Dissertationsprojekt Alina Behrendt

Kurzfassung Dissertationsvorhaben Messung chemiebezogener Kompetenzen am Übergang von der Primarstufe zur Sekundarstufe I

Der Übergang vom Sachunterricht der Grundschule zum Chemieunterricht der Sekundarstufe I ist durch grundlegende Unterschiede zwischen diesen beiden Fächern geprägt (Pollmeier, Walper, Lange, Kleickmann & Möller, 2014). In der Grundschule werden chemische Inhalte im Rahmen einer in den Sachunterricht integrierten naturwissenschaftlichen Perspektive aufgegriffen, während sie in der Sekundarstufe I in einem Chemieunterricht als einzelne Disziplin oder auch in einem integrierten naturwissenschaftlichen Unterricht zu finden sind (Möller, 2014). Nach Ende der vierjährigen Grundschulzeit mit dem Fach Sachunterricht setzt in Nordrhein-Westfalen der Fachunterricht Chemie in der weiterführenden Schule in der Regel frühestens mit Beginn der Jahrgangsstufe 7 ein. Zuvor werden in den Jahrgangsstufen 5 und 6 häufig die Fächer Biologie und Physik unterrichtet, sodass chemische Inhalte in diesen Jahrgangsstufen gar nicht vorkommen. An Gesamtschulen kann in den genannten Jahrgangsstufen stattdessen jedoch auch ein integrierter naturwissenschaftlicher Unterricht durchgeführt werden, der auch chemische Inhalte enthält (MSW NRW, 2013), sodass die Übergangsphase auf zwei Arten gestaltet sein kann. In beiden Fällen umfasst die Übergangsphase zwischen Sachunterricht und Chemie einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren.

Trotz der Unterschiede zwischen den Fächern Sachunterricht und Chemie und der langen und unterschiedlich gestalteten Übergangsphase zwischen diesen sollten neue chemische Inhalte im Sinne des kumulativen Lernens effizient in das bestehende Wissensnetz der Lernenden integriert werden (Fischer, Glemnitz, Kauertz & Sumfleth, 2007). Dieses kumulative Lernen wird nicht nur im Fach Chemie selbst, sondern auch über die Grenzen der Schulstufen und Fächer hinweg angestrebt. Das im Sachunterricht bereits erworbene Wissen sollte dabei mit den neuen schulischen Anforderungen im Fach Chemie in Verbindung gebracht werden, um eine getrennte Abspeicherung des Wissens und damit einhergehende Brüche im Wissensaufbau zu vermeiden (Hempel, 2010). Betrachtet man die Lehrpläne für die Fächer Sachunterricht und Chemie in Nordrhein-Westfalen, so finden sich bezogen auf die Inhalte «Verbrennung», «Aggregatzustände», «Stoffeigenschaften», «Lösungsvorgänge» und «Energie» Kompetenzformulierungen sowohl für die Primarstufe als auch für die Sekundarstufe I (MSW NRW, 2013; 2008). Auf curricularer Ebene scheinen also günstige Voraussetzungen für die angestrebten kumulativen Lernprozesse vorzuliegen. Dennoch geben die Ergebnisse verschiedener Schulleistungsstudien Hinweise darauf, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler die Übergangsphase zwischen dem naturwissenschaftlichen Sachunterricht und den daran anknüpfenden naturwissenschaftlichen Fachdisziplinen wie der Chemie bezogen auf die Kompetenzentwicklung erfolgreich bewältigen. So erreichten beispielsweise in der TIMS-Studie 2015 78,4 % der Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland ein mittleres bis hohes Kompetenzniveau in den Naturwissenschaften (Bos, Wendt, Köller, Selter, Schwippert & Kasper, 2016). In der PISA-Studie 2015 befanden sich jedoch nur 60,3 % der 15-Jährigen in Deutschland auf einem vergleichbaren Kompetenzniveau in den Naturwissenschaften (OECD, 2016). Ähnliches zeigt der IQB-Bildungstrend aus dem Jahr 2018 für das Fach Chemie. Dort erreichten im Kompetenzbereich Fachwissen 56,1 % und im Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung 63,6 % der Schülerinnen und Schüler in Deutschland die Regelstandards, in Nordrhein-Westfalen waren es sogar nur 50,4 % im Kompetenzbereich Fachwissen und 60,0 % im Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung (Weirich, Becker & Holtmann, 2019).

Die beschriebenen Ergebnisse der verschiedenen Schulleistungsstudien geben jeweils einen Überblick über den Kompetenzstand der Schülerinnen und Schüler in den Naturwissenschaften oder im Fach Chemie im Allgemeinen vor oder nach der Übergangsphase zwischen Sachunterricht und Chemie. Über welche der erwarteten chemiebezogenen Kompetenzen Schülerinnen und Schüler jedoch zum Ende der Grundschulzeit sowie zu verschiedenen Zeitpunkten während und unmittelbar nach dieser zweijährigen Übergangsphase zum Chemieunterricht verfügen, wurde bislang wenig untersucht. Hieran knüpft das Promotionsprojekt an.

Zur Messung der chemiebezogenen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der Übergangsphase wurde in Vorarbeiten ein Paper-Pencil-Test mit Multiple-Choice-Items entwickelt, welcher das Fachwissen fokussiert. Dieser wurde in der vierten Jahrgangsstufe erprobt und mithilfe von IRT-Analysen hinsichtlich statistischer Qualitätsmerkmale analysiert. Der Test wurde anschließend weiterentwickelt und um Items zu den prozessbezogenen Kompetenzen ergänzt. Die Zuordnung der entwickelten Items zu den verschiedenen Kompetenzbereichen des Faches Chemie wurde mithilfe eines Expertenratings überprüft. Das daraus resultierende Testinstrument wurde zunächst im Rahmen einer Pilotierung in den Jahrgangsstufen 4 bis 8 eingesetzt. Mithilfe von IRT-Analysen wurde die Qualität des weiterentwickelten Testinstruments erneut überprüft. Nach weiteren Optimierungen wurde es in der Hauptstudie dazu genutzt, die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in den Jahrgangsstufen 5 bis 8 zu erfassen. Ziel des Promotionsprojektes ist eine Beschreibung der chemiebezogenen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern zu verschiedenen Zeitpunkten während und unmittelbar nach der Übergangsphase zwischen dem Sachunterricht und dem Chemieunterricht. Dabei können auch Schulen mit und ohne einen integrierten naturwissenschaftlichen Unterricht in den Jahrgangsstufen 5 und 6 einander gegenübergestellt werden.

 

Literatur:

Bos, W., Wendt, H., Köller, O., Selter, C., Schwippert, K. & Kasper, D. (2016). TIMSS 2015: Wichtige Ergebnisse im Überblick. In H. Wendt, W. Bos, C. Selter, O. Köller, K. Schwippert & D. Kasper (Hrsg.), TIMSS 2015. Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich (S. 13–29). Münster: Waxmann Verlag.

Fischer, H. E., Glemnitz, I., Kauertz, A. & Sumfleth, E. (2007). Auf Wissen aufbauen - kumulatives Lernen in Chemie und Physik. In E. Kircher, R. Girwidz & P. Häußler (Hrsg.), Physikdidaktik. Theorie und Praxis (S. 657– 678). Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag Berlin Heidelberg.

Hempel, M. (2010). Zur Anschlussfähigkeit der Sachfächer an den Sachunterricht - eine Erkundungsstudie. In H. Giest & D. Pech (Hrsg.), Anschlussfähige Bildung im Sachunterricht (Probleme und Perspektiven des Sachunterrichts, Band 20) (S. 75–82). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen. (2008). Lehrplan Sachunterricht für die Grundschulen des Landes Nordrhein-Westfalen. Frechen: Ritterbach.

Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen. (2013). Kernlehrplan für die Gesamtschule – Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen. Naturwissenschaften. Biologie, Chemie, Physik. 2. Auflage. Frechen: Ritterbach.

Möller, K. (2014). Vom naturwissenschaftlichen Sachunterricht zum Fachunterricht - Der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften (20), 33–43.

Pollmeier, K., Walper, L. M., Lange, K., Kleickmann, T. & Möller, K. (2014). Vom Sachunterricht zum Fachunterricht - Physikbezogener Unterricht und Interessen im Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe. Zeitschrift für Grundschulforschung, 7 (2), 129–145.

OECD (2016). PISA 2015 Ergebnisse (Band I): Exzellenz und Chancengerechtigkeit in der Bildung. OECD. PISA. Verfügbar unter: http://dx.doi.org/10.1787/9789264267879-de.

Weirich, S., Becker, B. & Holtmann, M. (2019). Kompetenzstufenbesetzungen in den naturwissenschaftlichen Fächern. In P. Stanat, S. Schipolowski, N. Mahler, S. Weirich & S. Henschel (Hrsg.), IQB-Bildungstrend 2018. Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I im zweiten Ländervergleich (S. 169–199). Münster: Waxmann.