Fallbasiertes Lehren und Lernen

Im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung von Bund und Ländern hat sich das Vorhaben „Professionalisierung für Vielfalt“ (ProViel) der Universität Duisburg-Essen das Ziel gesetzt, die Lehrkräfteausbildung mit Blick auf die komplexen Herausforderungen der Schulpraxis weiterzuentwickeln.

Um einen aktuellen Einblick in die Schulpraxis zu ermöglichen und das Ausbildungsprinzip "fallbasiertes Lernen" zur Förderung reflexiven und anwendungsbezogenen Wissens an der Universität Duisburg-Essen auszubauen, wurden im Teilprojekt "Fallbasiertes Lehren und Lernen" (Laufzeit 2016-2022) zum einen ganzheitliche schulbezogene Materialien an zehn regionalen Schulen der Bezirksregierung Düsseldorf (NRW) gewonnen (sogenannte Schulporträts) und zum anderen materialgestützte Lernmodule zu Themen der Unterrichtsqualität entwickelt.

Fallbasiertes Lehren und Lernen bietet Personen in der Lehreraus-, Lehrerweiter- und Lehrerfortbildung Möglichkeiten, erworbenes (theoretisches) Wissen mit aktuellen sowie authentischen Praxissituationen zu verknüpfen und trägt zum Ausbau professioneller Kompetenzen und professionellen Handelns bei.
Der Weg vom Wissen (und Behalten) zum Können (der Kompetenz) und weiter bis zum Tun (der wirklichen Veränderung) ist weit und schwierig“ (Helmke, 2015).

Fallbasiertes Lehren und Lernen

Seit Ende Mai 2020 ist das Moodle-Portal "Fallbasiertes Lehren und Lernen" online! Studierenden und Dozierenden in der Lehrkräfteausbildung am Standort der Universität Duisburg-Essen einen ganzheitlichen Einblick in die Vielfalt der schulischen Wirklichkeit geben, den Erwerb praxisorientierten Wissens unterstützen und Möglichkeiten zum wissenschaftlichen Arbeiten schaffen. Neben Videografien authentischer Unterrichtsstunden umfasst es ergänzende berufs-biografische und themenzentrierte Interviews mit Lehrkräften und Schulleitungen, Fragebogendaten, Unterrichtsplanungen sowie zahlreiche weitere Materialien. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an fallbasiertes_lernen@uni-due.de.

In den Videos erhalten die Studierenden der Lehrämter einen plastischen Eindruck davon, wie erfahrene Lehrkräfte ihren Schulunterricht gestalten, wie die Schüler*innen sich im Unterricht verhalten und wie Lehrende und Lernende miteinander interagieren.

Insgesamt öffneten 31 Lehrkräfte ihre Klassenzimmer, zeigten 28 Unterrichtseinheiten (Einzel-, Doppelstunden und jahrgangsübergreifenden Unterricht) in 15 unterschiedlichen Fächern über 12 Jahrgangsstufen verteilt.

Der mehrperspektivisch gefilmte Unterricht stellt traditionelle wie reformpädagogische Lehrkonzepte dar (z. B. Plenumsunterricht, Offene Unterrichtsformen, Lernbüroansatz, inklusiver und jahrgangsübergreifender Unterricht, Waldorfpädagogik). Um der Heterogenität ihrer Schüler*innenschaft gerecht zu werden, greifen die Lehrkräfte auf ein umfangreiches Repertoire an Unterrichtsmethoden zurück. Anhand der exemplarisch dargestellten Schulen werden zudem Einsatzformen digitaler Lehrmedien, Modelle des Teamteachings und der Einbindung von Sonderpädagogen*innen und Integrationshelfer*innen im Unterricht veranschaulicht.

Neben der Videografie authentischer Unterrichtsstunden wird das Schulmaterial durch berufs-biografische und themenzentrierte Interviews mit den aufgezeichneten Lehrkräften und ihren Schulleitungen ergänzt, die sich und ihren beruflichen Werdegang vorstellen, rückblickend ihren aufgezeichneten Unterricht reflektieren und über schulische Aufgaben, Freuden und Herausforderungen berichten. Die Selbstreflexion der Lehrkräfte wird durch die Fremdwahrnehmung der aufgezeichneten Schüler*innen komplementiert, die Klassenporträts zum besagten Unterricht ausfüllten. Schlussendlich wurden zahlreiche weitere Informationen zum Leitbild und zur Ausstattung der Schule sowie zum Handeln der Schulakteure gewonnen (statistisches Schulporträt, Unterrichtsentwürfe, biografische Fragebögen, Fragebogen zum evidenzbasierten Handeln (EVIS)). Die entstandenen 10 Schulporträts geben einen Eindruck, wie vielfältig Schule in der Region gelebt wird und ermöglichen eine Analyse und Reflexion unterrichtlichen Handelns aus fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und bildungswissenschaftlicher Perspektive.

Zur praktischen Umsetzung der Erhebung an den Schulen

Um die Unterrichtsstunden vielseitig aufzuzeichnen, wurde professionelles Equipment eingesetzt. Die Hauptkamera, ein hochauflösender JVC Kamerarecorder, folgte der Lehrkraft durch den Raum. So wurde ein ganzheitlicher und detaillierter Blick auf die Lehrperson geschaffen. Gleichzeitig wurde der Ton der Lehrkraft mittels einer Funkstrecke aufgenommen, sodass die Aussagen der Lehrkraft in hoher Qualität aufgezeichnet werden konnten. Dies war insbesondere für die spätere Transkription bedeutsam. Die Schüler*innenperspektive wurde von zwei Panasonic Kameras im hochauflösenden HD-Format erfasst. Eine weitere Panasonic Kamera zeichnete das Tafelbild auf, um mögliches Unterrichtsmaterial sowie Visualisierungen einzufangen. Zusätzlich kamen, je nach Klassengröße, Unterrichts- und Sozialform, ein bis vier H5-Zoom Audioaufnahmegeräte sowie ein Grenzflächenmikrofon zum Einsatz. So konnten selbst Gruppendiskussionen und Einzelgespräche gezielt aufgenommen werden. Die Aufnahmegeräte wurden möglichst unauffällig positioniert, um die Schüler*innen nicht abzulenken und die Authentizität der Stunde zu wahren.







Nach der Erhebung wurde das gesammelte Material auf unterschiedliche Speichermedien geschützt übertragen. Für die Bearbeitung der jeweiligen Aufnahmen wurde das Programm DaVinci Resolve 17 verwendet. Die Bearbeitungsschritte umfassten unter anderem die Synchronisierung der Tonspuren der einzelnen Mikrofone, die Farbkorrektur der Kameras sowie Audio- und Bildzensuren von datenschutzrechtlich zu schützenden Inhalten. Schlussendlich wurden die ausgespielten und komprimierten Unterrichtsvideos mit Metadaten versehen und auf Moodle über OpenCast hochgeladen.

Materialgestützte Lernmodule zu Themen der Unterrichtsqualität

Fallbasiertes Lernen bietet Personen in der Lehrkräfteausbildung Möglichkeiten, erworbenes (theoretisches) Wissen mit aktuellen sowie authentischen Praxissituationen zu verknüpfen und trägt zum Ausbau professioneller Kompetenzen und professionellem Handeln bei. Daher wurden im Rahmen des Teilprojekts materialgestützte Lernmodule entwickelt, die sich thematisch fokussiert mit zwei ausgewählten Merkmalen der Unterrichtsqualität befassen: (1) Klarheit und Strukturiertheit in Einstiegs- und Abschlussphasen sowie (2) Differenzierung und Individualisierung in Arbeits- und Übungsphasen. Übergeordnetes Ziel der Lernmodule ist die Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung als Teil von Expertise im Lehrberuf. Professionelle Unterrichtswahrnehmung beschreibt die Fähigkeit von Lehrkräften, auf Grundlage ihres Professionswissens für den Lernprozess relevante Ereignisse im Klassenraum wahrzunehmen und zu interpretieren (Seidel & Prenzel, 2007). Die Lernmodule beinhalten theoretische Grundlagen zu den pädagogischen Schwerpunkten, Übungs- und Testaufgaben zum Ausbau der professionellen Unterrichtswahrnehmung hinsichtlich der ausgewählten Unterrichtsqualitätsmerkmale sowie Möglichkeiten des Austausches der Lernenden über dargestelltes unterrichtliches Handeln. Die Einbindung eines OpenCast Annotationstools soll zukünftig die Kommunikation über die schulbezogenen Materialien unterstützen.

Bereitstellung und Nutzung der Schulporträts und materialgestützten Lernmodule

Erste Nutzungen des Materials fanden in Seminaren der Bildungswissenschaft an der Universität Duisburg-Essen – z. B. im Rahmen eines eigens zur Erprobung verschiedener Lehr-Lernformate entwickelten Seminars „Unterricht und Fallbasiertes Lehren und Lernen“ (Clausen/Jahn) – statt. Hierbei bewerteten die Studierenden mit verschiedenen Verfahren der Unterrichtsbeurteilung und Unterrichtsreflexion (z. B. Qualitätsanalyse NRW und Unterrichtsbewertung Schulinspektion Hamburg) ausgewählte Materialausschnitte, kommentierten Unterricht theoriegeleitet mit dem Notabene-Tool (siehe Abbildung), führten gemeinsame Reflexionen zur Professionsentwicklung in Foren durch, diskutierten mit einer videografierten Lehrkraft kritische Unterrichtssituationen und erprobten Elemente der zu erwerbenden Handlungskompetenz mit videogestützter Supervision im Rahmen der Lehrmethode microteaching. Studierende bestätigen in ersten Evaluationen den hohen Praxisbezug sowie die Authentizität des Materials. Darüber hinaus wurden Interviews, Fragebogendaten, Unterrichtsplanungen und Unterrichtsausschnitte in verschiedenen Lehrveranstaltungen (u. a. Master Vorlesung Schulpädagogik, Master Modul PHW) der lehramtsbezogenen Studiengänge an der Universität Duisburg-Essen eingesetzt, um fall- und problembasiert praxisorientiertes Wissen sowie Kompetenzen in der Wahrnehmung von komplexen Unterrichtssituationen zu entwickeln.

Ende Mai 2020 wurden die Schulporträts erstmals in dem Moodlekurs "Portal Fallbasiertes Lehren und Lernen (ProViel)“ einem größeren Kreis an interessierten Personen in der Lehrkräfteausbildung an der Universität Duisburg-Essen zur Verfügung gestellt und erfreuten sich reger Nutzung in Lehrveranstaltungen aller drei Fachdisziplinen. Im Sommer 2022 wurde der Moodlekurs – nun unter dem Namen „Portal Fallbasiertes Lehren und Lernen - Schulmaterial & Lernmodule“ – vollständig überarbeitet, um eine didaktische Einbindung der erprobten materialgestützten Lernmodule zu ermöglichen.

Die multimedialen Schulporträts wie auch die materialgestützten Lernmodule stehen Studierenden und Dozierenden in der Lehrkräfteausbildung am Standort der Universität Duisburg-Essen als seminarunabhängige Selbstlernmodule zur Verfügung. Sie können zum Beispiel in Lehrveranstaltungen eingesetzt werden, um die fachwissenschaftliche, fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Perspektive zur Analyse und Reflexion unterrichtlichen Handelns zu ergänzen. Unter Beachtung der Allgemeinen Nutzungsbedingungen besteht zudem die Möglichkeit, das schulbezogene Material und begleitende Lernanregungen für die eigene Forschung im Bereich der Lehrkräftebildung zu nutzen.

 

Schreiben Sie uns eine E-Mail an fallbasiertes_lernen@uni-due.de, wenn Sie Interesse an der Nutzung des Moodlekurses haben.

Projektleitung

Prof. Dr. Marten Clausen
Lehrstuhl für Unterrichtsforschung

E-Mail an Prof. Dr. Marten Clausen

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Mag. Susanna Jahn
Raum: S06 S05 C17
Telefon: (0201) 183-6342

E-Mail an Susanna Jahn

ProViel wird im Rahmen der gemeinsamen
„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund
und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung gefördert.

Unter dem FKZ 01JA1910