Essener Studien zur Semiotik und Kommunikationsforschung

Vorwort der Herausgeber und Einleitung zu Band 1 *
 

Menschen haben einen zweifachen Umgang mit Sprache und mit Kommunikation allgemein: einen kommunikativen und einen extrakommunikativen. Denn einerseits bedienen sie sich der Sprache zu Zwecken des Denkens und der Mitteilung an andere; sie vollziehen Kommunikation, und sie erfahren sich als aktive Kommunikatoren, als Sprecher und Hörer, Schreiber und Leser, die in Sprachgebrauch und Kommunikationsvollzug begriffen und involviert sind. Andererseits, im extrakommunikativen Umgang, denken sie über Sprache nach, analysieren, beobachten oder bewerten sie Sprachformen, Bedeutungen, Regeln, Normen des Gebrauchs; sie wenden sich beobachtend, beschreibend oder untersuchend den Kommunikationsprozessen anderer zu, oder sie reflektieren und analysieren Gespräche, Diskussionen, Briefwechsel, an die sie sich erinnern und an denen sie selbst (soeben noch) beteiligt waren.

Diese grundlegende Unterscheidung geht in ihren Wurzeln auf Karl Bühler zurück. Sie hat jedoch die moderne Kommunikationswissenschaft entscheidend mitgeprägt, wie sie seit Anfang der 50er Jahre an der Universität Bonn von Paul Menzerath, Werner Meyer-Eppler und vor allem Gerold Ungeheuer entwickelt und seit Mitte der 70er Jahre dann an der Universität GH Essen etabliert wurde. Bereits 1963 nahm Ungeheuer nämlich diese fundamentale Differenz im Umgang mit und in der Erfahrung von Sprache und Kommunikation in den von ihm postulierten "methodischen Grundsatz der Kommunikationswissenschaft" auf und verband sie mit der Forderung, die kommunikationswissenschaftliche Methodik habe zwei Klassen von Verfahren zu entwickeln, die jeweils den beiden Arten des Umgangs mit Kommunikationsphänomenen entsprechen, da die Inhalte der beiden Erfahrungsweisen nicht notwendigerweise gleich seien.

Zu den Gegenständen kommunikationswissenschaftlicher Forschung gehören deswegen nicht nur die Bedingungen und Formen des konkreten Vollzugs kommunikativer Prozesse, des kommunikativen Umgangs der Individuen mit Kommunikationsphänomenen also. Es müssen ebenso die Grundlagen, Verfahren und Folgen des extrakommunikativen Umgangs untersucht werden, in dem die Individuen Mittel und Prozesse der Kommunikation von außen als Gegenstände beobachten, zergliedern oder überdenken, nicht zuletzt wegen seines Einflusses auf den kommunikativen Umgang, mit dem er sich offenbar - selbst während fortlaufender Kommunikationsprozesse - als vorherrschende Verhaltensweise abwechselt. Nicht nur die Zusammenhänge zwischen den Bereichen der Sprachgebilde und der Sprechakte sind weit genauer noch als bisher geschehen zu analysieren, sondern ebenfalls sind die Einflüsse individueller oder sozialisierter Kommunikationstheorien, erdachter oder erlernter Kommunikationsstrategien und ähnlicher Phänomene auf das konkrete kommunikative Verhalten zu beschreiben und sorgfältig zu untersuchen.

Vor diesem Hintergrund verdienen Sprachkritik und Political Correctness, die beiden zentralen Gegenstände der vorliegenden kommunikationswissenschaftlichen und semiotischen Untersuchung, neben der ihnen zukommenden gesellschaftlichen und politischen Bedeutsamkeit ein doppeltes Interesse von seiten der Kommunikationswissenschaft: einerseits als kommunikative Prozesse mit charakteristischer Teilnehmerschaft, als Diskussionen und Debatten, in denen sich Pro und Contra neben dem praktischen Vollzug von Sprachkritik und Political Correctness manifestieren; andererseits als spezifisch organisierte und zweckgerichtete Formen des extrakommunikativen Umgangs mit bestimmten sprachlichen und kommunikativen Phänomenen in der Bundesrepublik Deutschland, die sich auf je kennzeichnende ideologisch-politische Grundlagen und alltagsweltliche Theorien über Sprache und Kommunikation stützen. Damit bezieht die Kommunikationswissenschaft aufgrund ihres spezifischen Erkenntnisinteresses hier eine andere und klarere Position als die Linguistik, in der Sprachkritik offenbar nicht ohne Einschränkung als legitimer Untersuchungsgegenstand der Linguistik akzeptiert wird. Aus guten Gründen legt der Autor seinen Schwerpunkt auf den zweiten Interessensbereich. Zwar wählt er die Gesamtheit der Texte zum Untersuchungsobjekt, die selbst Political Correctness zum Gegenstand haben und insgesamt die bundesdeutsche PC-Debatte bilden, doch sein Hauptinteresse ist angesichts dieser Debatte auf die Frage gerichtet, "welche thematischen Aspekte als politisch korrekt bzw. politisch inkorrekt gekennzeichnet werden und welche Funktion eine solche Kennzeichnung erfüllt bzw. erfüllen soll". Wenn der Autor sich nun in Beantwortung dieser Frage dazu anschickt, die innerhalb der PC-Debatte entfalteten Argumentationen zu analysieren und dabei Parallelen zwischen der PC-Debatte und älteren sprachkritischen bundesdeutschen Diskursen herauszuarbeiten, dann meistert er diese Aufgabe nicht nur kommunikationswissenschaftlich, sondern er betreibt dies trotz aller gebotener politischer Selbstbeschränkung mit einem Engagement, das nicht nur von politischer Wachheit, sondern ebenfalls von politologischer Einsicht zeugt. Wesentlich für die Gesamtargumentation wie ihren Aufbau ist dabei, daß der Autor sich einerseits klug einer Definition von "Political Correctness" enthält, andererseits aber als "sprachkritisch" lediglich solche Texte in seinem Zusammenhang versteht und einbezieht, die sich entweder kritisch mit der Sprache der Politik auseinandersetzen oder aber mit ihren Überlegungen zugleich politische Ziele verfolgen. Diese müssen nicht unbedingt explizit ausgewiesen, wohl aber den Autoren plausibel zuschreibbar sein. Auf diese Weise geraten allein die Gedankenwelt und der Diskurs jener Sprachkritiken in Zusammenhang mit der jüngeren PC-Debatte, die seit 1945 in Sprachwissenschaft und Feuilleton in recht unterschiedlichen Gewändern daherkamen, ihrerseits aber wenig zu tun hatten mit der Art von Sprachkritik, wie sie etwa seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert im Bereich von Philosophie und Erkenntnistheorie betrieben wurde.

Die leitende Annahme der Untersuchung, daß es gute Gründe gebe, zumindest "Teile der deutschen PC-Debatte mit spezifischen Strängen der Sprachkritik in Zusammenhang zu bringen", ist zwar keineswegs neu, bislang aber kaum geprüft und tatsächlich verfolgt worden. Ebenfalls mag es nicht unbedingt überraschen, wenn der Autor hinter den Argumenten und Forderungen innerhalb der Diskussion über Politische Korrektheit Grundannahmen vermutet oder gar sieht, die denen sprachkritischer Arbeiten eng verwandt sind. Durchaus neu und vollkommen selbständig aber ist die einerseits aus semiotischer, andererseits aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive vorgetragene Kritik an diesen eher alltagstheoretischen Grundannahmen: Sie erweist die Annahme fester Wortbedeutungen als eine ‚Stoffentgleisung' im Bühlerschen Sinne, und sie kennzeichnet den Vorwurf, "Sprache werde unzulässigerweise zur Bewußtseinsbeeinflussung und Handlungssteuerung eingesetzt", als eine vollkommene Verkennung des prinzipiell persuasiven Charakters kommunikativer Handlungen. Zugleich macht diese Kritik im Verein mit den überzeugenden Analysen geschickt ausgewählter Fallbeispiele aus der Political Correctness-Debatte und kontrastierend daneben gestellter Stränge der Sprachkritik unübersehbar und für jedermann nachvollziehbar, wie alltagsweltliche Sprach- und Kommunikationstheorien erfolgreich auf sprachliche Formen, Inhalte und die Gestaltung konkreter Kommunikationsprozesse zurückzuwirken vermögen.

Die neue Perspektive des Autors auf seinen Gegenstand, die offene Reflexion der Auswahl seiner begrifflichen, methodischen und theoretischen Mittel und nicht zuletzt die klare und erfolgreiche semiotische und kommunikationswissenschaftliche Verortung und Fundierung seiner Untersuchung machen sie besonders geeignet, als Band 1 die von uns herausgegebene Buchreihe Essener Studien zur Semiotik und Kommunikationsforschung zu eröffnen. Darin sollen (nicht nur) der Fachöffentlichkeit ausgewählte aktuelle Untersuchungen, Examens- und Forschungsarbeiten zugänglich gemacht werden, die innerhalb unserer Arbeitsbereiche im Fach "Kommunikationswissenschaft" an der Universität GH Essen entstanden sind und einen nach Inhalt und Form beachtlichen Beitrag zur Semiotik oder Kommunikationsforschung darstellen.

Essen, im März 2000

Achim Eschbach
H. Walter Schmitz



* Eschbach, Achim/Schmitz, H. Walter (2000): Vorwort der Herausgeber. In: Kapitzky, Jens: Sprachkritik und Political Correctness in der Bundesrepublik Deutschland. Aachen: Shaker Verlag, 5-8. (Essener Studien zur Semiotik und Kommunikationsforschung, Bd. 1).