Verwaltungsreformen in Deutschland und China [3] (2008–2012)

Verwaltungsreformen in Deutschland und China [3]: Umweltverwaltung im ländlichen Raum (2008–2012)

Ein Projekt zur Politikberatung

Kooperationsprojekt zwischen Prof. Dr. Thomas Heberer, Prof. Dr. Dieter Grunow (Universität Duisburg-Essen) und Prof. Dr. Yu Keping (China Center of Comparative Economics and Politics, Beijing), gefördert durch die Haniel Stiftung.

Hintergrund des Projektes war ein Gespräch anlässlich des Forschungsaufenthaltes von Prof. Grunow und Prof. Heberer in China im September 2007 mit Professor Yu Keping, dem Direktor des „China Center of Comparative Economics and Politics“ in Peking. Prof. Yu hatte bei den Duisburger Professoren angefragt, ob man nach dem zuvor erfolgreichen Projekt über Umweltverwaltung im urbanen Raum nicht ein weiteres gemeinsames Projekt in Angriff nehmen könne, das sich mit Verwaltungsreformen im ländlichen Raum Deutschlands und Chinas befasse. Ähnlich wie im urbanen Projekt sollten die deutschen Wissenschaftler nunmehr Probleme lokaler bzw. kommunaler Verwaltung im Umweltbereich im ländlichen Raum Chinas untersuchen, chinesische Wissenschaftler Stand und Reformen der Umweltverwaltung im ländlichen Verwaltungssystem in West- bzw. Ostdeutschland (Dörfer–Gemeinden–Kreisstädte). Ein weiteres gemeinsames Politikberatungspapier solle schließlich der chinesischen Führung auch für diesen Bereich einen Vorschlag unterbreiten, in welche Richtung das chinesische Umweltverwaltungssystem im ländlichen Raum entwickelt werden sollte. Das „China Center of Comparative Politics and Economics“, Partnerinstitut in den von der Haniel-Stiftung geförderten Projekten, berät direkt die politische Führung der VR China. Prof. Yu ist zugleich Berater des chinesischen Parteichefs Hu Jintao und Professor für Politikwissenschaft an der renommierten Peking Universität.

Das neue Projekt sollte die Probleme der Umweltverwaltung im ländlichen Raum vergleichend untersuchen. Die Umweltproblematik auf dem Lande ist von chinesischen wie auch von ausländischen Wissenschaftlern bislang eher vernachlässigt worden. Noch immer lebt die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung auf dem Lande und das Umweltverwaltungssystem bleibt hinter dem städtischen weit zurück. Diese Tatsache schlug sich in dem Vorschlag des chinesischen Partnerinstituts nieder, nunmehr in einem Folgeprojekt das Umweltverwaltungssystem im ländlichen Raum zu untersuchen und auf der Grundlage der Ergebnisse auch hier zu konkreten Politikvorschlägen zu kommen. Dabei konnte das Projekt auf den bisherigen Erfahrungen im städtischen Raum aufbauen. Die Kombination Prof. Grunow (Verwaltungswissenschaftler und geschäftsführender Direktor des Rhein-Ruhr-Instituts für Politikberatung, mit einem starken Akzent auf lokaler Verwaltung und Verwaltungsreformen) und Prof. Heberer (Ostasien- und Politikwissenschaftler mit jahrzehntelanger Chinaerfahrung, vor allem im Bereich lokaler Politik und Verwaltung, der zudem über exzellente Chinesischkenntnisse verfügt) stellte eine gebündelte, ideale Expertise für ein solches Kooperationsvorhaben auch im ländlichen Raum sicher.

Im Juni 2008 kamen zunächst zwei Wissenschaftler des chinesischen Partnerinstituts (Prof. Liu Rensheng und Dr. Ding Kaijie) einen Monat lang nach Deutschland. Im Rahmen des Projektes wurden zwei (Niederrhein und Mecklenburg-Vorpommern) ländliche Fallbeispiele ausgewählt. Die beiden Wissenschaftler zeigten sich ausgesprochen beeindruckt von der Umweltsituation und dem Umweltverwaltungssystem in Deutschland. Nach ihrer Rückkehr verfassten Sie einen entsprechenden Bericht für die chinesische Führung und veröffentlichten verschiedene Beiträge nicht nur in wissenschaftlichen, sondern auch in politikberatenden Fachzeitschriften.

Im Gegenzug besuchten Prof. Grunow und Prof. Heberer im Februar 2009 drei ländliche Kreise in China. Ausgewählt wurden eine aufstrebende ländliche Region im Osten (Kreis Shouguang/Provinz Shandong, Modell für „grüne“ Landwirtschaft), eine durchschnittlich entwickelte ländliche Region in Zentralchina (Kreis Deqing, Provinz Zhejiang, ein Ort, der zum Umweltmodell werden sollte) sowie eine gering entwickelte ländliche Region in Südchina (Kreis Nanfeng/Provinz Jiangxi), wobei jeweils der Landkreis und ein bis zwei ländliche Gemeinden untersucht wurden.

Ein internationaler Vergleich bot sich besonders auch deshalb an, weil die Kompetenzverlagerungen auf die lokale Ebene zum Teil sehr unterschiedlich ausgeprägt sind: zum einen mit Blick auf die generellen Funktionsprinzipien eines dezentral organisierten (deutschen) ländlichen Verwaltungssystems und zum anderen mit Blick auf die besonderen Transformationserfahrungen im ländlichen Raum in den neuen Bundesländern. Ein weiterer Vergleichsgesichtspunkt ergab sich durch den Rückbezug auf die Ergebnisse aus den städtischen Regionen; insofern wurden Untersuchungsgesichtspunkte, die sich hierbei als wichtig erwiesen hatten, auch in der neuen Studie berücksichtigt: z.B. Aufgabenteilung, Koordination zwischen Verwaltungsebenen und –bereichen; Maßstäbe für umweltbezogene Standards und Ziele; Steuerungs-, Kontroll- und Sanktionsbefugnisse in Umweltangelegenheiten. Die Kernpunkte der Untersuchung wurden durch die flankierende Untersuchung von Rahmenbedingungen der ländlichen Verwaltungsstruktur und -kultur ergänzt.

Viele Anknüpfungspunkte zeigten sich für einen konkreten beispielhaften Vergleich mit der Entwicklung in Ostdeutschland. Ähnlichkeiten fanden sich sowohl in den Rahmenbedingungen (z.B. die Entflechtung von staatlichen und privatwirtschaftlichen Aufgaben, Entscheidungskompetenzen und Verantwortlichkeiten; oder die Entwicklung von kommunaler Selbstverwaltung; Möglichkeiten und Schwierigkeiten von Modernisierungs-„Sprüngen“) als auch in konkreten Praktiken (wie z.B. Mitwirkungsangebote an die Bürger, Zuverlässigkeit des Verwaltungshandelns und Abbau von Willkür, Transparenz der Mittelverwendung, Weitergabe von Informationen).

Die Ergebnisse der deutschen wie der chinesischen Seite wurden in einem gemeinsamen Papier niedergelegt, das von dem chinesischen Partnerinstitut an relevante zentrale Regierungsorganisationen (Umweltministerium, Zentralregierung, etc.) weitergeleitet wurde.

Im Rahmen einer internationalen Konferenz im Mai 2010 wurden die wichtigsten Ergebnisse der deutschen und der chinesischen Seite einem internationalen Publikum (aus den Niederlanden, den USA, Japan, Großbritannien, China und Deutschland) vorgestellt und von diesen kommentiert. Darüber hinaus wurden im Rahmen der Konferenzbeiträge Themenfelder einbezogen, die über das Untersuchungsdesign des Kooperationsprojektes hinausreichten.

Ein chinesischer Band zum gleichen Thema ist im Juli 2012 im Verlag Zhongyang Bianyi Chubanshe in Peking erscheinen, einem Verlag der Zentralregierung. Über die Beiträge in der englischen Ausgabe hinaus enthält der chinesische Band mehr Beiträge zum Vergleich der Umweltverwaltung in Deutschland und China, zur europäischen Dimension der Umweltpolitik und -verwaltung sowie politikberatende Beiträge.

Ende 2011 erreichte uns dann die Anfrage einer Professorin (Prof. Ma Linying) der Nationalitäten-Universität Südwest in Chengdu, einer Hochschule, die primär Angehörige ethnischer Minderheiten ausbildet, ob wir a) im Frühjahr 2012 ein Seminar mit MA-Studierenden und Doktoranden zu Fragen der Umweltverwaltung in Deutschland und China sowie zu theoretischen und methodischen Ansätzen der Umweltforschung und b) gemeinsam mit den Studierenden Feldforschung zur Umweltverwaltung in einem Landkreis des Autonomen Bezirks Liangshan der Yi (Provinz Sichuan) durchführen könnten.

Am 3.2.2012 reisten wir daher nach China, wo vom 6. bis 10.2. in Xichang, der Hauptstadt des Autonomen Bezirks Liangshan der Yi, das entsprechende Seminar von uns gehalten wurde. An dem Seminar nahmen auch lokales Verwaltungspersonal aus den für Umweltfragen relevanten Ämtern teil sowie lokale Wissenschaftler. Am 11.2. brachen wir gemeinsam mit der Professorin der Nationalitätenhochschule Südwest sowie MA-Studierenden und Doktoranden zur Feldforschung in den Kreis Meigu auf, einem der ärmsten Kreise Chinas. Die Problematik stellte sich hier anders als in den östlichen Regionen Chinas. In dem Landkreis gibt es kaum Industrie, so dass Luftverschmutzung kein großes Thema ist. Vielmehr liegen die Kernfragen in den Bereichen Bodenerosion und Verschlechterung der Bodenqualität, Zerstörung durch illegale Bergwerke und Abholzung, Desertifikation und Müll- und Abwasserentsorgung.

Die Handlungsressourcen sind demgegenüber sehr gering. Dies betrifft vor allem die Verwaltungsebenen unter der Kreisverwaltung (Meigu): die Gemeinden und Dörfer haben sehr geringe personelle und finanzielle Kapazitäten. Jedes Dorf erhält einen Zuschuss für Bürokosten in Höhe von 5.000 Yuan pro Jahr (ca. 50 € pro Monat). Die Müllproblematik beispielsweise muss von den Dörfern selbst gelöst werden – z.B. indem Freiwillige den Müll von den Wegen aufsammeln und irgendwo vergraben. Insofern zeigen Vereinbarungen mit und Kontrollen durch die Kreisverwaltung kaum Wirkung. Hier ist man dann geneigt, die Probleme als erledigt zu betrachten – obwohl sie im Rahmen der Ortsbesichtigungen unübersehbar waren (z.B. die wilden Mülldeponien oder die illegalen Bergwerke).

Auch die Folgeeffekte (mangelnde Hygiene) sind nicht wirksam zu beeinflussen. Dabei spielt auch die Sprache eine wichtige Rolle: die meisten Verwaltungskader sind von anderen Regionen in das Minderheiten-Gebiet entsandt, sprechen aber nicht die Yi-Sprache, so dass es erhebliche Kommunikationsprobleme gibt. Zudem sind sie bemüht, nach möglichst kurzer Zeit Aufgaben in weniger deprivierten Regionen zu übernehmen. So gelingt weder die Einarbeitung in die Probleme noch in die kulturellen Besonderheiten der Minderheit – wie zum Beispiel die Clan-Strukturen und ihre internen und externen Vernetzungen. Die Doppelbesetzung von Funktionen (mit Yi und externen Kadern) ist nach unseren Beobachtungen eine wenig überzeugende Option. Dabei ist auch zu beachten, dass das Leben in den Bergdörfern vor allem für die jungen Familienmitglieder kaum Perspektiven eröffnet – so dass u.a. durch deren Abwanderung perspektivisch ein nachhaltiger soziokultureller Wandel zu erwarten ist. Die Umweltprobleme der Region haben daher oft eine nachrangige Bedeutung. Im Vergleich zu den anderen ländlichen Regionen, die 2009 von uns besucht wurden, hat der Kreis Meigu einen überproportionalen (nachholenden) Ressourcenbedarf – um zumindest mit der „durchschnittlichen“ ländlichen Entwicklung in China – bezüglich Infrastruktur, Wirtschaft, Bildung, Umweltschutz u.a. – mithalten zu können.