Wer zu spät kommt, den bestraft der Wartende
Zur Funktion des Wartens in zwischenmenschlicher Verständigung

 

Warten gehört zu den alltäglichen und allgegenwärtigen Phänomenen unseres Erlebens und Handelns. Wir sehen dem Eintreffen einer Person oder einem Ereignis entgegen und harren bis zu einem bestimmten Zeitpunkt aus, zu dem das Erwartete oder Ersehnte eintrifft. Während dieses Zeitraums gewinnt für den Wartenden das Zeitempfinden an Bedeutung, denn das Zukünftige bestimmt das Erleben und überlagert die als strukturlos empfundene Gegenwart. Diese Momente des Wartens sind begleitet von Ungeduld, Geduld oder Sehnsucht, können aber auch Ausdruck von Macht und Ohnmacht sein.

Gregor von der Heiden zeigt in seiner Studie, welche Rolle das Warten als Handeln für den Prozess und die Struktur kommunikativer Handlungen, für die beteiligten Agierenden sowie für das Gelingen ihrer Kommunikationsbemühungen spielt. Dabei geht es ihm vor allem um die Frage, welchen Beitrag das Warten zur Aufrechterhaltung von Kommunikation leistet. Mit diesen Fragestellungen kommt er dem Ziel näher, sich dem bisher nur peripher behandelten Themenfeld "Zeitliche Strukturen von Kommunikation" zuzuwenden und damit Bausteine für eine allgemeine Theorie der Kommunikation zu entwerfen.

Um zu konstitutiven Funktionen des Wartens in zwischenmenschlicher Verständigung zu kommen, werden zentrale Begriffe bestimmt, unterschiedliche sozialwissenschaftliche Zeitkonzeptionen aufgesucht und Anschlüsse an die sozialphänomenologischen Überlegungen von Alfred Schütz zur Relation von Zeit und Handlung gefunden. Von dieser theoretischen Warte aus gelingt es, Momente des Wartens während, vor und bei Aufnahme eines Gesprächs systematisch zu beschreiben und zu klären, worauf sich das Warten richten kann, wie es gestaltet wird und welche Auswirkungen es für das Verständigungsgeschehen hat, wenn man den Gesprächspartner warten lässt oder warten lassen muss.

Mit einer analytischen Trennung von peri- und präkommunikativem Warten gelingt es dem Autor die Bedeutung von Warten in zwischenmenschlicher Verständigung zu bestimmen. Die Analyse des perikommunikativen Wartens, dem Warten während des eigentlichen Kommunikationsgeschehens, lässt den Schluss zu, dass der Hörer in seiner hypothetisch übernommenen Subjektion gegenüber dem Sprecher zugleich eine Wartehaltung einnimmt, die einhergeht mit seiner grundlegenden Bereitschaft, den Mitteilungsversuchen des Sprechers einen Raum der Dauer zu geben. Diese Wartehaltung ist konstitutiv für das Gelingen von Verständigungshandlungen.

Ein weiterer Fokus der Studie sind die Funktionen des präkommunikativen Wartens, mit dem jene Wartemomente bezeichnet werden, die vor Aufnahme des eigentlichen Kommunikationsaktes auftreten. Hierbei wird u.a. untersucht, wie sich die Antizipationen innerhalb der Wartephase auf das eigentliche Gespräch auswirken und welche Funktion dabei routiniert ausgeführtes Warten hat, wenn zum Beispiel jemand einen Gesprächsort zu spät aufsucht. Hierbei lassen sich auch Momente des Wartens beschreiben, bei denen die Wartenden aufgrund der strukturlosen Gegenwart zu Ersatzhandlungen greifen, sich also "die Zeit vertreiben" und in eine Gemeinschaftshandlung treten. Denn wer auf ein Gespräch wartet, nimmt häufig ein Gespräch auf, um sich mit den Institutionen und Menschen auseinander zu setzen, die ihn zwingen zu warten.