Rastertunnelmikroskopie (engl. Scanning Tunneling Microscopy (STM))

Das Meßprinzip

Das Rastertunnelmikroskop ermöglicht eine Untersuchung der Oberfläche mit atomarer Auflösung - d.h. Darstellung einzelner Atome.
Die Meßmethode beruht auf dem quantenmechanischen Tunneleffekt. Dabei wird ausgenutzt, daß schon vor dem eigentlichen Kontakt von zwei Leitern bei angelegter Spannung ein Strom fließen kann, der sehr stark, nämlich exponentiell, von der Dicke der Barriere zwischen diesen abhängt. Barriere ist hier nicht unbedingt im materiellen Sinne zu verstehen - auch das Vakuum zwischen zwei Leitern stellt eine Barriere, einen sogenannten Potentialwall, dar.
Man spricht hier von Tunneleffekt, weil die Elektronen die Barriere nicht klassisch überwinden - dazu fehlt es Ihnen an der nötigen Energie um sinnbildlich auf die Höhe der Barriere zu steigen und diese zu überwinden - sondern sie durchtunneln diese einfach aufgrund der quantenmechanischen Welleneigenschaften. In der Quantenmechanik verknüpft man die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons mit einer sogenannten Welle(nfunktion), genauer mit der Intensität dieser Welle. Trifft nun diese Welle auf ein Hindernis wie einen Potentialwall, wird sie teilweise reflektiert, teilweise durchgelassen, das letztere stark gedämpft. Dieser Dämpfung entspricht die Verminderung des fließenden Stroms aus Elektronen.
Eine leitende Oberfläche kann man nun untersuchen, indem man diese mit einer im Idealfall atomar spitzen, d.h. aus einem Atom bestehende Spitze, abrastert und sich dabei sowohl jeweilige Position über der Oberfläche, als auch den Strom bzw. den Abstand von Spitze und Probe notiert.

Der Potentialverlauf entlang der Z-Achse ist links aufgetragen. Grün eingezeichnet ist der Potentialwall zwischen blauer Probe und roter Meßspitze. Als blauer bzw. roter Strich ist das Ferminiveau von Probe und Spitze eingezeichnet, die durch die angelegte Spannung U auf unterschiedlicher Höhe liegen.

Wie oben schon erwähnt besteht der elektrische Strom zwischen beiden Leitern aus Elektronen, die von einem Leiter zum anderen durch die dazwischenliegende Barriere hindurch tunneln. Quantenmechanisch können an Atome oder Moleküle gebundene Elektronen nur bestimmte Zustände, die mit einer bestimmten Energie verbunden sind, einnehmen. Von dieser Anzahl möglicher Zustände sind nur eine gewisse Anzahl besetzt. Dies ermöglicht je nach Stromrichtung eine Abbildung besetzter bzw. unbesetzter Zustände, über die der Strom fließt. Durch eine Änderung der Spannung kann die Auswahl der für den Strom genutzten Zustände variiert werden. Das wirkt sich so aus, daß der Bildkontrast sich je nach eingestellter Spannung erheblich ändern kann.

Typischer Aufbau

Die Umsetzung der bestechend einfachen Idee hat eine experimentelle Pionierleistung erfordert, für die G. Binnig und E. Rohrer 1986, nur vier Jahre nach der Konstruktion ihres Mikroskopes, mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden sind.
Die Meßspitze muß in einem Abstand von wenigen Angström, d.h. dem typischen Abstand von Atomen untereinander auf der zu untersuchenden Oberfläche, über eben diese Fläche geführt werden. Dabei müssen folgende Dinge gewährleistet sein:

  • Die Anordnung von Probe und Spitze zueinander sollte relativ starr sein, damit diese sich nicht bei Schwingungen gegeneinander bewegen können.
  • Die Anordnung muß gegenüber Schwingungen von außen abgeschirmt werden. Dies verlangt eine gute Dämpfung. Typische Mittel:
    • Federn: Die Anordnung mit Spitze und Probe wird an Federn aufgehängt.
    • Wirbelstromdämpfung: Dabei wird ausgenutzt, daß in einem Leiter, der sich in einem Magnetfeld bewegt, Strom induziert wird. Die für den Aufbau des Stromes benötigte Energie wird der Bewegungsenergie des Leiters entzogen. Diese Art der Dämpfung ist sehr gut mit Federn kombinierbar.
    • Dämpfende Bauteile z.B. spezielle Gummiringe, Wellbalge
    • Pneumatische Dämpfung der Apparatur als ganzes über Luftfederfüße
    • Dämpfung der Apparatur als ganzes z.B. durch gefederten Aufbau im Keller eines Gebäudes
  • Das Rastern über die Oberfläche, ähnlich wie der Aufbau eines Fernsehbildes, ist sehr genau durchzuführen. Die Steuerung der Spitze geschieht dabei mit einer Piezokeramik. Durch anlegen einer Spannung kann die Ausdehnung und bei den zylinderförmigen, sogenannten Tubescannern, auch die Auslenkung verändert werden - dies in der benötigten Genauigkeit von Bruchteilen von Angström. Eine rein mechanische Lösung wäre nicht genau genug. Die Grobannäherung der Spitze an die Probe wird üblicherweise entweder optisch vom Benutzer oder automatisch von einem Programm anhand bekannter Daten zur Anordnung durchgeführt. Der Übergang in den eigentlichen Meßbetrieb nahe der Oberfläche wird üblicherweise mit einer Schleife ausgeführt. Dabei wird die Piezokeramik mit der darauf montierten Spitze zusammengezogen und als ganzes typischerweise von einer zweiten Piezokeramik ein Stück näher an die Oberfläche herangeführt. Spezieller geschieht dies unter Ausnutzung der Trägheit - der Scanner mit der Spitze wird näher herangeführt und die Piezokeramik so schnell zurückgezogen, daß der Scanner aus Trägheit nicht folgen kann - ähnlich wie der Trick die Tischdecke wegzuziehen, ohne das Geschirr zu entfernen. Die Spitze wird nach dieser groben Bewegung ausgezogen, während dabei der Strom über Spitze und Probe gemessen wird. Fließt ein Strom, ist der Tunnelbetrieb hergestellt. Ansonsten wird dieser Prozess so lange schnell hintereinander wiederholt, bis dies der Fall ist. Wie oben angeführt muß die Spitze im Idealfall am Ende aus einem Atom bestehen.
  • Typische Materialien für eine Spitze:
    • Wolfram: Dieses Material wird wegen der niedrigen Austrittsarbeit der Elektronen für Messungen im Vakuum angewendet. Die angelegte Spannung kann deswegen für einen meßbaren Strom niedriger gewählt werden. Dies ist von Vorteil, da durch den geringen Abstand der Spitze zur Probe nämlich ein starkes elektrisches Feld von mehr als 10 10 V/m entsteht, das sehr leicht eine Veränderung der Spitze bzw. der Probe bewirken kann.
    • Eine typische Präparation der Spitze ist ein elektrochemisches Ätzen von einem Draht, beispielsweise 0,25 mm dick, in einer starken Natronlauge. Durch Konvektion an der Oberfläche wird der Draht dort besonders stark geätzt und immer dünner. Ist der untere Bereich des Drahtes, der in der Lauge hängt, abgefallen, kann eine Elektronik automatisch den Strom für den Ätzprozeß abstellen. Zusätzlich kann die Spitze noch im Vakuum durch kurzzeitige Erhitzung und Rekristallisierung gehärtet werden.
    • Gold/Platin-Irridium: Ein Rastertunnelmikroskop kann auch an Luft betrieben werden. Allerdings wird dafür eine Spitze benötigt, die nicht oxidieren kann, denn das Oxid würde den Tunnelprozeß stark behindern, wenn nicht sogar unmöglich machen. Deswegen sind wenig reaktive Materialien notwendig.
    • Eine typische Präparation ist das Ziehen eines Drahtes, bis dieser reißt, oder das Abkneifen mit einer Kneifzange. Die Reiß- bzw. Schnittfläche ist dann die Spitze.

Regelung

 

Die Regelung des Abstandes der Spitze von der Probe im constant current-mode ist hier schematisch dargestellt. Der über Probe und Spitze fließende Strom, mit einer Stromstärke im Bereich von weniger als einem nA, wird am Anfang der Regelungsschleife verstärkt und wegen der exponentiellen Abhängigkeit des Stromes vom Abstand der Spitze zur Probe logarithmiert und in eine Spannung umgewandelt. Damit erhält man eine rein lineare Abhängigkeit des weiteren Signals vom Abstand. Davon wird mit einer Vorgabe eine Differenz gebildet. Diese Differenz kann auf unterschiedliche Art und Weise kompensiert werden. Die beiden häufigsten Arten sind die Differenz zeitlich zu summieren d.h. zu integrieren (Integralanteil) bzw. direkt die Differenz zu nehmen (Proportional-Anteil) und diese mit einem jeweils einzustellenden Vorfaktor zu gewichten. Ist der Abstand geregelt, wird die Höheninformation der Piezokeramik d.h. die angelegte Spannung für die Änderung des Abstandes, als Bildinformation aufgenommen.

Meßarten

Die am häufigsten eingesetzten Meßarten sind:

  • Constant-Current-Mode: Hierbei wird der Abstand der Spitze zu der Probe so variiert, daß der gemessene Strom konstant bleibt. Für Halbleiter ist ein Tunnelstrom von 0,40 nA beispielhaft. Die Information für einen Bildpunkt steht dann indirekt über die Z-Spannung und damit Höhe der Piezokeramik mit der montierten Spitze zur Verfügung. Als Ergebnis steht eine Überlagerung von Geometrie und elektronischen Zustandsdichten zur Verfügung.
  • Constant-Height-Mode: Hierbei wird die Höhe des Piezos nicht verändert bzw. werden die Kopplungsparameter für die Regelung sehr niedrig gehalten um wenigstens Höhenunterschiede über große Strecken auszugleichen. Als Ergebnis entsteht eine topologische Karte der elektronischen Zustandsdichten auf der Oberfläche.

Experimentelles Geschick

Folgende Punkte sind für gute Meßergebnisse zu berücksichtigen:

 

 

Regelungsparameter: Die Regelungsparameter sind so zu wählen, daß die Regelung weder zu stark ist und anfängt zu schwingen (im Bild ist die Bewegung der Spitze als gelbe Linie eingezeichnet), noch so schwach ist, daß die Spitze kaum den Strukturen auf der Oberfläche folgen kann. Ein Überschwingen ist leicht zu erkennen, der andere Fall braucht ein Auge für das Detail - eine schwache Regelung zeigt sich typischerweise in scheinbar glatten, abfallenden Flanken an Oberflächenstrukturen. Die Bewegung der Spitze ist beispielhaft grün eingezeichnet. Ein idealisierter Verlauf der Bewegung der Spitze bei guter Regelung ist grau eingezeichnet. Ist die Regelung zu schwach, besteht natürlich die Gefahr, daß die Spitze beim abfahren der Probe regelrecht in die Probe crasht. Dies reduziert sowohl in den allermeisten Fällen augenblicklich die Auflösung, als auch die Lebensdauer der Spitze.

Tunnelparameter: Für jede Art von Oberfläche müssen sinnvolle Parameter für Strom und Spannung gefunden werden. Typische Werte für eine Siliziumoberfläche sind eine Spannung von 2 V und ein Tunnelstrom von 0,4 n A. Für Metalle muß die Spannung wesentlich geringer gewählt werden, da die Anzahl der Elektronen sehr viel höher als in Halbleitern wie Silizium ist.
Ein anderer Aspekt ist die Stabilität der Auflösung - bei unpassend gewählten Parametern kann sich Material von der Probe auf der Spitze absetzen. Generell erhöht eine hohe Spannung und damit ein hohes elektrisches Feld die Wahrscheinlichkeit, daß sich die Spitze ändert. Eine kurzzeitige hohe Spannung kann aber auch dazu verwendet werden, eine Spitze zu reinigen.

Geduld: Die Form der Spitze ist nur im Idealfall atomar spitz. Es ist durchaus üblich, daß über Stunden keine sinnvolle Aufläsung erreicht werden kann. Gerade bei neuen Spitzen dauert es Erfahrungsgemäß eine Weile, bis sie Auflösung zeigen. Da die Auflösung sich von einem Augenblick zum anderen ändern kann, ist ein automatischer Betrieb nicht in jedem Fall sinnvoll. Ist die Auflösung zufriedenstellend, sollte man auch die Bereitschaft haben die Meßzeit einmal zu verlängern, und dafür am nächsten Tag einfach später zu kommen. Dazu kommt, daß gerade nachts viele Störquellen nicht aktiv sind.

Eigenschaften

Das notwendige fließen eines Stromes ist ein wesentlicher Nachteil dieser Meßmethode, denn Isolatoren können mit einem Rastertunnelmikroskop naturgemäß nicht untersucht werden. Der Nachteil kann teilweise ausgeglichen werden, indem die Schicht aus Isolatoren sehr dünn auf Leitern aufgetragen wird - im Idealfall nur wenige bis eine Atom- bzw. Molekülage. Auch ein chemischer Kontrast, wie man ihn von anderen Meßmethoden wie dem Rasterelektronenmikroskop her kennt, ist nicht gegeben. Eine weitere Einschränkung ist der relativ kleine Ausschnitt von bis zu einigen tausend Atomabständen, den man in einer gegebenen Zeit von einer Oberfläche untersuchen kann. Es bietet sich daher an, Methoden zur Ergänzung heranzuziehen, die die Probe großflächiger charakterisieren können. Dazu gehören beispielsweise Elektronenbeugung und Rasterelektronenmikroskopie.
Ein Vorteil des Rastertunnelmikroskopes ist, daß sie im Gegensatz zu Methoden die Elektronenstrahlen benutzen auch an Luft oder in bestimmten flüssigen Medien eingesetzt werden kann.

Interpretation der Meßdaten

Die Interpretation der Aufnahmen ist nicht so einfach, wie der Slogan "Atome sehen" es vermittelt. Die wesentlichen Gründe:

  • Die aktuelle Form der Spitze kann entscheidend sein - sitzen zwei Atome der Spitze im ähnlichen Abstand zur Probe, kommt es zu sogenannten Geisterbildern, da sich die Information von zwei Meßpunkten überlagert.
  • Wie oben erwähnt, besitzt das Rastertunnelmikroskop keinen chemischen Kontrast d.h. man kann z.B. anhand eines Constant-Current-Mode Bildes nicht zuverlässig erkennen, ob man an einer Stelle z.B. Gold, oder Silizium hat. Man kann zwar einen so genannten Spektroskopiemodus verwenden - erfahrungsgemäß ist da aber eine sehr gute Spitze - und damit gute Auflösung bei "normalen" Constant-Current-Mode Bildern - eher kontraproduktiv.
    Das heißt nun nicht, daß es keinen chemischen Kontrast geben kann - Blei auf Silizium ist ein gutes Beispiel - nur daß es keinen generellen Kontrast gibt, der Elementabhängig ist.
  • Interpretationsbedarf kann sogar in der Frage bestehen, ob man an einer Stelle auf der Oberfläche ein Atom sitzen hat, oder nicht. Gerade kovalente Bindungen, wo sich zwei Atome Elektronen teilen, werden bei negativer Tunnelspannung einzelne Atome überlagern, da die Aufenthaltswahrscheinlichkeit von Elektronen in den Bindungen sehr groß ist.
  • Die Spitze beeinflußt die Oberfläche - es gibt Extrembeispiele, wo die Spitze über eine Strecke ein Oberflächenatom mit sich zieht und dabei fälschlicherweise eine relativ glatte Oberfläche mißt.

Literatur

C. Julian Chen:
Introduction to scanning tunneling microscopy,
Oxford Series in Optical and Imageing Sciences, 1993

R. Wiesendanger:
Scanning Tunneling Microscopy I,
Springer-Verlag, 1992

H.Rohrer:
Scanning tunneling microscopy: a surface science tool and beyond,
Surface Science, vol.299/300, p.959-964, 1994

B. A. Morgan and G. W. Stupian:
Digital feedback control loops for scanning tunneling microscopes
Rev.~Sci.~Instrum., vol.62(12), p.3112-3113, 1991

T M H Wong and M E Welland:
A digital control system for scanning tunnelling microscopy and atomic force microscopy
Meas.~Sci.~Technol., Vol.4, p.270-280, 1993

Glossar

Ferminiveau
Das Ferminiveau ist beim absoluten Temperaturnullpunkt das Energieniveau, bis zu der alle Zustände besetzt sind. Man kann sich das in etwa wie den Wasserspiegel bei ruhiger See vorstellen - nur daß sich unter diesem Niveau Elektronen statt Wassermoleküle befinden.

Fermiteilchen
Fermiteilchen, wie Elektronen es sind, folgen dem Pauli-Prinzip. Das heißt, kein anderes Elektron kann in dem gegebenen System z.B. ein Atom, oder ein Kristall, denselben Zustand einnehmen. Eine Überschneidung in einer oder mehrerer Eigenschaften ist möglich, allerdings keine vollkommene Übereinstimmung.

Tunnelspannung
Damit ist die Spannung zwischen Spitze und zu untersuchender Probe gemeint. Negative Tunnelspannung bedeutet, daß die Probe negativ ist, also Elektronen von der Probe zur Spitze tunneln. Positive Tunnelspannung ist die umgekehrte Polung.

Zustände
Ein Zustand ist eine Ansammlung von Eigenschaften wie z.B. Energie, Bahndrehimpuls usw. eines Teilchens oder auch ganzer Systeme.