Zeitaufgelöste Elektronenbeugung

Was passiert an der Oberfläche eines Festkörpers, wenn man sie durch Beschuss mit einem kurzen Laserpuls extrem schnell anregt?

Gute Frage... Genau das wollen wir herausfinden. :-)

Der Beschuß der Oberfläche durch einen fs-Laserpuls führt zu einer starken Anregung des Elektronensystems an der Oberfläche des Festkörpers. In der Folge läuft eine komplexe Kette von Relaxationsprozessen ab, in deren Verlauf die Energie aus dem Elektronensystem auf das Kristallgitter übertragen wird -- der Kristall erwärmt sich. Die erhöhte Temperatur an der Oberfläche kann zu verschiedenen strukturellen Änderungen des Kristallgitters führen.  Die typische Zeitskala, auf der sich derartige strukturelle Änderungen (z.B. Phasenübergänge, Änderungen der Obeflächenrekonstruktion, chemische Reaktionen, etc.) an Oberflächen vollziehen, liegen in der Größenordnung von Picosekunden, d. h. 10-12 s. Für das Verständnis und die Kontrolle derartiger Vorgänge ist daher die Bereitstellung einer struktur- und temperatursensitiven Meßtechnik erforderlich, die eine zeitliche Auflösung im ps- und idealerweise auch im sub-ps-Bereich ermöglicht.

Zeitskalen

Abb. 1: Nach der Anregung einer Kristalloberfläche mit einem kurzen Laserpuls kommt es zu einer komplexen Kette von Prozessen, in deren Verlauf die Energie aus dem Elektronensystem an das Kristallgitter übertragen wird. Dabei können strukturelle Änderungen, chemische Reaktionen und Phasenübergänge an der Oberfläche ablaufen. Diese Vorgänge geschehen auf der Zeitskala von einigen Picosekunden, d.h. 10-12 s. Die kürzeste dem Experiment zugängliche Zeitskala liegt bei wenigen Femtosekunden (10-15 s, erzielt durch fs-Laserpulse), hier durch die grüne Schlangenlinie gekennzeichnet.

Zwar erlaubt auch die Second Harmonic Generation (SHG)1  die Beobachtung struktureller Änderungen mit der notwendigen zeitlichen Auflösung, aber die gewonnenen Erkenntnisse geben nur Aufschluß über die Symmetrie der Oberfläche, nicht jedoch über ihre geometrische Struktur. Darüber hinaus kann Oberflächenempfindlichkeit nur für eine begrenzte Klasse von Materialien erzielt werden; aufgrund zusätzlicher Beiträge aus dem Volumen des Kristalls können die Oberflächeneigenschaften aus der beobachteten SHG-Intensität nicht immer eindeutig bestimmt werden. Es ist daher zu erwarten, daß zeitaufgelöste Elektronenbeugungsexperimente die Zahl der zugänglichen Materialsysteme, sowie die erzielbaren Informationen im Zusammenspiel mit der Second Harmonic Generation deutlich erhöhen werden.

 

 

Wie sieht so ein Experiment zur zeitaufgelösten Elektronenbeugung aus?

Für das Experiment wird ein Pump-Probe-Aufbau (s. Abb. 2) gewählt. Dabei wird ein kurzer, intensiver Laserpuls mit Hilfe eines Strahlteilers in zwei Teilstrahlen aufgespalten, von denen einer (der Pump-Puls, hier: 1) zur Anregung der untersuchten Oberfläche verwendet wird; der andere Teilstrahl (der Probe-Puls, hier: 2) generiert in einer Photoelektronen-Kanone ein Elektronenpaket, das mittels elektrostatischer und magnetischer Linsen kollimiert und auf die Probe gelenkt wird. Dabei muß die Kanone so konstruiert werden, daß das Elektronenpaket beim Auftreffen auf die Oberfläche eine Dauer von nur wenigen ps hat. (Über die erfolgreiche Konstruktion einer ps-RHEED-Kanone mit einer zeitlichen Auflösung von 5 ps wurde bereits 1995 berichtet, M. Aeschlimann, H. Elsayed-Ali et al., Rev. Sci. Instrum. 66, 1000 (1995).) Mittels einer Verzögerungsstrecke kann die Zeitverzögerung (delay) eingestellt werden, um die der Elektronenpuls später auf die Oberfläche trifft als der anregende Laserpuls. Da sich das Licht sehr viel schneller bewegt als die Elektronen, muß sich die Verzögerungsstrecke im Teilstrahl 1 befinden.

Versuchsaufbau ps-RHEED

RHEED-Geometrie

Abb. 2: Darstellung eines zeitaufgelösten Elektronenbeugungs-Experimentes in der "RHEED-Geometrie". Ein Laserstrahl wird in zwei Teilstrahlen zerlegt. Teilstrahl 1, der Pump-Puls, regt die Oberfläche an, Teilstrahl 2 erzeugt in einer Photoelektronen-Kanone einen kurzen Elektronenpuls, den Probe-Puls. Die Elektronen treffen mit hohen Energien (typisch: 10 keV, entspricht einer Geschwindigkeit von 60000 km/s) unter einem flachen Winkel (typisch: 3...5°) auf die Oberfläche eines Kristalls. Die gebeugten Elektronen werden mit Hilfe eines SPA-RHEED-Detektors winkelaufgelöst und mit sehr hoher Empfindlichkeit detektiert.

Die Detektion der gebeugten Elektronen erfolgt mittels einer SPA-RHEED-Detektionseinheit. Diese besteht im wesentlichen aus zwei elektrostatischen Oktopolen und einem Channeltron-Verstärker, sowie -- als Alternative zur Detektion im Channeltron -- einem Leuchtschirm. Durch Anlegen geeigneter Spannungen an die Ablenkplatten der Oktopole können gebeugte Elektronen, die durch die Eintrittsblende in die Detektionseinheit gelangt sind, auf das Channeltron gelenkt werden, so daß bei fester Channeltronposition durch Anlegen geeigneter Ablenkspannungen ein Ausschnitt des reziproken Raumes abgetastet werden kann. Die Verwendung eines Channeltrons ermöglicht eine extrem hohe Nachweisempfindlichkeit und einen großen Dynamikbereich (1 count/min...107 counts/s). Diese Vorteile sind für die Reflexprofilanalyse (Spot Profile Analysis, daher: SPA-RHEED) von großer Bedeutung, da bei dieser Technik insbesondere die Flanken der Reflexprofile einen wesentlichen Teil der Information über die Oberflächenmorphologie tragen. Für die zeitaufgelöste Elektronenbeugung ist die hohe Nachweisempfindlichkeit wichtig; die Gründe hierfür werden im Folgenden ausgeführt.

 

Welche Hindernisse stehen der Konstruktion der Photoelektronenkanone im Wege?

Die Elektronen werden durch Photoemission aus einem dünnen Silber- oder Goldfilm, der auf ein Saphirsubstrat (Al2O3) aufgebracht wird, erzeugt. Dazu muß zunächst die Laserstrahlung des verwendeten Titan-Saphir-Lasers frequenzvervierfacht werden, damit die Austrittsarbeit aus dem Silber- bzw. Goldfilm (Ag: ~ 4.5 eV, Au: ~ 5 eV) durch einen Einphotonenprozeß bereitgestellt werden kann (s. Abb. 3). Der Emissionsprozeß erzeugt ein Elektronenpaket, das ungefähr dieselbe Dauer wie der Laserpuls hat. Dieses Elektronenpaket muß nun in einem kollimierten Puls auf die Oberfläche des untersuchten Kristalls gelenkt werden.

 

Photoeffekt

Abb. 3: Die Frequenz des ursprünglichen Laserstrahls wird zunächst vervierfacht und dann auf einen dünnen Silber- oder Goldfilm eingestrahlt, der auf ein Saphirsubstrat (Al2O3) aufgedampft wird. Das Lichtquanten sind dann genügend energiereich, um ein Photoelektron durch Absorption eines einzelnen Lichtquantes aus dem Metallfilm auszulösen (Einphotonen-Photoemission).

Um eine hohe zeitliche Auflösung zu erreichen, muß dabei eine Reihe von Mechanismen beachtet werden, die zu einer zeitlichen "Verschmierung" der Elektronenpulses führen können. Dies sind im einzelnen

  • Raumladungseffekte aufgrund der Abstoßung der Elektronen untereinander,
  • Laufzeitdifferenzen aufgrund unterschiedlicher Startenergien der Elektronen nach dem Verlassen der Photokathode (s. Abb. 4a),
  • Laufzeitdifferenzen zwischen Elektronen, die auf achsennahen und achsenfernen Bahnen die Kanone durchlaufen,
  • sowie Laufzeitdifferenzen aufgrund des schrägen Einfalls des Elektronenstrahls auf die Probe (s. Abb. 4b).
Energiedifferenz schräges Auftreffen

Abb. 4a: Elektronen, die beim Verlassen der Photokathode eine Energiedifferenz aufweisen, werden bei einer fest vorgegebenen Laufstrecke von der Photokathode zur Probe unterschiedlich lange Zeit benötigen. Dies führt zu einer zeitlichen Verbreiterung des Elektronenpulses.

Abb. 4b: Bei schrägem Auftreffen der Elektronen auf die Kristalloberfläche kommt es aufgrund der unterschiedlich langen Laufstrecken der äußeren Teilstrahlen zu einer zeitlichen Verbreiterung des Pulses.

 
Um die negativen Auswirkungen der Raumladungseffekte zu mindern, wird die Laserintensität so weit verringert, daß nur etwa 103-104 Elektronen pro Laserschuß aus der Photokathode ausgelöst werden. Diese werden durch ein sehr starkes elektrisches Feld (ca. 6 kV/mm) auf die kinetische Energie von 10 keV beschleunigt. Dies ist aus zwei Gründen sinnvoll: in der ersten Ausbaustufe soll ein zeitaufgelöstes RHEED-Experiment aufgebaut werden, bei dem die Elektronen mit einer Energie von einigen keV unter kleinem Glanzwinkel (~ 3...5°) auf die Oberfläche treffen. (Zu einem späteren Zeitpunkt kann das Experiment dann derart erweitert werden, daß die Elektronen kurz vor der Probe wieder abgebremst werden. Die langsamen Elektronen dienen dann als Sonden in einem LEED-Experiment.) Die Zwischenbeschleunigung hat den Vorteil, daß die Elektronen eine geringere Flug- und damit auch Wechselwirkungsdauer zwischen dem Verlassen der Photokathode und dem Erreichen der Oberfläche haben, so daß die gegenseitige Abstoßung der Elektronen untereinander nicht so sehr ins Gewicht fällt wie bei langsamen Elektronen.

Nach dem Verlassen der Photokathode haben die Elektronen unterschiedliche kinetische Energien aufgrund der Energiedifferenz zwischen den Photonen und der Austrittsarbeit des Kathodenmaterials. Bei einer geeigneten Kombination aus Photonenenergie und Austrittsarbeit kann die Breite der Energieverteilung auf etwa 0.1 eV reduziert werden (s. Aeschlimann et al., op. cit.). Edelmetalle bieten sich als Kathodenmaterialien an, da sie eine hohe Austrittsarbeit und eine hohe Dichte freier Elektronen aufweisen,  mechanisch robust sind und an Luft nicht oxidieren, was die Präparation der Photokathoden erleichtert. Es werden dünne Ag- oder Au-Filme, typischerweise 20...40 nm, auf ein Saphir- oder Glimmer-Trägersubstrat aufgebracht, um zu verhindern, daß durch Stoßprozesse im Film die Energieverteilung der ausgelösten Elektronen verbreitert wird.

Neben Raumladungseffekten und unterschiedlichen Startenergien der Elektronen gibt es Laufzeitdifferenzen aufgrund unterschiedlicher Weglängen der Elektronen auf ihrem Weg zur Oberfläche. Diese können durch die Verwendung elektrostatischer oder magnetischer Linsen und durch schräges Auftreffen der Elektronen auf die Oberfläche zustande kommen. Die Linsen sollten daher so gewählt werden, daß die Brennweite groß ist und daß die Elektronen möglichst keine Gebiete mit hohem Potential durchlaufen müssen. In vielen Publikationen, in denen dieses Thema behandelt wird, schlagen die Autoren daher die Verwendung magnetischer Linsen vor, in denen die Elektronen -- anders als bei elektrostatischen Linsen -- keine Gebiete mit geringer kinetischer Energie durchlaufen müssen (s. z.B. K. Kinoshita, M. Ito und Y. Suzuki, Rev. Sci. Instrum. 58, 932 (1987)). Bei Verwendung langsamer Elektronen als Sonden würde ein schräger Einfall der Elektronen auf die Oberfläche die zeitliche Auflösung enorm verschlechtern (s. Abb. 4b), daher muß entweder eine hohe Elektronenenergie bei schrägem Einfall gewählt werden (also: ps-RHEED) oder die Elektronen müssen vor der Oberfläche wieder abgebremst und derart abgelenkt werden, daß sie senkrecht und in einem möglichst parallelen Strahl auf diese auftreffen (ps-LEED).

Wie geht es weiter? Was ist mit dem ps-LEED?

Die Konstruktion eine LEED-Experimentes mit ps-Zeitauflösung ist letztlich das Ziel dieses Projektes. Um dies zu erreichen, muß sichergestellt werden, daß die Elektronen nahezu senkrecht (nicht viel mehr als 0.1° Abweichung von der Oberflächennormale ist tolerabel!) auf die Oberfläche auftreffen, wobei gewährleistet sein muß, daß der Elektronenstrahl beim Auftreffen auf die Oberfläche gut kollimiert ist, damit ein Beugungsexperiment überhaupt möglich ist. Der geplante Versuchsaufbau (s. Abb. 5) orientiert sich an einem LEEM-Aufbau (Low Energy Electron Microscope) 3.


ps-LEED

Abb. 5: Konzept eines zeitlaufgelösten LEED-Experimentes. Die Elektronen werden wie beim ps-RHEED in einer Photoelektronen-Kanone erzeugt. Um den senkrechten Einfall auf die Oberfläche zu gewährleisten, wird ein magnetisches Sektorfeld in den Strahlengang eingeführt, das in Verbindung mit einer Objektivlinse die Elektronen auf LEED-typische Energien abbremst und einen kollimierten Elektronenstrahl erzeugt. Die von der Oberfläche rückgestreuten Elektronen werden durch das Sektorfeld in Richtung Detektionseinheit abgelenkt, wobei eine Projektionslinse den Strahl aufweitet, um eine hinreichende Separation der Reflexe voneinander zu erzielen.

Die Elektronenkanone wird vom ps-RHEED übernommen. Die wesentliche Neuerung ist die Verwendung eines magnetischen Sektorfeldes, das den Elektronenstrahl senkrecht auf die Oberfläche lenkt. Mittels einer Objektivlinse wird der Elektronenstrahl auf LEED-typische Energien (5-500 eV) abgebremst, kollimiert und auf die Oberfläche fokussiert. Die von der Oberfläche gestreuten Elektronen werden im elektrischen Feld zwischen der Oberfläche und der Objektivlinse wieder auf die Ausgangsenergie beschleunigt und beim erneuten Durchqueren des Sektorfeldes in Richtung der Detektionseinheit abgelenkt. Um die geringe Separation der Intensitätsmaxima zu vergrößern, wird zwischen das magnetische Sektorfeld und die Eintrittsöffnung des SPA-RHEED-Detektors eine zusätzliche Projektionslinse eingefügt, die den Strahl aufweitet, so daß eine sinnvolle Trennung der Reflexe im Detektor möglich ist. Bei der komplizierten Konstruktion des magnetischen Sektorfeldes und der elektrostatischen Linse können Anleihen bei bestehenden LEEM-Sektorfeldern und -Objektivlinsen gemacht werden. Diese müssen -- ebenso wie im LEED-Experiment -- die Winkeltreue der Abbildung im Sektorfeld gewährleisten.