Teilprojekt 3

Die Gegenwartskunst in Istanbul: Ambige Raum- und Bildpolitiken zwischen Religion und Staat

Seit der Staatsgründung durch Kemal Atatürk basierte das türkische Verständnis des Staates auf dem Antagonismus eines nationalstaatlichen Säkularismus und einer religiös konzipierten Ethnizität. In früherer Forschung wurde dieser Antagonismus oftmals in Begriffen eines defizitären Modernisierungsprozesses beschrieben. Das Teilprojekt sucht hingegen neue Einsichten in die Historizität gegenwärtiger Kulturpolitik in der Türkei und stellt dabei auf solche kulturellen Perspektiven und Traditionen scharf, die ein ambiges Verständnis von Kunst und Kultur zwischen Säkularismus und religiös-ethnischer Verortung eröffnen. Es setzt sich somit mit der Forschungsdebatte um Postsäkularität auseinander, die derzeit mit einem Fokus auf die Türkei geführt wird. Ziel ist eine Beschreibung der historischen Dynamiken, der Machtverhältnisse und der Widersprüchlichkeit, doch ebenso des emanzipatorischen Potenzials der ambigen Spannung innerhalb der Unterscheidung zwischen religiös/säkular oder sakral/säkular im Kontext der türkischen Kunst und Kulturpolitik in der transnationalen Stadt Istanbul.

Als interagierende Akteure, die diese Ambiguitäten wahrnehmen, visualisieren und verhandeln unterscheidet das Teilprojekt a) auf der Mikroebene künstlerische Positionen und Medien im Kontext der Istanbul Biennale, b) auf der Mesoebene Museen und c) auf der Makroebene den verwobenen westlich-türkischen Diskurs zur Rolle des Sakralen in der Kunstgeschichte. Der Fokus liegt mithin auf der global vernetzten Gegenwartskunst in der Türkei, die sich im Kontext der nicht-staatlichen Istanbuler Biennale und den staatlichen Institutionen der Museen und der Akademie etabliert hat. Den Gebrauch säkular-sakraler Bilder durch diese Gegenwartskunst gilt es, auf der Mesoebene anhand ausgewählter musealer Raumpolitiken zu kontextualisieren, welche die Persistenz einer Ambiguität säkularer und sakral-ethnischer Raumkonzepte belegen. Auf der Makroebene weitet sich die Perspektive über den konkreten Raum von Istanbul aus auf das transnational ambig bestimmte Konzept der „Islamischen Kunst“.

Der analytische oder kontrastive Vergleich mit anderen Teilprojekten verspricht dabei unerlässliche und fruchtbare Einsichten in die kulturell und historisch spezifische Funktionalisierung von Ambiguität, vor allem aber in formalen Lösungen und Typologien, durch die Unterscheidungsprozesse in ambige soziale Formen überführt und auf diese Weise stabilisiert werden. Darüber hinaus beabsichtigt das Teilprojekt, den Fachdiskurs der Kunstgeschichte durch die Zusammenarbeit mit den anderen Teilprojekten zu öffnen und so zu einem diachronen und transdisziplinären Verständnis von Ambiguität zu gelangen.

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