Bildungsdiskurs

Verkürzungen im aktuellen Geschlechterdiskurs Schlaue Mädchen – Dumme Jungen?

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Zusammenfassung der Stellungnahme "Schlaue Mädchen – Dumme Jungen? Gegen Verkürzungen im aktuellen Geschlechterdiskurs" des Bundesjugendkuratoriums (BJK) zum medialen und wissenschaftlichen Diskurs bezüglich bildungsbezogenen Unterschieden zwischen Jungen und Mädchen.

Ausgangslage

Zunächst wird die Ausgangslage geschildert, wobei Bezug zur „Bildungskatastrophe" der 1960er-Jahre genommen wird und zugleich eine sich anbahnende „Jungenkatastrophe" dargestellt wird. Es wird dabei hauptsächlich auf Differenzen im Bildungssystem hingewiesen und die Jungen werden als benachteiligt angesehen. Es wird befürchtet, dass sie im Schatten der Mädchen stehen, sowie das Risiko steige, dass sie im Bildungssystem scheitern. Sogar von einer „Bildungskrise der jungen Männer" (S. 5) ist die Rede. Um herauszufinden, was an diesen Annahmen dran ist und inwiefern Jungen tatsächlich benachteiligt werden, müssen verschiedene Perspektiven betrachtet werden, um ein umfassendes Bild der Situation zu erlangen.

Die Rolle der Medien

Zu Anfang wird der Blick auf den medialen Diskurs geworfen, da Medien eine „tonangebende Rolle" einnehmen und die öffentliche Wahrnehmung zu bestimmten Themen nachhaltig prägen. Die Veröffentlichung von Schulleistungsstudien, wie den PISA-Studien, IGLU oder TIMSS hat maßgeblich dazu beigetragen einen solchen Benachteiligungsdiskurs über Jungen zu entfachen. Eine mögliche Erklärung für schlechteres Abschneiden von Jungen soll die „These der Feminisierung der Pädagogik" (S.7) liefern, die Bezug dazu nimmt, dass Jungen ihre Bedürfnisse nicht richtig ausleben können und dass sie bei der Suche nach ihrer männlichen Identität unterstützt werden müssen. Auch werden biologische Argumente angeführt, die verdeutlichen sollen, dass Jungen eine andere Behandlung zuteilwerden muss. Als Problem zeigt sich dabei, dass die Medien zu wenig differenzieren und dazu neigen strengen Stereotypen von Geschlecht zu folgen. Die „Komplexität gesellschaftlicher Wirklichkeit" (S. 9) wird unzureichend beachtet.

Grundlage für die Annahme einer Benachteiligung

Des Weiteren geht es nun darum, ob es bereits verlässliche Forschungsbefunde zu den Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern bezüglich des Systems der Bildung, der Betreuung und der Erziehung gibt, die es dem medialen Diskurs erlauben empirische Forschungen als Datengrundlage zu nennen, wenn es um die Festigung der Argumente zugunsten einer Benachteiligung der Jungen geht. Es werden verschiedene Unterschiede zwischen den Geschlechtern angeführt, die sich im Rahmen der Bildung zeigen. Hier wird zum Beispiel die spätere Einschulung von Jungen, das häufigere Wiederholen einer Klasse oder auch das seltenere Erlangen eines Hauptschulabschlusses angeführt.

Gleichzeitig können jedoch auch Unterschiede zugunsten der Jungen festgestellt werden, wobei diese Befunde die Annahmen dann wieder relativieren und eine postulierte und verallgemeinerte Benachteiligung widerlegen. Es kommt folglich auf den Blickwinkel an, der gewählt wird und es zeigt sich vielmehr ein vielfältiges Bild, dass keine Verallgemeinerung zulässt. Zudem wird eine Forderung nach mehr Empirie deutlich, die dieses umstrittene Feld noch genauer erforscht.

Benachteiligung in Bezug auf den Beruf

Die nächste Frage, zu der Bezug genommen wird ist, ob eine Benachteiligung von Jungen beim Übergang in das Berufsbildungssystem und in den Beruf besteht. Diese lässt sich jedoch ziemlich eindeutig verneinen, da hier sogar eher von einem Vorsprung der Jungen die Rede sein kann. Es finden sich gerade in der Berufswahl gravierende Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Diese zeigen sich beispielsweise bei der Auswahl an Ausbildungsberufen oder auch bei der Chance auf einen Ausbildungsplatz, sowie bei dem Anteil im Übergangssystem. Generell scheint sich aber ein Vorsprung der männlichen Auszubildenden bezüglich der zukünftig zu erwartenden Einkommenshöhe zu zeigen. Um diese Unterschiede besser erklären zu können, sollten strukturelle, kulturelle und subjektive Faktoren genauer bestimmt werden, die die Leistungsunterschiede, Bildungsverläufe und eingeschlagenen Berufswege bedingen.

Kritik des Bundesjugendkuratoriums an der Debatte

Das BJK ist der Meinung, dass der Blick zu sehr auf das Schulsystem gelenkt wird, wenn es darum geht die geschlechtsspezifischen Unterschiede zu verstehen und zu erklären. Es geht damit immer auch ein impliziter Vorwurf an das Bildungssystem einher, wobei die Konstruktion und Inszenierung von Geschlecht schon weit vor der Schulzeit beginnt und auch andere Kategorien, wie die soziale Herkunft oder die Ethnizität miteinbezogen werden sollten. Eindimensionale und empirisch nicht belegbare Lösungsansätze werden kritisiert und es wird eine Einbettung der Benachteiligungsdebatte in einen breiten strukturellen und kulturellen Kontext gefordert. Geschlechterdifferenzen sollen dabei nicht als „immer schon gegebene, lediglich zu dokumentierende Unterschiede, sondern als veränderliche und gesellschaftlich immer wieder hergestellte Unterscheidungen" (S.18) aufgefasst werden.

Die Bedeutung von Geschlecht an sich im Rahmen dieses Diskurses

Dieser Diskurs über die Benachteiligung von Jungen ist in einem größeren Rahmen Teil einer gesellschaftlichen Debatte über veränderte Rollen von Frauen und Männern. Das BJK vertritt ein handlungsorientiertes Konzept von Geschlecht. Es wird dabei die Ansicht vertreten, dass Geschlecht in interaktiven Prozessen („doing gender") hervorgebracht wird und die Geschlechterrollen nicht als von der Natur gegeben und determiniert angesehen werden können. Die Unterschiede, die sich in der Bildung ergeben, sollten unter Berücksichtigung einer wechselseitigen Dynamik mit vielfältigen Faktoren, sowie strukturellen und kulturellen Prozessen erklärt werden. Zudem verschwimmen die Grenzen zwischen den Geschlechterrollen immer mehr und es vollzieht sich ein Wandel in der Männerrolle. Die Männer werden hin- und hergerissen zwischen traditioneller Arbeit und moderner Familie, wobei das traditionelle Ernährermodell zunehmend verschwindet. Im Zuge dessen ergeben sich auch widersprüchliche Herausforderungen für Jungen. Vorurteile bei der Vermittlung von Rollenbildern im Rahmen der Erziehung spielen ebenfalls eine Rolle.

Fazit

„Als Fazit ist festzuhalten, dass insbesondere der mediale Diskurs, aber auch in Teilen die wissenschaftliche Debatte zu verkürzt bleibt, da die Kategorie Geschlecht in der Beschäftigung mit Bildungsungleichheiten zu einseitig fokussiert wird und hieraus direkte politische Konsequenzen abgeleitet werden. [...] Ziel der Debatte muss es sein, den Blick weg von der dichotomen Wahrnehmung von Schülerinnen und Schülern als Jungen und Mädchen, als Kinder mit und ohne Migrationsgeschichte, verstärkt auf die Komplexität individueller Bildungsbiographien und die jeweils spezifischen kulturellen und strukturellen Kontexte zu lenken." (S. 24-25)

Abschließend liefert das BJK noch Anregungen für die weitere politische Debatte. Es finden sich dabei zum Beispiel Forderungen nach einem Diversity Management, Erfolge der Mädchenförderung sollen als Vorbild gesehen werden, ein Hinausdenken über die These der Feminisierung der Pädagogik wird verlangt, eine Neudefinition von Männlichkeit sei nötig und es müsse ein fließender Übergang zwischen Aufgaben- und Fähigkeitszuschreibungen zwischen den Geschlechtern stattfinden.

Cover der Studie

Quelle

Link zum Volltext der Studie: www.bundesjugendkuratorium.de/pdf/2007-2009/bjk_2009_4_stellungnahme_gender.pdf

Die Autorin Lilly-Marie Leiße studiert Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaften an der UDE.

Die Seite ist im Rahmen des Blended-Learning-Seminars “Gender is […] something you do...” entstanden. Studierende haben hier im Gender-Portal Raum, ihre Arbeitsergebnisse und Lern- bzw. Forschungsinteressen vorzustellen.