplant war, um ihm die Rechte an ihrem Buch wieder abspenstig zu machen, nachdem sie dieses beendet haben würde. 

Thematische Aspekte zu Hawaii – Szenen aus einer hellen Nacht  [ ↑ ]

Ungeklärte Beziehungen und Sapiosexualität
Auch Onda in Hawaii sucht sich als Quelle der Inspiration für ihr Buch einen Intellektuellen, den promovierten Philologen Belm. Die Beziehung der beiden fundiert auf intellektuellem Austausch und führt zu Intimität.
Den dargestellten Beziehungen ist gemein, dass trotz Suchbewegungen nach Klärung meist doch eine unklare Beziehungslage vorherrscht. Auch wenn die letzte Bewegung in Prozessen der Beziehung ein Streit oder eine Schlichtung sind, lässt sich den Rezipient*innen keine klare Situation der Beziehung erschließen. Die Definition eines ‚glücklichen‘ oder ‚unglücklichen‘ Endes bleibt hier aus, vielmehr werfen die Texte die Fragen danach auf, was denn eine ‚gelungene‘ Beziehung ausmacht und woran Beziehungen scheiter. Die offenen Ende der Texte verweisen so auf die Offenheit der Frage.  

Erotik
Das Hörspiel Hawaii – Szenen aus einer hellen Nacht thematisiert Erotik in der Beziehung zwischen Onda und Belm, welche zunächst hauptsächlich körperlich ist. Körperliche Nähe oder der sexuelle Akt werden hier zum regelrechten Forschungsfeld, wobei es nihct allein um physische Prozesse, sondern um emotionale Effekte geht. Ein stetes Vorhandensein gegenseitiger körperlicher Anziehung und die Gefahr in eine romantische Beziehung oder gegenseitige Besitzansprüche zu rutschen, bestimmt die Erotik zwischen den Protagonist*innen.

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Kann ich mal Ihre Wohnung sehen? (2013)

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Kann ich mal Ihre Wohnung sehen? [ ↑ ]
Seit Januar 2013 veröffentlicht Naomi Schenck regelmäßig eine Kolumne im Reiseblatt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In dieser Kolumne beschreibt Schenck verschiedene Reiseerlebnisse; mal befindet sie sich in einer fremden Wohnung in London-Bayswater, mal auf den Spuren einer vergangenen amour fou in Mexico City oder auch auf der Nordseeinsel Sylt – immer auf der Suche nach einer neuen Kulisse, nach einem neuen Ort für ihre Arbeit als Szenenbildnerin.
Auf der Suche nach einmaligen Orten trifft sie immer wieder auf völlig fremde Menschen, die sie in ihre Wohnung und ihr Leben lassen – und manchmal, sogar in ihr Bett. So platzt sie in einen Streit eines Hamburger Ehepaares, das ein wunderschönes Wohnzimmer besitzt, welches sich ideal für einen Filmdreh eignen würde, trifft auf einen Mann in Mexico City, der nicht weiß, was genau sie von ihm will, ihr aber stets mit den Worten „gracias por existir“ (S. 18), also „danke, dass du existierst“ antwortet und auf eine atemberaubende Aussicht in West Hollywood.
Die Kolumne wurde schließlich zum Ausgangspunkt ihrer Kurzgeschichten-Sammlung Kann ich mal Ihre Wohnung sehen?, welche 2013 erschien und eine Reihe von sogenannten Homestories und außergewöhnlichen Reiseberichten in Verbindung mit Fotografien enthält.
Schencks Geschichten sind z.T. autobiographisch motiviert und bei aller Authentizität handelt es sich doch um ironische Literarisierung von Alltagsbegegnungen, die die Welt komisch und skurril wirken lassen. Dies ist ein wichtiges Element des Schreibstils von Naomi Schenck, welche an sich selbst und ihre Arbeit immer den Anspruch des Überraschungsmomentes hegt: „Ich muss mich selber überraschen!“ (vgl. Audio_Beitrag[S1] ).
Die Erzählungen und Kurzgeschichten bieten Einblicke in Lebensstile und Lebensweisen von Menschen über den ganzen Erdball verteilt; angefangen von den verschiedenen Wohnungsformen, über die facettenreichen Einrichtungsstile, bis hin zu den außergewöhnlichsten Menschen und deren zwischenmenschlichen Beziehungen. Hierbei bedient Schenck sich stets einer sehr bildhaften Sprache, die wirkungsvoll mit der jeweiligen Fotografie der Orte in Verbindung steht.
So erzählt sie auf fünf Seiten von ihrer Begegnung mit dem Zeichner Anthony, den sie in einem Pariser Club kennenlernt und der eine Skizze von ihren Träumen anfertigen möchte. Nach einer kurzen Kennlernphase lädt Anthony Naomi in seine kleine, düstere 22qm Wohnung im 10. Arrondissement ein. Bei ihrem Treffen am nächsten Nachmittag wird deutlich, dass es Anthony unangenehm ist, Naomi seine bescheidene Wohnung fotografieren zu lassen. Er betont: „Ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihre Sucht befriedigen soll“ (S. 158). Weiter führt er aus: „Ich habe mir vorgestellt, in einem kleinen Zimmer in Paris zu wohnen und jeden Tag in ein Café zu gehen und ein Steak zu essen, wie Sartre. Und zu malen. Jetzt habe ich diese Wohnung und einen Deal mit dem Club, dass ich kommen kann, wann ich will, um die Träume der Leute zu zeichnen“ (S. 159). Anthony rechtfertigt sich vor ihr, ohne dass sie sich wertend geäußert hätte – Naomi hatte allein durch Blicke ihre Eindrücke zum Ausdruck gebracht. Das Treffen auf eine fremde Frau, die seine Wohnung sehen und fotografieren möchte, lässt Anthony seine Lebensform hinterfragen.  Dieser Geschichte ist ein Foto beigefügt, welches die Wohnung von Anthony in einer zentralen Perspektive zeigt. Doch weder illustriert das Foto die Erzählung noch kommentiert es, sondern – wie im gesamten Band – das Foto erzählt eine eigene Geschichte und setzt die Phantasie der  Leser*innen frei, die ihre eigenen Vorstellung mit der fotografierten Realität und der Erzählungen in ein kreatives Verhältnis setzen können. 

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Thematische Aspekte zu Kann ich mal Ihre Wohnung sehen?  [ ↑ ]

Erotik
In der Kurzgeschichten-Sammlung Kann ich mal Ihre Wohnung sehen? finden sich ebenfalls erotische Erzählungen. Es werden sowohl sexuelle Phantasien als auch verschiedene Begehrensformen dargestellt.

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Formale Aspekte zu Kann ich mal Ihre Wohnung sehen? [ ↑ ]

Bildhafter Schreibstil
In der Kurzgeschichten-Sammlung Kann ich mal Ihre Wohnung sehen? korrespondiert diese bildhafte Sprache mit den den Texten gegenübergestellten fotografischen Darstellungen der Orte, an denen sich die Geschichten ereignen.

Realität und Fiktion
Durch ihren bildhaften Stil und ihre persönliche Erzählperspektive wirken Naomi Schencks Texte realistisch und authentisch.  Doch sind die Texte nicht dokumentarisch zu nennen. So fanden die Begegnungen mit den verschiedenen Menschen in Kann ich mal Ihre Wohnung sehen? tatsächlich statt, die Dialoge jedoch stammen zum Teil aus einem ganz anderen Kontext. Es handelt sich also um eine Literarisierung der Wirklichkeit, die dann wiederum nochmals gebrochen wird durch das jeweilige Foto, das der Geschichte an die Seite gestellt ist.

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Pressespiegel zu Kann ich mal Ihre Wohnung sehen? [ ↑ ]
Die Kritiker*innen sind fasziniert und begeistert von Naomi Schencks Schreibweise und ihrer ganz eigenen Form der Homestory.
Für Frank Schreiber vom uMagazin bilden Naomi Schencks Eindrücke von fremden Wohnungen ein „Grenzgebiet zwischen Fiktion und Realität“, ihr Schreibstil sei ein „Grenzgebiet zwischen Literatur und Journalismus“ (ebd.). Naomi Schenck schafft es den Räumen, den Orten und den Personen, auf die sie in ihren zahlreichen Erzählungen trifft, ihre Fremdheit zu nehmen. Dieses Gefühl unterstreicht sie durch die Kombination ihrer eindrucksvollen Texte mit Fotografien der Wohnungen, die sie besichtigt. Für Lea Albring von Aviva handelt es sich um „Momentaufnahmen einer exklusiven Intimität, an der die LeserInnen teilhaben dürfen. Dies hinterlässt das schöne Gefühl, eher EingeweihteR statt VoyeuristIn zu sein“ (16.12.2013). „Mit dem Erzählband beweist Schenck, dass sie nicht nur einen Blick für Orte und Momente hat, sondern es auch vermag, diese atmosphärisch einzufangen. Allein die Einstiege ihrer Kurzgeschichten entfalten eine soghafte Wirkung" schreibt der Kölner Stadtanzeiger.

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Mein Großvater stand vorm Fenster und trank Tee Nr. 12 (2016)

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Mein Großvater stand vorm Fenster und trank Tee Nr. 12  [ ↑ ]
Nach dem Tod ihres Großvaters, des Chemikers Günther Otto Schenck, erbte Naomi Schenck die Rechte an dessen Biographie. Mit Veröffentlichung dieser Familienerzählung versucht sie diese Aufgabe zu lösen.
Der Text ist jedoch keine Forscherbiographie, sondern eine Mischung aus Familiengeschichte und Selbstreflexion, die unter anderem darin besteht, dass der Text seine eigene Entstehungsgeschichte miterzählt. So erfährt man von Rechercheanstrengungen, bei denen die Erzählerin viele Menschen aus dem Leben ihres Großvaters, Verschwunden- oder Totgeglaubte, kennenlernt und auch einiges über dessen Vergangenheit entdeckt, was wenige oder niemand vorher wusste. Vor allem treibt sie die Entdeckung an, dass ihr Großvater Mitglied der NSDAP und der SA war. Da ihr die Mitgliedschaft in der SA zu Lebzeiten des Großvaters nicht bekannt war, möchte sie dies verstehen und Beweggründe für diese offenbar freiwillige Entscheidung durchblicken. Durch die Recherche, die Aufarbeitung der eigenen gemeinsamen Vergangenheit und die Reflexion all dessen, entsteht ein Text, der nicht nur das Leben des Großvaters, sondern vor allem das Naomi Schencks widerspiegelt.
Durch Aufzeichnungen von Familienmitgliedern sowie Gespräche mit Freunden und Bekannten Günther Otto Schencks skizziert Naomi Schenck das Leben ihres Großvaters. Es wird nicht nur der berufliche Werdegang des bekannten Chemikers dargestellt, sondern es entsteht nach und nach das Bild einer Familie zur Zeit des Nationalsozialismus. In den Vordergrund treten hierbei immer wieder die moralischen Implikationen, die mit einem Studium in Heidelberg, das sich früh damit schmückte, eine judenfreie Universität zu sein, oder dem freiwilligen Beitritt in die SA verbunden sind, sowie der damalige und heutige Umgang mit derartigen letztlich auch politischen Lebensentscheidungen.
Die Recherche der Enkelin zeichnet sich durch ein Umkreisen von Fakten aus. Zeitzeugen oder Dokumente werden gefunden, bieten aber meist nur Teillösungen oder werfen neue Fragen auf. Durch ein ständiges Hinterfragen findet sie meist keine konkrete Antwort und ‚umkreist‘ die offenen Fragen. Der Text macht deutlich, dass es letztlich unmöglich ist, endgültige Beweise, Fakten oder Antworten auf diese offenen Fragen zu finden, was auch in der Erzählweise und dem Aufbau erkennbar wird. In ähnlicherweise hatte es Günter Grass in seiner autobiographischen Erzählung im Titel formuliert. Beim Häuten der Zwiebel hat er seinen Text genannt und genau dies ist das Erzählverfahren Naomi Schencks, Schicht für Schicht wird abgetragen, wie beim Zwiebelhäuten treibt dies mitunter Tränen hervor. Doch hat eine Zwiebel keinen Kern – die eigentliche Gewissensfrage an den Großvater kann nur von ihm selbst erläutert werden. Warum ihr Großvater in die SA eintrat oder ob er eingetragen wurde, muss also bis zum Ende des Textes unklar bleiben. Jedoch schafft Schenck es zu jeder offenen Frage mehrere Lösungsansätze zu finden. So passiert es, dass der Text nicht allein von ihrem Großvater, sondern vor allem von der Geschichte der Familie Schenck und dem Umgang Naomi Schencks wie auch ihrer Familie mit neuen und alten Fakten zur Geschichte des Großvaters handelt. Somit entsteht keine Biographie, sondern eine Suche der Enkelin nach Vergangenem und Verschwiegenem. Immer wieder thematisiert Naomi Schenck ihre eigene Befangenheit zu neuen Erkenntnissen oder Fakten, wie Meinungen von Bekannten und Befreundeten über ihren Großvater. Ihr posthumes Verhältnis  zu ihrem Großvater sowie ihre persönliche Bewertung von Geschehenem und Verschwiegenem und von ihr anders wahrgenommenen Ereignissen führt die Handlung, die der kreisförmigen Bewegung der Recherche Naomi Schencks folgt, in Sackgassen, zu neuen Erkenntnissen und in die schlussendliche Einsicht, dass viele Fragen offenbleiben müssen. Dennoch ist es wichtig und für das eigene Selbst produktiv sie zu stellen.
Das vorletzte Kapitel sticht besonders heraus. Hier finden sich „Die letzten 500 Jahre“ der Geschichte der Familie Schenck. In diesem Kapitel fällt auf, dass Schenck sich wenig auf sich selbst, auf ihre eigene oder die Geschichte des Großvaters bezieht. Während der Rest des Textes sich in kleinen Schritten der Erinnerungsfindung bewegt, findet sich hier ein Meilenstein, da es sich um die Geschehnisse der Vorfahren aus Sicht der Familienchronisten der Familie Schenck handelt. Hiermit wird ein abruptes Ende markiert, das alles bisher von Naomi Schenck Erschlossene hinter beziehungsweise vor sich lässt. Schenck bereitet der Geschichte ein offenes Ende, indem sie ihren Text als ein Fragment kennzeichnet, das folgende Schenck-Generationen fortführen können.
Naomi Schenck blickt mit ihrem Text als Mitglied der sogenannten ‚3.Generation‘ (nach dem 2. Weltkrieg) zurück. Sie zeigt das Bild von einer Generation, die aufklären möchte und doch befangen von persönlichen Erlebnissen ist. Über das ganze Werk wird deutlich, dass durch alle Generationen, Teilnehmenden bis Nachfolgenden (1950er Jahre, 1968er Bewegung und folgende Generationen) verschiedene Formen der Befindlichkeit zur NS-Zeit bestehen: Von Verurteilungen, über das Verschweigen, bis hin zu Personen, die mit der Zeit und der Beteiligung der eigenen Familie abgeschlossen haben. Somit entpuppt sich die Suche nach der Geschichte des Großvaters auch als ein Querschnitt durch deutsche Familien und deren Verarbeitung und oder Umgang mit deutscher NS-Geschichte.

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Thematische Aspekte zu Mein Großvater stand vorm Fenster und trank Tee Nr. 12 [ ↑ ]

Erotik
Mein Großvater stand vorm Fenster und trank Tee Nr. 12 weist im Hinblick auf das Thema Erotik eine Leerstelle auf. Weder im Leben des Großvaters werden erotische Beziehungen recherchiert oder thematisiert noch im Leben der Autorin selbst. 

Autobiographische Züge
In Mein Großvater stand vorm Fenster und trank Tee Nr. 12 rekonstruiert Naomi Schenck das Leben ihres Großvaters und gibt Einblick in ihre Familiengeschichte. Während ihrer Recherche- und Schreibarbeit stellt sie sich auch Fragen an ihre eigene Person. Immer wieder treten persönliche Auseinandersetzungen bezüglich Unvoreingenommenheit und Reflexionsvermögen in den Vordergrund. Hier bestimmt vor allem das Verhältnis Enkelin-Großvater die Reflexion der Arbeit Naomi Schencks, vor allem deren Ergebnisse. Auch wenn das Werk eine Biografie des Großvaters werden sollte, ist hier ein ‚memorial‘ entstanden das sich vor allem mit dem Leben und Denken Naomi Schencks beschäftigt. Bei der Recherche und Aufarbeitung der Familiengeschichte stößt Naomi Schenck auf Informationen, die moralische Fragen aufwerfen. Es findet ein ständiges Hinterfragen und Verhandeln statt. Die Wahrnehmung der Enkelin vor allem in der Kinderperspektive muss oft gegen eine Realität der Fakten der Recherche standhalten und fordert die Autorin in ihrer Schreibarbeit regelmäßig heraus. Die Beziehung Großvater-Enkelin ist hier diejenige, die hauptsächlich Einfluss auf Recherchearbeit und vor allem dessen Ergebnisse hat.

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Formale Aspekte Mein Großvater stand vorm Fenster und trank Tee Nr. 12 [ ↑ ]

Bildhafter Schreibstil
Alle Werke Naomi Schencks haben gemein, dass sie ein bildhaft-beschreibender Schreibstil kennzeichnet. Diese Bildhaftigkeit zeichnet sich durch eine genaue Etablierung von Vorstellungen des Raumes, in dem die Handlung stattfindet, wie auch das Erzeugen von Atmosphäre und mögliche Spannungen zwischen den Figuren aus. Die Texte evozieren auf diese Weise ein genaues Bild von Situationen und Orten.
Schon die Titel sind besonders sprechend wie zum Beispiel bei dem Roman Mein Großvater stand vorm Fenster und trank Tee Nr. 12.

Realität und Fiktion
Mein Großvater stand vorm Fenster und trank Tee Nr. 12 zeichnet die Besonderheit aus, dass die Beschreibung von Realem durch Naomi Schencks bildhaft-beschreibenden Stil einen Eindruck von fiktivem Geschehen erzeugt. Die Darstellung und das Nacherleben von Erinnerungen und Recherchiertem ist klar gekennzeichnet und trotzdem schafft es Schenck, den Leser durch ihre Darstellung der Realität in eine Art Raum zwischen Realität und Fiktion zu führen. Die Verbindung von Inszenierung realer Orte und der Nacherzählung ist ein besonderes Charakteristikum des Schreibstil Schencks. Vor allem in Textpassagen, in denen sie im Jetzt einen Ort betritt, den sie mit eigenen Erinnerungen füllt.

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Pressespiegel zu Mein Großvater stand vorm Fenster und trank Tee Nr.12 [ ↑ ]
Die Rezensionen fokussieren vor allem die Frage nach der Textsorte von Schencks Recherchearbeit und ihren Umgang mit der NS-Geschichte deutscher Familien. In diesem Zusammenhang bringt Eva Pfister (WOZ, 21.04.2016) das aus dem US-amerikanischen entlehnte Wort „Memoir“ an, das die Recherchebewegung Naomi Schencks genauer definiert. In der deutschen Sprache gibt es kein Wort, das die Vielfältigkeit einer solchen Textsorte zusammenfasst. Diese Undefinierbarkeit fällt auch Alexander Košenina (FAZ, 23.03.2016) auf, der durch das Ausschlussverfahren definiert: „Dieses Buch ist keine Biographie, keine Familienchronik, keine Fallgeschichte über deutsche Ambivalenz, kein Roman. Und doch ist es all das zugleich“. Auch Britta Heidemann (WAZ, 22.02.2016) stellt fest, dass Sckencks Buch eines ist, „das zwischen Biografie, Zeitgeschichte und sehr persönlicher Selbstbefragung mäandert“. Die Recherchearbeit Schencks, die die Haupthandlung des Buches darstellt, wird als Selbsterfahrung mit der eigenen Familiengeschichte gesehen, die von Eva Pfister als „durchaus unterhaltsam“ und Alexander Košenina als einen spannenden Vorgang beschrieben werden: „Vielmehr schreibt sie über das Schreiben selbst – […] Und auch über innere Widerstände und zahllose Schwierigkeiten“. Andere RezensentInnen stören sich an dieser Recherchearbeit, weil es an „Stringenz [fehlt] und die Autorin immer wieder ihr Ziel aus den Augen [verliert]“. Außerdem enttäuscht Schenck die „zu Beginn geschürte Erwartung […], dass sie schließlich doch etwas Aufregendes über das Wirken Günther Schencks in der Nazizeit in Erfahrung bringen könnte“ (Barbara Dobrick, SWR2, 03.05.2016). Auch Thomas Hummitzsch (der freitag, 14.03.2016) sieht die Recherchearbeit als ein „[Stochern] im Nebel der großväterlichen Biografie“; die Autorin versammle „viel Wahrscheinliches, wenig Sicheres“.
Der Stil Naomi Schencks führt nach Dobrick dazu, „dass man Naomi Schenck auf ihren mäandernden Wegen nicht immer gern folgt“ (Barbara Dobrick), denn „[s]ie streut Dialoge ein, die manchmal arg banal klingen; es gibt etliche Wiederholungen und sprachliche Schnitzer gibt es auch.“ Für Dobrick überträgt sich die Beschwerlichkeit, die die Erzählerin bei ihrer Schreibarbeit empfindet und die sie selbstreflexiv bekennt, auf den Rezeptionsvorgang.
Schencks Bestrebungen nach Aufklärung sind für Thomas Hummitzsch bezeichnend für „[eine] Generation der Enkel, die langsam zu durchbrechen versucht, was der israelische Psychologe Dan Bar-On als ‚doppelte Wand‘ beschreibt: das eiserne Schweigen der Kriegsgeneration und das fehlende Fragen ihrer Nachkommen“. Alexander Košenina fasst zusammen, dass „Schenck mit ihrer literarischen Reportage nun diesen ziemlich unbequemen Weg ein[schlägt] und [damit] zeigt, dass Deutschland auch drei Generationen nach dem Nationalsozialismus noch keine Normalität auf diesem Gebiet erreicht hat“, zudem trifft Naomi Schencks Text „die Gesellschaft einigermaßen unerwartet, aber mit unverminderter Wucht“. Thomas Hummitzsch bezeichnet Schencks Leistung als „mutig, weil sie den Täterbegriff auf die große Masse der Zuschauer im Dritten Reich ausdehnt“. In diesem Zusammenhang stellt Eva Pfister fest, dass „Naomi Schenck intensiv über moralische Probleme nach[denkt], aber sie verurteilt nicht.“ Britta Heidemann überlegt in eine ähnliche Richtung und merkt lobend an, dass „vielleicht nur die Enkel so schreiben können: forschend, aber nicht verurteilend, wach und selbstkritisch – eine Liebeserklärung an einen Menschen, der nahe war, und zugleich ein Versprechen, seine Fehler nicht zu wiederholen“. 

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