Gemeinsam an getrennten Orten?

Zur Relevanz von Raum und Kontext in der Videokonferenz
 

Die Personen, die an einer Videokonferenz teilnehmen, befinden sich an getrennten Standorten. Dies bedeutet schon von Anfang an, dass die Teilnehmer nicht die gleichen Voraussetzungen im Kommunikationsprozess besitzen. Abgesehen davon, dass die Nutzer über verschiedene technische Elemente für die Verbindung verfügen wie verschiedene Kameras, Mikrofone oder Headsets, sehen auch die Räume der Teilnehmer anders aus. Sie befinden sich in unterschiedlichen Kontexten, wobei nur sehr wenige Elemente der Umgebung des Gegenübers wahrgenommen werden können. De facto sieht man zumeist nur das Gesicht, Teile des Körpers (Head and Shoulders) sowie des Raumes. Was links und rechts der Person geschieht, was im Zimmer passiert, bleibt weitestgehend unzugänglich. Infolgedessen ist davon auszugehen, dass diese Merkmale den Verlauf des kommunikativen Prozesses beeinflussen werden. Demzufolge werden die Videokonferenznutzer eigene Praktiken entwickeln müssen, um in diesem Zusammenhang kommunizieren zu können.

Problemstellung der Untersuchung

Die in der Videokonferenz zurzeit bestehenden technischen Mängel werden zukünftig zunehmend behoben. Das Eye-contact-Dilemma wird gelöst, die Tonverzögerungen werden verschwinden, die Bildqualität wird besser sein, die Übertragungsrate schneller etc.. Jedoch werden sich die Partner immer in getrennten Räumen aufhalten, denn die räumliche Trennung stellt das wesentliche Merkmal dar, das eine Videokonferenz ausmacht. Dies bezeichnet den Schwerpunkt dieser Arbeit. Die Frage, die sich nun stellt, ist, inwiefern die getrennten Räume einen Einfluss auf die kommunikativen Ereignisse und folglich auf deren Ergebnisse ausüben können und inwiefern eine gemeinsame Situationsdefinition möglich ist. Denn jeder Partner hat seine eigene Kommunikationssituation, die nur begrenzt mit dem Gegenüber geteilt werden kann und demgemäß nur eine beschränkte Zugänglichkeit erlaubt. An dieser Stelle setzt die konkrete Problemstellung der vorliegenden Untersuchung an. Die leitenden Forschungsfragen sind:

* Wie beeinflussen die verschiedenen Kommunikationssituationen die interpersonelle Kommunikation?
* Entsteht ein gemeinsamer Kontext (oder dessen Unterstellung) zwischen den Teilnehmern?
* Welche Rolle spielt die übertragene Umgebung des Gegenübers in der Videokonferenzkommunikation und welchen Einfluss übt sie auf diese aus?

Die Fragestellung basiert auf der Kommunikationssituation einer Videokonferenz, in der die aus der Vis-à-vis-Situation vertraute Gleichzeitigkeit und insbesondere die Gemeinsamkeit von Wahrnehmungs- und Handlungsraum aufgehoben sind. Zielsetzung ist, zunächst die Desktop-Videokonferenz zu beschreiben und speziell die Trennung zwischen den Gesprächspartnern zu analysieren. Für diesen Zweck werden empirische Untersuchungen durchgeführt, die die Kommunikationssituation in den Vordergrund stellen.

Forschungsobjekt war der kommunikative Prozess der Videokonferenz im Zusammenhang mit PC-Systemen und deren Nutzung im privaten Bereich. Da die Videokonferenz für die jeweiligen Teilnehmer unterschiedliche Bedingungen zur Verfügung stellt und darüber hinaus sich diese in ungleichen Kontexten befinden, die nur teilweise für den Partner zugänglich sind, ist davon auszugehen, dass diese Merkmale den Verlauf des kommunikativen Prozesses beeinflussen werden. Hierbei werden dementsprechend die Videokonferenznutzer eigene Praktiken entwickeln müssen, um in diesem Zusammenhang kommunizieren zu können.

Die Analyse beruht auf der PC-Videokonferenz und ihrer dyadischen Nutzung im privaten Bereich. Diese Technik stellt eine besondere Art der interpersonellen Kommunikation mit charakteristischen Merkmalen, Eigenschaften und typischen dabei auftretenden Problemen dar. Es gilt daher, die Videokonferenz nüchtern unter der Perspektive der Realisierbarkeit der Technik zu analysieren, ihre Eigenschaften zu untersuchen und insbesondere den möglichen Einfluss des fehlenden gemeinsamen Raums zwischen den Kommunikatoren auf den Kommunikationsverlauf herauszufinden. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Nutzung von PC-Videokonferenzen im privaten Bereich wurde bisher aus diesem Blickwinkel noch nicht untersucht. Demzufolge war eine qualitative Analyse notwendig. Hierfür war die Methodologie der Grounded Theory besonders geeignet. Anhand der mit der Grounded Theory durchgeführten Analyse entsteht eine an den Daten verankerte Theorie, die weiterhin dank Mikroanalyse der Videobeispiele unterstützt bzw. weiter verankert wird.