Prof. Dr. Gerd Gigerenzer - Risikokompetenz: Bildung im digitalen Zeitalter

Digitale Risikokompetenz ist die Fähigkeit, die Chancen und Risiken von digitalen Technologien zu verstehen und auch entschlossen zu sein, in einer von Algorithmen bevölkerten Welt die Kontrolle zu behalten. Beispielsweise werden weltweit Milliarden investiert, um Tablets und Whiteboards in Klassenzimmer zu bringen, aber kaum etwas in die Risikokompetenz der Jugendlichen. Folglich zeigen Studien in den USA und Deutschland, dass die Mehrzahl der Digital Natives nicht weiß, wie man die Vertrauenswürdigkeit einer Webseite beurteilt, Fakten von Meinungen unterscheidet, oder auch nur Nachrichten von Werbung. Ob Tablets die Leistung der Schüler verbessern, ist dagegen empirisch umstritten. Auf der gesellschaftlichen Ebene versuchen Tech-Unternehmen und Staaten zunehmend das Verhalten der Bürger vorherzusagen und zu steuern, etwa mittels Big-Nudging Wahlen zu beeinflussen oder mittels sozialer Kreditsysteme autokratische Regierungen zu festigen. In diesem Vortrag werde ich argumentieren, dass der derzeitige Fokus der Bildungspolitik auf die Bereitstellung von Geräten und schnellem Internet sich verändern muss, und zwar hin auf die Ausbildung der Risikokompetenz von Lehrern und Schülern. Wir brauchen mehr Programme welche digitale Risikokompetenz vermitteln, einschließlich (i) dem Erlernen von intelligenten Heuristiken, die helfen, Vertrauenswürdigkeit im Netz zu beurteilen und Fakten von Fakes zu unterscheiden, (ii) die Kenntnis der Geschäftsmodelle von sozialen Medien (wie „pay with your data“) und deren Folgen für die Nutzer, und (iii) das Verstehen der Steuerung des Verhaltens und der Emotionen der Nutzer durch das psychologische Design von Plattformen. Diese kognitiven Kompetenzen benötigen aber auch den Willen, die Fernbedienung für die Steuerung des eigenen Verhaltens wieder selbst in die Hand zu nehmen. Wenn Häuser, Autos und Städte smart werden, warum dann nicht auch die Menschen?