Appell an die Menschlichkeit

Eine Analyse von Ich habe einen Traum (EV: Ohne Warum. Sturm und Klang 2015; Wecker 2018, S. 255-256)

Das Gedicht Ich habe einen Traum, vertont auf dem Album Ohne Warum, macht auf die Flüchtlingssituation im Jahre 2015 aufmerksam. Das Gedicht besteht aus 11 Strophen à 4 Versen. Es hat ein variierendes Metrum. Es ist auffällig, dass sich in jeder Strophe der zweite und der vierte Vers reimt. In Strophe neun und zwölf liegt ein Kreuzreim vor, da sich hier auch der erste und dritte Vers reimt. In dem Gedicht bringt Wecker seine Einstellung zu der Flüchtlingssituation zum Ausdruck. Er ist der Ansicht, dass niemand ausgegrenzt werden sollte und dass jene, denen es gut geht, die Menschen in Not mit mehr Offenheit aufnehmen sollten. Wecker ruft in seinem Gedicht dazu auf, die Not der Menschen zu verstehen und diese zu teilen, denn nur in einer Gemeinschaft kann man diese Not besiegen. Sein Appell geht vor allem an Menschen, die Vorurteile bezüglich der „Hautfarbe“ (Wecker 2018, 255) oder einer anderen „menschenverachtende[n] Ideologie“ (Wecker 2018, 256) überwinden und deshalb zur Hilfe bereit sind. Weckers Text entwirft die Hoffnung auf „eine grenzenlose Welt“ (Wecker 2018, 256), in der Schwierigkeiten zu Solidarität führt und nicht zu Krieg.

17 der 44 Verse beginnen wiederholend mit der Konjunktion „und“, z.T. auch anaphorisch. Besonders in der zweiten und dritten Strophe wird dies deutlich, da die Verse zwei bis vier mit „und“ beginnen, wobei sich der Satz, der mit dem ersten Vers der zweiten Strophe beginnt, noch auf die ganze dritte Strophe erstreckt. Die durch das „und“ verknüpften Aspekte, umfassen die Vielzahl an Gemeinsamkeiten, die „wir“ mit den Flüchtlingen teilen, zum Ausdruck bringen; „und“ verbindet also die Rezipierenden mit den Fliehenden zu einem großen Wir. Menschen sollten sich als Menschen solidarisieren, da alle gleich sind und sich nicht unterscheiden. Des Weiteren bilden in Strophe drei die Verse zwei und drei eine Antithese: „denn die Armen teilen gern, / und die Reichen sehen traurig zu“ (Wecker 2018, 255). Hier zeigt Wecker den Unterschied zwischen Arm und Reich auf. Wecker kritisiert vor allem, dass reiche Menschen egoistischer sind als arme Menschen, obwohl gerade erstere die Mittel dazu hätten anderen zu helfen, sie halten beobachten Distanz zu den Armen und zugleich geht Wecker davon aus, dass dies die Reichen nicht glücklich, sondern im Gegenteil „traurig“ macht. In Strophe elf findet sich das Oxymoron „zärtliche[] Kraft“ (Wecker 2018, 256). Die Idee einer „zärtlichen Kraft“ geht laut Wecker davon aus, dass in der Zärtlichkeit (und nicht in Gewalt oder Härte) ein Potential zur gesellschaftlichen Veränderung liegt. Er beschreibt hier die Kraft seines Traumes, die entstehen würde, wenn dieser Traum von vielen Menschen geteilt werden würde.

Der Titel Ich habe einen Traum lässt sich als Allusion auf die Rede von Martin Luther King vom 28.08.1963 lesen: „Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können“. In dieser Lesart verbindet sich der Appell Weckers zur Flüchtlingssituation heute mit der Geschichte der Rassendiskriminierung und dem Kampf für eine tatsächliche Gleichbehandlung von Menschen. Für beides steht der utopische Appell Martin Luther Kings, an den Wecker durch das Titelzitat erinnert und mit dem er sich gleichermaßen solidarisiert.

Am 23.04.2015 äußerte sich Wecker auf der Internetseite www.lebenshaus-alb.de zu einem kurz zuvor geschehenen Bootsunglück, bei dem 400 Flüchtlinge an einem Tag im Mittelmeer ertrunken sind. Er kritisiert die EU und bezieht sein Gedicht auf dieses Ereignis. Das Unglück hätte mit nur ein bisschen mehr Menschlichkeit verhindert werden können. In seinen Äußerungen bezieht er sich auf einen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung von Heribert Prantl, der kurz nach dem Unglück von diesem veröffentlicht wurde und in dem Prantl ausführt, dass die EU sich weigerte Kosten für die Rettung zu tragen und stattdessen die finanziellen Mittel für den Gipfel der Staats- und Regierungschefs nutzten. Dies sollten nicht die Werte sein, die in Europa gelten. Er wirft der Union Tötung durch unterlassene Hilfeleistung vor.

Die Vertonung des Gedichtes weist Merkmale einer Hymne auf, da Weckers Begeisterung für seinen Traum im Zentrum stehen und der Enthusiasmus für den Traum emphatisch zum Ausdruck kommt. Die Vertonung mit ihrer fröhlichen Melodieführung und der Durchmischung verschiedener musikalischer Genres und dem Zusammenbringen unterschiedlicher Instrumente setzen Weckers Appell akustisch um, denn musikalisch bringt er verschiedene Klänge und Stimmen in einem frohen und beschwingten Tanz zusammen, sodass der Traum von der Grenzöffnung in dem Lied selbst musikalisch vorgeführt wird und somit als Einladung an die Rezipient*innen wirkt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Wecker sich mehr Solidarität unter den Menschen wünscht. Besonders in der Politik müssen sich die Prioritäten stark verändern, da jedes Menschenleben gleich viel Wert ist und diese Einstellung auch gesellschaftlich anerkannt werden muss.

 

Literatur

King, Martin Luther: Ich habe einen Traum.: https://www.youtube.com/watch?v=vP4iY1TtS3s, aufgerufen am 14.01.2020

Prantl, Heriberg: Wie die EU Flüchtlinge tötet. In: Süddeutsche Zeitung online, 18.04.2015.

Rottenfusser, Roland: Konstantin Wecker: Ich habe einen Traum. URL: https://hinter-den-schlagzeilen.de/konstantin-wecker-ich-habe-einen-traum-2 (Stand: 05.01.2020).

Wecker, Konstantin: Ich habe einen Traum. In: Ders.: Jeder Augenblick ist ewig. Die Gedichte. München 72018. S. 255-256.

Wecker, Konstantin: Ich habe einen Traum. EV: Ohne Warum. Sturm und Klang 2015.

Wecker, Konstantin: Ansage: Denkt mit dem Herzen. EV: Ohne Warum. Sturm und Klang 2015.

 

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