Vom Ausdruck zur Pose. Theatralität und Weiblichkeit in der Fotografie des 19. Jahrhunderts

AutorIn
Holschbach, Susanne

Jahr
2004

Typ der Publikation
Thesis

Schlagworte
Fotographie, Theatergeschichte, Gender Studies, Psychiatriegeschichte, Kunst- und Medienwissenschaften

Internetseite
duepublico.uni-duisburg-essen.de/servlets/DozBibServlet?mode=show&id=2342&XSL.ListKey=fc261oxp&XSL.PageNr=0

Datum des letzten Aufrufs
30.01.2008

Abstract
Abstract: Ein berühmtes Beispiel für das produktive Zusammenspiel von Fotokamera und Modell stellen die Aufnahmen dar, die wenige Wochen vor Marilyn Monroes Tod in einer Hotel-Suite bei Los Angeles entstanden sind. Die Hunderte von Kontaktbögen des Fotografen Bert Stern, die zum 40. Todestag der Diva neu aufgelegt wurden, ermöglichen uns einen Blick in den Herstellungsprozess der bekannten, längst zu Ikonen geronnenen Bilder der Monroe: Sie führen vor, wie die Posen des Stars in der Interaktion mit der Kamera erzeugt werden, das heißt in welchem Ausmaß das Starimage ein Produkt des fotografischen Settings ist. Die vorliegende Studie führt zu den Anfängen dieser fotografischen Modellierung des weiblichen Starkörpers, die im „Last Sitting“ Marilyn Monroes ihren Zenit erreicht und in der künstlerischen Fotografie der Gegenwart ihre kritische Reflexion erfahren hat: in die luxuriös ausgestatteten Fotoateliers des 19. Jahrhunderts. Diese dienten nicht nur als repräsentative Kulisse für die Selbstdarstellung eines aufstrebenden Bürgertums; sie wurden auch von Theaterschauspielerinnen aufgesucht, die ihre flüchtige Kunst zu dokumentieren wollten. Am Beispiel der umfangreichen Konvolute fotografischer Rollenporträts von Charlotte Wolter und Clara Ziegler, zwei in ihrer Zeit gefeierte Theatervirtuosinnen, wird exemplarisch analysiert, wie ein überliefertes Repertoire an theatralischen Gesten, das individuelle Ausdrucksbegehren der Darstellerinnen und das fotografische Setting zusammenwirken in der Herstellung eines, dem neuen technischen Mediums adäquaten Körperbildes. Die Untersuchung setzt jedoch breiter an: Die Fallbeispiele werden eingebunden in eine Ikonografie des Gefühlsausdrucks, die über einen Zeitraum von über 100 Jahren verfolgt wird. Sie spannt einen Bogen von Theatergrafiken des ausgehenden 18. Jahrhunderts, über wissenschaftliche und medizinische Ausdrucksstudien des 19.– bis zu Schauspielhandbüchern des beginnenden 20. Jahrhunderts, in denen sich bereits das frühe Kino ankündigt. Dabei wird sichtbar, wie sich über den Medienwechsel hinweg Vorstellungen von weiblicher Anmut und melodramatischen Gefühlsschwankungen tradieren, sich aber auch neue Inszenierungsformen herausbilden, in denen sowohl die Erotisierung des weiblichen Filmstars als auch die Modefotografie des 20. Jahrhunderts vorgezeichnet sind. Die fotografischen Rollenporträts der Bühnenvirtuosinnen erweisen sich somit als ein Schwellenphänomen: Die tableau vivant-artigen Inszenierungen leisten gewissermaßen einen Transfer zwischen den ‚alten’ Medien bildende Kunst und Theater und den ‚neuen’, technischen Bildmedien Fotografie und Film, die andere Anforderungen an den körperlichen Ausdruck stellen. In ihrer Zielsetzung und ihrem Gegenstandsfeld geht die vorliegende Studie weit über einen rein fotografiehistorischen Horizont hinaus. Sie verknüpft bislang unverbundene Untersuchungsergebnisse aus der Theatergeschichte, den Gender Studies, der Psychiatriegeschichte, aus Kunst- und Medienwissenschaften in einer kulturwissenschaftlichen Perspektive und leistet so einen Beitrag zu einem differenzierten und vielschichtigen Verständnis der visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts, in der sich unser heutiges, von den Medien geprägtes Körper- bzw. Selbstbild zu formieren beginnt. Dabei werden die Wechselbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Bereichen dieser visuellen Kultur, die historischen Kontinuitäten wie die medialen Transformationen in der Darstellung körperlicher Gebärden über vergleichende Analysen von bislang größtenteils unveröffentlichtem Bildmaterial anschaulich gemacht. Die Bildauswahl, die auf der Grundlage umfangreichen Quellenstudiums getroffen wurde, ist somit nicht nur illustratives Beiwerk, sondern eine der historischen und theoretischen Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Diskursen zur Körpersprache gleichwertige Leistung: Sie macht in der Zusammenschau einen Ausschnitt aus der Geschichte der körperlichen Gebärde auch augenscheinlich nachvollziehbar.

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