Steffen Kailitz

Stand und Perspektiven der Autokratieforschung

Die Autokratieforschung bildet gemeinsam mit der Demokratieforschung das Herz der Politikwissenschaft. Erst in jüngster Zeit gerät dies auf internationaler Ebene zunehmend ins Bewusstsein. Aus der Betrachtung der Stärken und Schwächen der bisherigen Entwicklung der Autokratieforschung auf internationaler und deutscher Ebenevon den Studien zum Totalitarismus von Arendt und Friedrich bis hin zu den breiten empirischen Autokratievergleichen und den Studien zu elektoralen Autokratie der jüngsten Zeit lassen sich Perspektiven für die künftige Forschung entwickeln: Die künftige Autokratieforschung sollte sich weder wie die bisherige deutsche Diktaturforschung einseitig auf die Herrschaftslegitimation (vor allem durch Ideologien) konzentrieren noch wie die jüngere internationale Forschung auf Herrschaftsinstitutionen. Vielmehr sind beide Aspekte in der künftigen Forschung gebührend zu berücksichtigen. Bei der typologischen Unterscheidung der Autokratien sollte der Totalitarismus künftig nur noch als ein Untertyp des breiteren Typus der Weltanschauungsdiktaturen verstanden werden. Verstärkte Aufmerksamkeit ist zudem einer möglichst präzisen Grenzziehung zwischen defekten Demokratien und elektoralen Semiautokratien zu widmen. Weiterzuentwickeln sind von der Autokratieforschung auch die Konzepte um den Grad der Autokratie zu messen. Am Ende der Bemühungen sollte eine empirische Theorie der Autokratie stehen.

Paper

 

Christian Göbel/ Daniel Lambach

Regime Responsiveness and Authoritarian Consolidation

Until very recently, Comparative Politics mostly concerned itself with the dynamics of the democratic waves and the democratic landscapes built on the rubble of the former dictatorships. It has, however, neglected the equally important study of “autocratic undertows” and of those regimes able to withstand the democratic tide. The literature on democratic transitions has tended to characterize them rather uniformly as hostile to participation and innovation, phlegmatic, and unable to adapt to economic or political crises. Because of these features, they were regarded as inherently unstable. As opposed to democracies which, no matter how short-lived they turned out to be, are conceptualized to enter reasonably well-charted processes of “consolidation” right after their birth, “authoritarian consolidation” has long been regarded as a contradiction in terms. As opposed to democracies, authoritarian regimes tended to be understood as a black box out of which democracies emerge and into which they return upon breakdown. Given the number of resilient authoritarian regimes especially in East Asia and the Middle East, these assumptions are slowly coming under attack.We aim to fill this void by proposing a concept of authoritarian consolidation that builds on conceptions of how (collective) government actors structure the incentives of those governed to secure their compliance. At the centre of our theoretical approach stands a differentiated concept of state power combining three dimensions: the traditional Weberian understanding of power as getting someone to do something he would not otherwise have done, i.e. the application of coercion; the power located in a differentiated institutional structure that is on the one hand capable of aggregating and processing societal demands, and on the other hand able to structure the incentives of social actors by providing institutional and organisational means to channel societal demands on a day-to-day basis; and the ability to “make people want what you want them to want”. In fact, we augment Michael Mann's distinction between “despotic power” and “infrastructural power” with another dimension of power that Foucault has termed “governmentality” and which is best conceptualised in Steven Lukes’ “radical view” of power.

Paper

Präsentation

 

Rolf  Frankenberger

„Transitions to Autocracy“ in Russland und Venezuela.

Will man der Frage nach Transformationen hin zu stabilen autoritären Systemen und der Konsolidierung autoritärer politischer Systeme jenseits normativer Vorannahmen analysieren, so liegt eine systemtheoretisch fundierte Annäherung an Strukturen, Funktionslogiken und Interaktionsprozessen dieser politischen Systeme nahe. Auf der Basis der grundlegenden Prämissen funktionaler Differenzierung moderner Gesellschaftssysteme und der Herausbildung funktionaler Äquivalenzen bietet es sich an, so genannte crucial cases zu untersuchen. Solche crucial cases sollten sich dadurch auszeichnen, dass sie 1) in der herkömmlichen und auf Demokratisierung fixierten Transformationsforschung kontrovers diskutiert werden; 2) eine „demokratische Regression“ erfahren; 3) möglichst in unterschiedlichen regionalen Kontexten stehen. Mit Russland und Venezuela finden sich auf der politischen Landkarte zwei Staaten, die diese Bedingungen erfüllen. Beiden wurden in Vergangenheit und Gegenwart der politikwissenschaftlichen Forschung die unterschiedlichsten Etiketten angeheftet. Wenn man dieses Labelling betreiben will, so trifft für Hugo Chávez’ Venezuela heute wohl am ehesten der Begriff eines (neopopulistischen) Grauzonenregimes (mit allem Mangel an Spezifik, den dieser birgt) zu und im Falle Russlands ist es wohl am treffendsten, es den autoritären Systemen zuzuordnen (vgl. Ledeneva 2006, Shevtsova 2006, 2007). Russland und Venezuela bilden zudem zusammen mit Ägypten, Kenia, Nigeria und Pakistan eine Gruppe regional und überregional bedeutender Staaten, denen von Freedom House 2007 eine Abnahme der eh schon eingeschränkten Freiheit bescheinigt wurde, was Arch Puddington (2008) zu der Frage führt, ob die Gezeiten sich änderten und auf die politische Welt eine neue Welle der Autoritarisierung, und damit der demokratischen Regression zurolle. Vergleicht man die beiden crucial cases Russland und Venezuela, so verweist dieser Vergleich auf eine Reihe von als interdependent zu betrachtenden Faktoren oder systemischen Variablen, die im Rahmen der Konsolidierung unterschiedlicher Formen nichtdemokratischer Systeme eine Rolle spielen: Dies sind insbesondere der sozio-ökonomische Kontext und die Austauschbeziehungen des politischen mit dem ökonomischen Subsystem und damit die Form des Staatseinkommens, die Politische Kultur und damit die Austauschbeziehungen zwischen den Subsystemen Politik und Kultur, die Interaktionsbeziehungen zwischen Integrationssystem und Politik und damit die Rolle von formalen Institutionen, Gesetzen und Normen, sowie natürlich die interne funktionale Differenzierung der politischen Systeme: informelle Institutionen und Praktiken der Politik (Helmke / Levitsky 2004), Grad und Form der Zentralisierung von Macht und der Personalisierung von Führung, die Funktionalität von formalen Institutionen - insbesondere auch von Wahlen (vgl. Hermet 1978 und Schedler 2006) - und Institutionengefügen (vgl. Gandhi/Przeworski 2006 und Way 2005) sowie der Grad der Freiheit der Medienlandschaft. Die Erkenntnisse aus der Untersuchung der beiden Fälle legen nahe, dass die Ausprägungen dieser Variablen mit entscheidend sind für den Grad der Konsolidierung autoritärer politischer Systeme. Denn in Abhängigkeit von der Ausprägung dieser Faktoren bilden sich je nach Kombination unterschiedliche Systemtypen mit unterschiedlichen Funktionslogiken heraus.

Paper

Präsentation

 

Andreas Heinemann-Grüder

Isomorphie statt Dichotomie: Betriebsweisen von Staat und Gesellschaft in autoritären Regimes


Vor dem Hintergrund empirischer Studien in Zentralasien und Russland wird die Betriebsweise autoritärer Regime der Gegenwart sowohl als Kontrollregime wie als Isomorphie bzw. Kongruenz von staatlichen und gesellschaftlichen Interaktionsmustern (Netzwerkstrukturen) gefasst. Kontrolle bezieht sich auf die öffentliche Willensbildung, die Partizipation, die Aggregation und Repräsentation von politischen Interessen, den Entscheidungsprozess und die Disposition über strategische Ressourcen kraft instrumenteller Nutzung staatlicher Interventions- und Sanktionsmechanismen. Kontrollregime zeichnen sich durch die Diskreditierung ergebnisoffener und diskursiver Aushandlungsprozesse, ein extraktives Verhältnis zu staatlich kontrollierbaren Ressourcen, die "Versicherheitlichung" von Entscheidungsprozessen und manipulierte Beherrschung öffentlicher Diskurse aus. Um Kontrolle zu ermöglichen steht ein weit gefächertes und in der Praxis flexibles Repertoire hoch differenzierter Polittechnologien zur Verfügung. Kontrollregime sind relativ "erfolgreich" in Bezug auf den Policy Input, jedoch weitaus weniger bei der Politikimplementierung, und zwar aufgrund systemischer Managementdilemmata. Staatlich kontrollierte und nicht-staatliche Austauschverhältnisse weisen eine erstaunliche Kongruenz auf  Patronage, Nepotismus, Klientelismus und sanktionsbewehrte "informelle" Austauschverhältnisse ordnen die sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen schlechthin. Die "gute" Zivilgesellschaft" ist mitnichten ein Antipode zum korrupten Staat. Die Annahme von Kongruenz - sowohl der dominanten Einstellungen, vor allem aber der Verhaltensmuster - überwindet die klassische Dichotomie von autoritärem Staat versus beherrschter Gesellschaft. Sie liefert damit eine Erklärung für autoritäre Konsolidierung - mit weitreichenden Implikationen für bisherige Standardannahmen der externen Demokratieförderung.

Paper


Thomas Richter

Mechanisms of Material Legitimation within Authoritarian Regimes: Evidence from the Arab World

It is widely believed that specific sets of domestic governance mechanisms are sufficient to explain the survival of authoritarian regimes. This view is supported by large-n statistical research which has shown that oil bust periods created no trend toward regime crisis or instability in rent-prone Arab states. This paper conceptually highlights the variety of external income beyond oil. Empirically, using four cases from the Arab world (Morocco, Tunisia, Egypt and Jordan), two mechanisms of material legitimation are identified: First, aggregated annual material distributions toward the state employed middle class and the military have been nominally growing over the last three and a half decades as well as spending for major subsidies (basic foods, energy and petroleum) has at least not been completely eliminated as it was originally intended during times of economic stabilization and structural adjustment. Second, public wages have been raised regularly for instance in front of elections as well as selected groups within the rural sector are systematically privileged through tax exemption and soft loans compared to the rest of economy. These empirical findings contribute to the emerging research on durable authoritarianism as well as Rentier state theory highlighting the influence of continuing distributions of material resources as a consolidation and survival strategy of contemporary authoritarianism.

Paper

Präsentation

 

Leonie Holthaus/Kerstin Schrader

Regimelegitimität und regionale Kooperation unter den arabischen Golfmonarchien

The Arab Gulf monarchies of Saudi-Arabia, Kuwait, Bahrain, Qatar, the United Arab Emirates and Oman are demonstrative in two ways: their ruling elites have not only survived the end of colonialism but have also withstood the calls of socialist-revolutionist movements and pan-Arabist rhetoric. Moreover, the six Head of State initiated the Gulf Cooperation Council (GCC), which is widely seen as the most successful attempt at regional integration in the Arab world. It is this paper's key assumption that the foundation and present work of the GCC is aimed at enhancing regime stability and legitimacy of each participating system. Given that the impact of foreign policy on regime legitimacy has been largely unnoted, the GCC as a case study may enrich this discussion. Firstly, the social, cultural, and religious commonalities among the local societies provided a perceived regional context that was translated into the GCC as a formal regional organization as a result of the common threat to the internal stability of the GCC states posed by the 1979 Iranian Revolution. Secondly, each regime's engagement in the GCC boosts its claim to retain security and economic welfare with creditability. This perception is also affirmed by external actors such as the European Union (EU), which welcomes the efforts of the GCC due to its own rationale regarding regional integration. However, the current institutional framework and state of integration within the GCC, including the lack of progress regarding supranational integration, illustrate that the Arab Gulf monarchies do not mean to fully pursue the European model.  Rather, the GCC Heads of State intend to centeralize the decision-making power of the regional organisation. Therefore, the institutional framework of the GCC reflects the hierarchical political structures that make up member state monarchies politically and socially which thus place limits on regional cooperation.

Paper

Präsentation

 

Heike Holbig

Interne und externe Strategien der Legitimation autoritärer Herrschaft. Ein Beitrag zur theoretischen Diskussion

Die Legitimation autoritärer Herrschaft wird bislang gemeinhin als ein Oxymoron betrachtet und auch in der politikwissenschaftlichen Beschäftigung mit autoritären Regimen zumindest in ihrer normativen Dimension weitgehend ausgespart. Angesichts der empirisch beobachtbaren Strategien verschiedener nichtdemokratischer Regime weltweit, ihre autoritäre Herrschaft nach innen wie nach außen legitimatorisch abzusichern (und der dabei teilweise erzielten Erfolge) klafft die theoretische Erklärungslücke in diesem Bereich immer weiter auf. Der Workshop-Beitrag stellt einen legitimationstheoretischen Ansatz vor, der das auf die Analyse nationaler Herrschaftsstrukturen begrenzte Legitimationsmodell von David Beetham (1991) um eine internationale Perspektive erweitert. Im Rahmen des Workshops wird die These zur Diskussion gestellt, dass die Berücksichtigung interner und externer Legitimationsaspekte bei der Konzeptionalisierung "autoritärer Konsolidierung" unerlässlich ist.

Paper

 

Julian Junk/Matthias Mayr

A Market for Survival of Authoritarian Regimes – Political, Economic, and Military Goods and the International Guarantees for Regime Consolidation in Sudan

The paper explores the conditions behind the successful survival of authoritarian regimes. It finds that the literature falls short of explaining why a regime, like that in Sudan, has consolidated and survived relatively stable for more than 20 year despite constant civil war, famines, an alleged genocide and international pressure for regime change. According to all theoretical models and empirical data, the regime should have been overthrown a long time ago. The paper develops a model based on two theoretical strands: Lasswell's elite's retention of power and political economy assumptions. The main argument is that, for survival, an authoritarian regime needs resources on all of the following three dimensions: political, economic and military. If they are not available internally they have to be acquired externally through “trade”. The absence of those resources would result in a regime change. The empirical part consists of an indepth case study of the central Sudan regime. The main assumptions of the model are confirmed: The regime managed to obtain the lacking resources externally from mainly one source: China. The analysis shows significant influence on all three dimensions (China as the economic, military and political lender of last resort, due to their indifference towards the domestic political system), while it suggests the strongest influence on the political dimension.

Paper

Präsentation