Tierschutzpreis 2022 Dr. Stephan Leisengang

Akute und chronische Schmerzen zählen zu den häufigsten Ursachen, die bei Mensch und Tier medizinische Unterstützung veranlassen. Oftmals kommt es dabei zu entzündlichen Veränderungen innerhalb des schmerzleitenden und -verarbeitenden Nervensystems. Da für viele schmerz-assoziierte Erkrankungen, insbesondere bei chronischen Schmerzen, nach wie vor keine zufriedenstellenden Therapiemöglichkeiten existieren, ist es essentiell zelluläre und molekulare Mechanismen von Veränderungen des Schmerzempfindens aufzuklären. Hierbei ist der Einsatz von Tiermodellen in der Schmerzforschung bislang nicht vollständig ersetzbar. Im Sinne des 3R-Prinzips (Replace, Reduce, Refine) und nach Vorgabe des Tierschutzgesetzes müssen Tierversuche jedoch auch immer auf Alternativmethoden hin hinterfragt werden und deren Unerlässlichkeit ausführlich begründet werden.

In den letzten Jahren lag dabei ein Schwerpunkt unserer Arbeit auf der Etablierung neuro-glialer Primärzellkulturen von Strukturen des Schmerzsystems, wie den Spinalganglien (dorsal root ganglia; DRG) und des Dorsalhorns des Rückenmarks (spinal dorsal horn; SDH). In mehreren Studien konnten wir zeigen, dass sich beide in vitro-Modelle eignen, um Einflüsse von Entzündungen auf die neuronale Erregbarkeit (periphere / zentrale Sensibilisierung), die Aktivierung ortsständiger Immun- & Gliazellen (z.B. Makrophagen, Satellitenglia-Zellen, Astrozyten, Mikroglia), sowie die Produktion und Freisetzung von Entzündungsmediatoren (z.B. Zytokine) detailliert zu untersuchen1,2,3. Basierend auf diesen Studien konnte in aufbauenden Versuchen gezeigt werden, dass sich beide Zellkulturen auch eignen, um Einflüsse pharmakologischer Substanzen und zellbasierter Therapieansätze näher zu charakterisieren4,5,6.

Zukünftig könnten sie damit ein nützliches Screening-Tool darstellen, um Mechanismen auf zellulärer und molekularer Ebene zu untersuchen und damit in vivo-Versuchsansätze zu ergänzen. Auch in der translationalen Forschung können Primärzellkulturen aufgrund ihrer hohen Reproduzierbarkeit ein gut vergleichbares Modell darstellen, um eine Übertragbarkeit zwischen unterschiedlichen Spezies zu gewährleisten.

1 Leisengang S et al. (2018) Primary cultures from rat dorsal root ganglia: responses of neurons and glial cells to somatosensory and inflammatory stimulation. Neuroscience, 394: 1-13, DOI: 10.1016/j.neuroscience.2018.10.018

2 Leisengang S et al. (2020a) Primary culture of the rat spinal dorsal horn: A tool to investigate the effetcs of inflammatory stimulation on the afferent somatosensory system. Pflügers Archiv - European Journal of Physiology 472(12):1769-1782, DOI: 10.1007/s00424-020-02478-y

3 Nürnberger F, […]  Leisengang S (2022c) Systemic lipopolysaccharide-challenge induces inflammatory changes in rat dorsal root ganglia: An ex vivo study. International Journal of Molecular Sciences 23(21):13124 DOI: 10.3390/ijms232113124

4 Leisengang S et al. (2020b) Effects of gabapentinoids on responses of primary cell cultures from rat dorsal root ganglia to inflammatory or somatosensory stimuli. Journal of Basic and Clinical Physiology and Pharmacology (JBCPP), DOI: 10.1515/jbcpp-2019-0261

5 Leisengang S et al. (2022a) Neuroinflammation in primary cultures of the rat spinal dorsal horn is attenuated in presence of adipose tissue derived medicinal signalling cells (AdMSCs) in a co-cultivation model. Molecular Neurobiology 59(1): 475-494, DOI: 10.1007/s12035-021-02601-9

6 Nürnberger F, […] Leisengang S (2022b) Gabapentinoids suppress lipopolysaccharide-induced interleukin-6 production in primary cell cultures of the rat spinal dorsal horn. Neuroimmunomodulation, DOI:10.1159/000525657