Ethnie und Geschlecht beim Übergang in die Berufsausbildung

AutorIn
Ucar, Hacer

Jahr
2012

Typ der Publikation
Thesis

Schlagworte
Übergang Beruf, Intersektionalität, Arbeitsmarkt, Geschlecht, ethnische Herkunft

Abstract
Dem Berufsausbildungssystem unterhalb der Hochschulebene kommt eine zentrale Bedeutung für die Arbeitsmarktintegration und damit auch weitergehenden Integrationsprozessen insbesondere von Jugendlichen ohne Hochschulzugangsberechtigung zu. Beim Übergang zwischen schulischer und beruflicher Ausbildung, der sogenannten „ersten Schwelle“, wirken sich jedoch sowohl ethnische als auch geschlechtliche Zugehörigkeiten sowie deren Interferenzen auf die Chancen auf eine vollqualifizierende Berufsausbildung aus. Trotz seiner Relevanz für die Arbeitsmarktintegration hat das Berufsausbildungssystem allerdings vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit bekommen. Eine abschließende Klärung des Zustandekommens der im Berufsausbildungssystem vorzufindenden ethnien- und geschlechtsspezifischen Disparitäten ist nicht erfolgt.

Von dieser Problemstellung ausgehend werden in dieser Arbeit basierend auf einem komparativen Forschungsansatz Übergangsprobleme von jungen Frauen und Männern mit und ohne Migrationshintergrund an der ersten Schwelle, die damit zusammenhängenden Bewältigungsformen sowie die unintendierten Folgen dieser Bewältigungspraktiken für die (Re-)Produktion der Ethnien- und/oder Geschlechterverhältnisse beleuchtet. Von Interesse ist hierbei auch, wie sich Interferenzen der Teilungsdimensionen Geschlecht und Ethnie in diesem Kontext auswirken. Zu diesem Zweck werden eigens erhobene qualitative Interviews ausgewertet und darüber hinaus Sekundärdaten aus anderen Studien herangezogen. Die theoretische Grundlage bilden dabei unterschiedliche Theorieströmungen der Frauen- und Geschlechterforschung, die anhand der Theorie der Strukturierung miteinander verknüpft werden. Durch die Erweiterung der Strukturierungstheorie um das Konzept der Dualität von Ethnie und Geschlecht wird der Überlegung Rechnung getragen, dass sich der Prozess der Konstruktion von Ethnie und Geschlecht im Wechselspiel von sozialem Handeln und sozialen Strukturen vollzieht, wodurch die gleichzeitige Erfassung gesellschaftlicher Kontinuität und gesellschaftlichen Wandels ermöglicht wird.

Die Befunde der Untersuchung zeigen, dass sich der Prozess der Ethnien- und Geschlechter-konstruktion im Kontext des Übergangs in eine Berufsausbildung durch ein Ineinandergreifen einer notwendig zu erbringenden Teilnehmerleistung und den vorgefundenen Strukturen anhand der auf der Meso-Ebene zu verortenden Medien der Objektivierung vollzieht. Dementsprechend strukturieren institutionelle Rahmenbedingungen konkrete Bewältigungspraktiken maßgeblich vor, wodurch die institutionelle Ordnung einer geschlechtlichen und ethnischen Ungleichheit im Berufsausbildungssystem (immer wieder) hervorgebracht und somit erst ermöglicht wird. Beispielsweise lässt sich aufgrund des Bewusstwerdens einer ethnisierten Chancenstruktur im Berufsausbildungssystem nicht nur eine vermehrte Einmündung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in die Einrichtungen des Übergangssystems, sondern auch eine Anpassung beruflicher Wunschvorstellungen an diese Chancenstruktur feststellen. Diese teilweise sogar entgegen den beruflichen Präferenzen vorgenommene berufliche Umorientierung lenkt sie jedoch in die in Sackgassenberufe führenden Ausbildungsgänge der unteren Segmente und trägt so unintendiert wiederum zur Reproduktion ethnienspezifischer Ungleichheit bei. Begünstigt wird diese durch die Institutionsstruktur des Berufsausbildungssystems und dessen Zugangsregeln bedingte Bewältigungspraktik durch eine unzureichende Ausstattung mit informellen sozialen Netzwerkressourcen. Eine derartige Umorientierung ist dabei nur eine der festgestellten Bewältigungspraktiken unterschiedlicher Übergangsprobleme, die zu einer Reproduktion ethnischer und/oder geschlechtlicher Ungleichheit führen.

Allerdings verweisen die Ergebnisse nicht nur auf Struktur als Mittel zur Reproduktion bestehender, sondern zugleich auf Struktur als Mittel zur Produktion veränderter sozialer Verhältnisse. Struktur wird nicht nur fortwährend reproduziert, sondern durch den aktiven Part handelnder Individuen bei der Bildung von Struktur auch verändert produziert, weshalb Bewältigungspraktiken sich nicht zwangsläufig in die institutionelle Ordnung sozialer Ungleichheit einfügen. Derartige Bewältigungspraktiken zeigen sich in den Ergebnissen dieser Arbeit jedoch nur in Hinblick auf ethnisierte Strukturen. So kann beispielsweise das Bewusstwerden einer ethnisierten Chancenstruktur im Berufsausbildungssystem nicht nur Kontinuität, sondern auch einen Wandel der Ethnienverhältnisse durch die Nichtakzeptanz der institutionellen Benachteiligung und dem damit einhergehenden Festhalten an den ursprünglich präferierten Berufen der oberen Segmente bewirken. Diese ausschließlich von männlichen Interviewten mit Migrationshintergrund vollzogene Bewältigungsstrategie beruht vermutlich auf vergeschlechtlichten kulturellen Orientierungsmustern. Anscheinend spielen insbesondere in diesem Zusammenhang Interferenzen von Ethnie und Geschlecht eine maßgebliche Rolle, indem ethnisierte Strukturen zugunsten vergeschlechtlichter Strukturen durchbrochen werden.

Die Ergebnisse dieser Arbeit verdeutlichen, dass Forschungen in diesem Kontext von einer Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehung von Struktur und Handeln sowie der simul-tanen Betrachtung unterschiedlicher Teilungsdimensionen profitieren.

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