Normen in den IB zwischen Normalität und Normativität

Normen in den Internationalen Beziehungen zwischen Normalität und Normativität Call for Papers für einen Workshop Universität Duisburg-Essen, 29./30. Juli 2011

 

Normen zeichnen sich gegenüber anderen Regelungstypen durch die moralische Dimension der ‚oughtness’ aus, das heißt ihre präskriptive und evaluative Qualität (Finnemore/Sikkink, 1998). Obwohl im Kern des Normenbegriffs verankert, erfährt diese normative Seite im Vergleich zu den ‚normalisierenden’ regulativen und konstitutiven Aspekten in der Normforschung der Internationalen Beziehungen „verblüffend wenig Aufmerksamkeit“ (Finnemore/Sikkink, 1998: 891). Mehr Aufmerksamkeit ist jedoch vonnöten, denn die Einbeziehung des Normativen hat erhebliche Folgen für das ontologische Verständnis des Normkonzepts. Die normative Qualität von Normen scheint die Grundlage ihrer normalisierenden Funktion anzugreifen, indem sie die Möglichkeit geteilter Bedeutung problematisiert. Normativität und Normalität stehen damit in einem konzeptionellen Spannungsverhältnis. Der Workshop möchte dieses Spannungsverhältnis in den Mittelpunkt rücken und die Konsequenzen für theoretische, wie für empirische Normenforschung diskutieren. In der gegenwärtigen Normenforschung lassen sich mindestens drei unterschiedliche konzeptionelle Vorgehensweisen finden, wie mit diesem Spannungsverhältnis umgegangen wird:

(1) Die Mehrzahl der Ansätze zur Normforschung in den IB klammert die normative Qualität von Normen implizit oder explizit aus, weil ihre Bedeutung „not in being true or false but in being shared” (Katzenstein, 1993: 268) gesehen wird. Dieses Verständnis von Normen führt zu einem mehrheitsfähigem Normenbegriff, der im Kern auf drei Grundannahmen basiert:

Erstens stünden die verschiedenen Normqualitäten in einem additiven Verhältnis zueinander, das eine Unterscheidung zwischen Normen als (sozialen) Fakten und als Wertmaßstäben erlaubt (vgl. Wiener, 2008). Zweitens beruhe die soziale Wirksamkeit von Normen auf der Normalisierung, das heißt auf der Festlegung eines intersubjektiv geteilten Sinngehalts. Drittens ließen sich normative Aspekte nur durch eine normative Wissenschaft

behandeln. Entsprechend wird zwischen empirischen Normansätzen der IB und einer moralphilosophisch orientierten ‚IR&Ethics-Literatur’ unterschieden, in die normative Belange ‚evakuiert’ werden (Campbell, 2001: 4, 105-106).

(2) ‚Konsistentere’ konstruktivistische und deliberative Ansätze haben hingegen die Bedeutung des „moral point of view“ (Kratochwil 1989: 153) als integralen Bestandteil des Normkonzepts hervorgehoben. Die normativen Aspekte verweisen auf das Spannungsverhältnis von normalisierender Faktizität, normativem Geltungsanspruch und sozialer Umstrittenheit, das Normen konstituiert. Das Normkonzept kann auf diese Weise dynamischer und reflektierter gestaltet werden. Zur Erklärung der Normalisierungsfunktion

muss in der Konsequenz allerdings auf andere, vermeintlich ontologisch unproblematischere Konzepte zurückgegriffen werden, um einen geteilten Sinngehalt herzustellen, so etwa intersubjektive sprachliche Praktiken (Kratochwil, 1986), die Überzeugungskraft des ‚besseren’ Arguments (Deitelhoff 2006) oder Kultur (Wiener, 2008, Crawford, 2006).         

(3) Aus einer poststrukturalistischen Perspektive steht der politische Charakter des Verhältnisses von Normalität und Normativität im Mittelpunkt der theoretischen Perspektive. Die Umstrittenheit von Normen wird dabei nicht als grundsätzlich aufzulösender Extremfall, sondern als Regelfall gefasst, der stets aufs Neue einer ethisch und politisch abzuwägenden Entscheidung bedarf. Jeder Versuch der Bedeutungsfestlegung, also der Normalisierung, muss damit jedoch prekär bleiben. Denn jede Anwendung der Norm auf den Einzelfall bedarf letztlich immer der Entscheidung, was die Norm in diesem Zusammenhang konkret bedeutet (Zehfuss, 2002; Sending, 2002). Diese kurze Kategorisierung zeigt die sehr unterschiedlichen Herangehensweisen an das Spannungsverhältnis von Normativität und Normalität. Vor diesem Hintergrund sollen durch den Workshop die unterschiedlichen Perspektiven zusammengebracht und diskutiert

werden. Folgende (nicht ausschließliche) Leitfragen können dabei zur Orientierung dienen:      

1. Bedarf es eines ‚normative turn’ in der Normenforschung?      

2. Welche Folgen ergeben sich aus einem ‚normative turn’ für das ontologische Verständnis des Normkonzepts?   

3. Welche Folgen für die empirische Analyse ergeben sich aus der Ausklammerung bzw. Einbeziehung der normativen Dimension?       

4. Kann es eine ‚nicht-normative’ (im Sinne von wertfreier) Erforschung normativer Faktoren geben?         

5. Was bedeutet die Umstrittenheit von Normen für das Konzept der ‚compliance’?

6. Welche methodologischen Herausforderungen stellt die Einbeziehung der präskriptiven Dimension?        

Wir bitten um Vorschläge für Inputs und Forschungspapiere, die sich diesem Spannungsverhältnis aus theoretischer oder empirischer Perspektive nähern. Die Vorschläge sollten einen Umfang von 300 Wörtern nicht überschreiten und bis spätestens zum 31.05.2011 per Email eingereicht werden.

 

 

Ansprechpartner