Promotionsprojekt

Thema (Arbeitstitel): Das Wechselspiel von Anwendungs- und Strukturorientierung im Mathematikunterricht der Grundschule – Interpretative Rekonstruktion epistemologischer Deutungsanforderungen

 

Das Verhältnis von Alltags- bzw. Anwendungsbezügen zur Mathematik (etwa Arithmetik) wird in der Mathematikdidaktik für die Grundschule kontrovers diskutiert. Mit seiner Formulierung von »Anwendungs- und Strukturorientierung« hat Heinrich Winter diese Problematik in den Richtlinien Mathematik Grundschule zum Ausdruck gebracht: Einerseits muss der Unterricht darauf ausgerichtet sein, »mathematische Begriffsbildungen und Verfahren mit Situationen aus der Lebenswirklichkeit der Kinder in Zusammenhang zu bringen« (Anwendungsorientierung) und andererseits »das Regelhafte, Gesetzmäßige, Formelhafte sichtbar machen, das einer Erscheinung Ordnung und Organisiertheit aufprägt« (Strukturorientierung) (Richtlinien Mathematik Grundschule 1985, 25). Winter verweist zugleich auf ein fundamentales Problem in diesem Verhältnis von »Anwendungs- und Strukturorientierung«: »Auf jeden Fall werden, wenn man die Sache ernst nimmt (die Sachsituationen etc.) Diskontinuitäten zwischen Lebenswelt und arithmetischen Begriffen sichtbar, die grundsätzlicher Natur sind. In der Didaktik ist das Verhältnis zwischen innen und außen, zwischen rein und angewandt allzu harmonisch-optimistisch eingeschätzt worden« (Winter 1994, 11).

Das Wechselspiel zwischen einer sequenziell aufgebauten alltagsnahen Sachsituation und einer zugehörigen operativen mathematischen Struktur ist für den Unterricht der Grundschule vor allem als ein stoffdidaktisches Problem behandelt worden. Es fehlen empirische Untersuchungen, in denen individuelle Vorstellungen und eigene Deutungen von Grundschulkindern zur Verbindung von »Sache und Mathematik« rekonstruiert werden.

Das Promotionsvorhaben untersucht diese Fragestellung. Es ist als interpretative Studie mit klinischen Interviews (Prä- und Postinterviews) samt einer Intervention angelegt. Dazu werden mathematische Aufgabenstellungen zur Befragung von Grundschulkindern (Kl. 4) entwickelt, bei denen durch Variation von Elementen aus der Sachsituation und durch Variation von operativen Beziehungen in der mathematischen Struktur die Kinder zu Umdeutungen und veränderten Sichtweisen auf die Beziehung zwischen »Sache und Mathematik« angeregt werden sollen. Die in den klinischen Interviews beobachtbaren und in der epistemologisch orientierten Analyse rekonstruierbaren Merkmale bei der »Umwandlung« von einer eher konkret dinglichen Sachsituation in eine mathematische, operativ-systemische Struktur sollen in einem theoriebasierten mathematikdidaktischen Konstrukt erfasst werden. Dieses Konstrukt dient zur qualitativen Analyse der empirischen Daten und soll zugleich eine konsistente Charakterisierung der epistemologischen Anforderungen im Wechselspiel von Anwendungs- und Strukturorientierung sein.

 

Richtlinien Mathematik Grundschule (1985). Köln.

Winter, Heinrich (1994): Modelle als Konstrukte zwischen lebensweltlichen Situationen und arithmetischen Begriffen. Grundschule Heft 3, 10-13.