Eine Rezension zu Caren Jeß "Die Ballade von Schloss Blutenberg" Blut auf der Burg

(von Janneke Eggert)

Die sonst eher als Autorin von Dramen und Prosatexten bekannte junge Autorin Caren Jeß präsentierte beim 26. open mike in Berlin erstmals einen lyrischen Text: Die Ballade von Schloss Blutenburg. Sie gewann damit den Publikumspreis der aus Leser*innen der taz bestehenden Publikumsjury. Jeß´ Lektor Ulf Stolterfoht bezeichnete den Text in seiner Ankündigung als eine Mischung aus Hui Buh das Schlossgespenst, John Sinclair und Hanni & Nanni, eine wilde Mischung unterschiedlicher Genres also.

Zunächst fällt auf, dass jede der elf Strophen der Ballade mit den gleichen Sätzen beginnt: „Neulich nachts auf Schloss Blutenburg/ich hatte Gespenster erwartet./Ich hatte [wechselndes Adjektiv] Gespenster erwartet./Doch/da war nichts./Keine Gespenster.“ Das Setting, in dem sich das lyrische Ich bewegt, ist zwar ein Schlossgelände mit einem Tümpel, einem Brunnen und Bäumen, ansonsten wird aber mit der durch „Schloss“ evozierten Erwartung gebrochen. Es gibt keine Prinzen, keine Burgfräulein und keinen Spuk. So lassen sich weder Elemente der englischen gothic novel noch ihrer deutschen Äquivalenten wie etwa E.T.A. Hoffmanns Die Elixiere des Teufels nachweisen.

Die Sprache ist dabei reich an Vergleichen und starken Bilder, die allerdings chiffrenhaft bleiben. Begegnungen mit anderen Lebewesen finden statt, sind aber nur Hintergrund für den vorherrschenden Themenkomplex Blut, Menstruation und Sexualität, der im Vordergrund dieser Analyse steht und sich bereits in der ersten Strophe manifestiert. Dort fressen Egel das „eisenarme[] Blut“ des lyrischen Ichs, die dann von einem Wolf abgerissen werden; der intertextuelle Bezug zu Rotkäppchen und der erste Hinweis auf die Menstruation ist gemacht. Letztere taucht wieder auf in Strophe sechs, wenn berichtet wird, dass die Jungfern ihr Menstruationsblut früher im Brunnen entsorgten. Das Blut kann hier sowohl als Kontrast zur Reinheit der Jungfern verstanden werden wie auch als ihre Bestätigung: das Menstruieren schließt eine Schwangerschaft und damit eine Verletzung der Reinheit aus. Das Blut wird weiterhin als überflüssig beschrieben, auch wenn es vom weiblichen Körper teilweise unter Schmerzen hervorgebracht wird ähnlich wie ein Kind bei der Geburt. Dem lyrischen Ich fällt yesterday von den Beatles ein „all my troubles seemed so far away“. Dabei kann die Sorge sowohl dem neuen Lebensabschnitt, der mit der ersten Blutung beginnt, gelten wie auch einer Schwangerschaft. Letztere wird als Assoziation zum ersten Mal in Strophe zwei hervorgerufen durch den Tümpel, der „sumpfig und phlegmatisch“ daliegt und die Jogger in sich aufnimmt wie ein Uterus. Wiederaufgenommen wird das Thema dann in Strophe vier mit Gänsen in einem Kartoffelsack, die sich wie ein Embryo bewegen, aber nicht herauskönnen. Die Gänse bzw. der Embryo können dabei als Parasit verstanden werden, der durch seinen Tod die Mutter bedroht. In Strophe fünf verlagert sich das Thema in den Körper des lyrischen Ichs, da der Magen die aufgenommenen Pommes, die auch Finger sein könnten, nicht verdaut. Konkreter wird es dann, wenn in Strophe acht von einem Töchterlein die Rede ist, zu dem das lyrische Ich zu singen scheint. Doch der weibliche Embryo verpufft, ob in Folge einer Fehlgeburt, einer Abtreibung oder durch das wieder in die Realität zurückkehren des lyrischen Ichs, das sich die Schwangerschaft nur eingebildet hat, bleibt offen.

Der erste Bezug auf sexuelle Erfahrungen des lyrischen Ichs findet sich in Strophe fünf als plötzlich ein Gewitter aufzieht. Die so entladene Spannung kann mit einem Orgasmus verglichen werden. Konkreter wird es dann in der siebten Strophe. Dort leckt das lyrische Ich gelben Schleim aus einer Buche, was als Hinweis auf orales Erleben mit einer Frau gedeutet werden kann. Gleichzeitig scheint dieses schambehaftet zu sein, da das lyrische Ich herumfährt und sich ertappt fühlt. Das „was geht hier vor? Lisa?“ scheint entweder von einer fremden Person oder als innere Stimme des lyrischen Ichs zu sein, die das zuvor Geschehene verurteilt. Dazu passt, dass die Buche dem lyrischen Ich zuvor eine Suche nach Unschuld bescheinigte. Das nächste sexuelle Element ist der Fisch, der in Strophe zehn dem lyrischen Ich zwischen die Beine gleitet. Dabei kann dies einerseits als Vergewaltigung, andererseits aber auch als gewollte Zusammenkunft gewertet werden. Auch da nicht klar wird, ob der Fisch „der wacker mit der Strömung schwimmt unbeirrt jeder Gedanke frei baut muskuläres Fleisch auf“ einen Mann oder Sperma verkörpern soll; gerade der letzte Aspekt lässt beide Deutungen zu. In jedem Fall möchte er zurück in den Teich, was das lyrische Ich mit „Sophienfotzen“ kommentiert; es scheint sich vom Fisch mit den Sophien betrogen zu fühlen. Das Gedicht schließt mit dem Uhu, der einen goldenen, erkenntnisbringenden Schlüssel bringt, der Zugang zum Schloss, aber auch Hilfe bei dem „kaputte[n] Gedanke[n]“ ermöglicht. Doch das lyrische Ich lehnt dies ab und geht nach Hause.

Eingebettet in das Setting eines Schlosses, wobei die übliche Gothic-Schloss-Motivik parodistisch kommentiert wird, thematisiert die Ballade weibliche Körperlichkeit und damit verbundene Sorgen und Nöte. Mit Anleihen an Märchen wie Rotkäppchen wird, nicht nur beim Thema Monatsblutung, eine Brücke zwischen dem historischen gestern und heute geschlagen.

Caren Jeß: Die Ballade von Schloss Blutenburg. In: 26. Open Mike. Wettbewerb für junge Literatur. 2018. Die 20 Finaltexte. München: Allitera 2018. S. 49-63.