Aktuelles

Linguistisches Kolloquium Sommersemester 2013

23.04.2013

Mina Ghoulam, Duisburg-Essen
Der Genuserwerb des Deutschen beim Zweitspracherwerb

Meine Untersuchung beschäftigt sich mit dem Genuserwerb des Deutschen bei den zweisprachigen Kindern marokkanischer und türkischer Herkunft in Deutschland. Sie bezieht sich auf zwei Schülergruppen, die mit unterschiedlichen Ausgangssprachen aufgewachsen sind. Die erste Gruppe bilden Grundschüler marokkanischer Herkunft, die entweder marokkanisches Arabisch oder marokkanisches Tamazight als Muttersprache sprechen; die zweite Gruppe bilden Grundschüler türkischer Herkunft, deren Muttersprache Türkisch ist. Für die Sprachlehrforschung sind diese Untersuchungen von besonderer Bedeutung, da sie dazu beitragen können, einen systematischen Unterricht im Deutschen als Zweitsprache durchzuführen. Schließlich sind insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund stark dadurch benachteiligt, dass es an einem gezielten DaZ-Unterricht in den Schulen fehlt. Eine Verbesserung dieser Lage kann nicht erfolgen ohne eine genaue Erforschung der Prozesse des Zweitspracherwerbs sowie der Mechanismen, die ihnsteuern.

 

30.04.2013

Karin Pittner, Bochum
Ist der Dativ dem Genitiv sein Tod? – Funktionen und Konkurrenzformen des Genitivs im heutigen Deutsch

Im Deutschen als flektierender Sprache spielt Kasus immer noch eine große Rolle, wird allerdings zunehmend abgebaut. Insbesondere der Genitiv wird oft als ein „bedrohter“ Kasus gesehen. In dem Vortrag soll - ausgehend von dem Titel der populären Buchreihe von Bastian Sick, der einen Ersatz durch den Dativ suggeriert - der Frage nachgegangen werden, welche Ersatzformen für den Genitiv verwendet werden. Dabei zeigt sich für die verschiedenen Funktionen des Genitivs (als Objektskasus, als Attributskasus, in Verbindung mit Adjektiven und Präpositionen, als adverbialer und prädikativer Kasus), dass der Genitiv in sehr unterschiedlichen Graden und durch verschiedene andere Formen ersetzt wird.
Diese Beobachtungen führen zu der These, dass der  Genitiv in seinen Funktionen differenziert wird. Diese Differenzierung dient der Unterscheidung des verbalen Bereichs (Verbalphrase) von anderen Phrasen (Nominalphrase und Präpositionalphrase). Der Genitiv wird zunehmend nicht mehr von Verben regiert, sondern von Präpositionen und Substantiven.

 

07.05.2013

Petra Kourukmas, Bonn
„Wenn Sie lieber H[err] Professor mir doch Einen gefallen tätten …“ Modalpartikeln in Aufforderungshandlungen aus dem Briefwechsel zwischen August Wilhelm von Schlegel und seiner Bonner Haushälterin Maria Löbel 1821 bis 1841.

Modalpartikeln werden in der sprachwissenschaftlichen Forschung seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts überwiegend als Einzellexeme untersucht. Über Bedeutung, kommunikative oder grammatische Funktionen wird viel diskutiert und es gibt zahlreiche Versuche, Modalpartikeln auch für Lerner des Deutschen verständlicher zu machen.
Dennoch kommen auch wir Muttersprachler allzu oft an unsere Grenzen, wenn es darum geht, Modalpartikeln exakt zu beschreiben. Und dies, obwohl es - zumindest in gesprochener Sprache - selten zu Missverständnissen kommt.
Bei der Verschriftlichung von Äußerungen kann es dagegen schon häufiger zu Fehlinterpretationen kommen, denn Äußerungen mit Modalpartikeln transportieren oft auch eine emotionale Komponente, die aber nicht eindeutig markiert ist, wenn die Intonation fehlt.
Die Interpretation von Modalpartikeln in älteren Texten wird zusätzlich durch die historische Distanz erschwert.
Zunächst soll daher die Frage im Vordergrund stehen, ob Aussagen über Bedeutung und Funktion von Modalpartikeln im Neuhochdeutschen für die Interpretation von Aufforderungshandlungen in einem privaten Briefwechsel aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts überhaupt hilfreich sein können.
Mit besonderem Blick auf Kollokationen und pragmatische bzw. syntaktische Konstruktionen soll dann gezeigt werden, dass aus historischer Sicht auch neue Erkenntnisse für die Analyse von Modalpartikeln in der Gegenwartssprache abgeleitet werden können.

14.05.2013

Stephanie Risse, Bozen
„Paziente der wos politraumatizzato af do Hauptstraße lieg“ – Kommunikation in Südtirol zwischen Italienisch, Standarddeutsch und Dialekt

Die besondere Rechtsform der Autonomen Provinz Bozen gilt in Europa als eines der Modelle für institutionalisierte Mehrsprachigkeit. Die Sprachen Italienisch, Deutsch und das Ladinische sind gesetzlich festgeschriebene Amtssprachen; jede der drei Sprachgruppen verfügt über eigene Schulen in der jeweiligen Sprache. Während das Italienische als ‚entregionalisiert‘ wahrgenommen wird, ist das gesprochene Deutsch in verschiedene baierische und alemannische Varietäten aufgefächert. Diese Dialekte erleben in den letzten Jahren, nicht zuletzt vermittelt über die neuen elektronischen Medien (SMS; Twitter usw.), einen Prestigezuwachs, so dass die alltägliche Kommunikation im Sprachendreieck zwischen Italienisch, Standarddeutsch und den Varietäten stattfindet.
Im Vortrag werden die unterschiedlichen Schulsysteme skizziert und das alltägliche sprachliche Handeln anhand von empirisch gewonnenen Daten aus unterschiedlichen Bereichen (Gespräche bei Tisch, Schul- und politische Kommunikation usw.) dargestellt.

 

4.06.2013

Anulf Deppermann, Mannheim
Grammatik des Verstehens

 

11.06.2013

Ekkehard Felder, Heidelberg
Zur Bestimmung agonaler Zentren in der Korpuspragmatik

18.06.2013

Johannes Schwitalla, Würzburg
Gesprochensprachliche Gefühlsdarstellung und Gefühlsexpression beim  Sprechen von OstberlinerInnen über die Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989

Aus dem „Wendekorpus“ von Norbert Dittmar sollen solche Passagen untersucht werden, in denen OstberlinerInnen ihre Gefühle (in einem weiten Sinne) thematisieren und ausdrücken. Das Berliner Wendekorpus besteht aus Interviews mit West- und OstberlinerInnen darüber, wie sie den 9. November 1989 und die Tage danach erlebt haben. Es ist mit Ton und Transkripten öffentlich zugänglich (Archiv für gesprochenes Deutsch im IDS, Mannheim). Es sollen nur die 29 Interviews mit  OstberlinerInnen untersucht werden, weil diese stärker von den politischen Ereignissen betroffen waren.
Fast alle Interviewten sprachen von ihrer maßlosen Verwirrung. Es fehlten ihnen Begriffe, um die neue Situation einzuordnen (wie uff=m mond). Die Meisten freuten sich riesig, weil sie aus Zwängen befreit wurden, unter denen sie zu leiden hatten. Manche mussten aus Erleichterung weinen. Mehrere berichteten von der Angst, die sie plötzlich bekamen: vor Drogen, Überfällen, später vor Arbeitslosigkeit. Zwei Funktionäre des DDR-Staates  hatten berechtigte Sorge um ihre berufliche Existenz. Bei manchen Regimegegnern stieg ihre Wut wieder hoch. Ebenfalls häufig wurden Scham und Sich-schämen-für-Andere thematisiert: wegen der Geschenke, des Begrüßungsgeldes und der Herablassung der Westberliner. Zwei Funktionäre des DDR-Staates sprechen mit demonstrativer Coolness.
Im Vortrag sollen die sprachlichen Formen der Gefühlsthematisierungen (Verwirrung, Angst) und Gefühlsexpressionen linguistisch untersucht werden. Bei Letzteren sollen besonders Gefühls-Kongruenzen des erzählenden Ichs  mit den jeweiligen Gefühlen der erzählten Zeit (Weinen-müssen aus Erleichterung; Seufzen aus Erleichterung), aber auch Gefühls-Inkongruenzen zu einem thematisierten damaligen Gefühl (z.B. lächelndes Sprechen über einen Weinanfall) oder zur gesamten emotionalen Selbstpositionierung (Coolness) an entsprechenden Textausschnitten untersucht werden.

 

25.06.2013

Ulrich Schmitz, Duisburg-Essen
Warum sprechen?
(Abschiedsvorlesung im Mercator-Saal Duisburg)

„Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ Leibniz 1714 (GP VI, 602) zufolge ist das die Grundfrage der Metaphysik. Dementsprechend sollte die Grundfrage der Sprachwissenschaft lauten: „Warum sprechen Menschen überhaupt und halten nicht einfach den Mund?“ Seltsamerweise sprechen Linguisten kaum darüber. Ob es überhaupt eine Antwort gibt?

 

02.07.2013

Katharina Brizić, Wien
Soziale Ungleichheit, linguistisch betrachtet. Einblicke in ein soziolinguistisches Forschungsprojekt zu Bildungserfolg in der Migration (siehe auch http://independent.academia.edu/KatharinaBrizic)

Das Forschungsprojekt, das hier vorgestellt wird, versucht mit psycho- und soziolinguistischen Methoden, die individuellen Bildungsbiographien und Schulkarrieren von multilingualen Wiener Kindern so detailliert wie möglich zu rekonstruieren. Die Analyse umfasst daher sowohl die individuelle als auch den institutionelle Ebene; auf letzterer interessieren uns sowohl Schule und Lehrkräfte als auch (migrantische) Communities und Eltern unseres Samples. Beide werden hier als “Institutionen” und Mittler betrachtet, die zwischen gesellschaftlichen “Makro”-Prozessen und individuellen “Mikro”-Verläufen die Kraft zur Veränderung von Ungleichheit entfalten können.
Der Rahmen und Hintergrund für die Interpretation der Projektdaten bleibt dabei aber immer ein gesellschaftlicher, sprachen- und bildungspolitischer; zahlreiche Disziplinen zusätzlich zu Linguistik und Soziologie, wie etwa Diaspora Studies, Biographieforschung, Romani und Kurdish Studies u.v.m., eröffnen hier ihr Potenzial zum tieferen Verstehen von “traditionell” ungleichen Bildungsverläufen in modernen Einwanderungsgesellschaften.

09.07.2013

Benjamin Eisenberg, Duisburg-Essen
Wie entsteht intendierte Sprachkomik?

Im Spektrum sprachlicher Formulierungen sind insbesondere Komik-Texte in höchstem Grade elliptisch. Es ist demnach immer eine hermeneutische Eigenleistung des Hörers, sich das Verständnis einer Pointe mit Hilfe bestimmter bereits vorhandener Wissensinhalte (Wissenspropositionen) zu erschließen. Die Leistung des Produzenten ist es hingegen, die richtige Formulierung zu treffen. Jede Formulierung lässt sich auf unendlich viele Weisen paraphrasieren, doch ist es eine Kunst, einen Inhalt so auszudrücken, dass die gewählte Formulierung der Komik-Produktion dienen kann.
In der Humorforschung bietet es sich an, unter anderem auf das von GEROLD UNGEHEUER entworfene Argumentationsmodell zurückzugreifen, um eine Vielzahl von Komik-Phänomenen, die von der populären SSTH (Script-based Semantic Theory of Humor) nicht erfasst werden können, zu analysieren. Die SSTH geht davon aus, dass jeder Witz-Text stets nach mindestens zwei unterschiedlichen und vor allem gegensätzlichen scripts interpretierbar ist. Die Unzulänglichkeiten dieser vor allem deduktiv operierenden Theorie werden benannt und alternative abduktive Vorgehensweisen im Sinne HELGA KOTTHOFFs vorgeschlagen.
Ferner wird der polyseme script-Begriff der SSTH zurückgewiesen. Stattdessen soll der quasi-empirische BÜHLERsche Sphärenbegriff für die Komik-Analyse fruchtbar gemacht werden.

 

Ruven Stahns, Duisburg-Essen
Aspekte kognitiv aktivierenden Grammatikunterrichts