Vortrag von Dr. Lisa Mense Theoretische Perspektiven auf Gender - die Genese eines Begriffs

Gender – was steckt eigentlich hinter diesem Begriff, welche Theorien, welche Handlungsbezüge? Was meinen wir, wenn wir von Gender sprechen? Oder von gendergerechter Lehre? Inwiefern eignet sich der Verweis auf „gender" für eine geschlechtergerechte Veränderung der Hochschulkultur? Dr. Lisa Mense, stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Universität Duisburg-Essen und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Gleichstellungsbüro, ging diesen Fragen in ihrem Vortrag nach. Sie zeichnete in einer kritischen Re-Lektüre einschlägiger AutorInnen nach, wann und wie der Gender-Begriff in welchem Kontext und mit welchem Ziel konzipiert und verwendet wurde.

Ann Oakley führte 1972 in ihrem Buch „Sex, gender and society den Begriff "gender" in Abgrenzung zum Begriff "sex" in den feministischen Forschungskontext ein. Die Unterscheidung wurde ein zentraler Bestandteil feministischer Theoriedebatten. Der Plural verrät, dass es nicht den einen feministischen Theoriestrang gibt.

Im deutschsprachigen Raum gehört die Position von Judith Butler zu den prominentesten und gleichzeitig umstrittensten Theorien zu gender bzw. Geschlecht. Butler spitzte in ihrer Theorie die Kritik an der Gegenüberstellung von sex und gender, wie sie etwa bereits Donna Haraway formulierte, zu: Sie geht davon aus, dass Körper, also auch Geschlechterdifferenzen durch Sprache und damit soziale Praktiken geformt würden. Dies löste heftige Diskussionen in der deutschsprachigen Geschlechterforschung aus: „Wo bleiben die handelnden Subjekte, wo die Strukturen, wenn alles Diskurs ist?" Die Welt der feministischen Theorie bzw. Geschlechtertheorien – dies zeigte der Vortrag, ist bunt und komplex.

Wie kann sich, so Lisa Mense, eine anwendungsbezogene Praxis, wie die Gleichstellungsarbeit, auf die hochabstrakten und sehr voraussetzungsvollen Theorieansätze beziehen? Z. B. durch die Trennung von Theorie und Praxis und damit der Benennung von Frauen und Männern anstelle von Gender? Eine zentrale Herausforderung sind jene Stimmen, die Gendertheorien und die Strategie des Gender Mainstreaming beispielsweise als Zwang betrachten. Bezug genommen wird hierbei auf Biologismen, die die Behauptungen zur Geschlechterdifferenz und Hierarchie als wissenschaftlich legitimiert unterstützen sollen.

Haben die Konzepte der Geschlechterforschung mit ihrer Konzentration auf Gender und der Vernachlässigung von Sex letztlich zu dieser Entwicklung beigetragen? – fragte Mense, Bezug nehmend auf die Historikerin Joan Scott. Übersehen würden dabei bei Scott, so die Vortragende, die Positionen von naturwissenschaftlich orientierten GeschlechterforscherInnen wie Anne Fausto Sterling (embodiment Ansatz). Zudem verweisen die jüngsten Entwicklungen in der Neurowissenschaft und der Biologie selber auf die kontinuierliche Formbarkeit (Plastizität) des Gehirns und auch Gene gelten nicht mehr ausschließlich als determinierend. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Körpern werden insbesondere auch in diesen Forschungsfeldern betont.

Die Vortragende entließ die ZuhörerInnen mit Fragen, die zu weiteren Diskussion einladen und anregen:

  • Ist es also an der Zeit, Gender wieder von der Bühne der Theorien abtreten zu lassen, da der Begriff zu viele Grenzen aufweist?
  • Oder kann gender auch diese neuen Wechselwirkungen mit sex mitschwingen lassen?
  • Oder sollte nicht doch wieder verstärkt der Begriff „Geschlecht" in die Debatten aufgenommen werden, da dieser doch viel deutlicher die Wechselwirkungen von Biologie und Sozialem beinhaltet?
  • Oder sind gänzlich andere Begrifflichkeiten von Nöten?