Charakteristika des Werks

SONNENALLEE

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu SONNENALLEE [ ↑ ]
SONNENALLEE ist eine Komödie von Leander Haußmann aus dem Jahr 1999. Der Film spielt in den 1970er Jahren in Ost-Berlin und thematisiert das Leben einiger Jugendlichen. Diese leben in der Sonnenallee, einer Straße, die durch die Mauer zwischen West- und Ostberlin geteilt ist. Das Drehbuch entstand in Zusammenarbeit mit Schauspieler und Regisseur Detlev Buck und dem Autor Thomas Brussig, der erst nach Vollendung des Drehbuchs den Roman Am kürzeren Ende der Sonnenallee schrieb. Dieser erschien ebenfalls 1999. Detlev Buck tritt auch als Schauspieler in dem Film SONNENALLEE in Erscheinung.
Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des Protagonisten Michael Ehrenreich (Alexander Scheer), der von seinen Freunden „Micha“ genannt wird. Er und seine Freunde stehen kurz davor das Abitur zu machen und leben ihren Alltag in Ost-Berlin, direkt am Grenzübergang. Aus Rebellion gegen die Strenge der DDR wollen sie nicht nach Beendigung ihrer schulischen Laufbahn bei der Nationalen Volksarmee (NVA) ihren Wehrdienst absolvieren, sondern träumen von einem Studium. Ein wichtiger Bestandteil ihrer Freizeit ist die verbotene Rock- und Popmusik, die sie aus dem Westen illegal auf dem Schwarzmarkt bekommen. Besonders die Rolling Stones sind Musikhelden für die Jugendlichen. Die Gruppe rund um Michael Ehrenreich träumt von Rebellion, Freiheit und Mädchen.
SONNENALLEE thematisiert die Probleme, die das Erwachsenwerden der Jugendlichen in dem geteilten Berlin mit sich bringen und nebenbei werden die strengen Regeln des DDR-Grenzregimes komödiantisch-ironisch gezeigt. Ein wichtiger Handlungsstrang ist Michas zunächst erfolgslose Annäherungsversuche an Miriam (Teresa Weißbach). Am Ende der Komödie hat Micha jedoch Erfolg und der Film endet mit einer Liebesszene der beiden.
Neben der Geschichte der Jugendlichen werden auch die Eltern von Michael gezeigt, die regelmäßig von Michas Onkel Heinz (Ignaz Kirchner), der im Westen lebt, besucht werden. Aufgrund seiner Erzählungen, dass es im Westen viel besser sei als im Osten, überlegt sich Michas Mutter (Katharina Thalbach), ob sie mit falschem Pass in den Westen gehen soll. Sie entscheidet sich jedoch dafür bei ihrer Familie zu bleiben.
SONNENALLEE gibt einen satirischen Einblick in das Leben Jugendlicher in der DDR und entlarvt das Regime in seiner grotesken Theatralik.

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Formale Aspekte zu SONNENALLEE  [ ↑ ]

Off-Screen Ton
In SONNENALLEE werden auf diese Weise Gedanken der Figuren, die nicht laut ausgesprochen werden, so in die Handlung eingebunden. So beispielsweise von dem Polizisten (Detlev Buck), der sich wundert, warum Micha gut gelaunt und tanzend durch die Straßen läuft: „Irgendwas muss passiert sein. Aber was?“

Slow-Motion
Ein beliebtes Mittel, um die Faszination der handelnden Personen zu zeigen und besonderen Augenmerk auf eine Szene zu legen, ist bei Leander Haußmanns Filmen das Stilmittel das Slow-Motion. In SONNENALLEE gibt es ein Slow-Motion, als zum ersten Mal der Schwarm des Protagonisten Michael, das hübsche Mädchen Miriam, gezeigt wird. Alle umstehenden Leute stoppen ihre momentane Tätigkeit, um sich zu ihr umzudrehen und ein Mann läuft sogar vor eine Mauer, weil er so fasziniert von ihr ist.

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Pressespiegel zu SONNENALLEE [ ↑ ]
Ein Film, der „Ostalgie“ zeigt, was so viel heißen soll wie „Wir hatten wir es in der DDR doch nett" meint Marianne Wellershoff über den Film SONNENALLEE in der Filmrezension auf Spiegel Online (04.10.1999). Doch vorrangig die schönen Seiten der DDR zeigen, ist für sie kein Grund für Kritik: „Haußmanns Kunststück besteht darin, zehn Jahre nach dem Mauerfall nicht noch mal mit einer Jammer-Arie über den Unrechtsstaat DDR zu langweilen, sondern sich Zeit und Herz zu nehmen für die Schilderung einiger ganz gewöhnlicher Jung-Ossis.“ Auch Alexander Jachmann stimmt in seiner Filmkritik auf zelluloid (03.11.1999) dem Eindruck zu, dass Haußmann auch die spannenden Seiten der DDR zeigt: „Trotz der Omnipräsenz des Staates, seiner geheimen und offiziellen Vertreter und seiner Ideologien halten sich die Jugendlichen wenig an die ihnen auferlegten Regeln, denn ganz so eingesperrt, wie man als Zuschauer die Situation einstuft, fühlen sie sich gar nicht.“ Er nennt Sonnenallee abschließend einen „brauchbarer Film mit Abzügen in der B-Note“ aufgrund von kleinen Ungereimtheiten, wie etwa dem Drogenrausch der Jugendlichen durch ein Cola-Kräutergemisch. Kurz zusammengefasst ergibt das, wie Jörg Thomann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) (24.08.1998) schreibt: „Nicht Aufarbeitung, Verklärung ist das Ziel.“ Eher kritisch sieht Christiane Peitz die Umsetzung von Sonnenallee in der Zeit (04.11.1999): „Sonnenallee, der Film, will noch weniger als der Roman: ein harmloser Spaß, ein bißchen Burleske, damit hat sich's.“ In ihren Augen scheint „Theaterprofi und Kino-Neuling Leander Haußmann […] das Filmemachen selbst für eine kindisch-pubertäre Angelegenheit zu halten.“ Dem entgegengesetzt nennt Christiane Kühl SONNENALLEE einen „Erinnerungsfilm“ in der taz (07.10.1999) und beschreibt die Szenerie: „Leander Haußmann hat einen Farbfilm gedreht. Über die DDR. Die DDR leuchtet. Nie waren Partykellerwände blutroter, Zeitungskioske gelber, Fingerfarben auf nackten Körpern blauer als in der ‘Sonnenallee’. Ziemlich sexy alles.“ Insgesamt ist das Presseecho zu SONNENALLEE überwiegend positiv. Viele Kritiker*innen erwähnen lobend, dass durch die Komödie, die, damals sehr kurze, Liste von DDR-Filmen verlängert wird.

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Forschungsspiegel zu SONNENALLEE [ ↑ ]
Der Großteil der Filme von Leander Haußmann findet in der Forschung bisher keine Beachtung. Stark diskutiert werden vorrangig die Filme SONNENALEE und HERR LEHMANN. Bei diesen Filmen richten die Forschungsartikel den Blick auf die thematische Umsetzung von Leben in Ost-Berlin unter dem Begriff der Ostalgie. Die Filme SONNENALLEE und HERR LEHMANN werden in dem Buch Screening Nostalgia100 Years of German Heimat Film von Alexandra Ludewig als Beispiele für positive Auseinandersetzungen mit Heimat genannt. Des Weiteren wird in Forschungsartikeln zu Leander Haußmanns Filmen auch der Humor in Bezug auf die West-Ost-Thematik angesprochen. Der Humor in SONNENALLEE wird von Lynn Marie Kutch mit dem eines Comic-Buches verglichen, und der Film besäße, in ihrer Auffassung, nicht die Aufgabe eine kritische Auseinandersetzung mit dem Leben in der DDR zu zeigen.

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HERR LEHMANN

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu HERR LEHMANN [ ↑ ]
Der Film HERR LEHMANN von 2003 basiert auf dem gleichnamigen Roman von Sven Regener, dem Texter und Sänger von Element of Crime. Roman und Film spielen im Jahr 1989 in West-Berlin, unmittelbar vor dem Mauerfall, auf den die Handlung zuläuft. Protagonist ist der fast 30-jährige Frank Lehmann (Christian Ulmen), der in einer Bar in Kreuzberg arbeitet. Der Titel nimmt Bezug auf die scherzhafte Bezeichnung des Protagonisten, der von seinen Freunden zwar geduzt, aber „Herr Lehmann“ genannt wird, weil der kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag steht. Im Mittelpunkt der Handlung steht der unspektakuläre Alltag von Frank Lehmann, der sich im Laufe des Films verliebt, mit Rat und Tat seine Freunde unterstützt und versucht, seine Eltern davon zu überzeugen, er sei ein erfolgreicher Restaurantleiter. Eine kurze Liebesbeziehung zu der Kellnerin Katrin (Katja Danowski) entsteht, scheitert aber wieder. HERR LEHMANN streift verschiedene gesellschaftliche Probleme, wie etwa Alkoholsucht, Depressionen oder Intoleranz.
Herr Lehmann läuft in der Schlussszene, genau wie in der ersten Szene der Komödie, betrunken durch die Straßen Berlins. Einziger Unterschied: Erst ein paar Stunden zuvor wurden die Grenzen zwischen Ost- und Westberlin geöffnet und in Berlin feiern die Menschen die Wiedervereinigung. Die filmische Umsetzung des Romans Herr Lehmann ist inhaltlich sehr nah, viele Dialoge des Romans wurden im Drehbuch des Films übernommen.

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Formale Aspekte zu HERR LEHMANN  [ ↑ ]

Tagträume/Vorausblende
Zu dem Humor in den Filmen von Leander Haußmann tragen die Szenen bei, in denen Tagträume der Protagonisten dargestellt werden. In dem Film HERR LEHMANN träumt der Protagonist bereits von einer Hochzeit und der Geburt von drei Kindern, die alle bereits ein Bier in der Hand halten, kurz nachdem er mit seiner späteren Freundin Katrin zum ersten Mal gesprochen hat.  

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Pressespiegel zu HERR LEHMANN [ ↑ ]
Kritische Stimmen gibt es im Presseecho zu HERR LEHMANN wenig. Jedoch fällt die starke Nähe von Romanvorlage und Filmumsetzung bei der Kritik vom Filmspiegel negativ ins Gewicht: Die buchgetreue Umsetzung „könnte man einerseits als werkgetreu, andererseits als zu kurzsichtig interpretieren. Denn Haußmann bemüht sich leider zu selten darum, eine adäquate Bildsprache oder ein kongeniales, dramaturgisches Konzept zu finden, um die Stimmung des Buches wiederzugeben.“ „Das Gegenstück zu Sonnenallee“ nennt hingegen Michael Althen den Film HERR LEHMANN im Feuilleton der FAZ (30.09.2003). Die eigentlich unpassende Besetzung von Christian Ulmen als Herr Lehmann, der „als umtriebiger Moderator auf MTV wahrscheinlich das natürliche Feindbild eines Mannes wie Herrn Lehmann“ sei, lobt Althen, da er in seiner ersten Hauptrolle „weniger durch seine Verwandlungsgabe als durch sein Talent zur Anverwandlung“ überzeuge. Auch Reinhard Mohr bewertet die filmische Umsetzung des Romans HERR LEHMANN im Spiegel (29.09.2003) positiv, da es Haußmann gelungen sei „eine im deutschen Kino seltene Balance von Ironie und Melancholie zu halten.“ Erneut wird auch der Hauptdarsteller Ulmen positiv erwähnt, da seine „überraschend souveräne, unaffektierte Darstellung […] der Mittelpunkt dieser Milieustudie“ sei. Journalist Daniel Haas bestärkt die positiven Bewertung seines Kollegen, ebenfalls im Spiegel (01.10.2003) und bezeichnet die Darstellung zunächst als „ein Mäandern durch das Berliner Nachtleben kurz vor dem Mauerfall; ein harmloses Dümpeln im ewig gleichen Trott der ausgedehnten Adoleszenz“ jedoch habe Leander Haußmann das „undramatische Gleiten durch die eigene Existenz“ seiner Auffassung nach „kongenial“ umgesetzt. Weiter beschreibt er HERR LEHMANN als „episodische[n] Rundgang durch eine Lebensform, die sich Veränderung ebenso sehr wünscht wie meidet.“

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NVA

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu NVA [ ↑ ]
Der Roman NVA beruht auf der gleichnamigen Verfilmung von Leander Haußmann aus dem Jahr 2005 und beschreibt die Geschichte des 16-jährigen Henrik Heidler, der seinen Wehrdienst in einer Kaserne in der DDR ableisten muss. Henrik ist zu Beginn ein zurückhaltender Jugendlicher, der bei seiner Ankunft in der Kaserne von seiner Mutter begleitet wird, die ihn bei seinen Vorgesetzten vorstellt und bevormundet. Dort trifft der schüchterne und an Weltliteratur interessierte Junge auf Kameraden, die kaum skurriler und ihm unähnlicher sein könnten. Allen voran ist hier der rebellische langhaarige Krüger zu nennen, der bereits bei seiner Ankunft auf einem getunten Mofa vor den Augen der Vorgesetzten stürzt, vor deren Füßen landet und sich auf Anhieb unbeliebt macht – ähnlich wie es Henrik durch den Kontakt zu ihm nach und nach ergeht. So ist es auch kein Wunder, dass Krüger sich auch während seiner 18-monatigen Wehrdienstzeit gegen das System und die Vorgaben seiner Vorgesetzten auflehnt. Henrik selbst lässt sich dabei immer wieder von seinem Stubenkameraden beeinflussen und handelt sich so vermehrt Ärger ein. Hinzu kommt, dass Henrik unter Liebeskummer leidet, weil er erstmals räumlich von seiner Freundin Eva getrennt ist.
Gemeinsam durchleben Henrik, Krüger und die weiteren Kameraden das harte Leben in der Kaserne inklusive Übungen im Wald, die aber nicht so ablaufen, wie sie geplant sind, sondern in absurden Szenen münden. So verlieren Henrik und Krüger ihre Gruppe bei einer Übung aus den Augen, weil sie ihre Gasmasken präparieren, die daraufhin beschlagen und ihnen die Sicht nehmen. Während Krüger einen geheimen unterirdischen Bunker entdeckt und sich kurzzeitig zum Helden der Kompanie entwickelt, fällt Henrik in einen See und droht zu ertrinken, ehe er von einer Gruppe von Mädchen gerettet wird und sich in eine seiner Retterinnen verliebt und seine Freundin Eva vergisst. Seine neue Liebe ist allerdings die Tochter einer seiner Vorgesetzten, sodass Henrik in neue Schwierigkeiten gerät, weil seine Gefühle für das Mädchen stärker sind als seine Vernunft.
Leander Haußmanns Erzählstil ist geprägt vom Film, der Roman hat von seiner Struktur her eine Nähe zum Drehbuch. Hierzu passt, dass sich Protagonist Henrik für Filme interessiert und dadurch Situationen im Stile eines Regisseurs beschreibt mit Schnittfolgen und Kameraeinstellungen.
Mit NVA veröffentlicht Leander Haußmann eine humoristische Sozialkritik, die durchaus als Apell gegen den in der DDR offiziell propagierten Diskurs zu verstehen ist, der das Militär und den Wehrdienst als sozialistisch-patriotische Bürgerpflicht beschrieben hat, den die jungen Männer gerne erfüllen. Der Roman entlarvt allerdings sowohl die ‚Freiwilligen‘ als auch die Vorgesetzten der Jugendlichen, die sich ihrem Heimatland verpflichtet haben, als unzufriedene Menschen. Die NVA selbst wird dadurch und durch die absurden Situationen, in die die Rekruten geraten als fragwürdige und wenig ehrenvolle Institution bloßgestellt.

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Thematische Aspekte zu NVA [ ↑ ]

Karikatur von politischen Systemen
Während es bei den Beschreibungen des politischen Systems in Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück keine örtlichen Beschränkungen gibt, ist die Karikatur des politischen Systems der DDR in NVA auf die Erlebnisse innerhalb einer Kaserne in der DDR, dessen genauer Aufenthaltsort im Roman nicht explizit genannt wird, beschränkt. Im Film handelt es sich um die Fidel-Castro-Kaserne. Ähnlich wie bei den anderen Werken Haußmanns ist das politische System auch in NVA negativ konnotiert. Bereits zu Beginn hat Henrik Heidler kein Interesse daran, für die DDR zu dienen. Das ist generell nicht verwunderlich, weil die meisten Jugendlichen prinzipiell nicht begeistert sind vom Wehrdienst und Henriks Meinung hierzu ändert sich auch im Verlauf des Romans nicht. Durchgehend sucht der Protagonist nach einem Weg, um den Wehrdienst nicht länger ausüben zu müssen. Sein Ziel erreicht er allerdings erst am Ende des Romans. Noch expliziter rebelliert Henriks Kollege Krüger gegen das System. Bereits zu Beginn entspricht er mit seinen langen Haaren nicht den Konventionen und passt sich auch nicht an selbige an, indem er sich weigert, sich die Haare schneiden zu lassen. Um der Kaserne zu entkommen, täuscht Krüger sogar einen Ohnmachtsanfall vor, der ihn, nachdem die simulierte Krankheit aufgefallen ist, in die Strafkaserne nach Schwedt führt, in der besonders harte Fälle von Rebellion diszipliniert werden sollen. Als Krüger nach drei Monaten in seine eigentliche Kaserne zurückkommt, wirkt er als Person gebrochen, manipuliert und wie der Prototyp eines DDR-Vorzeigesoldaten, d.h. er befolgt Anweisungen blind, zeigt keine persönlichen Interessen mehr und ordnet sich voll dem Dienst für das Vaterland unter
Ähnliches wird auch anhand von Henrik gezeigt, der eigentlich aufgrund vorbildlichen Verhaltens befördert werden soll. Als dieser sich jedoch weigert die Worte „ich diene der Deutschen Demokratischen Republik“ zu sagen, sanktionieren seine Vorgesetzten dies dadurch, dass man Henrik letztlich für unzurechnungsfähig erklären lässt und seine negative Haltung gegenüber dem DDR-Staat pathologisiert. Denn vor allem Stärke ist es, was das politische System ausstrahlen will. Stellvertretend hierfür sind die Offiziere der Kaserne, die nach außen unnahbar, stark und Gefühlskalt wirken. Doch in Passagen, in denen die Offiziere in privaten Situationen gezeigt werden, wirken auch diese unglücklich, denn auch bei ihnen fehlt persönlich jeweils etwas, dass das politische System trotz äußerer Beachtung und Akzeptanz nicht ersetzen kann: Liebe und Nähe zu anderen Menschen, die sie nicht erfahren können, weil sie sich für das politische System aufopfern. Ganz besonders fällt das bei Oberst Kalt (der Name ist bezeichnend) auf, der die Herkunft seiner Frau verschleiert, die ihn später verlässt. Auch seine Tochter Marie verlässt ihren Vater und zieht nach Berlin, um mehr Freiheiten zu genießen. Das politische System kann in NVA also niemanden restlos glücklich machen und private Aufopferungen ausgleichen.

Familie
Gemeinsam mit den Filmen SONNENALLEE und HERR LEHMANN bildet NVA eine Trilogie des Erwachsenwerdens. Henrik, der Protagonist in NVA, verkörpert dabei mit seinen 16 Jahren die Pubertät, während die anderen Verfilmungen später ansetzen. Die Familie selbst steht bei NVA zwar im Hintergrund, wird allerdings trotzdem thematisiert. So wird zu Beginn noch von seiner Mutter bei den Offizieren bevormundet, während er sich zurückhält. Erst im Laufe der Zeit kann sich der Protagonist von seiner Familie loslösen und Entscheidungen für sich selbst treffen. Vermissen tut er seine Familie hingegen nicht. Einzig seine Freundin Eva vermisst er bis etwa zur Hälfte des Romans, die allerdings, weil es bisher nicht zur Heirat kam, nicht direkt als Familie bezeichnet werden kann. Viel mehr steht die Familienkonstellation seiner heimlichen Geliebten Marie im Vordergrund und entwickelt sich zu einer Problemstellung, die es für Henrik zu überwinden gilt. Marie ist die Tochter von Henriks Vorgesetzten, Oberst Kalt. Aufgrund dieser Verbindung ist es für die Liebenden nahezu unmöglich, zueinander zu finden. Oberst Kalt verhält sich, wie sein Name bereits andeutet, gefühlskalt und verliert aus diesem Grund seine Familie: Während seine Frau nach Polen flüchtet, begibt sich seine Tochter, aufgrund des angespannten Verhältnis zum Vater und dem Streben nach Freiheit, nach Berlin.

Liebe
Neben dem politischen System ist Liebe das zweite große Thema im Roman NVA. So wird in der ersten Hälfte die Liebesbeziehung zwischen Henrik und seiner Freundin Eva beschrieben. In der noch jungen Liebe der beiden 16-Jährigen fällt beiden der Abschied auf Zeit schwer. So bringt es Eva nicht über ihr Herz, Henrik zum Wehrdienstantritt in die Kaserne zu begleiten, viel mehr möchte sie sich selbst nicht damit belasten und sich stattdessen von der Situation abgrenzen, indem sie zu Hause bleibt. Henrik hingegen denkt in der Kaserne Tag und Nacht an seine Freundin, liest immer wieder einen Brief, den sie für ihn geschrieben hat und legt diesen auch vor dem Schlafengehen unter sein Kissen. In der zweiten Hälfte des Buches beginnt Henrik allerdings seine Freundin zu vergessen, nachdem ihn Marie vor dem Ertrinken gerettet hat. Er habe vergessen, wie Evas Augen aussehen und wie ihre Gesichtszüge seien, gesteht sich Henrik ein, als er bemerkt, dass er sich in seine Retterin Marie verliebt hat. Ab diesem Moment drehen sich seine Gedanken einzig um seine neue Liebe, die aber zunächst so schnell verschwindet, wie sie aufgetaucht ist. Doch auch Maries Gedanken drehen sich fortan um Henrik, auch wenn sie es sich nicht eingestehen möchte. Die Erfüllung der Liebesbeziehung steht allerdings vor Problemen, denn Henrik kennt zunächst weder den Namen seiner großen Liebe, noch ihren Wohnort. Als er beides herausfindet, aus der Kaserne flieht und Marie aufsucht, wird die nächste Hürde deutlich, die beide überwinden müssen. Denn Marie ist die Tochter von Henriks Vorgesetzten, Oberst Kalt. Obwohl der Oberst versucht die Liebesbeziehung zu sabotieren, indem er Briefe seiner Tochter abfängt und sowohl Henrik als auch Marie zu zweifeln beginnen, erfüllt sich die Liebe der beiden jungen Menschen.
Aber auch Henriks Kameraden haben mit dem Thema Liebe zu tun. So führt Mischke eine Beziehung zu seinem „Moppelchen“, die zu Hause auf ihn wartet und ihm später per Brief berichtet, dass sie Schwanger sei – nachdem Mischke bereits neun Monate in der Kaserne war ohne diese bis dato verlassen zu haben (S. 194). Erst nach einiger Zeit realisiert dieser, dass sein „Moppelchen“ ihn betrogen haben muss. Auch Kamerad Krüger sucht seine große Liebe. Vor dem Einzug in die Kaserne, so erzählt er zumindest, habe er mit seiner Freundin Schluss gemacht. Ob diese wirklich existiert, wird allerdings bezweifelt. Stattdessen inserierte er Kontaktanzeigen, um sich nach seinem Wehrdienst mit vielen Frauen treffen zu können. Nach einem Trick von Henrik kamen Hunderte von Frauen, die auf die Kontaktanzeige antworteten, in die Kaserne, doch zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass Krüger nur eine Frau haben wollte: die Krankenschwester Sonja. Letztlich ist es auch sie, die den, von DDR-Offizieren manipulierten und psychisch gebrochenen, Krüger wieder menschlich werden lassen konnte. Denn, so die Moral von NVA, Liebe ist stärker als jedes politische System.

Autobiografische Aspekte
Über einen autobiografischen Hintergrund verfügt auch der Roman NVA. Zwar ist in diesem Fall nicht Leander Haußmann selbst die Hauptfigur im Roman, allerdings wird bereits durch einen abgedruckten Wehrdienstausweis auf dem Einband des Buches deutlich, dass Haußmann selbst seinen Wehrdienst in der DDR ableisten musste. Ob Haußmann eigene Erlebnisse in den Roman eingebracht hat, ist an keiner Stelle zu erkennen. Klar ist allerdings, dass der Autor aufgrund seiner eigenen Erfahrungen weiß, was innerhalb einer Kaserne passiert, sodass er beim Schreiben des Romans nicht bloß auf Dinge beschränken muss, die er gelesen oder von anderen gehört hat.

Berlin
Berlin ist auch ein Thema im Roman NVA. Zwar spielt keine Szene in dieser Stadt, trotzdem gilt Berlin für diejenigen, die gegen die Konventionen und Auflagen der DDR rebellieren, als erstrebenswerter Zufluchtsort. So auch für die Geliebte von Henrik und Tochter von Oberst Kalt, Marie, die am Ende des Romans nach Berlin zieht und ihren Vater alleine zurücklässt.

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Formale Aspekte zu NVA [ ↑ ]

Filmisches Erzählen
Im Roman NVA wirken die Beschreibungen der Vorgänge und Ortschaften zum Teil wie in einem Drehbuch, was allerdings auch nicht verwunderlich ist, da NVA zunächst als Film veröffentlich worden ist. Andererseits wird dem Protagonisten Henrik zugeschrieben, dass dieser den Blick eines Regisseurs habe und aufgrund dessen zahlreiche Situationen im Stile eines Films beschreibt. Immer wieder umschreibt Henrik Geschehnisse in der folgenden Art: "Meldung Hauptmann Stummel, Schnitt auf Aurich, nah, böse grinsend: Dich mach ich fertig, Heidler. Schnitt auf Henrik, sehr nah mit Zufahrt, wir hören Hauptmann Stummels Stimme" (S. 226). Diese Abschnitte sind in der Form von Regieanweisungen aufgebaut und vermitteln den LeserInnen einen bildlichen Eindruck von der Szenerie.

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Pressespiegel zu NVA [ ↑ ]
Haußmanns Debütroman NVA ist ein in der Presse sehr kontrovers gelesenes Buch. Der kurz nach dem gleichnamigen Film erschiene Roman ist eine Art Fortsetzung des Films SONNENALLEE.
„Haußmann, der Lässige. Er war der Erste, der uns über die DDR lachen ließ – mit seinem Kinodebut ‚Sonnenallee‘. Und jetzt über die NVA. […]“ schreibt Rainer Schmidt (MAX, September 2005). Die Ostalgiewelle, ein schlimmes Wort, wie Haußmann sagt, habe er selbst erfunden. Filme über die DDR floppten, weil sie zu ernst waren. So entstand der Plan, die DDR zu einem Kunstobjekt zu erheben. „Das Witzige an dem System DDR war ja, dass die keinen Humor hatten“ (Interview mit Rainer Schmidt, MAX, September 2005).
Im Planet Interview mit Jakob Bure (20.09.2005) begründet Haußmann seine Entscheidung, eine Komödie zu schreiben: „Und um Dinge für die Zukunft zu verhindern, benutze ich das Mittel der Lächerlichmachung. […] Ich denke auch, dass das die einzige Möglichkeit ist, Leute für dieses Thema zu interessieren. An sich wissen wir ja alle, dass Armee scheiße ist. […] Aber gerade deswegen darf ich ja eine Komödie darüber machen – ich habe es ja erlebt.“ Dinge, die grausam sind lasse Haußmann dabei bewusst aus. Dies seien Dinge, über die man sich nicht lustig mache und die nicht in eine Komödie gehören – dazu gehören Folterungen, Inhaftierungen und nicht zuletzt die Toten an der Mauer.
Ganz anders liest beispielsweise Peter Körter (FAZ, 26.09.2005) NVA: „Lau wie Kantinensuppe, grau wie die Uniformen der Nationalen Volksarmee: Leander Haußmanns Film ‚NVA!‘ ist schlimmer als eine Militärklamotte: eine Militärklamotte, die sich immer wieder dafür schämt, eine zu sein.“ (ebd.) Es sei natürlich, 16 Jahre nach dem Mauerfall eine Komödie aus der Thematik zu machen, doch haben sich GOOD BYE, LENIN und SONNENALLEE dieser Idee schon zu genüge bedient. Die Pointen, die Haußmann abfeuere, leiden an Materialermüdung. „Aber was Haußmann dazu eingefallen ist, sieht eher aus wie eine späte Renaissance von Opas Kino. Mühsam gedämpftes Chargieren quer durch alle Dienstränge und schale Gags. […] Haußmann erzählt seine Geschichte so farblos und unspezifisch, daß noch der Mauerfall wie eine Verlegenheitslösung wirkt, die dem Ganzen zu einem Schluß verhilft.“ (ebd.). Christoph Dieckmann schreibt für die ZEIT (29.09.2005): „Zugleich erschien eine Verschriftung in Jugendprosa, die Haußmann Roman zu nennen beliebt.“ Der dazugehörige Film pflege „den Schenkelhumor bayerischen Bauerntheaters, bloß ohne Komödien-Rhythmik“. Die Presse ist sich also erneut nicht einig, ob man nun einen gelungenen Roman vor sich hat oder doch nur eine erneut auf den Osten komödiantisch bezogene Geschichte.

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Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe [ ↑ ]
Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe beruht, wie der Titel bereits andeutet, auf Friedrich Schillers bürgerlichem Trauerspiel Kabale und Liebe. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt von Leander Haußmann und Boris Naujoks. Erzählt wird die Handlung von Schillers Drama von Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe in Form eines zügigen Briefwechsels, in welchem die gesamte Originalgeschichte aufgegriffen, jedoch ihr Ende verändert wird. Anders als im Prätext erfährt man in Haußmanns und Naujoks Version, wie Ferdinand und Luise sich kennengelernt und verliebt haben. Durch diesen Zusatz wird die Geschichte der beiden greifbarer als bei Schiller, denn man kann auf diese Weise. an der Liebesgeschichte teilhaben und sich in die jeweiligen Figuren hineinversetzen und mit ihnen mitfühlen. Ferdinand von Walter, der Sohn des Präsidenten von Walter, erblickt Luise, die Tochter des Stadtmusikanten Miller, zum ersten Mal, als sie gemeinsam mit Sophie, der Zofe der Lady Milford, auf dem Markt ist. Über verschiedene Briefe wird die Haupthandlung entwickelt. So wird zum einen in den Briefen zwischen Wurm, dem Haussekretär des Präsidenten, und dem Präsidenten von Walter selbst, deutlich, dass Wurm Interesse an Luise hat und demnach auch den Wunsch hegt, die Verbindung, die zwischen Luise und Ferdinand entsteht, mit allen Mitteln zu zerschlagen. Da der Präsident diese Verbindung auch nicht duldet, weil er seinen Sohn lieber mit Lady Milford verloben möchte, gibt er Anweisung die Hochzeit zwischen der Lady und seinem Sohn im Dorf bekannt zu geben. Das in Schillers Werk thematisierte Patriachat ist auch hier grundlegend für den Konflikt.
Zur gleichen Zeit führen Luise und Sophie, welche sich als beste Freundinnen mit Rat und Tat zur Seite stehen und sich gegenseitig Neuigkeiten zukommen lassen, einen regen Briefwechsel. Mit der Figur einer Freundin ist eine erhebliche Änderung gegenüber der Vorlage vorgenommen worden, denn nun ist Luise nicht allein mit ihren Sorgen. Vor allem ihre Briefe sind es, die den Roman mit beiden Zeiten verbinden; zum einen knüpft Haußmann an die Tradition des Briefromans an, der im 18. Jahrhundert im Zuge der Empfindsamkeit und dem damit verbundenen Freundschaftskult äußerst populär war. Zum anderen sind die Gespräche, die die beiden Frauen führen,  bzw. ihre Themen wie Liebe und Begehren überzeitlich und also auch für heutige LeserInnen aktuell.
Ebenfalls zeitgleich nimmt Ferdinand, weil er Luise treffen will, Kontakt zum Stadtmusikanten Miller auf, um bei ihm Musikunterricht zu nehmen. Da Luises Vater nichts von dem Interesse Ferdinands an seiner Tochter weiß, delegiert er den Flötenunterricht an Luise, sodass sie und Ferdinand sich dadurch begegnen und von nun an auch privaten Umgang haben. Sie treffen sich häufig für Spaziergänge oder sie schreiben sich bei schlechtem Wetter Briefe.  Ähnlich wie im Originalstück geschieht es, dass Ferdinand von den Plänen seines Vaters erfährt und diese zurückweist. Er will Lady Milford nicht heiraten, da seine Liebe nur Luise gehört. Auch hier sind Standesschranken das Problem der Liebesbeziehung.
Nun variiert die Geschichte zu Schillers Vorlage, denn Ferdinand entwirft einen Fluchtplan für sich und Luise, den die beiden auch in die Tat umsetzen. Einen Monat nach der Flucht von Ferdinand und Luise befinden sich die beiden in einem anderen, nicht näher bestimmten Land. Dort warten sie auf Blasius von Böller, einen Freund von Ferdinand, in dessen Unterkunft sie wohnen dürfen. Doch dieser trifft nicht ein und ihnen wird der Zugang zu seinem Heim verwehrt, sodass sie gezwungen sind, in einem Hotel zu übernachten. Dadurch erschöpfen sich die Barmittel Ferdinands rasant. Durch weitere Briefwechsel erfährt man, dass Miller den beiden nicht aushelfen will, da er absolut erzürnt über diese Flucht ist und die Liebe der beiden nicht unterstützen will. So kommt es, dass Luise und Ferdinand nun in einer Stube über einem Stall untergebracht werden. Um dort bleiben zu dürfen, erteilt Luise dem Inhaber und den Gästen des Hotels Flötenunterricht. Da keine Besserung in Sicht ist und von Böller aus unerklärlichen Gründen nicht auftaucht, scheitert Ferdinands Fluchtplan. Er bittet Luise, nach Hause zurückzukehren, was diese auch tut und flieht selbst in die Wälder, um dort als Räuber sein Unheil zu treiben. Damit endet die Geschichte. Gegen den elterlichen, das heißt den gesellschaftlichen Willen und ohne ökonomische Absicherung ist eine Liebe nicht realisierbar – so das resignative Fazit.
Haußmann und Naujoks aktualisieren das Drama und lassen es durch den raschen Briefwechsel und die leichten Handlungsabänderungen (Freundschaft von Sophie und Luise/ Kennenlernen von Ferdinand und Luise) für die heutige Zeit neu aufleben. So tauschen sich Luise und Sophie in ihren Briefen aus und beraten sich, wie es zwei junge Frauen aktuell auch tun würden. Weiterhin ist es auch heute noch so, dass zwei heranwachsende Menschen ohne die elterlichen Mittel und vor allem gegen gesellschaftlichen Druck und eine grundlegende Ausbildung es schwer haben werden, sich ein eigenes, selbstständiges Leben aufzubauen. Zudem sind viele emotionale Aspekte viel deutlicher ausdifferenziert und über die Briefe stärker betont, da die einzelnen Figuren sie selbst beschreiben. Gedanken und Gefühle werden viel akzentuierter dargestellt und geraten so ins Zentrum des Textes. Die Kontrastierung der Ständegesellschaft, die bei Schiller zentral ist, wird in Haußmanns Roman nur noch angedeutet, stattdessen stehen die zwischenmenschlichen Probleme im Mittelpunkt.

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Thematische Aspekte zu Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe [ ↑ ]

Familie
Im Buch Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe wird die historisch bedingte Standesschranke mit Hilfe einer Liebesgeschichte thematisiert. Getreu der Originalfassung symbolisiert Luise das Bürgertum, während Ferdinand den höfischen Adel verkörpert. Die drastische Kontrastierung, wie man sie aus Schillers Werk kennt, wird zwar aufrechterhalten, jedoch nicht so deutlich wie im Original-Drama erfasst. Eher wird die individuelle Liebesbeziehung durch die Briefwechsel frischer und lebhafter entwickelt. Die Intrige zwischen Wurm und dem Präsidenten nimmt in Haußmanns Stück einen wesentlich kleineren Teil ein als in der Originalfassung. Dennoch wird deutlich, dass sowohl der Vater Ferdinands als auch Luises Vater mit der Liebesbeziehung der beiden nicht einverstanden sind. Sie sind auch Schuld daran, dass die Liebesbeziehung nach der Flucht der beiden scheitert, da sie ihnen finanziell nicht aushelfen wollen.

Liebe
In Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe wird den LeserInnen die Liebesgeschichte zwischen Ferdinand und Luise über die Briefe viel intensiver und inniger näher gebracht als noch in Schillers Drama. Bereits der Beginn, welcher in Haußmanns Fassung neu gestaltet ist, lässt die gesamte Liebesgeschichte deutlich mehr aufleben. So werden die erste Begegnung sowie Ferdinands Gefühle bei dieser, durch die Briefe stärker herausgearbeitet. Er beschreibt sich, um für sich zu werben und Luise wird im gleichen Zuge von Wurm in einem Brief an den Major beschrieben und in den höchsten Tönen gelobt. Zwei schöne junge Menschen also, die sich ineinander verlieben werden. In Schillers Original erfährt man darüber nichts. Aber genau das ist das Neue, das Lebendige, in Haußmanns Roman. Eine Liebesgeschichte, die die LeserInnen von Anfang an verfolgen können, die nicht erst beginnt, wenn die beiden sich schon kennen und nur die Standes-Problematik darlegt. Ferdinand versucht in Haußmanns Stück über Musikunterricht bei Luises Vater Kontakt zu Luise herzustellen und es gelingt ihm. In der heutigen Zeit ist es das, was das Interesse der LeserInnen weckt, was die Geschichte, trotz der gleichen Thematik und Problematik aufleben lässt. Der Hauptteil der Geschichte bleibt gleich: Dem Original getreu wird die Problematik der Standesschranken über die Briefe erneut aufgegriffen und die Haltungen der Väter gegenüber dieser Liebesbeziehung deutlich gemacht. Anders als im Original wird die Kirche in Haußmanns Stück zwar erwähnt, nimmt aber keine so wichtige Stelle wie im Original ein. Luise wird zwar weiterhin als gläubige junge Frau dargestellt, jedoch längst nicht so drastisch wie noch in Schillers Drama. Auch dies ist der Aktualität der Neufassung geschuldet.
Besonders der Film macht den Unterschied zwischen einer Liebesbeziehung zu Zeiten Schillers und einer Liebesbeziehung in der heutigen Zeit deutlich. So beginnt der Film mit einem Kameraschwenk, der einen mit Anziehsachen bedeckten Fußboden zeigt und zwei im Bett liegende sich Liebende – Ferdinand und Luise. Das Sexuelle, zuvor bei Schiller gar nicht thematisiert, weil es zu jener Zeit unpassend gewesen wäre und ein heiliges, bürgerliches Mädchen bis zur Eheschließung Jungfrau bleibt, findet in der Neufassung zumindest indirekt seine Formulierung und im Film nun seine gänzliche Ausgestaltung.

Verfilmungen
Schillers Drama Kabale und Liebe von 1783 wurde durch Haußmanns Inszenierung KABALE UND LIEBE in einen mit starken Emotionen versehenen Film übertragen. Dabei hat Haußmann versucht dem Original zumindest inhaltlich treu zu bleiben. Sprache, Kostümierung und Kulissen (Drehorte) erinnern an das 220 Jahre alte Drama. Der Umgang mit dem Stück ist jedoch ein moderner. So beginnt Haußmanns und Naujoks Film mit einem deutlichen Hinweis auf einen sexuellen Umgang zwischen Luise und Ferdinand, welcher in Schillers Drama ausgespart bleibt. In Haußmanns Neuauflage wird die Sexualität zwischen Ferdinand und Luise bereits angedeutet und im Film deutlich zur Schau gestellt. So ist die erste Szene im Film so gestaltet, dass Anziehsachen auf dem Boden verteilt liegen und Luise und Ferdinand unter einer Bettdecke gehüllt Arm in Arm kuscheln. Diese Szene ist unterlegt mit folgendem Songtext, welcher noch weitere zwei Male als Motiv aufgegriffen wird, um die Liebe der beiden deutlich zu machen:

„Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß, als heimlich stille Liebe von der niemand nichts weiß, von der niemand nichts weiß.

Keine Rose, keine Nelke kann blühen so schön, als wenn zwei verliebte Herzen beieinander tun stehn, beieinander tun stehn.

Setzt Du nur einen Spiegel in´s Herze hinein, dass Du kannst drinnen sehen, wie so treu ich´s mein, wie so treu ich´s mein.“ (Hannes Wader – Soundtrack Kabale und Liebe)

Mit der Zeile „heimlich stille Liebe“ und dem Zusatz „von der niemand nichts weiß“ wird klar, dass die beiden ihre Liebe verheimlichen wollen, jedoch eigentlich alle drum herum Kenntnis davon genommen haben, dass die beiden eine Liebesbeziehung entgegen ihrer Standeschranken führen. Dies ist die Hauptproblematik des Stückes – in beiden Fassungen.
Im Film erfährt man zudem wie in Schillers Original nichts über das Kennenlernen von Luise und Ferdinand, anders als in Haußmanns Buch – hier wird über die Briefe deutlich herausgestellt, wann Ferdinand Luise zum ersten Mal gesehen hat und wie sie sich kennen gelernt haben. Was in beiden Büchern inhaltlich gleich bleibt ist der Musikunterricht, den Ferdinand im Hause der Millers nimmt, um Luise zu sehen. Dieser Aspekt wird im Film gänzlich weggelassen. Man erfährt, dass Miller Musiklehrer ist und damit ist dieses Thema abgehakt.
Die Problematik der Standesschranken und des Patriachats werden im Film weiterhin aufrechterhalten, jedoch deutlich modernisiert. So scheint die Mutter von Luise im Film nicht so unterwürfig wie noch im Original. Häufig nimmt sie Miller durch diverse Gesten und Äußerungen nicht ernst und äußert sich sarkastisch gegenüber seinen Plänen, so zum Beispiel als dieser zum Präsidenten will.
Zudem ist der Umgang zwischen Luise und Ferdinand ein viel modernerer. So klettert Ferdinand grundsätzlich an der Hauswand hoch und durch Luises Schlafzimmerfenster hinein, damit ihn niemand sieht, wenn er sie wieder besucht. Die beiden tollen herum und benehmen sich gemeinsam häufig wie ein verliebtes Teenager-Paar, aber mit der Sprache des 18. Jahrhunderts geschmückt. Der Begriff ‚Love-Story‘, wie er in vielen Rezensionen genutzt wird, scheint hier sehr passend.
Haußmann und Naujoks nutzen alle möglichen Mittel, die ihnen ein Film bietet, um die Handlung rasanter, spannender und sehenswerter zu machen. Dazu gehören Parallelhandlungen, schnelle Bildwechsel, außergewöhnliche Kameraperspektiven sowie die Filmmusik.
Auch dramaturgisch ist das Stück besonders aufgearbeitet. So nimmt der Begriff Emotionalität im Film einen hohen Stellenwert ein. Viele Szenen, die im Buch auf diese Weise gar nicht dargestellt werden konnten, werden im Film mit enormen Gefühlausbrüchen der einzelnen Figuren untermalt und von den Darstellern besonders ergreifend umgesetzt.
Auffällig ist, dass der eigentliche Grundtext von Schiller im Film kaum aufgegriffen wird. Auch die Reihenfolge der Szenen wurde verändert und einige Szenen ergänzt und ausgeweitet, wie zum Beispiel die Kampfszene zwischen Ferdinand und dem Hofmarschall zum Ende der Tragödie. Hier arbeitet der Film auch mit Parallelhandlungen ,so finden die Szenen drei, sechs, sieben und acht des vierten Aktes parallel statt und sind abwechselnd zu sehen. Die weiteren Szenen werden im Film ausgelassen. Solche Auslassungen, Erweiterungen oder Veränderungen der Reihenfolge finden sich noch an vielen weiteren Stellen des Films.
Besonders interpretiert ist das Ende. Im Film wie im Drama wälzt Ferdinand die Schuld seines Mordes und Todes auf den Vater ab. Sie reichen sich die Hand und Ferdinand flüstert: „Feierlich wälze ich dir die größere, grässlichere Hälfte [des Mordes] zu. Wie du damit zurechtkommen magst, siehe selber.“ Bei Schiller erklärt Ferdinand, dass Gott dem Erbarmenden der letzte Blick gilt. Der Vater bittet den Sohn um Vergebung. Anschließend reicht er seinem Vater die Hand, woraufhin dieser dies so interpretiert, dass Ferdinand ihm vergeben hat. Daraufhin lässt er sich verhaften. Das Konzept des Patriachats ist gescheitert.
Der Präsident erhebt sich im Film, schreitet zwei Schritte und die Melodie des Liedes vom Anfang ertönt durch eine Spieluhr. Dazu sieht man Ferdinand und Luise als Paar mal als Erwachsene, mal als Kinder auf einer Weide Hand in Hand glücklich durch die Gegend laufen. Sie scheinen sich in Haußmanns und Naujoks Stück im Himmel und durch die Vergebung Gottes wiedergefunden zu haben. Die tragischen Verliebten haben sich nun im Himmel wiedergefunden – in dieser Weise hatte Luise dies auch bei Schiller angedeutet.

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Formale Aspekte zu Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe [ ↑ ]

Briefroman
Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe ist als Briefroman gelegt. Die Sprache des Originals wird beibehalten, inhaltlich jedoch modernisiert. So schreiben sich Sophie, die Zofe der Lady Milford, und Luise Briefe und tauschen sich wie zwei Teenager über die Begebenheiten zwischen Luise und Ferdinand aus. Auch wenn sich sprachlich dabei sehr an die Originalsprache gehalten wird, hat man das Gefühl, die Freundinnen handeln, wie es die Mädchen in ihrem Alter in der heutigen Zeit tun würden.
Die Neuaufnahme von Schillers Werk in Form von Briefen sorgt dafür, dass die einzelnen Figuren viel mehr von sich preisgeben, da sie ihre Gedanken und Gefühle gegenüber dem anderen/der anderen in Worte fassen müssen. Dadurch entsteht wiederum eine neue Spannung.

Ironie
Durch die Veränderung des Endes in Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe ironisiert Haußmanns Adaption Schillers tragisches Ende, das ja den gemeinsamen Liebestod von Ferdinand und Luise ans Ende setzt. Luise ist dort das Opfer der patriarchalen Intrige und letztlich auch der eifersüchtigen Blindheit Ferdinands, der ihr ja die Giftlimonade verabreicht. Nachdem dieser aber von der sterbenden Luise die Augen geöffnet bekommen hat, wählt auch er ein heroisches Ende für sich und wählt den Freitod – als Rebellion gegen der Vater und als Sühne für Luise. Diese Tragik gibt es nicht in der Textwelt von Haußmann und Naujoks. Hier fliehen die Liebenden gemeinsam, um ihre Liebe ausleben zu können. Indem gezeigt wird, was im Alltag der beiden geschieht, dass deren Liebe scheitert, da sie es nicht schaffen sich selbstständig über einen längeren Zeitraum gemeinsam ihren Lebensunterhalt zu sichern, muss man dies als ironische Wendung des tragischen Liebesbegriffs bei Schiller lesen.

Filmmusik
Auch in Haußmanns und Naujoks Film KABALE UND LIEBE unterstreicht die Musik häufig die inhaltlichen Geschehnisse. Im Film geht es sogar so weit, dass der Hauptsongtext, welcher zu Beginn, einmal in der Mitte und instrumentalistisch am Ende gespielt wird, sich auf die inhaltlichen Aspekte des ganzen Dramas beziehen lässt (vgl. Frank, Kim/Wader, Hannes: Kein Feuer, keine Kohle ).
Treffen Ferdinand und Luise sonst aufeinander, ertönen häufig fröhliche Glockenspiele, die ihre Liebe und ihr beschwingtes Beisammensein, zumindest zu Beginn, unterstreichen.
Szenen, in welcher der Hofmarschall auftaucht, werden häufig mit dramatischem Operngesang verknüpft, was seine bedrohliche Funktion unterstreicht.
An einigen Stellen wird bewusst mit gar keinen Geräuschen gearbeitet. So gibt es Szenen, in denen es absolut still ist – auch hier wird dadurch eine Spannung erzeugt, die in dem Fall keine Musik hätte darstellen können.

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Pressespiegel zu Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe [ ↑ ]
Die wahre Geschichte von Kabale und Liebe ist in der Presse wenig diskutiert worden. Der 2007 erschienene Roman ist eine Wiederaufnahme von Schillers Werk Kabale und Liebe. Nachdem seine Verfilmung des Originalstücks groß gefeiert wird und Schillers Werk wieder aufleben lässt, entwerfen Haußmann und Koautor Naujoks eine in Briefen verfasste Neugestaltung, bei welcher das Ende „vom bissigen Humor einer Verballhornung aufgefangen [wird], die dem Heute einen Spiegel vorhält“ (Saarbrücker Zeitung, 28.03.2007).

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HOTEL LUX

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu HOTEL LUX [ ↑ ]
Die Tragikomödie HOTEL LUX, zu der Leander Haußmann das Drehbuch schrieb und bei der er auch Regie führte, kam 2011 in die deutschen Kinos. Der Filmtitel verweist auf das reale Hotel Lux in Moskau, das in den 1930er Jahren Zufluchtsstelle für politische Emigranten war. Der Film zeigt einen Abschnitt im Leben von Hans Zeisig (Michael Herbig) und Siegfried Meyer (Jürgen Vogel), die Anfang 1933 in einem Berliner Varieté als Schauspieler arbeiten. Ihre erfolgreichsten Darstellungen sind die Rollen von Adolf Hitler und Josef Stalin.
Nach dem Reichstagsbrand muss Siegfried Meyer (Siggi), vor dem NS-Regime aus Deutschland fliehen, da er bekennender Kommunist ist. Er flieht mit der kommunistischen Niederländerin Frida van Oorten (Thekla Reuten). Im November 1938 muss auch Hans Zeisig nach einer skandalösen Hitlerparodie ins Ausland fliehen. Unter dem Decknamen Jan Hansen, Hitlers ehemaligen Astrologen, gelangt er in das Hotel Lux in Moskau. In dem Hotel wohnen vorrangig deutsche Exil-Kommunisten, die sich in den Dienst von Josef Stalin gestellt haben. Durch die Verwechslung als Jan Hansen wird Zeisig ein Vertrauter Stalins und berät ihn bei seinem politischen Vorgehen. Zeisig lernt russisch und passt sich seiner neuen Rolle an. Unterstützt wird er dabei von Frida, die im Hotel Lux als Dolmetscherin arbeitet. Die beiden verlieben sich ineinander. Da Zeisigs falsche Identität jedoch bereits bei einigen der russischen Funktionäre aufgeflogen ist, schweben er, Frida und der aus dem KZ entkommende Siggi in Lebensgefahr. Sein Ausweg ist die Flucht nach Hollywood, die er gemeinsam mit Frida und Siggi am Ende des Films antritt. Erneut verkleiden sich die beiden Schauspieler dafür als Stalin und Hitler und täuschen so die Nazis.

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Formale Aspekte zu HOTEL LUX  [ ↑ ]

Off-Screen Ton
Das filmische Mittel des Off-Screen Tons kommt bei Leander Haußmanns Film HOTEL LUX vermehrt vor. So werden beispielsweise die im Hotel Lux lebenden Kommunisten, die später Berühmtheit erlangen, bei erstmaligen Erscheinen im Film, durch den Protagonisten Zeisig kurz satirisch im Off-Screen mit einem Standbild vorgestellt und benannt.

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Pressespiegel zu HOTEL LUX [ ↑ ]
Die Komödie HOTEL LUX mit Michael Herbig in der Hauptrolle erntet harsche Kritik in vielen Filmrezensionen und nur selten Lob. Alexander Clammann, der den Fokus in seiner Filmkritik in der Zeit (28.10.2011) besonders auf die historischen Inhalte des Films legt, kann sich nur an wenigen Szenen erfreuen, wie etwa der stark überzeichneten Verfolgungsjagd und kritisiert Haußmanns Umsetzung im Allgemeinen. Sein Resümee: Die „Überblendung von historischer Realität […] mit burlesk-surrealem Showdown zeigt für einen Moment immerhin, was aus diesem Film hätte werden können, wenn womöglich jemand wie Helmut Dietl, der ursprünglich an diesem Film saß, weitergemacht hätte.“ Auch Claudia Lennsen kritisiert in der taz (28.10.2011) die Umsetzung der Komödie von Haußmann: „‘Hotel Lux’ lässt kein Klischeefeuerwerk, keine Gagmechanik aus, selbst der finale Flug nach Hollywood ist eine dreiste Happy-End-Umdeutung von ‘Casablanca’“. Sie kann den Humor des Films nur „mit viel Abstand zu den historischen Referenzen“ komisch finden. Positiver fällt die Kritik von Christian Buß auf Spiegel Online (25.10.2011) aus: „Die erste Viertelstunde von ‘Hotel Lux’ ist ein grandioses Schmierenkomödianten-Doppel, das ironisch die unterschiedlichen und doch immer ziemlich ähnlichen Verballhornungen Hitlers mitreflektiert.“ Besonders den Hauptdarsteller Michael Herbig lobt er, da er dem Film seine eigene Note aufgedrückt habe: „Der Diktatoren-Verwechslungsreigen bekommt gerade durch Herbigs unvermeidliche Öffnung in die Familienunterhaltung diesen heimtückisch heiteren Tonfall, der das Böse unterhalb der komischen Oberfläche zuweilen grausam zum Klingen bringt.“ In den Ruhrnachrichten (25.11.2011) wird Haußmanns Umsetzung jedoch abermals stark von Kai-Uwe Brinkmann kritisiert: „Die Tragikomödie ist die Königsdisziplin des Humors, doch Haußmann scheitert. Er findet keine Balance zwischen Komik und Schrecken, er trifft nicht den Ton. Der Witz bräuchte Tiefe, verläppert sich aber im Flachwasser.“ Michael Herbig bezeichnet er als „Fehlbesetzung“. Auch das Hamburger Abendblatt (27.10.2011) bewertet die Tragikomödie als „belanglos“ und David Ensikat vom Tagesspiegel (26.10.2011) nennt den Film „eine Nummernrevue, eine Aneinanderreihung von Szenen, die kein Ganzes ergeben.“ Immerhin dem Hauptdarsteller Herbig kann er etwas abgewinnen und beschreibt die Besetzung als „großartig“. Positiver fällt die Kritik zu HOTEL LUX von Anna Schmölz im FOCUS (27.10.2011) aus. Ihrer Meinung nach machen die „Wechsel zwischen Ernst und Spaß und die Unmöglichkeit, den Film einem bestimmten Genre zuzuordnen, […] seinen Reiz aus, sind aber gleichzeitig sehr ungewohnt.“ Insgesamt spielen viele Kritiker*innen auf Haußmanns eigene DDR-Vergangenheit an, die er in ihren Augen in den Film hat einfließen lassen. So zieht beispielsweiße Christian Bernd vom Deutschlandradio Kultur (25.10.2011) diesen Vergleich und zitiert in diesem Zusammenhang den Regisseur Haußmann zu seinen Erfahrungen in der DDR: „Ich bin ja in einem Haushalt groß geworden, der war ja wirklich nicht pro DDR, ganz im Gegenteil, und ohne Humor und sehr viel Ironie hätten wir das nicht durchgestanden […]“.

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Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück

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Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück [ ↑ ]
Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück von Leander Haußmann ist eine autobiografische Collage, die keiner Chronologie folgt, sondern zeitlich und inhaltlich springt und ganz assoziativ verschiedene Stationen und Ereignisse im Leben Leander Haußmanns miteinander verknüpft, wobei der Grundtenor des Textes ironisch ist. Alles in allem bietet Haußmann einen selbstironischen Rückblick auf sein bisheriges Leben, ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Immer wieder erklärt er, dass ihm bestimmte Situationen durch erhöhten Alkoholgenuss oder das Einatmen von Chemikalien bei der Arbeit an der Druckerpresse entfallen seien.
Haußmann berichtet von persönlichen Erlebnissen wie dem Verhältnis zu seiner Familie (er stammt aus einer Schauspielerfamilie – Vater und Großvater waren Schauspieler), von politischen Auseinandersetzungen mit dem System der DDR, von seiner Jugend und von seinen emotionalen Krisen, weswegen er etwa psychiatrische Hilfe wegen eines möglichen Burnouts gesucht hat. Gerade die ersten beiden Themen nehmen einen großen Platz in Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück ein. Bis zum Mauerfall lebte Leander Haußmann in der DDR und kritisiert deshalb in seinem Roman die Vorgaben und Einschränkungen durch die Regierung stark. Das erfolgt mit viel Feingefühl, indem Haußmann die Absurdität der Vorgaben aufzeigt und durch Sarkasmus unterstreicht. Bereits zu der Zeit, in die er sich für die einzelnen Passagen zurückversetzt, setzt Haußmann Zeichen gegen die Politik in der DDR, indem er Stücke auf provokante Weise umschreibt und beispielsweise Schauspieler als Volkspolizisten auftreten und sie strippen lässt. Solche Provokationen sorgen aber auch dafür, dass die Stasi ihn bespitzelt und dass Haußmann mehrfach auf behördliche Anweisung hin gekündigt wird.
Anekdotisch und humorvoll berichtet Leander Haußmann über die Beziehung zu seinem Vater Ezard Haußmann, die von ihrer Zusammenarbeit auf der Theaterbühne geprägt war, bei der Leander als Regisseur und Ezard als Schauspieler immer wieder aneinandergeraten, weil sie unterschiedliche Standpunkte vertreten. Ezard Haußmann tritt als Verfechter eher konservativer Vorstellungen auf und Leander Haußmann will dagegen experimentieren, denn er hat vor nichts mehr Angst  als vor der Langweile. Einzig bei einem Thema verzichtet Haußmann auf Ironie und das ist bei der Darstellung von der Krankheit und dem Tod seines Vaters; hier ist der Text ganz still und ernst. .
Im Text überwiegen aber die komischen-absurden Momente und Situationsschilderungen. Aufgelöst werden solche Situation stets auf der Metaebene, indem sich Leander Haußmann direkt an den Leser wendet, und die häufig absurden Situationen reflektiert und durch eine Pointe entschärft. Auch hier, in der Textdramaturgie, zeigt sich, dass Haußmann wie in seinen Theaterarbeiten Langeweile aufkommen lassen will. Dies gelingt durch die durchgängige Ironie und die Schonungslosigkeit, mit der der Autor sowohl sich selbst als auch die Personen und Ereignisse behandelt, von denen er erzählt. Insbesondere seine beruflichen Verfehlungen rund um das Theater, die dem Buch seinen Titel geben, beschreibt Haußmann ohne jede Beschönigung. Nicht, dass er keine Erfolge gefeiert hätte, aber seine Niederlagen erweisen sich als viel produktiver und lehrreicher für Haußmann. Den häufig erfahrenen Hohn und Spott wendet er in Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück in Ironie; das Buch muss daher nicht zuletzt als Erwiderung an seinen Kritiker verstanden werden.

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Thematische Aspekte zu Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück [ ↑ ]

Karikatur von politischen Systemen
In seinem Roman Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück behandelt Leander Haußmann die Auswirkungen, die das Aufwachsen und Leben in der DDR für ihn hatten. Dabei greift Haußmann dieses Thema nicht nur auf, sondern übt explizit Kritik am System. Beginnend damit, dass dargestellt wird, wie sich Leander Haußmanns Vater Ezard Haußmann vor dem Mauerbau für ein Leben in der DDR entscheidet und sich dafür noch Jahre später entschuldigt angesichts der diktatorischen Umsetzung seiner kommunistischer Ideale in dem DDR-Regime. Aber auch Leander Haußmann selbst macht Erfahrungen mit dem politischen System der DDR – sowohl privat als auch künstlerisch. Eine der ersten Begegnungen mit dem politischen System beschreibt Haußmann zu einer Zeit, als er selbst im Theater von Parchim spielt. Aufgrund von politisch nicht geduldeten Vorgängen wird sein Freund Uwe aus dem Theater entlassen. Dagegen protestiert Haußmann, indem er sich auf der Bühne auf einen Baum aus Pappe setzt, der als Dekoration für das Stück dient. Bevor sein Kollege nicht wieder eingestellt werde, würde er diesen nicht verlassen und stattdessen besetzen. Durch Kommentare wie „Soll mich die Stasi holen, dann komm ich endlich raus aus diesem Scheißland" (S. 36) unterstreicht Haußmann seine negative Einstellung zur DDR, was letztlich dazu führt, dass er tagelang von der Stasi gesucht wird. Doch abgeschreckt hat Haußmann die Folge seines Handelns nicht; auch nicht die Tatsache, dass Angestellte des Theaters ihn im Namen der Partei ausspionieren. Derartige Vorkommnisse schildert Haußmann mit ironischen Kommentaren.  Um trotz der Überwachung Kritik an der DDR auf die Bühne zu bringen, arbeitet er mit Lautspielerein, wenn er die Schauspieler beispielsweise auffordert „Scheißten“ zu sagen, was, wenn man es schnell spricht wie „Scheiß Osten“ (S. 65) klingen kann. Solche akustischen Tricks konnten  aber nicht geahndet werden kann, wenn der Text selbst war ja unverdächtig. Asl weitere satirische und provokante Elemente finden sich in Haußmanns Arbeiten strippende Volkspolizisten, Sexszenen und eine durchgängige Ironie, die immer auf das Leben in der DDR abzielen. All diese künstlerischen Entscheidungen führen dazu, dass Haußmann schließlich seinen Job verliert, als ihn der Intendant auf Nachdruck und Verlangen der Partei entlässt. Auch außerhalb des Theaters rebelliert Haußmann gegen das System, wird in Friedrichshafen gemeinsam mit seinem Freund Uwe beschattet und erhält keine Bewilligung seines Ausreiseantrags. Erst der Mauerfall führt dazu, dass Haußmann wieder frei arbeiten kann.

Familie
Auch in Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück greift Leander Haußmann das Thema Familie auf – genauer gesagt schreibt er von seiner eigenen Familie. Seinen Fokus legt Leander Haußmann dabei auf das Verhältnis zu seinem Vater Ezard. Beginnend mit Erfahrungen aus Leander Haußmanns Kindheit beschreibt er zahlreiche Situationen mit seinem Vater, die im Unterschied zum sonst ironischen Ton des Buches eher ernst gehalten sind. So will sich Ezard Haußmann nach dem Tod Hitlers – und damit noch weit vor der Geburt seines Sohnes – gemeinsam mit Freunden suizidieren, entscheidet sich aber kurz vor der Tat doch dagegen, während sich seine Freunde umbringen. Auch im Folgenden sind die Passagen, die das Verhältnis zum Vater behandeln, eher gemessen angelegt. So beschreibt Haußmann, wie sich sein Vater vor dem Mauerbau für einen Verbleib in der DDR entscheidet und sich noch Jahre später für diese Entscheidung entschuldigt. Aber auch intime und bedrückende Passagen rund um den Vater finden sich, wie zum Beispiel ein Kapitel, in welchem die Familie von der Krebskrankheit des Vaters erfährt und Leander Haußmann die Entwicklung und den Fortgang der Krankheit beschreibt – bis zum Tod. Doch längst nicht alle Passagen zum Thema Familie sind so ernst, wie die beschriebenen, denn auch hier kann Leander Haußmann den humoristischen Ton anschlagen, der den Rest des Buches prägt. So beschreibt er die Zusammenarbeit mit seinem Vater beim Stück Don Carlos, bei dem Leander Haußmann Regie führt und Ezard sich strikt weigert, sich „an den Sack“ (S. 186) zu fassen. Generell sind die Erzählungen zum Thema Familie dadurch geprägt, dass Leander Haußmann durch diese zum Theater gekommen ist. Denn nicht nur sein Vater war Schauspieler, sondern auch sein Großvater Erich Haußmann, der zudem eine Filmproduktionsfirma gründete. Leander Haußmanns Mutter, Doris Haußmann, kommt ebenfalls aus dem Theater, in welchem sie Kostümbildnerin war. Aber auch durch seine Großmutter (Ruth Wenger) hatte Familie Haußmann bereits Kontakt zu Künstlern, denn sie, so deutet es Leander Haußmann an, führte eine Beziehung zu Hermann Hesse, die allerdings nicht weiter thematisiert wird.

Theater
Wie viele andere Themenkomplexe auch, die in Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück angesprochen werden, überschneiden sich die Ausschnitt zum Theater mit anderen Themen. In diesem Falle betrifft das zumeist die Themen Familie und Politik, die Haußmann mit seinen Erfahrungen am Theater zusammenbringt. Letztere beschäftigen sich insbesondere mit den Niederlagen, die Leander Haußmann in seiner Zeit als Schauspieler und Regisseur erlebt hat, die zugleich Verantwortlich für den Titel des Buches sind. Zeitlich beginnt Haußmann mit Erzählungen aus seiner Zeit als Student an der Hochschule für Schauspielkunst in Berlin. Dort musste er am Ende des vierten Studienjahres vor einem, wie er es nennt, "Sklavenmarkt" vorspielen (S. 52). Gemeint ist damit eine Probe, zu der alle wichtigen Intendanten des Landes anreisten, um den Berliner Schauspiel-Nachwuchs zu begutachten. Nach einem verpatzten ersten Auftritt schwor sich Haußmann beim zweiten Auftritt einen "Goethe hinzuknattern, der sich gewaschen hatte" (S. 53). Trotz vorherigen Erfolgen auf zahlreichen Bühnen in der DDR mit Pink-Floyd-Musik und viel Glitzerstaub floppte auch die Faust-Umsetzung und endete mit den Worten "Das ist Scheiße, Jungs", vom Dresdener Intendanten (S. 57). Trotz diesem ersten metaphorischen "Buh" ließ sich Leander Haußmann nicht vom Schauspielen abbringen und versuchte sein Glück später auch als Regisseur. Doch auch diese Erzählungen sind in der Autobiografie geprägt von Rückschlägen und persönlichen Niederlagen des Autors. Dazu gehört unter anderem die Aufführung des Stücks Fledermaus im Münchner Nationaltheater, bei der sich die Premierenbesucher so unzufrieden zeigten, dass sie sich nach ausgiebigen Buhs und Pfiffen noch im Theater zu einer großen Schlägerei verleiten ließen. Doch nicht nur die zahlenden Gäste zeigten sich unzufrieden, sondern auch der Intendant der Wiener Staatsoper, der noch am selben Abend einen kurzen Brief für Haußmann hinterließ: „Herr Haußmann, Sie können es nicht. Bitte nehmen Sie Abstand von der Inszenierung >Lustige Witwe< an der Wiener Staatsoper“ (S. 236). Eine Aussage, die fast schon stellvertretend für die Darstellung von Haußmanns Karriere in Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück Ist. In mehreren Passagen beschreibt Haußmann nämlich die Reaktion von Intendanten und spart damit nicht an Kritik, die er über sich selbst ergehen lassen musste. Dargestellt werden diese allerdings zu keinem Zeitpunkt so, als sei es ein Fiasko für ihn gewesen. Vielmehr sollen auch die Szenen für Unterhaltung bei den LeserInnen sorgen und diese im besten Fall zum Schmunzeln bringen, was auch an zahlreichen Stellen gelingt.
Positive Beschreibungen integriert der Autor bei diesem Thema hingegen ausschließlich, wenn es um persönliche Erfolge auf der Bühne geht, die sich mit der Politik beschäftigen. Immer wieder versuchte Haußmann während seiner Zeit in der DDR über die Präsentation eines Stückes politische Statements zu vermitteln und damit, mehr oder weniger unterschwellige, Kritik am System zu üben. So geschehen bei einem Stück, bei dem er auf der Bühne einen inszenierten Bundespolizisten strippen und diesen das Wort „Scheißten“, ein Code-Wort für „Scheiß Osten“, sagen lässt – und das vor Hunderten von Volkspolizisten im Publikum, die für eine DDR-konforme Umsetzung sollten (S.65). Neben der Freude über das politische Statement, das er bei dieser Aufführung setzen konnte, sollen auch die Bundespolizisten im Publikum zur Musik getanzt haben, sodass die positive Umsetzung unterstrichen wird.

Autobiografische Aspekte
Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück ist eine Autobiografie von Leander Haußmann, sodass die unterschiedlichen, in diesem Lexikoneintrag aufgezeigten, Themenblöcke des Buches alle von autobiografischen Informationen geprägt sind. Welche Bereiche im Buch detailgetreu der Realität entsprechen und welche durch fiktionale Beschreibungen erweitert oder verändert worden sind, ist hingegen nicht klar für die LeserInnen erkennbar. Deutlich skizziert Haußmann, neben den bereits beschriebenen Themen in Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück, sein Heranwachsen – und zwar aus einer rückblickenden Position, die er einnimmt, während er dieselbe Geschichte einem Psychiater erzählt. Während dieser Dialoge gibt Haußmann persönliche Gefühlseindrücke wieder, auch wenn er immer versucht den Fragen des Psychologen auszuweichen. Trotzdem erhalten die LeserInnen Eindrucke davon, was sich hinter der sonst als hart dargestellten Fassade verbirgt. Dazu trägt auch bei, dass Leander Haußmann von seinem Aufenthalt in einer Psychiatrie wegen eines vermeintlichen Burnout-Syndroms berichtet sowie von Gesprächen, die er mit Doktoren und Mitpatienten darüber und über seine Gefühle im Generellen führt. In diesen Passagen wirkt die Schreibweise ernst und nicht darauf ausgelegt, unbedingt eine Pointe erzwingen zu wollen.
Positiver konnotiert sind hingegen die Passagen, in denen Leander Haußmann von seiner beruflichen Vergangenheit vor dem Theater schreibt. Zu jener Zeit arbeitete er als Lehrling in einer Druckerei. In launig geschriebenen Passagen schreibt Hoffmann vom täglichen Kampf an seiner Druckerpresse und von einem Rausch durch ausgelaufene Farbe und deren Dämpfe.

Berlin
Auch in Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück thematisiert Leander Haußmann die Stadt Berlin, die auch für ihn einen besonderen Stellenwert besitzt. Politisch gesehen stand dort zu weiten Teilen seines Lebens die Berliner Mauer, die ihn von seinem geografischen Ziel, dem Westen, trennte, weil sich sein Vater in der Vergangenheit für ein Leben in der DDR entschied. Andererseits stellt Berlin auch den Anfangspunkt seiner Karriere als Schauspieler dar. So besuchte Haußmann in Berlin die Hochschule für Schauspielkunst und erlebte bereits dort das ein oder andere Fiasko. Trotzdem schreibt Haußmann von sich selbst, dass er in Berlin verwurzelt sei. Auf die genauen Ursachen dessen geht Haußmann in Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück allerdings nicht ein. Um seine umtriebige Zeit als Schauspieler und Regisseur darzustellen, spielt das Buch in zahlreichen unterschiedlichen Städten wie München, Gera und Bochum. Andere Aufenthaltsorte sind hingegen nicht konkret genannt, wie beispielsweise die Suchtklinik, in der Haußmann behandelt wurde, die wohl in Berlin zu sein scheint.

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Formale Aspekte zu Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück [ ↑ ]

Ironie
In Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück findet sich die Ironie als zentrales Element, denn Haußmann  geht selbstironisch mit seiner eigenen Vergangenheit um – und dabei insbesondere mit den Niederlagen, die er auf der Bühne erlebt hat.

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Pressespiegel zu Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück [ ↑ ]
Leander Haußmanns Autobiografie Buh. Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück erntet insgesamt viel Lob. Der Regisseur hat seine kleinteilig und kurzweilig erzählte Autobiographie vor allem als Beschreibung eines vielfachen Scheiterns angelegt (Haußmann im Interview mit Kühlem, RP-Online, 02.01.2014). Diese Idee wird als besonders gelungen gewertet.
Haußmann erweise sich als „großes erzählerisches Talent, mit Gefühl für Sprache und einschlägige stilistische Mittel und Tricks. Er hat Gespür für Rhythmus, schafft Kontemplationsraum, treibt das Tempo“ (Marion Petrzck, neues deutschland, 28.12.2013). Er halte die Balance zwischen Slapstick und Ernst. Das Memoirenbüchlein sei eine Liebeserklärung an die Familie, so schreibt Petrzck weiter.
Georg Leisten schreibt in der Südwest Presse (11.12.2013): „Schon der Titel des kurzweiligen Memoirenbandes verrät es: Mit offenem Visier stellt sich Haußmann seinen Niederlagen, weil gerade diese das Potenzial zur Komik bergen. Und weil er im Einstecken ebenso gut ist wie im Austeilen.“ Das Buch gönne sich neben Theaterkatastrophen und Verbalraufereien aber auch Rückzugsräume der privaten Reflexion.
Es präsentiere weniger eine kohärente Erzählung als vielmehr einen groß angelegten Witz mit einigen ernsten Passagen. Haußmann schwelge in wunderbar spöttischen Geschichten und Sottisen und schüttele gut gelaunt am Laufband köstliche Geschichten und amüsante Anekdoten aus dem Ärmel (BÜHNE, Dezember 2013). Diese vermiedene Kohärenz ist auch das, was andere Zeitschriften und Zeitungen positiv beurteilen. So schreibt Barbara Burckhardt für Theater heute (Heft 12, Dezember 2013) von einem „lässigen, furios jede Chronologie vermeidenden, jede Pointe schamlos vereinnahmenden Anekdotengewitter aus einem lustvoll alles vergeigenden Dasein. […] Das wird genüsslich, gnadenlos selbstironisch und in hektischen Assoziationssprüngen ausgemalt […]“. Dieser positiven Beurteilung der lockeren Geschichten- und Anekdotensammlung, die forsch und munter gegen die Routine und Langeweile im Leben und auf der Bühne angehe, schließt sich Annerose Kirchner von der Ostthüringer Zeitung (22.11.2013) an. Eva Behrendt formuliert es im Deutschlandradio Kultur (08.11.2013) wie folgt: „Fast jedes Kapitel eröffnet mit einer dramatischen Szene, deren Vorgeschichte und Nachwehen in scharf geschnittenen, mal elegant komponierten, dann wieder verschachtelten Rückblicken aufgeschlossen wird, um in letzter Sekunde wieder auf die schon aus den Augen verlorene Eingangsszene aufzuspringen und dort noch eine sichere Pointe zu landen.“ Haußmann sei ein Anekdotenartist, dessen Angst vor Langeweile sich tief in das Buch gefressen habe.
Dem Titel entsprechend konzentriere Haußmann sich daher stärker auf die Niederlagen und beschreibe verschiedene Desaster in seinem Leben (vgl. Christine Dössel, Süddeutsche Zeitung, 20.10.2013). „Von seinen Erfolgsfilmen ‚Sonnenallee‘ und ‚Herr Lehmann‘ ist noch weniger die Rede. […]. Geschrieben aus der Angst heraus, zu langweilen ist es ziemlich unterhaltsam. Aber irgendwie auch dünn. Bleibt viel Material übrig für die Alters-Memoiren“ (ebd.). Auuch Inge Wünnenberg (SO.Buch, 29.09.2013) merkt kritisch an: „Dennoch bleiben diese Memoiren eines Mannes in der Midlife-Crisis in vielem an der Oberfläche, im Anekdotischen stecken. Und bei allem Exhibitionismus, den Haußmann auf den 272 Seiten betreibt: Außer einer gewissen Nabelschau erfährt der Leser nicht viel über den Menschen, sein privates Leben oder seine Familie.“
In vielen weiteren Artikeln aus dem Spiegel (Sonja Hartwig, Heft 42, 07.10.2013), der Frankfurter Rundschau (Ulrich Seidler, 06.10.2013), der Sächsischen Zeitung (Johanna Lemke, 27.09.2013) oder dem Tagesspiegel (Christine Wahl, 02.10.2013) wird das Anekdotische und Sprunghafte der einzelnen Szenen gelobt, die Auslassungen der hoch gefeierten Inszenierungen thematisiert, aber nicht stark kritisiert und die Hoffnung auf ein weiteres Memoirenbuch im Alter formuliert.
Um es abschließend mit den Worten von Reinhard Wengierek in seinem Blog (Lustaufkultur, 2013) zu schreiben: „Dieser Mann kann es – als federleichter Feuilletonist seiner verrückt schäumenden Daseinsgeschichte. Enormes Lesevergnügen. Frei von Schreibschweiß; fast frei von Koketterie. Leander lässt es einfach loofen. Und es läuft und läuft. Aber es läuft niemals über. Ein souveränes Kunststück. Bravo ‚Buh‘.“

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