SSIOD

SSIOD - stressig und spannend

Mit Hilfe der optischen Meßmethode SSIOD ("Surface Stress Induced Optical Deflection") können Verspannungen in dünnsten Schichten quantitativ bestimmt werden.

Wodurch kann Verspannung entstehen?

Die Atome an der Oberfläche eines Festkörpers befinden sich nicht auf den Positionen, die sie bei einem unendlich periodisch fortgesetzten Kristallgitter hätten ( gewissermaßen als sei der Festkörper einfach nur durchgeschnitten worden, daher auch truncated bulk-Oberfläche genannt ), sondern sie versuchen, für ihre freien Bindungen ( sog. dangling bonds ) neue Bindungspartner zu finden. Die treibende Kraft für diese sogenannte Rekonstruktion ist die Minimierung der Gesamtenergie. Diese wird aber "erkauft" mit einer Verspannung der Oberfläche, da die einzelnen Bindungen der Si-Atome verbogen werden müssen, um z.B. die gezeigte Struktur zu bilden.


Die Abbildung zeigt eine schematische Darstellung ( Aufsicht und Schnitt ) einer der berühmtesten Rekonstruktionen überhaupt: Die Si(7x7) Struktur der Si(111)-Oberfläche nach Takayanagi et al.. Die wesentlichen strukturellen Merkmale der (7x7) sind Dimere ( jeweils zwischen den dreieckigen Bereichen ), Adatome ( Dargestellt durch die hellsten Kugeln ) und Stapelfehler ( gut im Schnitt zu erkennen; in der Aufsicht im dunkelgrauen Teil ), so daß Rekonstruktionen dieses Aufbaus ( z.B. die (5x5) und (9x9) auf der Si(111) Fläche als DAS-Strukturen bezeichnet werden.
Die Verspannung der (7x7) ist recht hoch: Fast 3 N/m !

Eine andere typische Ursache für die Entstehung von Verspannungen in dünnen Filmen ist die Gitterfehlanpassung. Versucht man z.B., eine zusammenhängende Schicht aus Ge-Atomen ( hier grün ) auf einem Si-Kristall ( blau ) zu erzeugen, so müssen die um etwa 4,2% größeren Ge-Atome sich zunächst lateral zusammenpressen, um auf das Si-Gitter zu passen ( sogenanntes pseudomorphes Wachstum )

Da durch die dabei entstehenden enormen Spannungen ( Experiment für zu Hause: Man komprimiere einen 5x5x5cm³ Ge-Kristall elastisch um einen viertel Zentimeter in zwei Richtungen, die nötigen Drücke liegen bei einigen GPa ! ) aber auch Verspannungsenergie aufgebaut wird, kann eine solche Kompression nicht lange funktionieren ( nämlich nur wenige atomare Lagen ) und es werden sich Versetzungen bilden, die das Ge wieder entspannen.

 

Warum ist Verspannung wichtig?

Das Beispiel des pseudomorphen Wachstums zeigt, daß Verspannung ( engl. stress ) und Verzerrung ( engl. strain ) eines Kristallgitters untrennbar, d.h. über die elastischen Eigenschaften des Materials, miteinander verbunden sind. Das Bloch-Theorem der Quantenmechanik sagt, daß die Bandstruktur wesentlich durch die Periodizität des Kristallgitters bestimmt wird ( genauer: Translations- und Hamiltonoperator vertauschen, so daß die Lösungen der Schrödinger-Gleichung Eigenfunktionen zu beiden Operatoren sein müssen ). Somit werden die elektronischen Eigenschaften eines Festkörpers maßgeblich durch eine Störung seiner ursprünglichen Gitter-Periodizität verändert ( was insbesondere für kleinste Strukturen, z.B. Quantenpunkte gilt. Deren elektronischen Eigenschaften sind ohne Kenntnis ihrer Verspannung nicht zu verstehen ).

Auch das Wachstum von Schichten wird wesentlich beeinflußt durch die Verspannung. Im thermodynamischen Gleichgewicht erlaubt eine Energiebilanz, bei der man die spezifischen freien Oberflächenenergien von Adsorbat, Interface und Substrat sowie die freie Energie der Schichtverspannung miteinander vergleicht, eine Abschätzung darüber, ob ein Material auf einem anderen glatt wachsen kann oder nicht:

 

 

Dieser Bilanz liegt folgende Idee zugrunde: Sind die freien Oberflächenenergien von Adsorbat und Interface groß, dann wird das System versuchen, sowohl die Grenzfläche zwischen Substrat und Adsorbat als auch die Oberfläche des Adsorbates zu minimieren - es kommt zur Tropfenbildung ( wie Wasser auf einer frisch gewachsten Motorhaube ). Ist umgekehrte die Substratoberfläche energetisch kostspielig, so wird diese minimiert, indem das Adsorbat das Substrat benetzt. Die beiden genannten Fälle des reinen Schicht- ( oder Frank- van der Merwe ) und Insel- ( oder Volmer-Weber ) wachstums werden nur durch die Oberflächenenergien von Adsorbat und Substrat bestimmt. Sehr häufig tritt aber auch eine Mischform aus beiden Wachstumsmodi auf, das sogenannt Stranski-Krastanow-Wachstum.

 

 

In diesem Fall wird das Substrat zwar vom Adsorbat benetzt, dieses wächst aber verspannt auf, und nach einigen Lagen wird es energetisch zunehmend günstiger, das lagenweise Wachstum einzustellen: Die Schicht rauht auf! Die Abbildung zeigt ein mit dem Rasterelektronenmikroskop ( SEM ) aufgenommenes Bild einer rauhen Ge-Schicht.

 

 

Ein solches Aufrauhen ist in vielen Fällen technologisch nicht erwünscht, so daß versucht wird, dieses zu vermeiden. Dazu wiederum ist eine quantitative Messung der Verspannung unbedingt erforderlich!

Wie kann man Verspannung messen?

Die Grundidee der Meßmethode SSIOD ist, eine relativ dünne ( 0.05mm - 0.2mm ) Si-Probe als Substrat für die Adsorption bzw. das Wachstum darauf zu verwenden, so daß sich diese Probe beim Auftreten einer einseitigen Oberflächen- oder Filmverspannung verbiegen muß - wie ein Bimetallstreifen in einfachen Außenthermometern ( wobei natürlich die Verbiegung viel geringer ist ).

 

 

Das Problem der Verspannungsmessung ist damit zurückgeführt auf die quantitative Messung der Verbiegung, die wiederum ganz analog zu der Bestimmung der Auslenkung des Cantilevers in einem Rasterkraftmikroskop ( AFM ) erfolgt.
Um allerdings tatsächlich eine Krümmung der Probe und nicht nur ihre Auslenkung zu messen, werden üblicherweise zwei Laserstrahlen eingesetzt und die Differenz der durch deren Ablenkung erzeugten Signale aufgenommen. Wenn sich nämlich die Probe durch mechanische Störungen oder thermische Drift verkippt, werden beide Laserstrahlen in gleichem Maße auf dem Detektor verschoben werden, so daß solche Effekte bei der Differenzbildung herausfallen.

Für den Zusammenhang zwischen dem Unterschied Ds der Oberflächenspannung von Probenvorder- und -rückseite und dem Krümmungsradius der Probe gibt Stoney an:

 

 

Daraus ergibt sich für den verwendeten Versuchsaufbau eine Beziehung zwischen der Verschiebung Dx des Laserstrahls auf dem Detektor und der Verspannungsdifferenz Ds:

 

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Im Ergebnis sind nur noch die elastischen Konstanten der Si-Probe ( blau ) und geometrische Konstanten des Versuchsaufbaus ( rot ) zu kennen. Die elastischen Konstanten finden sich z. B. bei Brantley für die Si(001)-Fläche:

 

 

und ebenso für die Si(111)-Fläche

 

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Der experimentelle Aufbau

In der Arbeitsgruppe Horn-von Hoegen wird die Meßmethode SSIOD seit etwa 4 Jahren eingesetzt. An der mit ihr ausgestatteten Apparatur "stress" wird SSIOD kombiniert mit einem SPA-LEED der 3. Generation, um zusätzlich zu den Verspannungsdaten auch ganaue Informationen über Struktur und Morphologie der Oberfläche gewinnen zu können.
Die Empfindlichkeit der Meßmethode ist bei dem hier verwendeten Aufbau so hoch, daß Krümmungsradien von 40km detektiert werden können. Das entspricht einer Verspannung von etwa 1/20 N/m, die beispielsweise bei Sb auf Si(111) bereits von einer Bedeckung von etwa 1/30 atomaren Lage erzeugt wird.

( Anmerkung: Obwohl der Krümmungsradius der Probe eine gebräuchliche Größe zur Angabe der Empfindlichkeit solcher bending sample- Methoden ist, so sollte stets auch eine Angabe der entsprechenden Oberflächenverspannung erfolgen; verwendet man nämlich dickere Proben, also z.B. 250µ oder gar 500µ, dann reduzieren sich zwar mechanische Störungen erheblich, so daß die Nachweisempfindlichkeit - als S/N-Verhältnis definiert - steigt, dafür werden aber auch die Auslenkungen quadratisch mit der Probendicke kleiner ! )


Literatur

G.G. Stoney
"The tension of metallic films deposited by electrolysis"
Proceedings of the Royal Society London A, 82:172-175, 1909

W.A. Brantley
"Calculated elastic constants for stress problems associated with semiconductor devices"
Journal of Applied Physics, 44(1):534-535, 1973

A. J. Schell-Sorokin and R.M. Tromp
"Mechanical stresses in (sub)monolayer epitaxial films"
Physical Review Letters 64(9), 1039-1042, 1990

D. Sander and H. Ibach
"Experimental determination of adsorbate-induced surface stress"
Physical Review B (Condensed Matter), 43(5):4263-4267, 1991

H. Ibach
"The role of surface stress in reconstruction, epitaxial growth and stabilization of mesoscopic structures"
Surface Science Reports 29, 193-263, 1997