Instandsetzen und Verstärken

Prüfverfahren zur Bestimmung der Eignung von Rissfüllstoffen

Allgemeines

Das Institut für Massivbau hier am Standort Essen ist anerkannt als Prüf- Zertifizierungs- und Überwachungsstelle nach §28 Abs. 1 der Landesbauordnung (BauO NRW) für Füllstoffe für Instandsetzungen nach Bauregelliste A Teil 2 lfd. Nr. 2.25. Die Anerkennung führt auf eine langjährige Erfahrung auf diesem Gebiet zurück, denn seit mehr als 20 Jahren werden am hiesigen Institut Eignungsprüfungen für Rissfüllstoffe gemäß geltenden Regelwerken durchgeführt, und Prüfverfahren entsprechend den veränderten Anforderungen weiterent­wickelt und fortgeschrieben. Für neuartige, unerforschte Rissfüllstoffe werden neue Prüfverfahren konzipiert.

 

PUR-Kleinprüfkörper - Zugversuch   

Stahlbetonbalken - Risse mit PUR gefüllt 

 

Zu den geltenden Regelwerken

Das Instandsetzen von Rissen in Betonbauteilen in Bezug auf Planung, Durchführung und Gütesicherung regelten bislang für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr (heute BMVBW) "Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für das Füllen von Rissen in Betonbauteilen", die ZTV-RISS 93 [1]. Für den allgemein bauaufsichtlichen Rechtsbereich galt die "Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen" Rili-SIB [2], in vier Teilen, aus den Jahren 1990 bis 1992. Beide Regelwerke wurden im Zuge von Überarbeitungen inhaltlich zusammengeführt. Während für die Betonersatz- und Oberflächenschutzsysteme weitestgehend eine Angleichung zwischen ZTV-SIB [3] und der Rili-SIB stattfand, wurde die überarbeitete ZTV-RISS in der Neufassung der Rili-SIB [4] nahezu vollständig übernommen. So wird nun auch in der Rili-SIB neben den Rissen das Füllen von Hohlräumen behandelt, die Regelungen für zementgebundene Füllstoffe, Zementleime (ZL) und Zementsuspensionen (ZS) sind aktualisiert. Auf eine einheitliche Bezeichnung für die Füllstoffe konnte man sich hingegen noch nicht einigen. In der ZTV-RISS spricht man vom "Füllgut", in der Rili-SIB von "Rissfüllstoffen".

Eine überarbeitete Fassung der ZTV-RISS als gebundenes, eigenständiges Werk gibt es nicht mehr, sie ist als lose Blattsammlung in die "Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauwerke" ZTV-ING [5] eingeflossen. Man verspricht sich dadurch ein höheres Maß an Flexibilität bei späteren Überarbeitungen, die durch Anpassung an neuere Erkenntnisse und Erfahrungen stets notwendig sein werden.

Da sich die Technischen Spezifikationen der genannten Regelwerke nicht mehr unterscheiden, genügen auch für den Geschäftsbereich des BMVBW die bauaufsichtlichen Instrumentarien zum Eintrag in die sog. "BAST-Liste", die "Zusammenstellung der geprüften bzw. zertifizierten Füllgüter mit zugehörigen Injektionsverfahren". Es gilt nun die Bauregelliste A Teil 2 [6]. Hier werden sie unter der lfd. Nr. 2.25 geführt, bezeichnet als "Füllstoffe für Risse für Instandsetzungen, die für die Erhaltung der Standsicherheit von Betonbauteilen erforderlich sind". Sie benötigen als Verwendbarkeitsnachweis ein allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis ((ab)P). Das kann nach erfolgreich abgeschlossener Grundprüfung gemäß einem anerkannten Prüfverfahren von anerkannter Prüfstelle ausgestellt werden. Zusätzlich wird als Übereinstimmungsnachweis ein Übereinstimmungszertifikat (ÜZ) durch eine anerkannte Zertifizierungsstelle gefordert. Grundlage hierfür sind eine werkseigene Produktionskontrolle (WPK) einschließlich einer kontinuierlichen Fremdüberwachung (FÜ) nach einer Erstprüfung durch eine hierfür anerkannte Überwachungsstelle. DIN 18200 [7] regelt das Verfahren zum Nachweis der Übereinstimmung. Als anerkannte Technische Spezifikationen sind in der Bauregelliste A [6] neben den Teilen 2 und 4 der Rili-SIB auch die Technischen Lieferbedingungen und Prüfvorschriften für Füllgut [8], [9], [10] gemäß ZTV-RISS zugelassen.

Im Zuge der europaweiten Harmonisierung der Normen wird seit einigen Jahren u. a. an einer 10-teiligen Normenreihe für "Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betonbauteilen", DIN EN 1504, gearbeitet. Teil 5 "Injektion von Betonbauteilen" [11] enthält die Behandlung von Rissen. Die Rissfüllstoffe werden hier nach Anwendungsbereichen in drei Klassen eingeteilt, zum

  • kraftschlüssigen,
  • dehnfähigen,
  • quellfähigen

Füllen von Rissen, Hohlräumen und Fehlstellen. Damit hat man im Vergleich zu den nationalen Regelungen die Produktpalette um die quellfähigen Rissfüllstoffe erweitert.

Zu den Rissfüllstoffen

Die nach den nationalen Regelwerken definierten Instandsetzungsziele "Schließen, Abdichten, kraftschlüssiges bzw. dehnfähiges Verbinden der Rissflanken" lassen sich mit bestimmten Füllgütern/Rissfüllstoffen erfüllen. Als Füllgüter stehen zur Verfügung:

  • Kunststoffe: Epoxidharz (EP) und Polyurethanharz (PUR),
  • zementgebundene Füllgüter: Zementleim (ZL) und Zementsuspension (ZS).

Epoxidharz

Epoxidharze sind kalthärtende, niedrigviskose Kunststoffe, die zweikomponentig in einer unverwechselbaren, aufeinander abgestimmten Verpackungsform zur Baustelle kommen. Epoxidharze härten zu hart-spröden Stoffen aus, sind nicht wasserverträglich und verbinden deshalb nur trockene Rissflanken kraftschlüssig.

Zementleim (ZL) und Zementsuspension (ZS)

Seit einigen Jahren haben auch zementgebundene Füllgüter als begrenzt kraftschlüssige, starre Verbindung an Bedeutung gewonnen [12]. Modifizierte Zementleime (ZL) und neuartige Zementsuspensionen (ZS) werden zwei- oder dreikomponentig angeboten. Die Pulverkomponenten müssen fein dispers in der Flüssigkeit verteilt werden und dürfen sich nicht zu Agglomeraten zusammenschließen, das erfordert eine hohe Mischenergie und ausreichend lange Mischdauer. Die Misch- und Aufbereitungsprinzipien können recht unterschiedlich sein, verwendet werden Dispergierscheibe, Kolloidalmischer oder normales Rührwerk in Kombination mit Umwälzvorgängen. Wichtig ist die optimale Abstimmung zwischen Rührwerktyp, Mischgeschwindigkeit und Misch- bzw. Umwälzdauer und Volumenmenge der aufzubereitenden Gebindeeinheiten.

Aufgrund ihres Verformungsverhaltens und ihrer Festigkeitseigenschaften werden die zementgebundenen Füllgüter bevorzugt zum Verfestigen hohlraumreicher Betone oder poröser Mörtelgefüge in ausgelaugten Bauteilen von Altbauten eingesetzt [13].

Polyurethane

Aus der breitgefächerten Palette der Polyurethane interessieren hier die weich-elastischen Harze [14], [15] zum Schließen, Abdichten und begrenzt dehnfähigen Verbinden von Rissflanken.

Die Leistungsfähigkeit von Polyurethanen ist alleine am Verbundkörper – ein mit PUR injizierter Riss im Beton – zu ermitteln. Reine Materialprüfungen, z. B. Zugversuche am Schulterstab, simulieren nicht das Materialverhalten im Riss unter behinderter Querdehnung und auch nicht das Zusammenspiel zwischen der Adhäsion von PUR am Betongefüge, den Teilablösungen und dem Kohäsionsverhalten von PUR. Die Dehnfähigkeit von PUR wird im zentrischen Zugversuch geprüft, die dehnungsabhängigen Dichtheit am Stahlbetonbalken.

Für bestimmte Abdichtungsmaßnahmen bei unter Druck wasserführenden Rissen kann es unumgänglich werden, schnellschäumende Polyurethane (SPUR) in Teilbereiche der Risse vorzuinjizieren. Diese Harzformulierungen haben einen hohen Isocyanatüberschuss und gehen in kurzer Zeit mit Wasser eine chemische Reaktion ein. Da diese Produkte durch die Alkalität des Betons rasch verspröden, ist vor allem bei Bauteilen mit zu erwartenden Rissbreitenänderungen mit erneutem Wasserdurchtritt zu rechnen. Die SPUR-Füllmenge ist daher auf das notwendige Maß zu begrenzen, damit das restliche Rissvolumen mit dem dauerhafteren, dehnfähigeren PUR gefüllt werden kann. SPUR und PUR sind über separate Packer zu injizieren. SPUR gilt im Sinne der aktuellen Regelwerke nur als Hilfsstoff zur Druckminderung des Wasserandrangs.

Acrylatgele

Spätestens mit Inkrafttreten der DIN EN 1504-5 öffnet sich für Acrylatgele als Rissfüllstoff auch in Deutschland der Markt. Aus heutiger Sicht handelt es sich dabei um noch unzureichend erforschte polymergebundene Produkte, sehr niedrig viskos, fähig, Wasser physikalisch zu binden und somit ihr Volumen zu vervielfachen, wodurch eine abdichtende Wirkung bei ständigem Wasserangebot entsteht. Der Einsatz von Acrylatgelen in Stahlbetonbauwerken wird vor allem in Deutschland, im Gegensatz zu einigen Nachbarländern, kontrovers diskutiert. Die Reaktivität wird i. d. R. durch "Startersalze" initiiert und beschleunigt, ihre Zugabemenge und die Art der chemischen Abläufe sind entscheidend für die Auswirkungen auf das Korrosionsverhalten von Beton- und Spannstahlbewehrung bei Gelkontakt. Die Acrylatgele sind mehrkomponentig und werden vom Verarbeiter auf der Baustelle angemischt. Ein sorgloser Umgang bei der Zugabemenge der Startersalze kann dabei zu beschleunigt ablaufender, abtragender Korrosion führen, wie durch Laborversuche an Stahlbetonbalken belegt wurde [16]. In der europäischen Normung ist eine Prüfung zur Beurteilung der Verträglichkeit mit Stahl vorgesehen, die Art der Prüfung ist noch nicht festgelegt. Eine nationale Regelung für die Rissinjektion in Stahlbetonbauwerken steht noch aus. Die Anwendungsgebiete für Acrylatgele sind bislang Abdichtungen im Mauerwerksbau oder "Schleierinjektionen" hinter dem zu schützenden Bauwerk. Die Deutsche Bahn hat für ihren Geschäftsbereich für den letzteren Anwendungsfall Hinweise für die Planung und Durchführung von Vergelungsmaßnahmen gegeben [17].

Literatur

[1] ZTV-RISS 93 "Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richt­linien für das Füllen von Rissen in Betonbauteilen". Der Bundesminister für Verkehr, Abteilung Straßenbau, Abteilung Binnenschiffahrt und Wasserstraßen, Deutsche Bundesbahn. Verkehrsblatt-Verlag, Dortmund 1993
[2] Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen. Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze (1990), Teil 2: Bauplanung und Bauausführung (1990), Teil 3: Qualitätssicherung der Bauausführung (1991), Teil 4: Qualitätssicherung der Bauprodukte (1992). Deutscher Ausschuss für Stahlbeton. Beuth Verlag GmbH, Berlin
[3] ZTV-SIB 90  "Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen". Der Bundesminister für Verkehr, Abteilung Straßenbau. Verkehrsblatt-Verlag, Dortmund 1990
[4] DAfStb-Richtlinie "Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instand­setzungsrichtlinie)". Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze, Teil 2: Produkte und Anwendung, Teil 3: Anforderung an die Betriebe und Überwachung der Ausführung, Teil 4: Prüfung. Deutscher Ausschuss für Stahlbeton. Beuth Verlag GmbH, Berlin, Oktober 2001
[5] ZTV-ING "Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten". Teil 3: Massivbau, Abschnitt 5: Füllen von Rissen und Hohlräumen in Betonbauteilen, Bundesanstalt für Straßenwesen, Entwurfsfassung Juli 2001
[6] Bauregelliste A, Bauregelliste B und Liste C. Ausgabe 2001/2. DIBt Mitteilungen 6/2001
[7] DIN 18200 "Übereinstimmungsnachweis für Bauprodukte - Werkseigene Produktionskontrolle, Fremdüberwachung und Zertifizierung von Produkten". 05.2000
[8] TL/TP FG-EP "Technische Lieferbedingungen und Prüfvorschriften für Füllgut aus Epoxidharz und zugehöriges Injektionsverfahren". Der Bundes­minister für Verkehr, Abteilung Straßenbau, Abteilung Binnenschiffahrt und Wasserstraßen, Deutsche Bundesbahn. Verkehrsblatt-Verlag, Dortmund 1993
[9] TL/TP FG-PUR "Technische Lieferbedingungen und Prüfvorschriften für Füllgut aus Polyurethan und zugehöriges Injektionsverfahren". Der Bundes­minister für Verkehr, Abteilung Straßenwesen, Abteilung Binnenschiffahrt und Wasserstraßen, Deutsche Bundesbahn. Verkehrsblatt-Verlag, Dortmund 1993
[10] TL/TP FG–ZL/ZS "Technische Lieferbedingungen und Prüfvorschriften für Füllgut aus Zementleim/ Zementsuspension und zugehöriges Injektions­verfahren". Der Bundesminister für Verkehr, Abteilung Straßenwesen, Abteilung Binnenschiffahrt und Wasserstraßen, Deutsche Bundesbahn. Verkehrsblatt-Verlag, Dortmund 1995
[11] DIN EN 1504-5 "Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betonbauteilen – Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung – Teil 5: Injektion von Betonbauteilen". Entwurf 01.2002
[12] Iványi, G.; Rosa, W.: Füllen von Rissen und Hohlräumen im Konstruktionsbeton mit Zementsuspension. Beton- und Stahlbetonbau (1992) H. 9, S. 224-229
[13] Rosa, W.: Instandsetzung der Autobahnbrücke bei Pirk im Zuge der A 72, Hof - Plauen. Tiefbau, Ingenieurbau, Straßenbau 33 (1991) H. 10, S. 759-762
[14] Eßer, A.: Polyurethan – ein Füllgut zum Füllen von Rissen in Betonbauteilen. In: Betonbau in Forschung und Praxis. Festschrift zum 60. Geburtstag von György Iványi. S. 401-405. Verlag Bau und Technik 1999, Düsseldorf
[15] Eßer, A.: Füllen von Rissen und Hohlräumen. Dissertation, Universität Essen, 2000
Veröffentlichung: DAfStb Heft 527
[16] Kuhn, K. Paschke, A.: Acrylatgele- Untersuchungen zur Anwendbarkeit als Füllgut zum Abdichten von Rissen in Betonbauteilen. Diplomarbeit, Universität Essen, 2000
[17] Meinzinger, M.: Neue Grundlagen für die Bauerhaltung von Eisenbahnbrücken und sonstigen Ingenieurbauwerken durch Vergelungstechnologie. Bauingenieur 75 (2000) H. 6, S. 261-268