Kooperative Unterrichtsvideoreflexion in ReFLECting Teams

Das in der AG Unterrichtsentwicklung realisierte Projekt FLECTT - kooperative Unterrichtsvideoreflexion in ReFLECTing Teams (ehemals Videogestützte Unterrichtsreflexion; Göbel & Neuber, 2018) als Teil des Gesamtprojektvorhabens ProViel (Professionalisierung für Vielfalt) verfolgt seit April 2016 das Ziel, Lehramtsstudierende mittels kooperativer Unterrichtsvideoreflexion anhand von eigenen sowie fremden Unterrichtsvideos auf die Unterrichtspraxis vorzubereiten, die Theorie-Praxisverzahnung zu stärken und eine Basis für eine reflektierte Grundhaltung angehender Lehrkräfte zu schaffen.

Im Mittelpunkt der kooperativen Unterrichtsvideoreflexion steht das aus der systemischen Beratung entstammende Prinzip des „Reflecting Teams“. Es fördert durch strukturierende Vorgaben zum gemeinsamen Reflektieren auf Handlungs- und Metaebene die Eröffnung neuer Perspektiven auf das eigene Denken und Handeln (Andersen, 1990) und wird aktuell vermehrt in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen eingesetzt (Kricke, Rohr & Schindler, 2012; Göbel & Neuber, 2018).

Die Reflexion von Unterrichtsvideos im Reflecting Team

Um eine kooperative Unterrichtsvideoreflexion zu ermöglichen, besteht eine Reflexionsgruppe aus mindestens vier Personen. Die videografierte Person mit eigenem Unterrichtsvideo nimmt die Rolle der Ratsuchenden Person ein und wird in der Reflexion durch eine Interviewende Person unterstützt. Zusammen bildeten die beiden das Video-Team. Die restlichen Gruppenmitglieder bilden das Meta-Team. Beide Teams treten nicht in direkten Kontakt miteinander, sondern kommunizieren nur innerhalb des jeweils eigenen Teams.

 

 

Abbildung 1

Das Setting „Reflecting Teams“ (eigene Abbildung auf Basis von Göbel & Neuber, 2018, S. 65)

 

Der Reflexionsprozess umfasst insgesamt drei Phasen:

1. Phase:
Die Ratsuchende Person reflektiert ihre zuvor ausgewählte Videosequenzen in Form von lautem Denken. Die Interviewende Person kann hierbei gezielt Fragen stellen, die den Reflexionsprozess unterstützen. Die Reflexion folgt einem Dreischritt, bestehend aus Beschreiben, Interpretieren und Aufzeigen von Handlungsperspektiven (vgl. Ericsson & Simon 1993). Das Meta-Team hört in dieser Phase aufmerksam zu und macht sich Notizen über ihre Wahrnehmungen.

2. Phase:
Das Meta-Team tritt in einen gemeinsamen Dialog über ihre Gedanken und Wahrnehmungen. Diese können sich sowohl direkt auf die gezeigte Unterrichtssituation als auch auf die vorangegangene Selbstreflexion beziehen und die Reflexion auf eine Metaebene verlagern.

3. Phase:
Das Video-Team bespricht inwiefern das Gespräch des Meta-Teams dazu beitragen konnte, neue und hilfreiche Informationen zu erlangen.

Mögliche Option: Sollte die Ratsuchende Person noch nicht die Information erhalten haben, die sie sich wünscht, kann sie das Gespräch erneut an das Meta-Team zurückgeben (Phase 2).

 

Mit jedem Phasenübergang entfernt sich das Gespräch ein Stück weit von dem ursprünglichen Video und bewegt sich immer weiter auf einer eher abstrahierenden Metaebene, in der zunehmend über die Art des Wahrnehmens, Denkens und Interpretierens der im Video gezeigten Szene gesprochen wird. Durch die Phasen des Settings soll sichergestellt werden, dass alle Teilnehmenden ausreichend Zeit erhalten, um zu Wort zu kommen. Da der Dialog im Meta-Team nicht direkt an das Video-Team gerichtet ist, soll ein möglicher Rechtfertigungsdruck für die Ratsuchende Person vermieden werden. Zusätzlich wird eine ressourcenorientierte Kommunikationsform unterstützt, die sich auf bereits vorhandene Stärken und Lösungswege fokussiert.

 

Die gesamte Reflexion wird dabei durch sog. Reflexionspromts (vgl. Davis 2003; Goeze u. a. 2013) unterstützt (vgl. Abbildung 2 und 3). Diese werden in Form von Set-Karten mit reflexionslenkenden Impulsfragen vor der Reflexion ausgehändigt und unterscheiden sich je nach Rolle, Phase und Reflexionsthema.

Abbildung 2

Reflexionsprompt Video-Team (Beschreiben, "Klarheit und Verhaltensregeln")

Abbildung 3
Reflexionsprompt Meta-Team (Handlungsperpektiven, "Klarheit und Verhaltensregeln")

Die Reflexionspromts bieten Denkanreize für reflexionsanregende Fragen, um hilfreiche Erfahrungen auszutauschen oder Handlungsperspektiven aufzuzeigen. Zudem sind Beispielfragen aufgeführt, die die ressourcen- und lösungsorientierte Kommunikationsstruktur verdeutlichen. Die Reflektierenden können sich auf den Karten zudem Notizen zu ihren Gedanken machen.

Bisheriger Projektverlauf

In der ersten Projektförderphase (01.01.2016-30.06.2019) stand zunächst die Praxisphase der Masterstudierenden im Lehramtsstudium im Fokus. Dabei wurde den Studierenden in universitären Seminaren im Praxissemester die Gelegenheit geboten, videogestützte Unterrichtsbeobachtung eigenen Unterrichts zu realisieren, videografierten Unterricht systematisch zu analysieren und gemeinsam mit Mitstudierenden und Mentor*innen über ihren Unterricht zu reflektieren. Thematisch standen im Rahmen der Reflexion des videografierten Unterrichts zunächst durch die Studierenden selbstgewählte, allgemeindidaktische Aspekte der Qualitätsdimensionen guten Unterrichts nach Helmke (2015) im Vordergrund. Anhand von eigenen und fremden Unterrichtsvideos erprobten die Studierenden Rückmeldungspraktiken und Reflexionsstrategien.

Aktueller Stand und Forschung

In der zweiten Projektphase (seit 01.07.2019) wird das kooperative Reflexionssetting Reflecting Teams weiterentwickelt und auf die zweite Phase der Lehrer*innenbildung übertragen. Hierfür steht das Projekt FLECTT in enger Kooperation mit den Zentren für schulpraktische Lehrerbildung (ZfsL). In Kooperation mit den ZfsL Essen, Duisburg und Kleve wird das Reflexionssetting adaptiert und in Veranstaltungen im Praxissemester weiter erprobt, wobei der Fokus auf Klassenführung als zentrales Merkmal gelungenen Unterrichts gelegt wird.

Das Konzept wurde hierfür so weiterentwickelt, dass es keine geschulte Begleitung für die Umsetzung des Settings mehr braucht. Im Projekt wurden "Reflexionsboxen" entwickelt, in denen Anleitungen, Hilfestellungen sowie alle notwendigen Reflexionsmaterialen enthalten sind. Auf die Weise können kann das Setting auch außerhalb universitärer Veranstaltungen eingesetzt werden.

Seit Frühjahr 2021 wird das Reflexions-Setting auf das Referendariat übertragen, um so die videobasierte Reflexion langfristig in alle Phasen der Lehrer*innenbildung zu integrieren. Auch in der universitären Lehrer*innenausbildung wird das Reflexionssetting weiterentwickelt, auf verschiedene Analyseschwerpunkte wie Fehlerkultur und sprachliche Heterogenität ausgeweitet und stetig evaluiert. Weitere Studien zur Wirkungsanalyse in Bezug auf die Reflexionsfähigkeit, aber auch auf die Wahrnehmung der ausgewählten Qualitätskriterien und die Selbstwirksamkeit angehender Lehrkräfte sollen folgen.

Begleitforschung

Die Studierenden im Projekt
wurden hinsichtlich des potentiellen Nutzens von videogestützter Unterrichtsreflexion in der Lehrerausbildung vor und nach der Reflexionseinheit befragt. Zudem wurde die Einschätzung der Studierenden zum Nutzen der von ihnen realisierten kollegialen videobasierten Reflexion erhoben. Mit mittleren Zustimmungswerten, die bei allen Items deutlich über dem theoretischen Mittelwert liegen, ist die Einschätzung des generellen Nutzens von videobasierter Reflexion und des kollegialen Reflexionssettings insgesamt sehr positiv.
Weiterhin wird ein positiver Einfluss der kollegialen Videoreflexion auf die Einstellungen zu kollegialem Feedback und zur Reflexion von Unterricht mit eigenen Unterrichtsvideos deutlich (Göbel & Gösch, 2019; Göbel, Bönte, Gösch & Neuber, 2022).

Göbel, Bönte, Gösch & Neuber (2022):
The relevance of collegial video-based reflection on teaching for the development of reflection-related attitudes

in: Teaching and Teacher Education, 120 (2022).

Göbel & Gösch (2019):
Die Nutzung kollegialer Reflexion von Unterrichtsvideos im Praxissemester
in:
Degeling, Maria [Hrsg.]; Franken, Nadine [Hrsg.]; Freund, Stefan [Hrsg.]; Greiten,
Silvia [Hrsg.]; Neuhaus, Daniela [Hrsg.]; Schellenbach-Zell, Judith [Hrsg.]: Herausforderung Kohärenz:
Praxisphasen in der universitären Lehrerbildung. Bildungswissenschaftliche und fachdidaktische
Perspektiven. Bad Heilbrunn : Verlag Julius Klinkhardt, 277-288.

Projektleitung

Prof. Dr. Kerstin Göbel
Lehrstuhl für Unterrichtsentwicklung,
Fakultät Bildungswissenschaften
Raum: S06 S05 B32

E-Mail an Prof. Dr. Kerstin Göbel

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Julia Bönte M.A.
Lehrstuhl für Lehr-Lernpsychologie
& AG Unterrichtsentwicklung
Raum: S06 S03 A14 und S06 S05 B87

E-Mail an Julia Bönte

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„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund
und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung gefördert.

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