Rassismus, Hass und Alltagssexismus: Sage Nein!

Eine Analyse zu Sage Nein! (EV: Uferlos, Global 1993.)

Sage Nein! ist ein Lied von Konstantin Wecker, zuerst erschienen auf dem Album Uferlos. 2018 wurde es in der Kompilation Sage Nein! Antifaschistische Lieder 1978 bis heute als Reaktion auf den starken Rechtsruck und die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz im August 2018 wiederveröffentlicht. Es liest sich als intertextuelle Referenz an Wolfgang Borcherts Prosatext Dann gibt es nur eins! aus dem Jahr 1947.

Der Text besteht aus vier Strophen und einer zweifachen Wiederholung des Refrains. Die meisten Verse weisen acht Silben auf, die durch Paarreime verbunden sind. Die Textzeilen, die keine acht Silben aufweisen, stechen in der Mehrheit durch ihre Kürze hervor, was zumeist der Betonung dient. Besonders deutlich wird es durch den Imperativ „Sage Nein!“, der am Ende jeder Strophe zu finden ist. Sage Nein ist für Wecker untypisch ein Lied, dessen Sprache sich weniger durch poetische Offenheit, als vielmehr durch eingängige, unmissverständliche sowie leicht mitzusingenden Botschaften auszeichnet. Deutlich wird dies vor allem in den Live-Performances, die durchscheinen lassen, dass Wecker sein Publikum durch die häufige Wiederholung der Phrase „Sage Nein!“ miteinzubeziehen versucht.

Thematisch bewegt sich das Lied, wie bereits im Titel angekündigt, in einem Widerstandsnarrativ. Dieses Narrativ wird auch im weitergehenden Text zentral gesetzt und umfasst unter anderem den Widerstand gegen Rassismus, Alltagssexismus und die Leugnung der NS-Vergangenheit zur Rechtfertigung faschistischer Tendenzen und Ideologien. Wichtige Kernmotive bilden hierbei der aktive Widerstand der Zivilbevölkerung, die durch das Erwähnen verschiedener Berufsgruppen („Ob als Penner oder Sänger, / Bänker oder Müßiggänger, / ob als Priester oder Lehrer, / Hausfrau oder Straßenkehrer“, Wecker 1993) direkt angesprochen und zu produktiver Wut animiert werden. Der wichtigste Kernbegriff jedoch ist das klare und deutliche Nein, das sich durch den ganzen Text zieht und welches in jeder der beschriebenen Situationen den Widerstand einfordert. Diese Thematik des Widerstandes ist auf die einzelnen Strophen aufgeteilt, wobei je Strophe ein einzelner thematischer Aspekt des Widerstehens aufgegriffen. Dabei befasst sich die erste Strophe der Version von 1993 mit rassistischen Stammtischparolen, die zweite mit der Leugnung des Holocaust. Darauf folgt ein Refrain mit dem Aufruf zum gesamtgesellschaftlichen Widerstand. Im Anschluss daran befasst sich die dritte Strophe mit einer Kritik am Patriarchat und die vierte Strophe thematisiert den Rechtsextremismus in Schulen. Darauf folgt wieder der Refrain.

Besonders auffällig sind hierbei die ersten vier Verse der ersten Strophe: „Wenn sie jetzt ganz unverhohlen / wieder Nazi-Lieder johlen, / über Juden Witze machen, / über Menschenrechte lachen“ (Wecker 1993). Diese Verse rekurrieren auf die rechtsextremen Anschläge in Deutschland, etwa im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen (vgl. Stepputat 2017) und in weiteren deutschen Städten wie Hoyerswerda (vgl. Rafael 2007), wo 1991 das erste rechtsextremistische Pogrom der Nachkriegszeit verübt wurde. Problematisch hieran sind nicht nur die rechtsextremistischen Taten, sondern auch der fehlende Protest aus der Mitte der Gesellschaft, die die Anschläge teils bejubelte, größtenteils tatenlos zusah und die fehlende Reaktion des Staates. In der aktualisierten Version der ersten Strophe aus dem Jahr 2003 beschreibt Wecker in Bezug auf den Irak-Krieg darüber hinaus eine deutliche Ablehnung einer Kriegseuphorie, indem es lautet: „Wenn sie dann in lauten Tönen / Einzig ihrer Machtgier frönen / Denn am kriegerischen Wesen / Muss nun mal die Welt genesen“. Durch die Ironisierung des Narratives der Weltgenesung durch Krieg wird Weckers pazifistische Grundhaltung deutlich, die er in seinem Gedicht Pazifistisches Credo mit den Worten: „Deshalb sind mir Uniformen so zuwider / und alles Militärische“ (Wecker 2018, 254) beschreibt. Im Anschluss daran folgt in beiden Versionen die Aufforderung: „dann steh auf und misch dich ein: / Sage nein!“, welche den Revolutionspathos, der Wecker umgibt und ebenfalls in Schreiben ist Schreien in dem Vers „Dezentes Parlando war immer schon / Feigheit“ (Wecker 2018, 40) anklingt, verstärkt.

Darauf folgend kritisieren die Verse: „Meistens rückt dann ein Herr Wichtig / die Geschichte wieder richtig, / faselt von der Auschwitzlüge“ (Wecker 1993) die Leugnung historischer Umstände zur Rechtfertigung und Glorifizierung rechtsextremistischer Taten und Gedanken, wie sie etwa von Ursula Haverbeck betrieben wird, die wegen Äußerungen wie: „[d]er Holocaust ist die größte und nachhaltigste Lüge der Geschichte“ (Bongen/Feldmann 2015) mehrfach angeklagt und verurteilt wurde. Ein weiteres prominentes Beispiel für einen „Herrn Wichtig“ ist der 2019 verstorbene SS-Mann und Holocaust-Leugner Karl M. Dieser „war 1944 an einem Massaker im nordfranzösischen Ort Ascq beteiligt, bei dem Soldaten der 12. SS-Panzerdivision insgesamt 86 Einwohner erschossen“. Er bereute diese Tat bis zu seinem Tod nicht. Durch die Formulierung „Meistens rückt dann ein Herr Wichtig / die Geschichte wieder richtig“ (ebd.) betreibt Wecker vor allem eine Neubesetzung des Wortes richtig, in dem es in für Wecker typischer Manier durch eine Ironisierung in seiner Bedeutung semantisch umgedeutet wird und indem die Herren Wichtig, wenn sie von der Auschwitzlüge sprechen, ihrerseits als Lügner markiert werden (vgl. Blühdorn 2003, 273). Auch vor drastischen Formulierungen schreckt Wecker nicht zurück, wenn er am Ende der zweiten Strophe singt „zeig es diesem dummen Schwein: / Sage nein!“ (Wecker 1993).

Der darauffolgende Refrain ist ein Aufruf an die Zivilgesellschaft, die sich unabhängig von sozialer Herkunft, Alter oder Profession zur Wehr setzen muss: „Ob als Penner oder Sänger, / Bänker oder Müßiggänger, / ob als Priester oder Lehrer, / Hausfrau oder Straßenkehrer, / ob du sechs bist oder hundert, / sei nicht nur erschreckt, verwundert, / tobe, zürne, misch dich ein: / Sage nein!“ (ebd.). Deutlich wird hierbei, dass Konstantin Wecker Personen jegliche Schicht anspricht, jedoch dafür ausschließlich das generische Maskulinum verwendet und lediglich bei einer Berufsbezeichnung (Hausfrau) die weibliche Form verwendet. Im Seminargespräch mit Wecker am 26.211.2019 wurde deutlich, dass ihm mittlerweile die feministische Kritik an diesen Formulierungen durchaus bewusst ist. Ebenfalls ein deutlicher Hinweis für die Wichtigkeit dieses Refrains ist die Steigerung der Schlussphrase (tobe, zürne, misch dich ein), die anschaulich verdeutlicht, wie wichtig dem Künstler nicht nur die innere Haltung, sondern vor allem das tatsächliche Handeln, die Einmischung, der Zivilbevölkerung in politische Belange ist.

Mit diesem Lied wie auch an anderer Stelle fordert Wecker insbesondere andere Künstler*innen, die sich wie er in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen können, auf, sich gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit zu positionieren. Das wohl bekannteste Beispiel für eine Band, die sich einmischt, sind Die Ärzte mit ihrem Song Schrei nach Liebe, die ihn im selben Jahr wie Wecker (1993) veröffentlichten. 2015 stieg der Ärzte-Song erneut durch die Aktion Arschloch in die Singlecharts ein; diesmal sogar auf Platz eins. Jedoch sind im Rahmen einer antifaschistischen Bewegung nicht nur Musiker*innen in der Lage sich zu positionieren. Auch die Zivilgesellschaft zeigt in Reaktion auf die Geschehnisse in Chemnitz 2018 einen großen Zusammenhalt, der sich in der Aktion Wir sind mehr äußerte und 65000 Menschen zu einem Konzert in Berlin gegen den Rechtsruck in Deutschland und Europa zusammenbrachte. Während der Literaturwissenschaftler Thomas Rothschild zu Weckers Anfängen noch skeptisch fragte: „Die zerlegten Akkorde im Stil des englischen Rock-Sängers Elton John, der emotionale Druck in Weckers Stimme, seine zur Schau gestellte Erschütterung: sie sind verführerisch, wühlen auf, aber leiten sie auch einen Denkprozess ein?“ (Rothschild 1980, 190), kann man die Frage heute mit Ja beantworten. Ausverkaufte Konzerte mit einem terminlich dichten Tourneeplan und das über Jahre deuten darauf hin, dass er vielen Menschen Mut macht immer wieder Nein zu sagen und weiter zu machen im Kampf gegen menschenverachtende Tendenzen. Dass er dies als seine vornehmliche Funktion als Künstler ansieht und dies auch durch engagierte Literatur umsetzt, hat er im Seminargespräch betont. „Nach Weckers Aussage haben die veränderten politischen Verhältnisse der letzten Jahre (vor allem aber seit dem 11. September 2001) zu einer Repolitisierung geführt. Nicht nur seine Texte seien nun (wieder) weitaus politischer, auch unterstützte er verstärkt die Demonstrationen der Friedensbewegung – in unserem Gespräch nannte Wecker die Anti-Bush-Demo im Sommer 2002 in Berlin“ (Nieland 2006, 25).

In der dritten Strophe wendet sich Wecker dem Alltagssexismus gegen Frauen zu, den er in folgende Bilder fasst: „Und wenn aufgeblasene Herren / dir galant den Weg versperren, / ihre Blicke unter Lallen / nur in deinen Ausschnitt fallen“ (Wecker 1993). Chauvinistisches Selbstverständnis erscheint als Machtdemonstration, die sich mit der damit verbundenen Haltung zur gesellschaftlichen Rolle der Frau verbindet: „denn das Weib ist nur was wert / wie dereinst – an Heim und Herd“ (ebd.). Damit rekurriert er auf ein Narrativ eines Frauenbildes, das von den Nationalsozialisten etabliert wurde. Dieses erzählt davon, dass Frauen nicht für die politische oder sonst wie öffentliche Arbeit geschaffen seien, sondern aus bevölkerungspolitischen und biologischen Gründen die Rolle der Hausfrau und Mutter annehmen und damit die Volksgemeinschaft unterstützten (vgl. Schubert 2013). Aufgrund der Neuveröffentlichung des Textes im Jahr 2018 lässt sich auch eine Parallele zur aktuellen, gesellschaftlich-feministischen MeToo-Debatte ziehen, die besonders auf Twitter geführt wurde und Frauen dazu bewegte, ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt zu schildern und insgesamt stark polarisierte.

Auch Rassismus und Diskriminierung aufgrund von Sexualität in der Schule ist ein zentraler Punkt in Weckers gesellschaftlicher Analyse, die lautet: „Und wenn sie in deiner Schule / plötzlich lästern über Schwule, / schwarze Kinder spüren lassen, / wie sie andre Rassen hassen, / Lehrer, anstatt auszusterben, / Deutschland wieder braun verfärben“ (Wecker 1993). Besonders hervorzuheben ist bei den Versen: „Lehrer, anstatt auszusterben, / Deutschland wieder braun verfärben“ (ebd.), dass sie sich selbst zu aktualisieren scheinen, wie durch die Neuveröffentlichung 2018 ohne notwendige textliche Änderungen deutlich wird, man denke nur an den Thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke in seiner Tätigkeit als Geschichtslehrer. Mit ihm ist ein Beispiel aus dem aktuellen Diskurs rund um die Verschiebung des Sagbaren, aber auch vor allem ein tragendes Beispiel aus dem Diskurs über die verpflichtende Aufgabe von Lehrer*innen, kritisch zu reflektieren und nicht eigene, womöglich falsche Darstellungen an Schüler*innen weiterzugeben (vgl. Agarwala 2017). So findet in den Versen „Lehrer, anstatt auszusterben, / Deutschland wieder braun verfärben“ ebenfalls ein kritisches Nachdenken über Lehrer*innen statt, das die generelle Haltung Weckers gegenüber autoritären Strukturen jeglicher Art unterstreicht. Diese drückt sich z.B. in seinem Lied Das macht mir Mut mit den Worten aus: „Und keinem ist der Arm so lang, / auch nicht der Obrigkeit, / dass mir ein ehrlicher Gesang / im Halse stecken bleibt“ (Wecker 2018, 71-72). Ein möglicher aktueller Bezugspunkt zu der von Wecker kritisierten autoritativen Struktur ist ein von der AfD initiiertes, aufgrund von Datenschutzbestimmungen verbotenes, Meldeportal für Schüler*innen und Eltern. In diesem sollte nach AfD-Vorstellung die Möglichkeit bestehen, dass Lehrer*innen, die sich politisch, insbesondere jedoch AfD-kritisch äußern, gemeldet werden können (vgl. Fischer 2019). Dazu passend spricht Wecker in dem Lied auch Menschen jüngerer Generationen an (Und wenn sie in deiner Schule) und fordert diese mit einem „hab dann keine Angst zu schrein: / Sage Nein!“ (Wecker 1993) dazu auf, ihre Stimmen auch dann zu erheben, wenn sie scheinbar unterlegen sind, wie etwa in einem Lehrer*innen-Schüler*innen-Abhängigkeitsverhältnis. Kinder werden hierbei als grundsätzlich unschuldig verstanden, wie es auch in An meine Kinder im Vers „Kinder sind schuldlos“ (Wecker 2018, 258) markiert wird. Zum Ende des Liedes folgt noch einmal der Refrain, der durch die Wiederholung der verschiedenen Berufe und Lebensentwürfe die Klassenfrage mit einer idealen Vorstellung der absoluten Gleichheit aller Menschen beantwortet. Durch die abschließende dreifache Wiederholung der Titelphrase „Sage Nein!“ mündet das Lied emphatisch in der Adressierung und Ermutigung des Publikums, mitzusingen und sich klar zu einer unterdrückungsfreien Welt zu bekennen.

 

Literatur

Agarwala, Anant: „Muss Herr Höcke weg?“ Zeit Online. Web. 14.01.2020. URL: https://www.zeit.de/2017/05/bjoern-hoecke-lehrer-entlassung-alternative-fuer-deutschland.

Anonym: „Karl M.: Anklage gegen früheren SS-Mann.“ Das Erste Panorama. Web. 08.01.2020. URL: https://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Karl-M-Anklage-gegen-frueheren-SS-Mann,ssmann142.html.

Blühdorn, Annette: Pop and Poetry – Pleasure and Protest. Udo Lindenberg, Konstantin Wecker and the Tradition of German Cabaret. Frankfurt/Main; Bern 2003. S. 239-350.

Bongen, Robert / Feldmann, Julian: „Wohltäter Hitler: Besuch bei Auschwitz-Leugnern.“ Das Erste Panorama. Web. 08.01.2020.

URL: https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2015/Hitler-der-Wohltaeter-Besuch-bei-Auschwitz-Leugnern-,holocaustleugner102.html.

Die Ärzte: Schrei nach Liebe. EV: Die Bestie in Menschengestalt. Metronome 1993.

Fischer, Martin: „Das AfD-Meldeportal hat die Lehrer gestärkt.“ Welt. Web. 13.01.2020. URL: https://www.welt.de/regionales/hamburg/article200582090/AfD-Petzportal-Das-AfD-Meldeportal-hat-die-Lehrer-gestaerkt.html.

Nieland, Jörg-Uwe: “From Music to Politics or from Politics to Music? Stellungnahmen deutscher Künstler zum Wandel der politischen Popmusik.“ Forschungsjournal Soziale Bewegungen 3 (2006). S. 20-29.

Rafael, Simone: Klimawandel in Hoyerswerda. Bundeszentrale für politische Bildung. Web. 14.01.2020.

URL: http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41646/klimawandel-in-hoyerswerda.

Rothschild, Thomas: Konstantin Wecker. In: Ders.: Liedermacher. 23 Portraits. Frankfurt/Main 1980. S. 189-195.

Schubert, Elke: „Politische Weiber.“ Zeit Online. Web. 15.01.2020.

URL: https://www.zeit.de/2001/33/200133_p-schneider.xml.

Stepputat, Hannes: „Wenn man von unten Schreie hört.“ Spiegel Geschichte. Web. 14.01.2020. URL: https://www.spiegel.de/geschichte/rostock-lichtenhagen-1992-und-die-auslaenderfeindlichen-krawalle-a-1163378.html.

Wecker, Konstantin: Sage Nein! EV: Uferlos. Global 1993.

Wecker, Konstantin: Sage Nein! Aus: Am Flußufer – live in München. Global 2005.

Wecker, Konstantin: Sage Nein! Aus: Antifaschistische Lieder 1978 bis heute. Sturm und Klang 2018.

Wecker, Konstantin: Das macht mir Mut. In: Ders.: Jeder Augenblick ist ewig. Die Gedichte. 7. Aufl. München 2018. S. 71-72.

 

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