Forschungsspiegel

Kathrin Rögglas Prosa- und Theatertexte haben in der Forschung in den letzten Jahren wachsende Beachtung erfahren. Die stetige Präsenz der „Wechselwirkung von Realität und Fiktion“ (Vilar 2010, S. 130) in ihren Werken machen diese insbesondere zu einem „fruchtbaren Schnittpunkt von Sozialwissenschaft und Literatur“ (Vilar 2010, S. 129). So lassen sich u.a. bei kritischer Analyse Aspekte der modernen, von globaler Marktwirtschaft beherrschten Gesellschaft identifizieren.

New Economy, Workaholics und Wirtschaftsboom
Vor allem Rögglas Rechercheroman New Economywir schlafen nicht wird umfangreich in der Forschung diskutiert. Vor allem die Darstellung und Verarbeitung von Zeit werden in den Forschungsbeiträgen untersucht, so etwa von Christine Bährs Text Atemlos. Arbeit und Zeit in Kathrin Rögglas wir schlafen nicht von 2009.
Aber auch Untersuchungen im Bereich der Gender Studies beschäftigen sich mit der dargestellten Frauenrolle und ihren Bezügen zur Arbeitswelt. Dabei wird analysiert, wie Frauen sich in ihre Rollen einfinden und sich in der erzeugten Welt einordnen. In Decoding images: Top-Dog-Jobs für Frauen in Kathrin Rögglas wir schlafen nicht von M. Loreto Vilar von2010 wird die genderkritische Thematisierung von erfolgssuchenden Frauen in einer von Männern dominierten Arbeitswelt untersucht. Dabei wird schnell deutlich, dass Röggla zeigt, wie der Mensch allgemein in den westlichen Gegenwartsgesellschaften zu Material degradiert wird (vgl. Vilar 2010, S. 130). Die vorgestellten Frauenfiguren sind „Erfolgsmenschen“ – „Top-Dogs“ (vgl. ebd.) – oder zumindest auf dem Weg dorthin. Nach Vilar kann die genaue Betrachtung der ‚Praktikantin‘ als Modell für den schwierigen Berufseinstieg für Frauen dienen (vlg. 135).
Bei Röggla findet sich die Diagnose, dass sowohl Frauen als auch Männer in der Dienstleistungswelt unter einer regelrechten Arbeitssucht leiden. Damit einher geht die „Überidentifikation des Angestellten mit dem Unternehmen“ (Vilar 2010, S. 136), das Unterordnen jeglicher Aspekte, die nicht in Zusammenhang mit dem Job stehen und völlige Verausgabung für den Beruf. Die Figuren, so Vilar, dienen als „wirksam-reale Karikaturmodelle“ (Vilar 2010, S. 137). Ihre Existenz ist gekennzeichnet von einem ständigen Zwiespalt zwischen Minderwertigkeitskomplex und Werteverfall. Die Verwendung des Businessjargons scheint naheliegend, um die genderspezifischen Probleme herauszustellen. Der „Marktwert“ (Vilar 2010, S. 138) der Frauen wird letztlich durch verschiedene Aspekte beeinflusst wie Karrierestress, Gesundheitszustand, Aussehen und sexuelle Attraktivität. Des Weiteren scheinen sich Frauen in der Arbeitswelt einer doppelten Konkurrenz auszusetzen; gegenüber der dominanten Männerwelt, aber auch jüngeren, talentierteren Frauen. Durch diese Belastung durchlaufen die Frauen einen Prozess der „Entmenschlichung“ (Vilar 2010, S. 138) und mutieren dabei – wie allgemein viele der Figuren in Rögglas Textwelten – zu Schatten ihrer selbst.

Sprachspiele
Rögglas Assoziationsprosa sowohl auf Papier als auch vorgetragen auf der Bühne ist signifikant. Diverse wissenschaftliche Arbeiten befassen sich mit Rögglas sprachlicher Gestaltung in Bezug auf Geschwindigkeit, Vermischung von Epischem und Dramatischem und Performativität. Röggla selbst bezeichnet ihr literarisches Schaffen als „Hybridisierung von Genres und Medien“ (Kathrin Röggla/Céline Kaiser/Alexnader Böhnke: Interview 2004). Insbesondere ihr Text really ground zero, das sich genrespezifisch zwischen Dokumentation, Erlebnisbericht und ästhetischer Verarbeitung ansiedelt, findet in der Forschung reges Interesse. So spricht Carola Gruber in ihrem Aufsatz Ein „haufen an authentizität?“ Kathrin Rögglas really ground zero von 2011 über die Darstellungsmechanismen des „Ichs“ und die sprachliche Reflektion der Katastrophe vom 11. September 2001. Sie betrachtet dabei vor allem die „Unfasslichkeit des Ereigneten“ (Gruber 2011, S. 328). Ihr Herangehen ist nicht nur textimmanent, sondern bezieht sich auch auf die Rezeption von Rögglas Werk und den damalig entstandenen Diskurs um die Tragödie. Sie streift zudem das Thema des psychologischen Gehalts der Reflektionen. Ähnlich verhält es sich in Volker Mergenthalers Beitrag „verständnisschwierigkeiten“. Zur Ethno-Poetik von K. Rögglas really ground zero (2011). Auch hier wird versucht, Rögglas Umgang mit dem sogenannten „Unaussprechlichkeitstopos“ (vgl. ebd. 233) zu beleuchten. Ebenso wie bei Gruber bezieht auch Mergenthaler Rezeptionsberichte von Rögglas Werk in die Untersuchung mit ein, um eine Grundlage für seine Hypothesen zu schaffen. Der Titel seiner Untersuchung bezieht sich auf eben dieses Problem der Unaussprechlichkeit, welches Röggla mit ihrer Form von Mixed-Media-Materialien entgegenzuwirken versucht. Im Vordergrund stehen bei Mergenthaler die multimediale Analyse der Photographien, der Augenzeugenberichte und die von Röggla aufgeworfene Problematik des Ethnozentrismus. Seine Diskussion dreht sich daher vor allem um die Betrachtung des Zwiespalts von „Teilnehmen und kulturimmanentem Verstehen/Nichtverstehen“ (Mergenthaler 2011, S. 244) und dem Loslösen von ethnographischem Analysieren in Rögglas really ground zero.
Christian Kremer widmet Kathrin Rögglas Kunstsprache in seinem Werk Milieu und Performativität von 2008 ein Kapitel, in dem er die „Reportageästhetik“ und ihre journalistischen Methoden anhand von wir schlafen nicht untersucht. Dabei geht er in den verschiedenen Unterkapiteln auf die Besonderheiten ihrer Sprache detailliert ein: Rögglas konsequente Kleinschreibung, den übermäßigen Gebrauch des Konjunktivs und die Verwendung von Fachsprache und Anglizismen. Abschließend bezieht er diese sprachliche Verwirklichung der Figuren auf den Raum, wie ihn Röggla definiert, als sozialen Ort, in dem sich die Charaktere selbst darstellen und profilieren. Die Sprache ordnet die Figuren somit in die Hierarchie der Arbeitswelt ein (vgl. Kremer 2008, S. 124). Er stellt außerdem die These auf, dass die Sprechfiguren mit Hilfe Rögglas Sprachkritik, die sich u.a. in der Übertreibung der Fachsprache bemerkbar macht, dekonstruiert werden und somit ihre Abhängigkeit von der Arbeitswelt deutlich wird (vgl. ebd.).

Inszenierung von Identität – Postdramatik
Auch bieten sich Rögglas Texte zur Untersuchung in Bezug auf „antidramatische Tendenzen und Merkmale im zeitgenössischen deutschen Theater“ an (Kapusta 2011, S. 157). Dafür eignen sich ihre Stücke besonders, da in ihnen hauptsächlich Zustände inszeniert werden, in denen Figuren bloß mit Hilfe ihrer Stimmen charakterisiert werden, statt durch ihre Eigenarten und ihr Handeln (vgl. ebd.). Diese Zustände zeichnen sich bei Röggla oft durch den Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Themen aus, zu denen die Figuren stellvertretend Stellung nehmen. Daniela Kapusta untersucht in ihrem Beitrag Kathrin Röggla: fake reports die Frage, wie es sich mit dem menschlichen Subjekt in Hinblick auf ihre Innen- und Außenwelt in Rögglas Stücken verhält (Kapusta 2011, S. 158). Als konkretes Beispiel hat sie sich dazu das Theaterdebüt der österreichischen Künstlerin ausgesucht. Sie legt dabei einen Schwerpunkt auf die Betrachtung der Identitätsbildung der Figuren, die durch ihr Auftreten reflektiert werden und sich auch im Sprachverhalten manifestieren. In ihrer Analyse stellt Kapusta heraus, dass das Individuum, dargestellt durch die dramatische Figur auf der Bühne, abgelöst wird von einer Vielzahl anonymer Stimmen. Es entsteht eine gesichtslose Masse und mit ihr einhergeht die Entwicklung einer „kollektiven Subjektivität“ (Kapusta 2011, S. 167). Kapusta stellt deshalb die These auf, dass diese Verschmelzung auf eine „sinkende Relevanz des Individuums“ (ebd.) in Hinblick auf das gesellschaftlich-historische Geschehen zurückzuführen ist. Genau diese Veränderung wird auch in der Sprache sichtbar.

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