Eine Rezension zu Doris Anselm "Die Krieger des Königs Ying Zheng" Du musst wissen, was du willst, dann kriegst du, was du willst, wir schwören

(von Carina Falke)

Für Doris „Demokratie deine Mutter“ Anselm, wie Björn Kuhligk sie bei seiner Laudatio  bezeichnet hat, ist 2014 ein Jahr der Literaturpreise. Nachdem sie schon den Literaturpreis Dichtungsring 2014 gewonnen hatte, begeisterte sie beim 22. open mike mit ihrem Text Die Krieger des Königs Ying Zheng und wurde mit dem Hauptpreis belohnt. Die Jury, die einstimmig entschieden hatte, prügelte sich schon fast darum, wer die Laudatio auf Doris Anselm halten durfte. Am Ende gewann Björn Kuhligk per Münzwurf. Das Feuilleton ist sich auch einig, kommt aber zu einer anderen Bewertung: Der Text ist eine „literarisch überformte Sozialstudie, [deren Kiezdeutsch] als literarisches Stilmittel bereits unoriginell und ausgelaugt“ ist, so die FAZ. Aber wie ist der Text Die Krieger des Königs Ying Zheng denn nun wirklich?  

Der Inhalt ist klar. Das Einkaufszentrum, das Center, soll geschlossen werden. Eine Gruppe von Jugendlichen, die im Center ihre ganze Freizeit verbringen, egal ob Sommer oder Winter, wollen dies verhindern. Mit einem Brief, natürlich, denn wenn „wichtige Sachen sind, weiß jeder, machst du immer auf Papier.“ (S. 13) Das Migrantendeutsch, das sich durch den ganzen Text zieht, wird nur durch Informationen auf den Museumstafeln, die in Hochdeutsch verfasst sind, unterbrochen. Die Ausstellung ist den chinesischen Tonkriegern des Königs Ying Zheng gewidmet, die ihr Leben gaben, um das Reich zu einen und dies als Ehre empfanden. Auch die Protagonisten können als Krieger bezeichnet werden, als Krieger des Centers, die alles für dieses tun würden, sogar ihre Sanipaygutscheine wegwerfen („Unser ganzes Geld bleibt bei Center“, S.11). Doch ihr Leben lassen sie nicht. Am Ende schieben die Protagonisten den Brief unter der Tür des Center-Management im 4. OG durch, ohne zu klopfen, „keine Ahnung, warum keiner macht“ (S. 14), und gehen die Treppen wieder hinunter.

Mit ihrem gewöhnungsbedürftigen Stil sorgte Doris Anselm für Kontroversen, aber der Text hat noch mehr zu bieten als einfach nur Kiezdeutsch, so zum Beispiel den Vergleich der Museumstafelinschriften mit der Handlung selbst oder die Selbstreflexion der Protagonisten über ihre verwendete Sprache („Aber für den Brief mach ich die Worte so, wie wir die sagen. Das versteht jeder.“, S.12). Und die Sprache ist es doch, die den Text besonders macht und mit den Beschreibungen dem einen oder anderen im Publikum einen leisen Lacher entlockt hat. „Im Nagelstudio hocken Mangamädchen. [Die] sind vielleicht auch aus China wie die Krieger. Und sehen aus wie Krankenschwestern. Große Augen und weißer Mundschutz und Kittel. Kommt eine Kundin und zeigt ihre kranken Fingernägel, machen die gesund.“ (S. 11) Auf den ersten Blick erscheint die Sprache von Die Krieger des Königs Ying Zheng vielleicht irritierend und ungewollt witzig oder naiv, doch sind weder die Protagonisten noch die Handlung naiv, sondern fordern „eine sukzessive rhetorische Auseinandersetzung mit dem Zuhörer. [Es ist] ein Verlaufstext, der jedes Glied von sich braucht und sich langsam zusammensetzt wie eine Schachpartie.“ Lesenswert und auch einen zweiten oder dritten Blick wert, sind Die Krieger des Königs Ying Zheng auf jeden Fall, ich schwöre.

Eine Rezension zu Doris Anselm "Die Krieger des Königs Ying Zheng" Center sagt: Top!

(von Marcel Michalik)

Das Ende eines Mikrokosmos. Für eine Gruppe junger Migranten bedeutet die bevorstehende Schließung eines Einkaufscenters eine ganz persönliche Katastrophe. Denn für sie ist das Einkaufscenter vielmehr als nur ein Kaufhaus. Es ist ihre eigene kleine Welt. Hier haben sie alles, was sie für das alltägliche Leben so brauchen: „Wir sind hier. Alles ist hier. Für Essen, für Trinken, für Schönsein, für Kranksein, für Schenken.“ (S. 9) Gemeinsam hat die Gruppe einen Plan ausgeheckt. Sie schreiben einen Brief an das Centermanagement in der Hoffnung, die Schließung noch rechtzeitig verhindern zu können. Zeitgleich findet eine letzte Ausstellung von chinesischen Tonkriegern im Center statt.

Doris Anselm platziert sich mit ihrem literarischen Debüt Die Krieger des Königs Ying Zheng im Bereich der Jugendprosa. Im Mittelpunkt ihres Werkes steht eine Gruppe junger Migranten, charakterisiert durch ihren Migrantenslang: „Draußen ist Sommer, da sitzen wir Springbrunnen. Mit Klimaanlage. Sonst ist nicht anders als Winter.“ (S. 9) Migrantendeutsch im Alltag ist bei weitem nichts Neues für die Ohren, es zu Papier zu bringen, dafür aber umso mehr. Zwar muss man sich beim Lesen des Textes etwas umgewöhnen, doch die Imitation der Migrantensprache ist mal was erfrischend anderes. („Die Stimme von Center kommt, wenn du Fehler machst. Und wenn auch jemand was verliert. Ein Kind. Eine Tasche. Du kannst die Stimme gut verstehen. Center sagt nicht: Gleich passiert was komm hau ab du Missgeburt. Center sagt: Dies ist ein rauchfreies Center.“ (S. 9)) Für einen stilistischen Bruch sorgt der Ausstellungskatalog der Krieger, der sich in hochdeutsch geschrieben vom Rest des Textes abgrenzt. („Es waren Bauern, die 1974 die Grube I in der Nähe von Xi´an entdeckten. Nach und nach fanden Archäologen dort Tausende Kriegerfiguren.“ (S. 10))  Semantisch bilden die Textschnipsel des Ausstellungskatalogs aber eine Parallele zu den Jugendlichen. Genauso wie sich die Krieger damals für ihren König opferten, opfern sich die Jugendlichen heute für ihr Einkaufszentrum. Denn sie brauchen Center.

Mit ihrem Text porträtiert Anselm die neuen Aufenthaltsorte der heutigen Jugend und greift entscheidende Veränderungen auf. Das Kaufhaus ersetzt die Familie. Damit steckt hinter den Kriegern des Königs ebenso eine sozialkritische Aussage. Ein verdienter erster Platz und ich glaube, Center und ich sind uns einig: Wir wollen mehr davon!

Bibliographische Angabe:
Doris Anselm: Die Krieger des Königs Ying Zheng. In: 22. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Prosa und Lyrik. München: Allitera Verlag 2014. S. 9-14.