Der gesellschaftskritische Weckruf

Eine Analyse zu Empört euch (EV: Wut und Zärtlichkeit, Sturm & Klang 2011)

Auf dem Album Wut und Zärtlichkeit aus dem Jahr 2011 findet sich das Lied Empört euch, das für Wecker typisch appellativ und gesellschaftskritisch ist. Dabei kritisiert Wecker diejenigen in der Gesellschaft, die durch ökonomisches Kapital machtvoll gesellschaftliche Diskurse und soziale Verhältnisse lenken. Insbesondere Politiker*innen, Bankmanager*innen oder Großunternehmen werden als Gegenpol zur Sprecherposition des lyrischen Ichs verstanden: „Sie reden Unsinn und der wird gern publiziert“; „Gerichtlich sind sie eher nicht zu fassen, / denn die Gesetze sind für sie gemacht“ (Wecker 2011). Kritisiert wird der mit diesen Machtstrukturen verbundene Kapitalismus bzw. Neoliberalismus, zugleich warnt Wecker vor aufkommenden faschistischen Bewegungen. Sein Appell zum Widerstand richtet sich dabei an die restliche Gesellschaft. Dies wird durch die mehrfache Wiederholung der Titelzeile „Empört euch“ im Refrain deutlich; dabei differenziert der Refrain verschiedene Emotionsmodi, zu denen er die Zuhörer*innen animieren will, so heißt es: „Empört euch, / beschwert euch / und wehrt euch, / es ist nie zu spät! // Empört euch, / gehört euch / und liebt euch, / und widersteht!“ (ebd.). Der Appell verstärkt sich durch die Imperative, wodurch die Dringlich- und Ernsthaftigkeit der Problematik deutlich wird. Wecker fordert seine Rezipient*innen auf, eine Reaktion zu zeigen, was durch das Reflexivpronomen „euch“, also die direkte Anrede, verstärkt wird (ebd.). Die so adressierten sollen sich also als Subjekte konstituieren, die sich emotional und intellektuell von den sozialen Unterdrückungsmechanismen emanzipieren.

Das Lied Empört euch ist als Allusion an den gleichnamigen Essay Empört euch (franz. Indignez-vous) von Stéphan Hessel zu verstehen. Hessel war ein franz. Widerstandskämpfer, UN-Diplomat und Überlebender des KZ-Buchenwald. Wie Wecker war Hessel Pazifist und spricht sich gegen den Finanzkapitalismus aus. Er warnt in seinem Essay Frankreich vor aufkommenden faschistischen Bewegungen und ruft die jüngeren Generationen zu politischem Engagement auf. Wecker überträgt dies auf sein Lied, weswegen der Titel als Hommage an Hessel zu verstehen ist. Die Botschaft ist wie bei Hessel unmissverständlich formuliert, denn Wecker spricht die Problematik gezielt an und wendet sich dem Finanzkapitalismus zu, wenn es heißt: „Die Menschenwürde, hieß es, wäre unantastbar, / jetzt steht sie unter Finanzierungsvorbehalt“ (Wecker 2011). Die Menschenwürde, die in Artikel eins des Grundgesetztes als unantastbares Recht festgeschrieben steht, scheint vom Neoliberalismus in Frage gestellt, so Weckers Fazit, denn die Gegenwart ist nicht von ideellen Werten, sondern von kalten Marktlogiken und damit verbundenem Machtkalkül geprägt. Wecker formuliert hier im Konjunktiv, um deutlich zu machen, dass selbst dieses Grundrecht ökonomischen Prinzipien unterworfen scheint. Dabei betont er wiederholt die Anteilslosigkeit, er spricht von „Duldungsstarre“ (ebd.) der Menschen, die gelernt haben, sich den neoliberalen Logiken anzupassen. Sie erweisen sich als „grenzenlos belastbar“ (ebd.).  

Seine pazifistischen und antikapitalistischen Überzeugungen fußen auf dem Prinzip der Mitmenschlichkeit, das dem christlichen Konzept der Nächstenliebe ähnlich ist: „Empathie ist das höchste Gut, das ein Mensch besitzen kann.“ Diesen Satz sagte er bei seinem Besuch in unserem Seminar an der Universität Duisburg-Essen. In diesem Sinne kann auch seine Kritik in den folgenden Strophen verstanden werden, wenn es heißt: „denn es wird kalt“ (ebd.) oder „den meisten ist es peinlich, noch zu fühlen“ (ebd.) und „statt an Güte glaubt man an die Bonität“ (ebd.). Der Glaube an die Menschlichkeit wird durch die Zahlungsfähigkeit, also einen wirtschaftlichen Wert, ersetzt. Weitere Beispiele dafür sind die Verse: „die Wärmestube überfüllt“ (ebd.), „man lullt uns ein“ (ebd.), „schauen wir vom Bildschirm auf, ist es vielleicht zu spät“ (ebd.). Konnotiert wird dadurch die Bonität mit einer gewissen Abkapslung, die auch den von Wecker beschriebenen Rückzug in die Wärmestuben impliziert. Gefühle und Empathie werden in der neoliberalen Gesellschaft unterdrückt, stattdessen steht die Kreditwürdigkeit eines Individuums im Vordergrund.

Das Lied beginnt mit vier Strophen, die kontinuierlich einem Kreuzreimschema unterliegen. Verfasst ist das Gedicht im Jambus und endet mit einer männlichen Kadenz. Wecker wendet sich in den ersten Strophen sich selbst inkludierend an ein Wir, das von einer als Sie bezeichneten Gruppe abgesetzt wird. Antithetisch wird das Leben der Wir-Gruppe dem der Sie-Gruppe gegenübergestellt, wobei es sich um ein Machtgefälle handelt, denn die Elitenbildung der einen hat die ökonomische und politische Unterlegenheit der anderen zur Folge: „Wir zahlen Steuern und sie setzen ab. / Wir legen Hand an und sie spekulier´n“ (ebd.). Wecker stellt sich auf die Seite des Wir und ist somit explizit Teil des Widerstandes, verstärkt wird das durch die Pronomina „wir“; „uns“; „unsre“ (ebd.).

Die fünfte Strophe beginnt mit dem Bild: „Die Visionäre spar´n sich kühnere Entwürfe, / selbst die Satiren wirken blutleer, wie kastriert“ (ebd.). Wecker richtet das Augenmerk hier auf die gesellschaftlichen Akteure wie Philosoph*innen und Satiriker*innen, die eigentlich kritische Instanzen in einer demokratischen Gesellschaft sind, doch auch ihnen wird Anteilslosigkeit und Angst attestiert. Ebenso erscheinen die Menschen, die sich auf ihr demokratisches Recht auf öffentliche Versammlung und friedlichen Protest berufen, gehemmt: „Die Demonstranten fragen scheu, was sie noch dürfen“ (ebd.). Die Bilder und Vergleiche sind drastisch, „die Satiren wirken blutleer, wie kastriert“ (ebd.). Die Anteilslosigkeit wird hier durch die Kastration gesteigert. Durch diese Wortwahl vermittelt diese Strophe extrem harsche Kritik an der Kritiklosigkeit der Satiren. Das Lied warnt vor Gleichgültigkeit und fordert die Leser*innen auf, wieder emotionale Anteilnahme an Themen zu zeigen, die eigentlich Empörung verursachen sollten. Kante zeigen ist also eine der wichtigsten Botschaften Weckers, die auch in anderen Werken Wecker wie z.B. Sage Nein! bekräftigt wird. Das Lied Sage Nein! trug Wecker live mit der Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano im Duett vor, um seine Ablehnung gegenüber Fremdenhass und Faschismus zu untermauern.

Des Weiteren spricht Wecker erneut über die Diktatur des Neoliberalismus, es geht um Bonität, Finanzierung und Steuern. Und die Ohnmacht derer, die nicht zu den Gewinnern des Systems gehören, diese ducken sich ängstlich, spielen also weiter mit, anstatt aufzubegehren. „Die Diktatur ist nicht ganz ausgereift, sie übt noch. / Wer ihren Atem spürt, duckt sich schon präventiv“ (ebd.).Wecker schiebt zwischen die Wiederholung des appellativen Refrains, der den Schluss des Liedes bildet, eine Strophe ein, in der positiv beschrieben wird, mit welchen Kräften die gesellschaftliche Fehlentwicklung aufzuhalten wäre: „Wir brauchen Träumer, Visionäre, / es muss etwas passier´n. / Wir sehen doch, wohin es führt, / wenn die Normalen regier´n“ (ebd.). Ökonomisch ausgerichtete Rationalität ist etwas, von dem Wecker sich klar distanziert, weswegen er auch hier das romantisch-idealistische Konzept des Träumens als Lösung besingt. Nicht Normalität im Sinne eines Mainstream-Diskurses, sondern das Feld der Phantasie, das in der achten Strophe mit der Figur des Narren eingeführt wird, erscheint als Schlüssel zur Umkehr aus der als falsch befundenen Gegenwart: „Und nur der Narr ist noch nicht ganz erstarrt, er liebt noch / und wagt zu träumen, deshalb nennt man ihn ‚naiv‘“ (ebd.). Neben dem Träumen gehört auch das Lieben zu den Eigenschaften des Narren, der mit den Visionären die Welt anders wahrnehmen kann, nämlich mitfühlend und mit beherzter Vorstellungskraft. Diese Analyse kulminiert in der letzten Strophe, die auf Italienisch verfasst ist, und die mit dem Vers: „Viva la libertà“ (ebd.) schließt. Wecker schließt also mit einem Freiheits- und Unabhängigkeitsaufruf. Man kann es als Allusion auf Wolfgang Amadeus Mozarts Oper Don Giovanni und den Revolutionsgestus, der der Oper zu eigen ist, verstehen oder als grundsätzliche Solidarisierung mit verschiedenen internationalen Freiheitsbewegungen sozial Schwacher, die gegen soziale Missstände und Unterdrückung auf die Straße gehen und sich empören, sich gehören und sich lieben.

 

Literatur

Hessel, Stéphane: Empört Euch! Berlin 2010.

Wecker, Konstantin: Empört euch. EV: Wut und Zärtlichkeit. Sturm & Klang 2011.

 

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