Jungenpädagogik

Bild: Nadine Preko

Jungenpädagogik – kleine Helden in Not?

In der aktuellen Diskussion um Chancengleichheit im Bildungssystem zeichnet sich ein Perspektivwechsel ab: Jahrzehntelang nahmen Mädchen die Rolle des schwächeren Geschlechts ein, jetzt haben sich die Verhältnisse umgekehrt. PädagogInnen und Eltern sorgen sich um die Männer von morgen. Während ForscherInnen die „Jungenkatastrophe" ausrufen, werden die schulischen Leistungen der Mädchen stetig besser. Jungen gelten als faul, weniger zielstrebig, wild und unkonzentriert. Den Platz des Klassenclowns hat der Schüler in der sozialen Gesellschaft längst für sich reserviert. Schlechte Schulleistungen sind männlich geworden. Diese Debatte hat jedoch keine Reformierung des Schulsystems zur Folge, sondern eine „Zementierung" von Geschlechterdifferenzen. Das Bundesjugendkuratorium(BJK) analysiert den medialen und wissenschaftlichen Diskurs zu bildungsbezogenen Unterschieden zwischen Jungen und Mädchen und stellt dabei die einseitige Betrachtung der Differenzen nach Geschlecht heraus. Das BJK tritt hierbei gegen die Verkürzungen im aktuellen Geschlechterdiskurs ein und fordert zur Reflexion der Veränderungen in den Geschlechterrollen und eine Positionierung von Frauen und Männern in der Gesellschaft auf.

Die veränderte gesellschaftliche Realität

Seit der Bildungskatastrophe in den sechziger Jahren oder spätestens seit des „Pisa-Schocks" steht das deutsche Bildungssystem unter genauer Beobachtung: Auffällig ist die Entwicklung von den einst benachteiligten Mädchen im Bildungssystem hin zu den Bildungsbedingungen von Jungen. Die medial verdichtete neue gesellschaftliche Aufmerksamkeit, welche sich insbesondere auf das Bildungssystem konzentriert, hat in der Debatte eine überlegene Rolle eingenommen. Die, durch den medialen Diskurs, anerkannten Erklärungsmuster, beeinflussen maßgebend die öffentliche Wahrnehmung gesellschaftlicher Problemlagen. Auch die politische Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit wird dadurch geprägt. Die These der Feminisierung der Pädagogik gilt als eines der markantesten Erklärungsmuster, welches als Argument für die schlechte Schulleistung von Jungen im Bildungssystem hervor gebracht wird. Demnach sei die Dominanz von weiblichen Professionellen im Elementar- und Primarbereich die Ursache für die unzureichende Förderung von Jungen. Es fehlen konstruktive Rollenvorbilder in der Person von Lehrern oder Erziehern. Auch die familiäre Struktur, bspw. fehlende Väter, fordere das aufmüpfige Verhalten der Jungen heraus. Die schulischen Ungleichheiten von Mädchen und Jungen werden medial, mittels negativer Szenarien, als eine Gefahr für die gesellschaftliche Entwicklung dargestellt. Zudem sind eindimensionale Aussagen des medialen Diskurses über Zweigeschlechtlichkeit kritisch zu betrachten.

Strukturell und kulturell geprägte Männlichkeitsbilder

Das BJK bringt den Begriff „doing gender" als handlungsorientiertes Konzept von Geschlecht mit ein, wonach Geschlecht erst durch interaktive Prozesse im Alltag entsteht. Demnach sind die Geschlechterrollen nicht von Geburt an vorgegeben und determiniert. Diese Prozesse der Herausbildung von geschlechtsbezogenen Orientierungs- und Handlungsmustern sollten bei der Untersuchung der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten im Bildungssystem beachtet werden. Der strukturelle Wandel im ökonomischen-technologischen Bereich der Arbeitsgesellschaft hat eine Entgrenzung der Geschlechterrollen zur Folge gehabt. Einerseits sind sie den traditionellen Tugenden, Verhaltensmustern und –erwartungen ausgesetzt, wie voller Arbeitseinsatz, Fleiß, Flexibilität und Verfügbarkeit. Dem gegenüber steht das neue Verständnis der Männerrolle. Zudem wird vom modernen Mann von heute erwartet, als aktiver Vater und Partner bei der Kindererziehung und im Haushalt zu helfen. Das traditionelle Ernährermodell scheint durch zunehmend mehr Familienernährerinnen zu erodieren. Mit dem Strukturwandel haben sich die gesellschaftlichen Rollenbilder von Männern und Frauen ebenfalls geändert.

Auch kulturell geprägte Männlichkeitsbilder tragen zum schlechten Abschneiden der Jungen im Bildungssystem bei. Durch die Medien und den Peer-Groups werden den Jungen Leitbilder von Coolness, Dominanz und Technikbeherrschung vermittelt, welche nicht mit einer angemessenen Arbeitsdisziplin zu vereinen sind. In männlich geprägten Subkulturen dominieren körperbetonte und riskante Verhaltensmuster. Diese dienen zur Inszenierung von Männlichkeit. Besonders schlechte Leistungen von Jungen mit Migrationshintergrund werden falsch interpretiert, da der Diskurs von kulturalisierenden Argumentationsmustern überschattet ist. Vorurteile über vermeintlich fremde Kulturen behindern die Reflektion der institutionellen Ausgrenzungs- und Differenzierungsprozesse.

Fazit

Insgesamt sollte festgehalten werden, dass sowohl der mediale Diskurs, als auch die wissenschaftliche Debatte zu verkürzt bleibt. Ursache hierfür ist die einseitige Fokussierung des Geschlechts in Bezug auf die Bildungsdifferenzen, wodurch andere wesentliche Faktoren, wie die soziale Herkunft, ethnische Zugehörigkeit und jugendkulturelle Kontexte, in den Hintergrund geraten.

Die Autorin studiert Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaften an der UDE.

Die Seite ist im Rahmen des Blended-Learning-Seminars “Gender is […] something you do...” entstanden. Studierende haben hier im Gender-Portal Raum, ihre Arbeitsergebnisse und Lern- bzw. Forschungsinteressen vorzustellen.