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21.07.2020 - 11:06:24

Neues ZLV-Mitglied: Prof. Dirk Wittowsky

Am 08. Juni 2020 führte das ZLV das Begrüßungs-Interview mit dem neuen UDE-Professor Dirk Wittowsky.
Nach Stationen unter anderem in Karlsruhe, Frankfurt am Main und Dortmund ist er wieder an den Ausgangsort seiner universitären Laufbahn zurückgekehrt: die Universität Duisburg-Essen, wo er in den Neunzigern Bauingenieurwesen studierte und am Institut für Verkehrswesen und Verkehrsbau bei Herrn Prof. Schönharting seine Diplomarbeit erstellte. Nach der Leitung der Forschungsgruppe "Alltagsmobilität und Verkehrssysteme" am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund leitet er nun das neugegründete Institut für Mobilität- und Stadtplanung (imobis).

ZLV:
Sie sind wieder zu ihrem Studienort zurückgekehrt – was hat sich in der Stadt bezüglich des Verkehrs verändert?

Wittowsky:
Wenn ich ehrlich bin, so richtig viel hat sich nicht verändert. Ich war 15 Jahre nicht mehr im Ruhrgebiet und man merkt schon, dass es vereinzelte Maßnahmen gibt, die wirklich sehr positiv sind, die auch zu einer Verbesserung des Verkehrs geführt haben und bewirkt haben, dass Mobilität ein präsentes Thema ist. Besonders gefallen mir die vielen neuen Radwege, auch durch die Umnutzung von alten Bahntrassen. Also es gibt lokal viele kleine Maßnahmen, aber auf der großen Ebene muss man sagen, im Bereich Modal Split, hat sich viel zu wenig geändert. Eine nachhaltige Mobilitätskultur entwickelt sich langsam und ist in gewissen Milieus angenommen , aber der ganz große Veränderungsprozess in der Gesellschaft fehlt noch. Aber Essen ist auf einem guten Weg und viele innovative Projekte und Reallabore werden umgesetzt. Es dauert halt eine Zeit bis sich Gewohnheiten verändern.

ZLV:
Nach ihrer Tätigkeit beim Forschungsinstitut ILS sind Sie jetzt an der Universität. Wo liegen ihrer Meinung nach die Hauptunterschiede im Arbeitsalltag?

Wittowsky:
Die Lehrverpflichtungen sind natürlich mit einer der größten Unterschiede an der Universität und gerade beim Aufbau eines neuen Instituts sind sehr viele Gedanken um die Lehre und Ausbildung der Studierenden notwendig – aber das macht auch sehr viel Spaß. Zudem ist man vermehrt in Gremien und der Selbstverwaltung verankert. Und man erhält sehr viel mehr Anfragen (für bspw. Interviews) und von der Forschung ist die Zusammenarbeit mit mehreren Partnern der Universität sehr spannend , sodass sich das Forschungs-Portfolio breiter aufstellt.

ZLV:
Spielt bei den Anfragen dann auch Öffentlichkeitsarbeit eine große Rolle? Besonders beim Thema Mobilität, was ja teilweise sehr emotional diskutiert wird.

Wittowsky:
Also Öffentlichkeitsarbeit in dem Sinne, dass man viele Anfragen für Interviews bekommt und vermehrt als Experte angefragt und wahrgenommen wird. Vor allen natürlich auch Anfragen zu Kooperationen bzw. Projekten mit Duisburg und Essen,.

ZLV:
Was bedeutet vor diesem Hintergrund das ZLV für Sie? Wo sehen Sie Anknüpfungspunkte mit anderen ZLV-Lehrstühlen?

Wittowsky:
Durch das ZLV ergeben sich sehr viele Synergien, durch die man das inhaltliche Portfolio vergrößern kann. Dadurch, dass auch sehr viele technische Fakultäten dabei sind und wir eher die planerische und sozialwissenschaftliche Brille aufhaben und Verkehr ganzheitlich sowie die gesellschaftliche Komponente sowie das Mobilitätsverhalten betrachten, können wir für die anderen Mitglieder ein guter Partner sein, um das Portfolio für Forschungsprojekte zu erweitern. Das ist eine große Chance, die Frage ist wie man das lebt und im Alltag umsetzt, aber ich glaube, da existieren große Potential in der Zusammenarbeit mit den anderen Lehrstühlen, gemeinsam zu forschen. Das ist wichtig diese Synergien zu nutzen, um auch die UDE in der Forschungslandschaft stärker zu positionieren.

ZLV:
Wo liegen ihrer Meinung nach die Potenziale einer polyzentrischen Struktur wie hier im Ruhrgebiet, bezüglich nachhaltiger Mobilität?

Wittowsky:
Das Ruhrgebiet ist historisch bedingt immer noch sehr autogerecht orientiert. Es gibt die A40 als Verbindung aber auch als starke Trennung zwischen Nord und Süd. Hier gibt es auch immer noch große Unterschiede in der Qualität der Anbindung; der ÖPNV ist optimal in der Ost/West-Richtung und verbindet das Ruhrgebiet sehr gut; aber wenn man in Nord/Süd- Richtung unterwegs ist , gilt es die Qualität noch zu optimieren. Die starken Achsen für den Pkw, hier muss man versuchen den Verkehrsraum neu zu justieren und Wertigkeit der Verkehrsmittel zu überdenken. Aber die Stärke des Ruhrgebiets ist doch, dass man hier eine Region hat, die man komplett nachhaltig gestalten könnte, und die guten Strukturansätze die es hier gibt nutzen könnte, aber man muss den Mut haben mehr und schneller umzusetzen und natürlich auch die Menschen mitzunehmen. Ich meine auch, dass man hier mit Pull- und Push-Maßnahmen agieren muss, das heißt Anreize für umweltfreundliche Verkehrsmittel setzen, aber auch das Autofahren in bestimmten Situationen unattraktiver machen. Vielleicht muss man neue Strukturen schaffen, um innovative Denk- und Entscheidungsmuster mutig und innovativ zu gestalten. Man muss viel integrierter, multioptionaler und interkommunaler handeln.

ZLV:
Müsste man bei der Ost-West-Achse durch die A40 nachsteuern?

Wittowsky:
Die Straßen sind schon sehr gut ausgebaut, also ein Ausbau ist hier nicht mehr nötig, aber es gibt auch hier viele Qualitätsminderungen, sodass hier die Instandhaltung der Infrastruktur wichtig ist .

ZLV:
Müsste man ÖPNV-Kooperation auf eine höhere Ebene stellen und verpflichtend machen?

Wittowsky:
Beim ÖPNV gibt es viele Trassen, die am Ende ihrer Kapazität sind, hier müsste man aber massiv den Takt verbessern. Wenn die Leute nicht nachdenken müssen; wenn man zur Haltestelle geht und dann kommt gleich eine Bahn, dann hat man schon eine große Verbesserung erreicht. Und mit dem RRX kann der ÖPNV noch attraktiver werden, das ist sehr gut, aber letztendlich muss man sehen; die Kapazität auf der Strecke ist auch begrenzt. Vielleicht kann die Automatisierung die Kapazität langfristig erhöhen, aber neue Gleise bauen dauert auch lange und geht nicht von heute auf morgen. Es sind Güter- und Personenverkehre, Nah- und Fernverkehr, die sich die Gleise teilen, das ist ein großes Probleme, dass es keine eigenen Netze gibt. Aber den Takt kann man schon über den ganzen Tag verteilt verbessern, man kann Schnellbuslinien weiter einsetzen oder Fahrgemeinschaften (Ride-Sharing) als Alternative zum ÖPNV pushen, aber klar die Schienen-Achsen ist ein starkes Rückgrat der Mobilität im Ruhrgebiet.

Wittowsky:
Und zusätzlich ist die Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsmittel sehr wichtig und da ist es ein großes Potential, dass man das Mobilitätsportfolio der Menschen vergrößert, um Alternativen zu schaffen. Also Alternativen zum Pkw-Verkehr, Alternativen zu einzelnen Alltagsfahrten. Der VRR ist natürlich eine große Dachmarke, der probiert den klassischen Nahverkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit neuen Mobilitätsformen zu vernetzen. Darüber hinaus gibt es vom RVR ein regionales Mobilitätskonzept, aber die Frage ist, reicht das strategisch aus? Es gibt auch noch das Zukunftsnetzwerk Mobilität, das sich auch auf einer höheren Ebene um nachhaltige Mobilität kümmert. Also strategische Organisationen gibt es eigentlich schon genug, die Frage ist nur vernetzen die sich gut und wie setzen die Kommunen das um? Und kann ein Verkehrsunternehmen mit neuen Mobilitätsformen und neuen Ansprüchen der Menschen an Mobilität umgehen?


ZLV:
CO2 (-Äquivalente) gelten als eine Art Währung des Klimawandels. Im Verkehrssektor wurden seit 1990 Effizienzgewinne durch mehr Verkehr kompensiert. Wann wird man auch hier wirklich etwas erreichen und mit welchen Maßnahmen?

Wittowsky:
Die Frage ist an der Stelle ob CO2 überhaupt ein guter Messindikator für ein nachhaltiges Mobilitätssystem ist oder ob man andere Faktoren wie den Modal Split einbezieht. Letztendlich haben wir mehr Verkehr durch insgesamt weitere Wegstrecken, mehr Güterverkehr, mehr Onlinehandel und demzufolge mehr Transportvorgänge. Das alles hat in den letzten Jahren das Aufkommen erhöht. Man wird natürlich etwas messen, wenn man den Umstieg auf E-Mobilität und Wasserstoff - sprich: Brennstoffzelle und synthetische Kraftstoffe - schafft. Das ist aber ja nicht das einzige Ziel, sondern auch weniger Pkw-Verkehr in den Städten für eine hohe Lebensqualität. Energiewende ist nur der eine Teil der Verkehrswende. Womöglich muss man sich über ein Mautsystem Gedanken machen, Einfahrtsverbote in die Innenstädte, Alternativen statt Anreizsysteme schaffen, dann wird man was erreichen. Auch Verkehrsverlagerungen auf umweltfreundliche Modi und Verkehrsvermeidung, sowie jene Kapazitäten auf den Routen, die wir nicht verlagern können, mit umweltsensitivem Routing und intelligenten KI-Technologien verträglich abwickeln sind sinnvolle Maßnahmen. Warum müssen so viele Fahrzeuge durch die Innenstädte fahren? Letztlich kann man über autofreie oder autoarme Quartiere nachdenken. Nachhaltiger gesellschaftlicher Wandel, also eine nachhaltige Mobilitätskultur in den Köpfen zu verankern, das geht nicht nur mit harten Strukturmaßnahmen, sondern muss durch Mobilitätsmanagement-Kampagnen, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung begleitet werden.

ZLV:
Mobilität ist emotional - “Darf auch Spaß machen” sagten Sie in einem anderen Interview. inwiefern können sich quantitative und qualitative Analysen gegenseitig begünstigen? Einerseits ist dies ein typisches Optimierungsproblem, andererseits sind auch subjektive Empfindungen ein wichtiger Faktor (schneller, macht Spaß, durch die Natur, etc.).
Welche Rolle kann dabei die Politik spielen?

Wittowsky:
Es geht darum, dass man mehr Mobilität braucht, ohne mehr Verkehr zu erzeugen, keinen einzuschränken, weiterhin sozialgerechte Mobilität zu ermöglichen und barrierefreien Zugang zu allen Mobilitätsoptionen herzustellen. Niemand möchte eine Mobilitätsarmut generieren, aber für ein positives Bild von Mobilität muss man auch klar machen, dass ein „Weiter so“ nicht mehr ausreicht, wenn man die Klimaschutzziele erreichen möchte. Gerade haben wir die Corona-Krise, wir möchten nicht noch eine akute Klimakatastrophe haben. Dafür ist Überzeugungsarbeit gefragt und da muss Politik Aufklärung leisten und Rahmenbedingungen liefern. Dies ist mit der erhöhten Kaufprämie schon teilweise geschehen. Dabei ist erfreulich, dass nicht alle Antriebe gefördert werden, aber man hätte auch über ein Mobilitätsbudget nachdenken können. Dazu gehört eine geförderte Jahreskarte im Umweltverbund oder eine Mitgliedschaft im Car-Sharing. So ist die Förderung weiterhin sehr autofokussiert, aber immerhin nachhaltig. Die Politik muss Rahmenbedingungen vorgeben, die Kommunen diese radikal und innovativ umsetzen, da ist es schwierig harte Fakten zu beschließen und Richtlinien an die Hand zu geben. Letztlich ist die Kommune frei, auf der Ebene braucht man mutige Leute und Innovatoren abseits des Mainstreams, die vorangehen und nicht nur in Wahlkampfperioden denken. Beispielsweise ist das Zukunftsnetzwerk Mobilität eine Einrichtung, die da voranpreschen kann, wo das Ministerium hintersteht, wo Kommunen Mitglied sind. Das müsste man noch stärker in die Pflicht nehmen. Und Wissenschaft muss natürlich ebenfalls als Mahner auftreten und letztlich versuchen ,dass im Mobilitätssektor ressourceneffiziente Konzepte umgesetzt werden.

ZLV:
Konkret: Wie kann man urbaner SUV-Nutzung entgegenwirken?

Wittowsky:
Ganz schwierige Sache, aus verschiedenen Gründen. Zunächst ist hier das System von Angebot und Nachfrage vorherrschend. Wenn der Markt so reagiert werden auch mehr große Fahrzeuge produziert. Möglichkeiten wären eine andere Besteuerung auf Basis von Größe oder Emissionswerten, gerade im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit muss man da aber aufpassen, denn Reiche können sich große Privatwagen dann natürlich trotzdem noch leisten. Aber man kann indirekt Anreize setzen über eine Erhöhung der Benzin- oder Energiesteuer, sodass jene, die viel verbrauchen auch mehr bezahlen. Allgemein ist es aber schwierig in einen Markt einzugreifen, das möchte man nicht unbedingt. Andererseits könnte man kleinere Fahrzeuge ebenfalls anreizen, beispielsweise Parkgebühren im urbanen Raum verringern oder diese an Größe koppeln. Das macht dort Sinn, wo die Ressource Fläche sehr knapp bemessen ist. Es gibt also schon finanzielle Möglichkeiten, aber in einen Marktmechanismus einzugreifen ist sehr komplex. Auch an dieser Stelle könnte man aber Aufklärung betreiben und den BürgerInnen vermitteln, dass ein SUV in der Innenstadt, wo wenig Parkraumbedarf ist, nicht unbedingt das beste Fortbewegungsmittel und ökologisch nicht wirklich sinnvoll ist.

ZLV:
Vielen Dank für Ihre Zeit!

Das Interview führten und Fabian Lohmar und Sophia Zocholl.