Was ist der "Sprachinstinkt"?
Ein Kommentar zu Steven Pinkers linguistischem Bestseller und seinen sprach- und kommunikationstheoretischen Grundlagen

 

Steven Pinkers Mitte der 1990er Jahre erschienenes Werk Der Sprachinstinkt gehört zu den wenigen sprachwissenschaftlichen Büchern, die nicht nur akademische Fachkreise, sondern auch die Bestsellerlisten erreicht haben. Es wurde sowohl von Fachrezensenten als auch von einer breiten Leserschaft äußerst wohlwollend aufgenommen, in viele Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft.

Die Kernfrage des Buches lautet: Ist Sprache ein dem Menschen angeborenes Vermögen? Pinkers Antwort scheint eindeutig schon im Titel seines Buches formuliert: Der Sprachinstinkt umreißt in äußerst pointierter Form sämtliche Grundannahmen eines linguistischen ›Nativismus‹, wie er sich insbesondere unter dem Einfluß der Arbeiten Noam Chomskys im Laufe der letzten ca. 50 Jahre entwickelt hat. Die These lautet dabei, daß Sprache ein biologisches Merkmal sei, welches der Spezies Homo sapiens in Form einer angeborenen und einheitlichen ›Universalgrammatik‹ zur Verfügung steht. In kaum einem anderen Text zeichnen sich die Konturen dieser sprachtheoretischen Richtung so prägnant ab wie in Pinkers Werk

Der Sprachinstinkt ist jedoch - und dies zu belegen ist das Anliegen des vorliegenden Buches - trotz oder gerade wegen der gelungenen populären Aufbereitung des Themas ein höchst problematischer Text. Tatsächlich nämlich läßt Pinker teils explizit, teils jedoch fast unbemerkt eine Reihe (sprach-) theoretischer Vorannahmen und Voraussetzungen einfließen, die keineswegs unstrittig und in hohem Maße klärungsbedürftig sind, aber ihrerseits erst die notwendige Grundlage seiner Argumentation bilden. Hierzu gehören z.B. die Vorstellung von der Sprache als einem Medium der Informationsübertragung, welches mittels eines präzisen und bei sachgemäßer Verwendung unfehlbaren Codes funktioniere, oder die weitgehende Verkürzung des Gesamtphänomens ›Sprache‹ auf ihren syntaktisch-formalen Aspekt.

Beginnt man diese und andere Grundannahmen in Frage zu stellen, so entpuppt sich das, was sich zu Beginn von Der Sprachinstinkt als wissenschaftliche Revolution ankündigt, später lediglich als Aufarbeitung der generativistischen Sprachtheorie Chomskyscher Prägung - die jedoch in den 1990er Jahren kaum mehr als revolutionär gelten kann - und bleibt dort, wo es darüber hinaus geht, größtenteils spekulativ. Die argumentative Strategie Pinkers verläuft dabei im Kern so, daß zunächst der Sprachbegriff so weit verkürzt wird, daß wesentliche Aspekte menschlicher Sprache ausgeklammert werden, um dann in einem nächsten Schritt den scheinbar überraschenden Nachweis zu führen, daß eben dieses reduzierte Vermögen die Form eines angeborenen kognitiven "Moduls" annimmt.

Im Laufe einer ausführlichen, systematischen Diskussion von Der Sprachinstinkt werden die dem Buch zugrundeliegenden sprach- bzw. kommunikationstheoretischen Ansichten herausgearbeitet und einer kritischen Betrachtung unterzogen. Hierbei erweist sich, daß es angebracht ist, der These vom sogenannten ›Sprachinstinkt‹ mit größter Skepsis zu begegnen.