Dissertationsprojekt André Kolbe

Entwicklung und empirische Prüfung der Lernwirksamkeit digitaler Module zur guten wissenschaftlichen Praxis (GWP) im Fach Chemie

Ausgangslage und theoretischer Hintergrund

Gute wissenschaftliche Praxis (GWP) ist die Grundlage der Vertrauenswürdigkeit der Wissenschaft. 1998 reagierte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit der Veröffentlichung von Leitlinien zur Sicherung der GWP auf einen besonders schwerwiegenden Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens (All European Academies, 2017). Die Leitlinien der DFG beschäftigen sich insbesondere mit (a) der wissenschaftlichen Arbeitspraxis, (b) der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, (c) der institutionellen Organisationsstruktur sowie (d) den zu etablierenden Verfahren an Hochschulen und Forschungseinrichtungen und werden von der DFG kontinuierlich aktualisiert (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2022). Für Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen verbindliche institutionelle Regeln für die Sicherung der GWP etabliert und Anlaufstellen mit Vertrauens- bzw. Ombudspersonen eingerichtet werden. Weiterhin sollen Verfahren zum Umgang mit Vorwürfen möglichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens und Sanktionierungsmöglichkeiten bei nachgewiesenen Fehlverhalten entwickelt werden (Dumpitak, 2019). Die DFG zielt daher auf die Verankerung einer verbindlichen Kultur wissenschaftlicher Integrität in Hochschulen und Forschungseinrichtungen ab (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2022). In NRW ist zusätzlich im Hochschulgesetz die Gewährleistung der GWP als Aufgaben der Hochschule verankert (Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, 2014). Daher ist es essentiell schon während des Studiums angehenden Wissenschaftler/-innen die Grundlagen guter wissenschaftlicher Praxis und damit eine Wissenschaftskultur zu vermitteln.

Fuerholzer et al. (2020) entwickelten für Medizinstudierenden in Deutschland Kurse für die Vermittlung der GWP und konnten zeigen, dass ihre Intervention bei den Studierenden zu signifikanten Veränderung in Bezug auf das Wissen und die Einstellungen zu den grundlegenden Regelungen und Richtlinien der GWP führten. Für die naturwissenschaftlichen Fächer fehlen flächendeckende Module zur GWP, ebenso wie Erkenntnisse über lernwirksame Merkmale solcher Module.

Damnik et al. (2018) konnten zeigen, dass digitale Lernmaterialen mit Multimedialität einen deutlichen Mehrwert bezüglich der Lernwirksamkeit zu klassischen paper-pencil Lernmaterialien bieten und motivationaler und organisatorischer Anreiz für eine tiefere Auseinandersetzung sein können. Besonders interaktiv gestaltete Lernmaterialen können Vorteile für die Effektivität und Effizienz des Lernens bringen und zu einem tieferen konzeptuellen Verständnis führen (Baumgartner & Herber, 2013). Die Effizienz eines Lernprozesses hängt dabei stark von den Bedingungen ab, welche eine Interaktion zwischen Lernumgebungen und Lernenden ermöglichen (Niegemann & Heidig, 2020). Beispielsweise sollte beim Einsatz von Lernvideos in einer digitalen Lernumgebung generative Aktivitäten, die eine aktive Auseinandersetzung herbeiführen, in die Lernumgebung integriert werden (Fiorella, 2021), damit die Lernenden nicht in eine passive Rolle verfallen (Buchner et al., 2018). Jedoch wurde bisher noch nicht untersucht, ob digitale Selbstlernmaterialien, die durch Multimedialität und Interaktivität geprägt sind, den Erwerb von GWP unterstützen.

Ziel und Forschungsfragen

In einem Kooperationsprojekt der Universität Duisburg-Essen mit der HHU Düsseldorf und der TU Dortmund sollen GWP-Module für die Naturwissenschaften entwickelt und empirisch geprüft werden.

Ziel des Kooperationsprojektes ist es, drei digitale Lernmodule als Open Educational Resources (OER) zur Vermittlung der GWP in den Naturwissenschaften für Bachelor-, Master- und Promotionsstudierende zu entwickeln und zu evaluieren. Die Entwicklung der Lernmodule soll mit Bezug zu den multimedialen Gestaltungsprinzipien der Cognitive Theory of Multimedia Learning (CTML) nach Mayer und Fiorella (2022) erfolgen, da sie Lernprozesse unterstützen, die auf ein tieferes Verständnis zielen. Dabei sollen folgende Forschungsfragen untersucht werden:

FF1:       Inwiefern kann mit den digitalen Lernmodulen der Erwerb GWP bei Studierenden gefördert werden?

FF2:       Inwiefern unterscheiden sich digitale Lernmodule mit interaktiven Lernvideos von Lernmodulen ohne interaktive Lernvideos hinsichtlich ihrer Lernwirksamkeit und ihrer wahrgenommenen Nützlichkeit?

Studiendesign und Methode

Die Forschungsfragen sollen in einer Studie mit Studierenden der Fakultät für Chemie in den Ba-, Ma- und Promotionsstudiengängen im Pre-Post-Kontrollgruppen-Design untersucht werden. Für die Intervention wird eine Stichprobengröße von 150 Studierenden angestrebt. Die Lernwirksamkeit der Lernmodule soll mittels selbst entwickeltem Leistungstest zur Erfassung GWP im Multiple-Choice-Single-Select-Format quantitativ überprüft werden. Ergänzend sollen vorstrukturierte Interviews eingesetzt werden, um die wahrgenommene Nützlichkeit der Lernmodule mit und ohne interaktive Lernvideos vergleichend zu überprüfen.

Ertrag des Projekts

Der praktische Ertrag des Projektes liegt in der Entwicklung modularer Lerneinheiten unter CC-By Lizenz, welche individuell zu GWP-Modulen zusammengestellt und in bestehende Curricula integriert werden können. Die Lernmodule werden dabei über Orca.nrw zur Verfügung gestellt und können so von allen Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften nachgenutzt und angepasst werden. Weiterhin liefert das Projekt Erkenntnisse über die Lernwirksamkeit und wahrgenommene Nützlichkeit von interaktiven Lernvideos in Selbstlernmaterialien zur Vermittlung von GWP.

 

Literaturverzeichnis

All European Academies. (2017). The European Code of Conduct for Research Integrity (Revised Edition). ALLEA.

Baumgartner, P. & Herber, E. (2013). Höhere Lernqualität durch interaktive Medien? - Eine kritische Reflexion. Erziehung und Unterricht, 327–335.

Buchner, J., Freisleben-Teutscher, C. F. & Bülles, O. (2018). Potentiale interaktiver Videos für das Inverted Classroom Model. In J. Buchner, C. F. Freisleben-Teutscher, J. Haag & E. Rauscher (Hrsg.), Inverted classroom, vielfältiges Lernen: Begleitband zur Konferenz Inverted Classroom and Beyond 2018, FH St. Pölten, 20. & 21. Februar 2018 (1. Aufl., S. 67–76). ikon VerlagsGesmbH.

Damnik, G., Gierl, M., Proske, A., Körndle, H. & Narciss, S. (2018). Automatische Erzeugung von Aufgaben als Mittel zur Erhöhung von Interaktivität und Adaptivität in digitalen Lernressourcen. E-Learning Symposium, 5–16.

Deutsche Forschungsgemeinschaft (2022). Guidelines for Safeguarding Good Research Practice. Code of Conduct. Vorab-Onlinepublikation. https://doi.org/10.5281/zenodo.6472827

Dumpitak, C. (2019). Institutionelle Förderung einer Kultur guter wissenschaftlicher Praxis - am Beispiel der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. In J. Kohle, P. Pohlenz & U. Schmidt (Hrsg.), Handbuch Qualität in Studium, Lehre und Forschung [Teil] E. Methoden und Verfahren des Qualitätsmanagements (S. 19–52).

Fiorella, L. (2021). Multimedia Learning with Instructional Video. In R. E. Mayer & L. Fiorella (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Multimedia Learning (S. 487–497). Cambridge University Press.

Fuerholzer, K., Schochow, M. & Steger, F. (2020). Good Scientific Practice: Developing a Curriculum for Medical Students in Germany. Science and Engineering Ethics(26), 127–139. https://doi.org/10.1007/s11948-018-0076-7

Mayer, R. E. & Fiorella, L. (2022). The Cambridge Handbook of Multimedia Learning. Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/9781108894333

Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen. (2014). Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen. https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_detail?sg=0&menu=0&bes_id=28364&anw_nr=2&aufgehoben=N&det_id=531111

Niegemann, H. & Heidig, S. (2020). Interaktivität und Adaptivität in multimedialen Lernumgebungen. In H. Niegemann & A. Weinberger (Hrsg.), Handbuch Bildungstechnologie: Konzeption und Einsatz digitaler Lernumgebungen (S. 343–367). Springer Nature. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54368-9_33